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gemein gilt, dass Preisdiskriminierung sich immer positiv auf die Wohlfahrt auswirkt, wenn die Angebotsmenge steigt.437
3. Preisdiskriminierung zweiten Grades
Preisdiskriminierungen zweiten Grades beruhen darauf, dass sich die Nutzer selbst
den entsprechenden Nachfragergruppen zuordnen.438 Damit wird das grundlegende
Informationsproblem des Anbieters umgangen.439 Klassische Form einer Preisdiskriminierung zweiten Grades ist der Mengenrabatt.440 Wer eine höhere Stückzahl
eines Gutes bezieht, bezahlt dabei einen geringeren Stückpreis. Der Konsument
identifiziert sich dabei durch sein Nutzungsverhalten selbst als Teil einer nachfrageintensiven oder nachfrageschwachen Gruppe. Das Immaterialgüterrecht hat für
Preisdiskriminierungen zweiten Grades vor allem Bedeutung, wenn es um die Kopplung oder das „Tying“ verschiedener Produkte geht. Daher sollen auch die Wirkungen der Preisdiskriminierung dort erörtert werden.
V. Kopplungen
Die Strategien der vertikalen Integration und der Lizenzierung des Schutzgegenstandes beruhen auf dem Vorrecht des Schutzrechtsinhabers, eventuell entstehende,
nachgelagerte Märkte zu bedienen. Wird der Schutzrechtsinhaber selbst auf dem
nachgeordneten Markt tätig, kann er die Produkte beider Märkte unter einer einheitlichen Preisstrategie zusammenfassen, indem er sie aneinander koppelt. Diese Möglichkeit besteht vor allem bei Produkten, die einen Folgebedarf nach sich ziehen.
Immaterialgüterrechte haben hier Bedeutung, wenn Primär- und Sekundärprodukt
auch technisch kompatibel sein müssen und die Schnittstelle in der Form von einem
Schutzrecht erfasst wird, dass der Anbieter des Primärprodukts das Anbieten des
Sekundärprodukts durch Dritte verhindern kann. Das bekannteste Beispiel hierfür ist
die Kombination aus Drucker und Druckerpatronen. Die Kompatibilität zwischen
diesen Produkten kann gleich durch mehrere Schutzrechte abgesichert sein.441 Ein
weiteres Beispiel aus jüngerer Zeit sind Kaffeepadautomaten und Kaffeepads.442
Schließen Immaterialgüterrechte die Substituierbarkeit des Sekundärprodukts aus –
437 Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1430; Motta, S. 496; Tirole, S. 302.
438 Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1431; Motta, S. 492; Tirole, S. 294 f.
439 Dieses Problem wird auch bei Preisdiskriminierungen dritten Grades umgangen, wenn ein
Produkt in verschiedenen Qualitätsvarianten verkauft wird, wie es z.B. bei Transportleistungen erster und zweiter Klasse der Fall ist.
440 Das andere typische Beispiel für eine Preisdiskriminierung zweiten Grades ist der zweiteilige
Tarif, vgl. hierzu Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1431; Motta, S. 494 f.; Tirole, S. 311 ff.
441 Bechtold, Die Kontrolle von Sekundärmärkten, S. 72, 84, 120 f. m.w.N.
442 S. oben Teil 2 B. II. 2.
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was nicht zwangsläufig der Fall ist – besteht eine faktische Kopplung. Die ökonomische Analyse solcher Strategien dreht sich neben dem Aspekt der Kopplung vor
allem um Formen der Preisdiskriminierung.
1. Grundlagen der Kopplung
Der Hersteller eines Produktes kann die Lieferung gegenüber dem Abnehmer davon
abhängig machen, dass der Abnehmer auch ein anderes Produkt nur von ihm erwirbt. Werden die gekoppelten Produkte nur in einem festen Verhältnis abgegeben,
spricht man von „Bundling“, wird das Abgabeverhältnis nicht festgelegt von
„Tying“.443 Kopplungen können jedoch nur als vertikale Geschäftsstrategie behandelt werden, wenn es um Produkte geht, die vertikal benachbarten Märkten angehören.444 Oft ist dies bei komplementären Gütern der Fall, die sich dadurch auszeichnen, dass sie nur zusammen eine für den Konsumenten nutzbare Leistung darstellen.445 Zum Beispiel machte IBM die Lieferung seiner Tabelliermaschinen in den
1930er Jahren vom ausschließlichen Bezug seiner Lochkarten abhängig.446 Auch die
Integration des Windows Media Players im Betriebssystem Windows wurde im europäischen Microsoft-Fall als „Tying“-Problem diskutiert.447
Es lassen sich verschiedene Möglichkeiten unterscheiden, eine solche Strategie
umzusetzen: Vom vertraglichen „Tying“, bei dem der Erwerb des zweiten Produktes
Vertragsbedingung ist, unterscheidet man das technologische „Tying“, bei dem die
Notwendigkeit der Produktkombination in der physischen Kompatibilität liegt.448
IBM setzte die Kopplung der Lochkarten an die Tabelliermaschinen vertraglich
durch.449 Technologisches „Tying“ wird dagegen einseitig durchgesetzt.450 Zum
Beispiel führte der Hersteller Kodak eine verbesserte Art von Filmen für Fotoapparate ein, die nur in eine ebenfalls von Kodak neu eingeführte Kamera passten.451
443 Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1432; Nothhelfer, S. 30. Gebräuchlich sind
auch die Bezeichnungen „Tie-in-Sales“ und „requirement tying“, vgl. Nothhelfer, S. 29 f.
Beim „Bundling“ können das „pure Bundling“ und das „mixed Bundling“ unterschieden
werden, Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1457.
444 Motta, S. 303 Fn. 3.
445 Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1345.
446 International Business Machines Corporation v. United States, 298 U.S. 131, 56 S.Ct. 701;
Motta, S. 461; Viscusi/Harrington/Vernon, S. 257.
447 Europäische Kommission, (s. Fn. 188), S. 143, Tz. 792 ff. – Microsoft; EuG, WuW/E EU-R
1307, 1325 f. – Microsoft/Kommission.
448 DoJ/FTC, Promoting Innovation and Competition, S. 107; Hovenkamp/Janis/Lemley,
§21.5b2., S. 21.104.1.
449 Hovenkamp/Janis/Lemley, § 21.5b2., S. 21-108.
450 Hovenkamp/Janis/Lemley, § 21.5b2., S. 21-105.
451 Berkey Photo v. Eastman Kodak Co., 603 F.2d 263 (2d Cir. 1979), cert. denied, 444 U.S.
1093 (1980); Hovenkamp/Janis/Lemley, § 21.5b2, S. 21-104.1 f. Auch dem USamerikanischen Microsoft-Verfahren lag ein technologischer Sachverhalt, nämlich die Ver-
83
Hiervon kann außerdem noch immaterialgüterrechtliches „Tying“ abgegrenzt werden. Die Firma Lexmark etwa hat ihre Drucker und Druckpatronen durch ein softwarebasiertes Sicherheitssystem miteinander verbunden und geltend gemacht, die
Umgehung dieses Mechanismus verstoße gegen Urheberrecht bzw. den urheberrechtlichen Umgehungsschutz für Software, was jedoch im Endeffekt abgelehnt wurde.452 In ähnlichen Fällen kann auch das Immaterialgüterrecht Kopplungen ermöglichen, indem es den Markt für das gekoppelte Gut räumt. Da in diesen Fällen aber
wohl meist auch technologische Kopplungen vorhanden sein werden, ist die Begriffsbildung im Endeffekt eine Frage der Schwerpunktsetzung.
2. „Tying“ und Preisdiskriminierung zweiten Grades
Es gibt viele Motivationen für „Tying“. Dazu gehören die Qualitätssicherung und
die Übertragung von Marktmacht.453 Ein Teil der Entscheidung der Kommission im
europäischen Microsoft-Fall beruht auf dem Argument, dass Microsoft seine
Marktmacht aus dem Betriebssystemmarkt auf den Markt für Media-Player übertragen hat.454 Eine weitere Motivation für „Tying“ ist die Preisdiskriminierung zweiten
Grades.455 Gerade diese Motivation kommt bei komplementären Produkten in Betracht. Schafft es der Anbieter sicherzustellen, dass alle Konsumenten, die sein Primärprodukt erworben haben, tatsächlich auch sein Sekundärprodukt erwerben, differenziert er faktisch – entsprechend der Höhe des Folgebedarfs – nachfrageschwache
und nachfrageintensive Konsumenten. Dann kann er den Preis für das Primärprodukt senken, um Konsumenten anzulocken, und den Preis für das Sekundärprodukt
anheben, um seine Monopolstellung auf dem Folgemarkt zu nutzen.456 Tatsächlich
lassen sich bei Nassrasierern und Rasierklingen sowie bei Druckern und Druckpatronen entsprechende Preismodelle feststellen.457
bindung von Betriebssystem und Browser, zugrunde. Das Verfahren konzentrierte sich aber
auf die vertragliche Bedingung, diese Verbindung nicht aufzulösen, s. Hovenkamp/Janis/
Lemley, § 21.5b2., S. 21-108.
452 Lexmark International Inc. v. Static Control Components Inc., 387 F.3d 522 (6th Cir. 2004);
ausführlich Bechtold, Die Kontrolle von Sekundärmärkten, S. 119 ff.
453 Nalebuff, S. 70 f.
454 Europäische Kommission, (s. Fn. 188) – Microsoft; EuG, WuW/E EU-R 1307, 1325 f. –
Microsoft/Kommission.
455 Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1432. Die Motivation der Preisdiskriminierung ist die klassische und wohl am besten erforschte Erklärung für Kopplungsverkäufe, vgl.
Nalebuff, S. 33 m.w.N. zu dieser Forschungsrichtung.
456 Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1433; Motta, S. 463; Nalebuff, S. 70 f.
457 Bechtold, Die Kontrolle von Sekundärmärkten, S. 9. Keine Rolle spielen Preisdiskriminierungsstrategien dagegen im Bereich der teilweise geschmacksmusterrechtlich geschützten
Kfz-Ersatzeile, s. Bechtold, Die Kontrolle von Sekundärmärkten, S. 70 f. Vgl. kritisch zum
Argument der Quersubventionierung der Designleistung über Sekundärmärkte bei Kfz-
Ersatzteilen Eekhoff/Fischer/Jänsch/Roth, S. 14 ff. Zum geschmacksmusterrechtlichen Schutz
von Kfz-Ersatzteilen und der Einführung einer „Reparaturklausel“ s. unten Teil 3 C. III.
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Durch den niedrigen Preis auf dem Primärmarkt steigt die Zahl der Abnehmer
und damit der mögliche Gesamtprofit. Gleichzeitig bleibt jedoch die Möglichkeit,
die Konsumentenrente von nachfragestärkeren Kunden auf dem Sekundärmarkt
abzuschöpfen. Die ökonomische Rationalität der Strategie hängt letztlich davon ab,
ob die Gewinne auf dem Sekundärmarkt höher sind als die Verluste auf dem Primärmarkt.458 Bezieht sich eine Preisstrategie dagegen nur auf einen Markt, muss
sich der Anbieter entscheiden, ob er mit einem niedrigeren Preis die Absatzmenge
erhöht oder mit einem höheren Preis die Rente von nachfragestarken Konsumenten
abschöpft. Die Diskriminierung liegt bei dieser Form der Kopplung darin, dass nutzungsintensive Kunden einen geringeren Stückpreis pro Nutzungseinheit – zum
Beispiel pro Rasur oder bedruckter Seite – als nutzungsschwache Kunden zahlen, da
sich der Preis für das Primärprodukt auf eine größere Zahl von Einheiten verteilt.459
3. Bedeutung des Immaterialgüterrechts
Für eine Preisdiskriminierungsstrategie muss ein Anbieter entsprechende Nutzer
identifizieren und die aufgeteilten Märkte abschotten können.460 Ein Immaterialgüterrecht kann in den hier genannten Fällen dazu beitragen, indem es hinsichtlich der
Preisdiskriminierung zweiten Grades die Aufgabe der Identifizierung übernimmt.
Dem Anbieter stellt sich das Problem, dass er die konkreten Nachfragewerte der
Nutzungshäufigkeit der Konsumenten nicht kennt. Durch die Häufigkeit des Erwerbs des Folgeproduktes identifizieren sich diese aber selbst. Dies kann aber nur
funktionieren, wenn der Anbieter auf dem Folgemarkt ohne Konkurrenz ist. Könnten die Nutzer das Folgeprodukt von verschiedenen Anbietern beziehen, würden
seine eigenen Verkaufszahlen nicht mehr die tatsächliche Nutzung seines Produktes
widerspiegeln. Die spezifische Preisgestaltung wäre dann zwecklos. Die Konsumenten könnten von ihm das günstige Primärprodukt, von anderen Herstellern aber das
Sekundärprodukt zu deren Preis beziehen. Bei Wettbewerb auf dem Sekundärmarkt
wird dieser Preis im Extremfall bei den Grenzkosten liegen. Der Hersteller würde
dies aber voraussehen und die entsprechende Preisgestaltung nur anwenden, wenn er
auch sicherstellen kann, dass sein System geschlossen bleibt.
Eine Möglichkeit das System zu schließen, ist der Einsatz von Immaterialgüterrechten. Wird die Schnittstelle von Primär- und Sekundärprodukt von einem Immaterialgüterrecht erfasst, verhindert dieser Schutz, dass andere Hersteller Substitutionsmöglichkeiten für das Systemprodukt anbieten. Müssen die Sekundärprodukte
458 Bechtold, Die Kontrolle von Sekundärmärkten, S. 21. Hieran schließt sich der vor allem im
Rahmen der Kodak-Entscheidung ausgefochtene Konflikt zwischen „Systems-Theory“ und
den Post-Chicago Ansätzen an, vgl. hierzu Bechtold, Die Kontrolle von Sekundärmärkten, S.
21 ff.
459 Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1433.
460 Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1428; Motta, S. 492 f.
85
auch technisch mit dem Primärprodukt kompatibel sein, wird dies dazu führen, dass
der Schutzrechtsinhaber den Wettbewerb auf dem konkreten Sekundärmarkt faktisch
ausschließt.461 Das Arbitrageproblem und damit auch die Abschottungsnotwendigkeit erledigt sich von selbst, da von jedem Kunden der gleiche Preis pro verkaufter
Einheit, etwa pro verkauftem Drucker und Druckpatrone, verlangt wird. Im Ergebnis
sind die Produkte aneinander gekoppelt.
Eine entsprechende Kompatibilität schützt etwa das Urheberrecht, wenn es Umgehungsmöglichkeiten für Software auf Computerchips verbietet, die die Nutzung
von Druckerpatronen von Drittherstellern verhindert.462 Einen ähnlichen Schutz
gewährt das Patentrecht, wenn sich ein Patent für eine Kaffeemaschine, die mit
Kaffeepads betrieben wird, auch auf diese Pads bezieht.463 Der Vertrieb solcher Pads
kann dann eine mittelbare Patentverletzung sein.464 In all diesen Konstellationen
geht es um die vertikale Reichweite des Immaterialgüterrechts. Erfasst das Immaterialgüterrecht auch das Produkt des Sekundärmarktes, verbindet das Schutzrecht
faktisch diese beiden Märkte und erlaubt dem Rechtsinhaber eine einheitliche Preisstrategie, in diesem Fall basierend auf einer Diskriminierung zweiten Grades. Freilich kann diese auch auf anderem Weg abgesichert werden. Der Kunde kann zum
Beispiel vertraglich dazu verpflichtet werden, seinen Folgebedarf vom Hersteller des
Grundproduktes zu beziehen. So versuchte der US-amerikanische Druckerhersteller
Lexmark, seinen Abnehmern vertraglich zu verbieten, die entsprechenden Druckerpatronen nachfüllen zu lassen und verkaufte gleichzeitig eine Version ohne diese
Beschränkung für 30 $ weniger.465 Die schutzrechtlichen, vertraglichen und technischen Möglichkeiten zur Ausübung vertikaler Kontrolle lassen sich daher als Substitute ansehen.466
4. Auswirkungen auf die Wohlfahrt
Die Auswirkungen von Kopplungsbindungen wurden vor allem im Gefolge der
Kodak-Entscheidung des US-amerikanischen Supreme Courts diskutiert.467 In dieser
461 Der Wettbewerb kann jedoch auch teilweise durch Umgehungsmechanismen aufrecht erhalten werden. So besteht etwa die Möglichkeit Druckerpatronen von anderen Anbietern nachfüllen zu lassen, vgl. Nalebuff, S. 80. Die Hersteller versuchen diese Möglichkeiten zu beschränken, indem dem Konsumenten z.B. in diesem Fall mit einem Untergang der Garantierechte gedroht wird, vgl. hierzu mit entsprechenden Nachweisen Nalebuff, S. 80 f.
462 Um diese Frage ging es im US-amerikanischen Verfahren Lexmark International Inc. v.
Static Control Components Inc., 387 F.3d 522 (6th Cir. 2004), in dem der Umgehungsschutz
durch das Copyright letztendlich aber nicht anerkannt wurde.
463 Diese Fallgestaltung findet sich in OLG Düsseldorf GRUR-RR 2006, 39 ff. – Kaffee-
Filterpads.
464 OLG Düsseldorf GRUR-RR 2006, 39, 40 ff. – Kaffee-Filterpads.
465 Picker in: Lévêque/Shelanski (Hrsg.), S. 180, 185.
466 Bechtold, Die Kontrolle von Sekundärmärkten, S. 11.
467 504 U.S. 451 (1992) = GRUR Int. 1995, 86 – Kodak.
86
Diskussion war der Konflikt zwischen Chicago- und Post-Chicago-Ansätzen besonders deutlich erkennbar. Die Analyse ist hier allerdings diffiziler als bei anderen
vertikaler Strategien, da sich hier verschiedene Linien – vor allem die der Kopplung
und Preisdiskriminierung – treffen. Nach einer Darstellung der Chicago-
Ausgangspositionen und der Post-Chicago-Verfeinerungen soll eine Übertragung
der Aussagen ins Immaterialgüterrecht vorgenommen werden.
a) Das Chicago-Argument
aa) Einheitlicher Monopolgewinn
Auch für die Strategie des „Tying“ gilt aus Sicht der Chicago-School die These des
einheitlichen Monopolgewinns. Danach können Kopplungsgeschäfte aus vielen
Gründen angeboten werden,468 jedoch nicht um einen Monopolprofit über ein Monopol hinaus auszudehnen.469 Koppelt ein Monopolist sein Gut an ein komplementäres Gut, das vollkommenem Wettbewerb ausgesetzt ist, könne dies seinen Profit
sogar mindern.470 Vielmehr steigere der Wettbewerb auf dem Markt für das komplementäre Gut die Zahlungsbereitschaft für das Monopolgut, was der Monopolist
allein durch seine Preissetzung auf dem Monopolmarkt ausnutzen kann.471
bb) Folgemarkt-Problematik
Erst recht unmöglich ist nach Ansicht der Chicago-School die wohlfahrtsschädliche
Monopolisierung eines nachgelagerten Markt, wenn im vorgelagerten Markt kein
Monopol besteht. Diese Argumentation war vor allem in der Diskussion rund um die
Entscheidung Eastman Kodak Co. v. Image Technical Services, Inc.472 des USamerikanischen Supreme-Courts relevant. In diesem Fall ging es um die Verweigerung der Lieferung von Ersatzteilen für Kopierer an unabhängige Serviceunternehmen. Hierdurch wurde faktisch ein „Tying“ von Ersatzteilen und Serviceleistungen
herbeigeführt. Eine solches „Tying“ wäre nach amerikanischem Antitrust-Recht
rechtswidrig, wenn im Ersatzteilmarkt Marktmacht bestehen würde.473 Aus Sicht der
Chicago-School wäre diese Marktmacht aber schon aufgrund des Wettbewerbs im
vorgelagerten Markt – im Kopierermarkt bestand ein Marktanteil von 20 bis 23 %474
– beschränkt. Der Anbieter könne seine durch die Lieferverweigerung der Ersatzteile
468 Bork, S. 375 ff.
469 Bork, S. 373.
470 Church, S. 134; Nalebuff, S. 20 f.
471 Rey/Tirole in: Armstrong/Porter (Hrsg.), S. 2145, 2182 f.
472 504 U.S. 451 (1992) = GRUR Int. 1995, 86 – Kodak. Sachverhalt nach Heinemann, S. 79.
473 504 U.S. 451, 461 f. (1992).
474 Heinemann, S. 79.
87
erlangte Alleinstellung auf diesem Markt nicht ausnutzen, um die Preise zu erhöhen.
Die Märkte seien so stark miteinander verbunden, dass eine Preiserhöhung auf dem
Sekundärmarkt sich negativ auf die Nachfrage im Primärmarkt auswirken würde.475
Insofern gebe es keine Bedenken gegen die Alleinstellung auf dem Folgemarkt, weil
sie durch den Wettbewerb auf dem vorgelagerten Markt, also den Interbrand-
Wettbewerb oder den Systemwettbewerb,476 genug kontrolliert würde.477
Eine solche Ansicht grenzt in der kartellrechtlichen Betrachtung nicht zwischen
Primär- und Sekundärmarkt ab, sondern geht von einem einheitlichen Systemmarkt
aus.478 Hieraus ergibt sich auch die Bezeichnung dieser Argumentation als „Systems
Theory“. Diese geht davon aus, dass die Konsumenten ihre Entscheidung bezüglich
eines einheitlichen Systems von Kopiergerät und dazugehörigen Dienstleistungen,
wie Wartung oder Ersatzteilen, treffen und nach den Gesamtkosten, die während der
Lebensdauer des Gerätes anfallen, bewerten.479 Sie führt am Ende wieder zu einer
der Kernaussagen der Chicago-School zurück, nämlich dass das Kartellrecht in
erster Linie Probleme im Horizontalverhältnis lösen muss.
cc) Geschlossene und offene Systeme
Dementsprechend kann in Fällen, in denen ein Immaterialgüterrecht eine Ausschlie-
ßung von Wettbewerbern bewirkt, danach unterschieden werden, ob ein Eintritt
eines neuen Unternehmens auf den Sekundär- oder Folgemarkt oder ein Eintritt in
den Systemmarkt, also in Primär- und Sekundärmarkt zugleich, verhindert wird.480
Probleme ergeben sich dieser Sichtweise nach nur, wenn ein Markteintritt auf beiden
Stufen, also etwa in den Drucker- und Druckpatronenmarkt, gleichzeitig verhindert
wird.481 Das ist dann allerdings meist eine Frage mangelnden Wettbewerbs im Horizontalverhältnis oder ein „essential facility“-Fall.482 Besteht auf der vorgelagerten
Marktstufe dagegen kein Wettbewerbsproblem, kann erwartet werden, dass der
475 Kauper, 61 Antitrust L. J. 347, 354 f. (1993). Vgl. auch die Argumentation des Unternehmens
Kodak in 504 U.S. 451, 465 f. (1992)
476 Zur Abgrenzung und Bewertung von System- und Komponentenwettbewerb in Fällen des
„Tying“ s. Tirole, Competition Policy International 1 (2005), 1, 24 f.
477 Scalia, Dissenting Opinion, 504 U.S. 451, 491 (1992).
478 Bechtold, Die Kontrolle von Sekundärmärkten, S. 21 m.w.N.
479 Bechtold, Die Kontrolle von Sekundärmärkten, S. 21 f. Zur Kritik daran sogleich Teil 2 B. V.
4. b) cc).
480 Picker in: Lévêque/Shelanski (Hrsg.), S. 180, 181 f. Hovenkamp/Janis/Lemley, § 21.3c, S.
21-23.
481 Picker in: Lévêque/Shelanski (Hrsg.), S. 180, 200 f.; Hovenkamp/Janis/Lemley, § 21.3c, S.
21-23 f.
482 S. zur Anwendung der „essential facilities doctrine“ auf Immaterialgüterrechte im Rahmen
des Art. 82 EG Ullrich/Heinemann in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG, GRUR B. Rdnrn.
56 ff. Nach deutschem Recht ist jedoch kein Raum für eine Anwendung dieser Doktrin auf
Immaterialgüterrechte, s. Möschel in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), GWB, § 19 Rdnr. 195.
88
Marktmechanismus von allein die optimale Mischung aus geschlossenen und offenen Systemen hervorbringt.483
b) Erweiterungen der Chicago-Argumentation
Die These des einheitlichen Monopolprofits impliziert, dass Bestrebungen verschiedene Märkte miteinander zu verbinden, etwa durch Kopplungen, aber auch durch
Exklusivbindungen oder Integration, immer als Mittel zur Effizienzsteigerung verfolgt werden, da eine Ausdehnung des Monopols nach den Modellen der Chicago-
School nicht rational ist. Effizienzsteigerungen können sich etwa durch eine Verringerung von Suchkosten durch Kopplungen oder durch die Realisierung von Preisdiskriminierungen ergeben. Allerdings zeigt die Diskussion der Folgemarkt-
Problematik, dass verschiedene Marktunvollkommenheiten auch einem Anbieter mit
geringerer Marktmacht erlauben, eine Alleinstellung auf einem nachgelagerten
Markt auszunutzen. Zudem besteht entgegen der Chicago-Ansicht auch die Möglichkeit, Marktmacht durch Kopplungen auf andere Märkte zu übertragen.484 Dies
kann sowohl zu Marktausschließungen aktueller Wettbewerber als auch zur Verhinderung eines Eintritts potentieller Konkurrenten führen.485 Für die Bewertung der
Wohlfahrtswirkungen von Kopplungen müssen daher verschiedene Effekte berücksichtigt werden, von denen im Folgenden die wichtigsten dargestellt werden.
aa) Allgemeine Effizienzvorteile von Kopplungen
Unter dem Aspekt der Kopplung ist zu berücksichtigen, dass die Verbindung von
verschiedenen Produkten bis zu einem gewissen Maße für die Effizienz einer arbeitsteiligen Wirtschaft unerlässlich ist.486 Für einen Konsumenten wäre es zum
Beispiel sehr viel teurer, müsste er statt eines Computers oder eines Autos die entsprechenden Einzelteile kaufen und diese zusammenfügen.487 Außerdem hat der
Konsument in der Regel nicht die entsprechenden Informationen über die Kompatibilität der entsprechenden Teile.488 Auch die Vermeidung doppelter Marginalisierung, die im Rahmen der vertikalen Integration diskutiert wurde, kann in Kopplungsfällen von Bedeutung sein.489 Zudem kann die Qualitätssicherung eine Motiva-
483 Picker in: Lévêque/Shelanski (Hrsg.), S. 180, 181 ff. mit einer Darstellung von Fällen aus
beiden Bereichen.
484 Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1456; Nalebuff, S. 19 ff.
485 Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnrn. 1458 ff.; Tirole, Competition Policy International 1 (2005), 1, 17.
486 Motta, S. 461; Tirole, Competition Policy International 1 (2005), 1, 14 ff.
487 Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1456; Motta, S. 461.
488 Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1456; Motta, S. 461.
489 Nalebuff, S. 27 und 37 f.
89
tion für Kopplungen sein.490 Dabei kann argumentiert werden, dass Hersteller eines
Primärgutes auch den entsprechenden Sekundärmarkt kontrollieren müssen, um
negative externe Effekte, die sich etwa aus minderwertiger Konkurrenz ergeben und
zu Rufschädigungen führen können, zu internalisieren.491 Wenn die Kopplung zur
Preisdiskriminierung zweiten Grades eingesetzt wird und die Preise auf dem Primärmarkt zu Lasten der Sekundärmarktpreise gesenkt werden, kann der niedrige
„Eintrittspreis“ in das System auch als Darlehen des Herstellers an den Kunden
interpretiert werden, was wiederum zu Effizienzgewinnen und besserer Marktdurchdringung führt, wenn man von unvollkommenen Kapitalmärkten ausgeht.492 Zuletzt
entstehen für das koppelnde Unternehmen Vorteile im dynamischen Wettbewerb,
wenn die Verbindung zweier Märkte, eine effizientere Aufteilung von Forschungsund Entwicklungskosten zwischen beiden Märkten erlaubt.493 Vor allem das letzte
Argument hat Bedeutung für das Immaterialgüterrecht, da die Produktion immaterieller Güter in vielen Fällen von hohen Fixkosten und geringen Grenzkosten geprägt ist.494
bb) Preisdiskriminierung zweiten Grades
Durch die Kopplung kann eine Preisdiskriminierung zweiten Grades realisiert werden. Wie die Preisdiskriminierung dritten Grades kann auch eine Preisdiskriminierung zweiten Grades ganz verschiedene Auswirkungen auf die Wohlfahrt haben.
Nur wenn die Angebotsmenge erhöht wird, sind die Auswirkungen auf die Konsumentenwohlfahrt eindeutig positiv.495 Der Konsument profitiert also davon, wenn der
Anbieter es schafft, durch die Differenzierung der Kundengruppen neue Käufer zu
gewinnen und seine Menge auszudehnen. Allerdings sind auch die Kosten einer
Realisierung der Strategie zu beachten. Ein Anbieter, der eine Preisdiskriminierung
durch „Tying“ verwirklichen will, muss sicherstellen, dass die Nachfrager des
Grundprodukts auch das Folgeprodukt bei ihm erwerben. Möglich sind hierzu technische Schutzmaßnahmen, vertragliche Regelungen aber auch immaterialgüterrechtlicher Schutz. Alle diese Maßnahmen verursachen Kosten für den Hersteller.
Gleichzeitig gibt es Unternehmen, die systematisch versuchen, diese Mechanismen
490 Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1456; Hovenkamp/Janis/Lemley, § 21.2a, S.
21-8 ff..
491 Bechtold, Die Kontrolle von Sekundärmärkten, S. 28 m.w.N. zur entsprechenden informationsökonomischen Literatur.
492 Bechtold, Die Kontrolle von Sekundärmärkten, S. 29 m.w.N.
493 Bechtold, Die Kontrolle von Sekundärmärkten, S. 31 ff. m.w.N. und einer Erörterung der
Problematik unter dem Aspekt der Ramsey-Preise.
494 DoJ/FTC, Promoting Innovation and Competition, S. 107 (allerdings mit dem Hinweis auf
die Schwierigkeit, dies in die Analyse von Kopplungen mit einzubeziehen).
495 Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1435; Pepall/Richards/Norman, S. 129.
90
zu umgehen, um den Folgemarkt zu bedienen.496 Diese alleinige Konzentration auf
die Errichtung und Umgehung des Mechanismus kann volkswirtschaftliche Ineffizienzen verursachen, die in der Gesamtabwägung zu berücksichtigen sind.497
cc) Marktunvollkommenheiten
Die Kodak-Entscheidung und die Diskussion der Folgemarkt-Problematik durch die
Post-Chicago-Economics haben darauf hingewiesen, dass eine Ausübung von
Marktmacht auf einem Folgemarkt durch eine Kopplung von Leistungen auch möglich ist, wenn auf dem Primärmarkt keine erhebliche Marktmacht besteht. Aufgrund
verschiedener Marktunvollkommenheiten reicht es daher nicht aus, auf den Systemwettbewerb („Systems Theory“) zu vertrauen. Damit galt die Kritik der Post-
Chicago-Economics in erster Linie den impliziten Annahmen der „Systems Theory“.498 Diese setzt voraus, dass die Konsumenten alle zukünftigen Kosten für das
Produkt berücksichtigen, also auch die Kosten auf dem Sekundärmarkt. Die „Costly
Information Theory“499 bestreitet dies wegen zu hoher Suchkosten für diese Informationen.500 Erstens sei es fraglich, ob der Konsument überhaupt alle für das Produkt relevanten Informationen erlangen könne, und zweitens wäre damit noch nicht
sichergestellt, dass er daraus konkret für sich die richtigen Schlüsse ziehen könnte.501
Die „Systems Theory“ setzt weiterhin voraus, dass die Entscheidungen auf dem
vor- und nachgelagerten Markt gleichzeitig getroffen werden. Dies trifft aber zumindest nicht auf Kunden zu, die das Primärprodukt bereits erworben haben. Diese
können sich hohen Wechselkosten („switching costs“) ausgesetzt sehen und einem
„Lock-in“ hinsichtlich des Primärprodukts unterliegen.502 Der Anbieter könne diese
nun mit einer Preiserhöhung auf dem Sekundärmarkt überraschen („Surprise Theory“ oder „Installed Base Opportunism“).503 Allerdings muss er die Vorteile, die sich
aus der Ausbeutung des Kundenstamms ergeben, mit den Nachteilen für seinen Ruf
496 Nalebuff, S. 81 erwähnt in hier etwa die Firma Repeat-O-Type, die sich auf das Nachfüllen
von Druckerpatronen spezialisiert hat.
497 Siehe zu den Kosten solcher Strategien umfassend Nalebuff, S. 79 ff.
498 Eine ausführliche Darstellung der folgenden Theorien findet sich bei Bechtold, Die Kontrolle
von Sekundärmärkten, S. 15 ff.
499 Die folgenden Bezeichnungen der einzelnen Argumentationslinien sind in der Literatur rund
um die Kodak-Entscheidung weit verbreitet, vgl. etwa Bechtold, Die Kontrolle von Sekundärmärkten, S. 21, Fn. 40 und MacKie-Mason/Metzler in: Kwoka/White 1999, S. 386, 395 ff.
500 504 U.S. 451, 473 ff. (1992); Bechtold, Die Kontrolle von Sekundärmärkten, S. 22; MacKie-
Mason/Metzler in: Kwoka/White (Hrsg.), S. 386, 396.
501 504 U.S. 451, 473 f. (1992).
502 504 U.S. 451, 476 ff. (1992); Bechtold, Die Kontrolle von Sekundärmärkten, S. 24.
503 Bechtold, Die Kontrolle von Sekundärmärkten, S. 24 f.; MacKie-Mason/Metzler in: Kwoka/White 1999, S. 386, 396.
91
und damit der Attraktivität seines Angebotes für Neu-Kunden vergleichen.504 Entscheidend für eine solche Abwägung ist die konkrete Höhe der Wechselkosten für
die Konsumenten und vor allem die Pläne des Unternehmens.505 Unwahrscheinlich
ist eine solche Strategie, wenn das Unternehmen seine Marktanteile, etwa in einem
neu entstandenen Markt, für ausbaufähig hält. Wahrscheinlicher wird eine solche
Strategie aber, wenn das Unternehmen plant, den Markt zu verlassen.506
Problematisch ist außerdem, dass eine Preiserhöhung im Folgemarkt auch bei
vollkommen informierten Kunden möglich sein kann.507 Diese werden zwar versuchen, sich vertraglich gegen eine solche Ausbeutung abzusichern,508 können die
Gefahr aber aufgrund der Unmöglichkeit vollständige Verträge abzuschließen nicht
beseitigen („Lack of Commitment Theory“).509
dd) Ausschlusseffekte und Eintrittsbarrieren
Dass eine Übertragung von Marktmacht auf andere Märkte durch Kopplungen entgegen der Chicago-Ansicht doch möglich ist, zeigt sich in einer Situation, in der von
unvollkommenem statt vollkommenem Wettbewerb im Markt für das gekoppelte
Produkt ausgegangen wird.510 Dies gilt zunächst jedoch nur für voneinander unabhängige Güter und nicht für den tatsächlich öfter auftretenden Fall der Kopplung
komplementärer Güter.511 Das „Tying“ kann hier die Ausübung von Marktmacht im
gekoppelten Produktmarkt ermöglichen, indem es als Selbstbindung an eine bestimmte Geschäftsstrategie wirkt.512 Da der koppelnde Hersteller auch weiterhin
seinen Monopolprofit im Ursprungsmarkt realisieren will, muss er die Konsumenten
dazu bewegen, das gekoppelte Produkt zu kaufen.513 Das bindet ihn an eine aggressive Preisstrategie in diesem Markt.514 Schafft es der Hersteller eines Monopolgutes,
sich an die Kopplung dieses Produktes mit einem weiteren Produkt für die Zukunft
zu binden, kann er einen Wettbewerber für dieses weitere Gut aus dem Markt drän-
504 Bechtold, Die Kontrolle von Sekundärmärkten, S. 24 f.; Shapiro, 63 Antitrust L. J. 483, 489
ff. (1995).
505 Shapiro, 63 Antitrust L. J. 483, 490 (1995).
506 Shapiro, 63 Antitrust L. J. 483, 490 (1995).
507 Bechtold, Die Kontrolle von Sekundärmärkten, S. 25; Borenstein/MacKie-Mason/Netz, 63
Antitrust L. J. 455, 467 ff. (1995).
508 Shapiro, 63 Antitrust L. J. 483, 488 f. (1995).
509 Vgl. hierzu und zur Kritik an der Theorie Bechtold, Die Kontrolle von Sekundärmärkten, S.
25 ff. m.w.N.
510 S. Church, S. 149; Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1458; Nalebuff, S. 26;
Whinston, American Economic Review 80 (1990), 837, 838 f.
511 Vgl. Whinston, American Economic Review 80 (1990), 837, 839.
512 Whinston, Journal of Economic Perspectives 15 (2001), 63, 71; ders., American Economic
Review 80 (1990), 837, 838 f.
513 Church, S. 149; Whinston, American Economic Review 80 (1990), 837, 840.
514 Church, S. 149; Nalebuff, S. 26.
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gen515 und dann auch im zweiten Produktmarkt – wenn dort zuvor ein Duopol bestand – den Monopolpreis verlangen.516 Faktisch treibt eine Art von Quersubventionierung die Preise auf dem zweiten Markt so weit nach unten, dass sogar ein effizienterer Anbieter vom Eintritt abgehalten werden kann.517
Im Fall von komplementären Gütern trifft das Chicago-Modell zur Kopplung zunächst zu.518 Die Ausschließung von Konkurrenz auf dem gekoppelten Markt ist hier
nicht rational, wenn von festen Proportionen ausgegangen wird.519 Bei einem Austritt von Wettbewerbern auf dem gekoppelten Markt würde in diesem Fall auch die
Nachfrage nach dem Monopolgut sinken.520 Allerdings kommt die Kopplung als
rationale Strategie in Frage, wenn die Stellung auf dem Ausgangsmarkt bestimmten
Beschränkungen ausgesetzt ist.521 Gibt es im Ausgangsmarkt ein geringwertiges
Substitut zum Produkt des Anbieters, für das sich ein entsprechendes komplementäres Gut auf dem Folgemarkt findet, kann eine Kopplung dieses System aus dem
Markt drängen.522 Wiederum bindet die Kopplung den Anbieter an eine aggressive
Preissetzung auf dem Folgemarkt. Der entstehende Preiswettbewerb erschwert das
Wiedereinspielen von Fixkosten auf dem Folgemarkt, was zum kompletten Austritt
des konkurrierenden Systems führen kann.523 Ebenso kann die Kopplung rational
sein, wenn für das komplementäre Gut ein weiterer Anwendungsbereich außer der
Nutzung mit dem Gut des Monopolisten besteht. In diesem Fall können Anbieter
zum Marktaustritt gezwungen sein, wenn die nach der Kopplung verbleibende
Nachfrage, die aus der anderen Anwendung herrührt, zu gering ist.524
Die Chicago-These trifft also für den Ausschluss von Konkurrenz auf dem gekoppelten Markt zu. Um rationale Ausschlussstrategien aufzuzeigen, müssen die
erläuterten Erweiterungen vorliegen. Die Kopplung komplementärer Güter kann
dem Anbieter aber dabei helfen seine Marktmacht auf dem Ursprungsmarkt, also auf
dem Markt an dessen Produkt ein weiteres Produkt gekoppelt wird, zu schützen.525
515 Whinston, Journal of Economic Perspectives 15 (2001), 63, 71; ders., American Economic
Review 80 (1990), 837, 841 ff., 855 mit formalem Nachweis. Eine vereinfachte Darstellung
des Arguments findet sich bei Nalebuff, S. 26.
516 Whinston, Journal of Economic Perspectives 15 (2001), 63, 71.
517 Nalebuff, S. 59.
518 Zum Modell s. oben Teil 2 B. V. 4. a).
519 Rey/Tirole in: Armstrong/Porter (Hrsg.), S. 2145, 2186; Whinston, American Economic
Review 80 (1990), 837, 850.
520 Rey/Tirole in: Armstrong/Porter (Hrsg.), S. 2145, 2185 f.; Whinston, American Economic
Review 80 (1990), 837, 850.
521 Vgl. hierzu Church, S. 149 f.; Whinston, American Economic Review 80 (1990), 837, 850 ff.
522 Church, S. 149; Whinston, American Economic Review 80 (1990), 837, 852 ff.
523 Church, S. 149 f.
524 Church, S. 150; Whinston, American Economic Review 80 (1990), 837, 854 f.
525 Carlton/Waldman, RAND Journal of Economics 33 (2002), 194, 195; Rey/Tirole in:
Armstrong/Porter (Hrsg.), S. 2145, 2188. In diesem Fall besteht eine Parallele zur ebenfalls
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Sie kann entweder den Eintritt in beide Märkte zugleich526 oder nacheinander527
erschweren. Diese Effekte können vor allem in Märkten auftreten, auf denen die
Eintrittskosten aufgrund von notwendiger Innovation relativ hoch und risikoreich
sind.528 Hat sich der anfängliche Monopolist schon auf die Kopplungsstrategie festgelegt, muss der Neuling in beiden Märkten erfolgreich sein, da der Eintritt ansonsten wegen der Komplementarität der Produkte nicht profitabel wäre.529 Da der Erfolg aufgrund des Risikos der Investition unsicher ist, sinken der Anreiz und die
Wahrscheinlichkeit des Eintritts im Vergleich zur Situation, in der auch der Eintritt
in einen einzelnen Markt möglich ist.530 Entscheidender Faktor ist daher die Wahrscheinlichkeit des Innovationserfolgs, aber auch allgemein die Wahrscheinlichkeit
potentiellen Wettbewerbs.531
Aufgrund der Schwierigkeit in beide Märkte gleichzeitig einzutreten, kann der
Neuling auch versuchen, zunächst in den gekoppelten und dann in den Ursprungsmarkt einzutreten.532 Eine Kopplung kann dabei die Stellung auf dem Ursprungsmarkt schützen, indem sie den Eintritt in den gekoppelten Markt verhindert.533 Dadurch können dem Neuling etwa auf diesem Markt zu realisierende Größenvorteile
oder Netzwerkeffekte abgeschnitten werden.534 Ob eine solche Strategie rational ist,
hängt vom Verhältnis der Kosten für die Verhinderung eines komplementären Produktes535 zum Nutzen aus dem Erhalt der Position auf dem Ursprungsmarkt ab.536
c) Übertragung auf das Immaterialgüterrecht
Für den Einsatz von Immaterialgüterrechten zur Ermöglichung einer Preisdiskriminierung durch Kopplung können daraus zwei Schlüsse gezogen werden. Zunächst
von Rey/Tirole betonten Motivation der Absicherung von Marktmacht und der Lösung eines
Selbstbindungsproblems durch vertikale Bindungen, s. dazu oben Teil 2 B. II. 4.
526 Choi/Stefanidis, RAND Journal of Economics 32 (2001), 52 ff.
527 Carlton/Waldman, RAND Journal of Economics 33 (2002), 194, 195 f.
528 Carlton/Waldman, RAND Journal of Economics 33 (2002), 194, 196; Choi/Stefanidis,
RAND Journal of Economics 32 (2001), 52, 53; Rey/Tirole in: Armstrong/Porter (Hrsg.), S.
2145, 2190 f.
529 Choi/Stefanidis, RAND Journal of Economics 32 (2001), 52 f.; Church, S. 152 f.; Rey/Tirole
in: Armstrong/Porter (Hrsg.), S. 2145, 2188.
530 Choi/Stefanidis, RAND Journal of Economics 32 (2001), 52 f.
531 Choi/Stefanidis, RAND Journal of Economics 32 (2001), 52, 70; Rey/Tirole in:
Armstrong/Porter (Hrsg.), S. 2145, 2189 f.
532 Diese Situatution untersuchen Carlton/Waldman, RAND Journal of Economics 33 (2002),
194 ff.
533 Carlton/Waldman, RAND Journal of Economics 33 (2002), 194, 195 f.; Church, S. 150 f.
534 Vgl. die Beispiele hierzu bei Nalebuff, S. 55 f.
535 Zum Argument, dass ein zum Monopolgut komplementäres Produkt eines Konkurrenten dem
Monopolisten nützt vgl. Rey/Tirole in: Armstrong/Porter (Hrsg.), S. 2145, 2182 f.
536 Church, S. 151.
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kann das Immaterialgüterrecht als Selbstbindungsmechanismus im Rahmen der
Kopplungsstrategie fungieren. Whinston diskutiert als Möglichkeit für einen solchen
Mechanismus vor allem technische Kopplungen, die eine Inkompatibilität mit anderen Systemen erzeugen.537 Diese können etwa die Einrichtung eines speziellen Produktionsablaufs erfordern und erhebliche versunkene Kosten erzeugen.538 Es ist
denkbar, dass diese technische Kompatibilität durch ein Immaterialgüterrecht geschützt wird. Dieser Schutz könnte dann, neben der technischen und der Kostenkomponente, die Selbstbindung verstärken. Das Immaterialgüterrecht bietet insbesondere zusätzlichen Schutz, wenn die technische Kompatibilität leicht zu übernehmen ist, oder durch „reverse engineering“ ausgehebelt werden kann. Schafft es ein
Unternehmen, das in den Markt für das gekoppelte Produkt einsteigen will, die technische Kompatibilität herzustellen, und ist dies für sie trotz der Fixkosten profitabel,
kann der immaterialgüterrechtliche Schutz immer noch das letzte Hindernis für
einen Eintritt darstellen. Eine Lizenzierung ist in diesem Fall unwahrscheinlich, da
die Profitabilität der Kopplungsstrategie – zumindest in den dargestellten Modellen
– gerade auf dem Nichteintritt eines Konkurrenten beruht.
Allerdings ist die Absicherung der Kopplung durch ein Immaterialgüterrecht nur
realistisch, wenn es sich um komplementäre Güter handelt. Nur in solchen Fällen hat
das Immaterialgüterrecht in der Regel das Potential mehrere Produktmärkte abzudecken. Beispiele sind hier wieder die Druckpatronen, die Kaffeepads und die Rasierklingen. Es ist schwer denkbar, dass ein Immaterialgüterrecht sich auf zwei voneinander unabhängige Produkte bezieht. Daher sind die dargestellten Einschränkungen
im Falle komplementärer Güter zu beachten. Der Ausschluss kann hier profitabel
sein, wenn ein geringwertiges Konkurrenzsystem vorhanden ist oder ein alternatives
Anwendungsfeld für das komplementäre Gut besteht. Letzteres ist wiederum nur
schwer denkbar, da der Folgebedarf in den typischen Fällen gerade auf das Grundprodukt zugeschnitten ist. Für spezifische Rasierklingen oder Kaffeepads wird sich
nur schwer ein anderes Anwendungsfeld finden. Im Allgemeinen dürfte es bei immaterialgüterrechtlich geschützten Produktschnittstellen unwahrscheinlich sein, dass
Komplementärprodukte eine andere Anwendung haben.
Anderes gilt aber, wenn bei digitalen Gütern die Herstellung technischer Kompatibilität die Umgehung eines technischen Schutzmechanismus erfordert. Eine entsprechende Konstellation lag im Fall Virgin v. Apple vor, der von der französischen
Wettbewerbsbehörde FCA entschieden wurde.539 Hier ging es um die Kompatibilität
von digitalen Musikdateien mit dem von Apple verkauften portablen Musikabspiel-
537 Whinston, American Economic Review 80 (1990), 837, 839.
538 Whinston, American Economic Review 80 (1990), 837, 839.
539 Conseil de la Concurrence, Décision No. 04-D-54 du 9 Novembre 2004 relative à des pratiques mises en oeuvre par la société Apple Computer, Inc. dans les secteurs du téléchargement
de musique sur Internet et des baladeurs numériques, erhältlich unter http://www.conseilconcurrence.fr/pdf/avis/04d54.pdf. S. zum Sachverhalt Mazziotti, World Competition 28
(2005), 253, 254 f.
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gerät Ipod. Über das DRM-System Fairplay stellte Apple sicher, dass nur die von
ihm über den Online-Music-Store Itunes verkauften Musikdateien mit dem Ipod
abgespielt werden können. Virgin betrieb ebenfalls einen Online-Music-Store und
wollte zu diesem Zweck Zugang zu diesem Schutzsystem, um seinen Kunden das
Abspielen der eigenen verkauften Dateien auf dem Ipod zu ermöglichen. Apple
wurde daher vorgeworfen, seine Marktmacht auf dem Markt für portable Musikabspielgeräte durch das DRM-System auf den Markt für den Online-Verkauf von Musikdateien zu übertragen.540 Zwar konnte der Vorwurf im konkreten Fall wegen der
konkreten Marktsituation nicht bestätigt werden.541 Eine Marktsituation, in der ein
entsprechender Missbrauch denkbar ist, ist jedoch nicht unrealistisch, vor allem
wenn man an die Möglichkeit denkt, dass eine ähnliche DRM-Technologie sich zu
einem Industriestandard entwickeln könnte.542
VI. Zusammenfassung und Bewertung
Die Ausübung von Marktmacht gegenüber vertikal nachgeordneten Marktstufen
kann nicht als eindeutig positiv oder negativ gewertet werden.543 Vertikale Strategien können eine Reihe von Effizienzvorteilen haben, angefangen bei der Vermeidung doppelter Marginalisierung über die Realisierung von Produktionseffizienzen,
die Vermeidung von Trittbrettfahrerproblemen, die Senkung von Transaktionskosten, die Absicherung von beziehungsspezifischen Investitionen bis hin zur eventuell
verbesserten Qualitätssicherung von Folgeprodukten. Neuere Theorien zeigen zudem, dass die vertikale Koordination bis zu einem gewissen Maße unerlässlich ist,
um überhaupt Marktmacht ausüben zu können. Wird die Realisierung dieser Effizienzen unter Zuhilfenahme des Immaterialgüterrechts zugelassen, erhöht sich mit
der vertikalen Kontrollreichweite der Belohnungsumfang des Schutzrechtsinhabers.
Unter gewissen Umständen kann die vertikale Koordination aber auch zu einer
wohlfahrtsschädlichen Ausdehnung von Marktmacht führen. Diese Wirkungen sind
jedoch stark einzelfallabhängig. Wichtigstes Kriterium ist die Marktstellung des
Anbieters, der ein immaterielles Gut, das auf nachgelagerten Stufen genutzt werden
kann, bereit hält. Hilft ein Immaterialgüterrecht diese Stellung in wohlfahrtsschädlicher Weise auszudehnen, muss auch die Reichweite des Schutzrechts hinterfragt
werden. Das Immaterialgüterrecht aber ist Einzelfallabwägungen hinsichtlich konkreter Marktverhältnisse nur bedingt zugänglich. Umgesetzt werden können nur
540 Mazziotti, World Competition 28 (2005), 253, 263.
541 S. hierzu ausführlich Mazziotti, World Competition 28 (2005), 253 ff.
542 Mazziotti, World Competition 28 (2005), 253, 270 f.
543 Vgl. auch Noll, JITE 160 (2004), 79, 88 („ambiguous effects“).
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Das Immaterialgüterrecht soll die Imitation von geistigen Leistungen verhindern. Damit wirkt es zunächst horizontal gegen direkte Konkurrenz. Es verleiht jedoch auch Schutz gegenüber Dritten, die das geschützte Gut als Input auf anderen Märkten nutzen. Dies kann als vertikale Schutzrichtung bezeichnet werden. Obwohl diese Schutzrichtungen verschiedene Auswirkungen auf die Produktion immaterieller Güter haben, wird im Immaterialgüterrecht nicht zwischen ihnen differenziert.
Die vorliegende Arbeit untersucht anhand dieser Unterscheidung die schutzrechtsinternen Grenzen des Immaterialgüterrechts. In einer ökonomischen Analyse werden zunächst die Wirkungen der vertikalen Kontrollbefugnisse dargestellt. Anschließend wird analysiert, inwieweit die ökonomischen Erkenntnisse ins Recht Einzug gefunden haben und welche Hebel es zur Justierung vertikaler Kontrolle gibt. Diese Betrachtungsweise schärft das Verständnis des Immaterialgüterrechts als Marktorganisationsrecht und schafft eine tragfähigere Grundlage für die Bewertung und Justierung der schutzrechtsexternen Grenzen. Darüber hinaus trägt sie zu einem „more economic approach“ im Immaterialgüterrecht bei.