55
Da eine belastbare formale Begründung für diese Annahmen jedoch fehlte, wird
diese frühe Sichtweise auch als „naive foreclosure theory“ bezeichnet.253
Die Chicago-School bestritt, dass vertikale Zusammenschlüsse254 negative Auswirkungen auf die Wohlfahrt haben. Ein Unternehmen könne nur einen Monopolprofit realisieren.255 Aus einer Ausweitung dieser Stellung, etwa durch einen Versuch eine weitere Marktstufe zu monopolisieren („Leveraging“), könne kein zusätzlicher Profit entstehen.256 Die einzige Wirkung, und daher auch die einzige Motiva-
Motivation für vertikale Bindungen, sei die Erhöhung der Effizienz, was sich nur
positiv auf die Wohlfahrt auswirke.257 Eine Marktverschließung („foreclosure“) sei
deshalb nur ein Problem für ein einzelnes Unternehmen, niemals aber für den Wettbewerb oder die Wohlfahrt.258 Um negative Auswirkungen auf die Wohlfahrt zu
verhindern, reiche es aus, Probleme im Horizontalverhältnis zu lösen.259
Eine neue Bewertung vertikaler Integrationen und Vereinbarungen erfolgte
schließlich durch die Theorien, die unter dem Schlagwort „Post Chicago Economics“ zusammengefasst werden. Darunter versteht man die durchaus heterogenen
Theorien, die aus der Kritik an der Chicago-School entstanden sind, jedoch weniger
eine neue Gegenposition aufbauen wollen, als vielmehr differenziertere Bewertungen auf einer breiten theoretischen Basis vornehmen.260 Die Darstellung soll im
Folgenden von den Thesen der Chicago-School ausgehen und anhand der Post-
Chicago Kritik zeigen, welche Auswirkungen vertikale Bindungen auf die Wohlfahrt haben und welche Aussagen sich daraus für das Immaterialgüterrecht ableiten
lassen.
II. Vertikale Integration
1. Grundlagen
Die stärkste Form der vertikalen Kontrolle ist die Integration. Ein Unternehmen ist
vertikal integriert, „wenn es alle innerhalb der vertikalen Struktur zu treffenden
Entscheidungen dirigiert“.261 Das Unternehmen entscheidet sich also dafür, durch
253 Martin/Norman/Snyder, RAND Journal of Economics 32 (2001), 466, 467.
254 Die folgende Skizzierung der Chicago-Positionen bezieht sich auf die vertikale Integration.
Die Grundgedanken lassen sich aber auch auf andere vertikale Bindungen übertragen.
255 Bork, S. 229. S. hierzu unten Teil 2 B. II. 3. b).
256 Bork, S. 229; vgl. auch Church, S. 17 ff.
257 Bork, S. 226. Für Exklusivbindungen Bork, S. 309.
258 Bork, S. 244.
259 Bork, S. 237 f. und 245.
260 Heinemann, S. 76 ff.; Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1047 ff.; Riordan/Salop, 63 Antitrust L. J. 513, 515, 517 f. (1995).
261 Tirole, S. 370.
56
externes Wachstum auch auf einer anderen Wirtschaftsstufe tätig zu sein. Nach dem
Zusammenschluss können alle Entscheidungen innerhalb des einheitlichen Unternehmens getroffen werden. Gegenstand dieser Entscheidungen können unter anderem alle Formen vertikaler Vereinbarungen sein. Insofern ist die vertikale Integration eine Alternative zu anderen vertikalen Vereinbarungen. Sie verlagert das Problem
der Durchsetzung vertikaler Strategien vom Markt in das Unternehmen.262 Ist ein
Unternehmen nicht vertikal integriert, muss es seine Inputs auf den jeweiligen Produktionsstufen über Tagesmärkte beschaffen.263
2. Bedeutung im Immaterialgüterrecht
Entsprechendes kann für das Immaterialgüterrecht gesagt werden: Erfasst ein
Schutzrecht einen vertikal nachgelagerten Markt, integriert es die dort angebotene
Leistung in den Kontrollbereich des Schutzrechtsinhabers. Ob es einen solchen
Markt gibt, wird sich freilich oft erst nach der Entstehung oder Vergabe des Schutzrechts herausstellen. Besteht ein solcher Markt allerdings, bedeutet das nicht, dass er
automatisch vom Schutzrechtsinhaber selbst bedient wird. Das Schutzrecht kann
auch für die Nutzung auf diesem Markt lizenziert werden.264 In beiden Fällen gewährt das Immaterialgüterrecht aber ein Vorentscheidungsrecht über den Zugang zu
diesem Markt. Die Durchsetzung vertikaler Strategien wird dabei vom Markt in den
Bereich des Schutzrechts verlagert, weil der Schutzrechtsinhaber nicht befürchten
muss, dass Dritte oder potentielle Lizenznehmer den Markt selbst bedienen, wenn er
dort nicht tätig wird und keine Lizenz vergibt. Gleichzeitig kann der Schutzrechtsinhaber auch über den Zeitpunkt für den Markteintritt bestimmen. Anders bei ungeschützten immateriellen Gütern oder Sacheigentum: Hier kann der Anbieter einer
nachgelagerten Leistung diese unabhängig von der Einwilligung des vorgelagerten
Akteurs anbieten. Es ist allein von den individuellen Kosten-Nutzen-Rechnungen
abhängig, ob der vorgelagerte Akteur sich für eine Zusammenarbeit mit dem nachgelagerten Akteur entscheidet, oder die Leistung selbst erbringt. Hinzu kommt, dass
in Abwesenheit eines Schutzrechtes für beide Seiten in zeitlicher Hinsicht ein Wettbewerbsdruck besteht, das Rennen um den Platz auf dem nachgelagerten Markt zu
gewinnen.
Typisch sind hier Fälle komplementärer Produkte, etwa Folgebedarf: Sieht ein
Unternehmer gute Chancen sich auf dem Markt für Kaffeefilterpapier zu positionieren, wird er Filter für Kaffeemaschinen anbieten, wenn seine persönliche Kosten-
Nutzen-Rechnung ihm dies erlaubt. Dort wird er mit anderen Anbietern konkurrieren, eventuell auch mit Herstellern von Kaffeemaschinen, die ebenfalls Kaffeefilterpapier herstellen. Anderes kann jedoch bei sogenannten Kaffeepads gelten. Kaffee-
262 Motta, S. 305; Viscusi/Harrington/Vernon, S. 236.
263 Knieps, S. 151.
264 Vgl. dazu auch Hovenkamp/Janis/Lemley, § 20.2a1., S. 20-5 f.
57
pads sind fertig abgepackte Kaffeepulvereinheiten für bestimmte Kaffeemaschinen,
die mit ihrer Verpackung in die dafür vorgesehenen Maschinen eingesetzt werden.
In Deutschland gibt es zumindest einen Fall, in dem die entsprechende Einsetzvorrichtung durch ein Patent geschützt ist. Das Anbieten passender Kaffeepads wurde
in diesem Fall als mittelbare Patentverletzung gewertet.265 Der Zugang zum nachgelagerten Markt für Kaffeepads ist daher jedem Dritten durch das Patentrecht zunächst versperrt.266 Der Patentinhaber kann diese Pads selbst anbieten oder an einen
Hersteller seiner Wahl lizenzieren.
Ähnlich gelagert sind auch alle anderen Fälle, in denen eine technische Schnittstelle durch ein Immaterialgüterrecht geschützt ist.267 So entscheidet etwa der Zugang zu den Programmschnittstellen von Windows, ob andere Unternehmen als
Microsoft Software herstellen können, die mit dem von Microsoft angebotenen Betriebssystem Windows kompatibel sind.268 Ebenso kann das Urheberrecht in anderen
Fällen die Integration einer nachgelagerten Marktstufe ermöglichen: „The British
Horseracing Board“ (BHB) organisiert Pferderennen im Vereinigten Königreich und
hat eine Datenbank erstellt, die eine erhebliche Zahl von Informationen über die
Pferde und die Rennen enthält.269 Eine Alternative zu diesen Daten gibt es nicht, da
BHB der einzige relevante Veranstalter von solchen Pferdewettrennen im Vereinigten Königreich („sole source data“) ist. Die Daten sind daher ein wesentlicher Inputfaktor für Anbieter von Pferdewetten außerhalb der Rennbahn, z.B. im Internet.
Unterliegen diese Daten urheberrechtlichem Schutz, kann der Schutzrechtsinhaber
über den Zutritt zum Markt für Pferdewetten entscheiden. Er kann dort selbst tätig
sein, oder anderen Unternehmen Lizenzen erteilen.
Aus dem Bereich der Biotechnologie lässt sich folgender, patentrechtlicher Fall
anführen: Die US-amerikanische Firma Humane Genome Sciences Inc. hat sich im
Jahr 2000 die Gensequenz CCR5 patentieren lassen.270 Ein breiter Anspruch deckt
verschiedene Sequenzvarianten des Gens und alle medizinischen Anwendungen ab.
265 OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2006, 39 ff. – Kaffee-Filterpads; Bechtold, Die Kontrolle von
Sekundärmärkten, S. 87.
266 Dies setzt eine Marktabgrenzung voraus, die zwischen Primär- und Sekundärmarkt unterscheidet. Eine solche Marktabgrenzung erfolgte in der kartellrechtlichen Bewertung z.B. in
EuGH, 31. 5. 1979, Slg. 1979, S. 1869, 1896 Tz. 6 f. – Hugin; EuGH, 2. 3. 1994, Slg. 1994, I-
667, 700 ff. Tz. 11 ff. – Hilti; BGH, 26. 10. 1972, WuW/E BGH 1238 – Registrierkassen;
BGH, 23. 2. 1988, WuW/E BGH 2479 – Reparaturbetrieb. S. zu weiteren Nachweisen und
Gegenbeispielen Bechtold, Die Kontrolle von Sekundärmärkten, S. 16 f., Fn. 20; Möschel in:
Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG, Art. 82 Rdnrn. 50 f.; ders. in: Immenga/Mestmäcker
(Hrsg.), GWB, § 19 Rdnrn. 25 u. 34.
267 Vgl. hierzu Hovenkamp/Janis/Lemley, § 12.3a., S. 12-6 f.
268 Zu den technischen Grundlagen im europäischen Microsoft-Fall Europäische Kommission, (s.
Fn. 188), Tz. 21 ff. – Microsoft. Weiter zu Problemen der Interoperabilität unten Teil 3 C. II.
269 Zum Sachverhalt: EuGH, 9. 11. 2004, Slg. 2004, I-10419, I-10461 ff. – The British Horseracing Board/William Hill Organization. Zu diesem Fall ausführlich unten Teil 3 A. I. 4.
270 US Patent 6,025,154; Weltpatent WO 96/39437.
58
Andere Forschungseinrichtungen fanden später heraus, dass die Gensequenz für ein
Protein codiert, dessen sich der HIV-Virus zum Eindringen in eine Zelle bedient.
Eine Mutation des Gens jedoch verhindert gerade dieses Eindringen in die Zelle.
Diese Mutation des Gens könnte die Grundlage für ein neues HIV-Medikament sein.
Der breite Schutzumfang des Patents bewirkt aber, dass es zunächst Humane Genome Sciences Inc. vorbehalten bleibt, entsprechende Folgemärkte, etwa den für das
HIV-Medikament, zu bedienen. Die Firma muss hier nicht selbst tätig werden. Sie
kann vielmehr auch über Lizenzen an den Folgeerfindungen teilhaben, selbst wenn
die Anwendung von anderen entdeckt und bei der Patentierung der Grundsequenz
unbekannt war.
3. Übertragung von Marktmacht und Marktverschließung
In den geschilderten Situationen werden vertikal geordnete Märkte durch ein
Schutzrecht verbunden. Dies lässt sich mit der Situation vergleichen, in der ein Unternehmen durch vertikale Integration – intern oder extern – die Tätigkeit auf zwei
Märkten verbindet. Die ökonomische Untersuchung von Marktmacht in einem solchen Vertikalverhältnis konzentriert sich auf das Problem der Übertragung von
Marktmacht („Leveraging“), wie es aus den Auseinandersetzungen zwischen Harvard- und Chicago-School hervorging. Entgegen der Ansicht der Chicago-School ist
dies in bestimmten Situationen doch möglich. Typisch ist die Konstellation, dass
sich ein Unternehmen vertikal integriert und danach den Unternehmen des nachgelagerten Marktes den Zugang zum Produkt des vorgelagerten Marktes verweigert.
Die Hauptbedenken liegen daher bei den Ausschlusswirkungen („foreclosure“). Ob
solche auch in immaterialgüterrechtlichen Situationen auftreten können ist eine
Frage der konkreten Umstände. Im Folgenden soll daher vor allem gezeigt werden,
unter welchen Umständen diese Effekte auftreten und wie diese Situationen durch
Vorliegen eines Immaterialgüterrechts beeinflusst werden.
a) Das klassische Argument der doppelten Marginalisierung
Die vertikale Integration führt zu einem Effizienzgewinn, wenn durch sie eine doppelte Marginalisierung vermieden wird. Das Problem der doppelten Marginalisierung tritt auf, wenn Unternehmen auf zwei aufeinander folgenden Wirtschaftsstufen
über Marktmacht als Anbieter verfügen.271 Vereinfacht lässt sich dies anhand zweier
aufeinander folgender Monopolisten darstellen. Zugrunde zu legen sind die Regeln
zur monopolistischen Preisbildung. Nach diesen wird ein Monopolist die angebotene
Menge so wählen, dass der Grenzerlös den Grenzkosten entspricht.272 Die abgesetzte
271 Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1359.
272 Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1359.
59
Menge wird hier geringer und der Preis höher als im Wettbewerb sein.273 Wenn nun
auf beiden Marktstufen Monopolisten handeln, kommt es zu einer zweifachen Monopolpreisbildung, da der Monopolpreis des ersten Monopolisten der Einkaufspreis
des zweiten Monopolisten ist. Der zweite Monopolist wird ebenfalls seinen Gewinn
maximieren, indem er die Menge weiter reduziert.274 Insgesamt kommt es damit zu
zwei Mengenreduktionen und zwei Preiserhöhungen.
Sind zwei aufeinander folgende Monopole integriert, entfällt diese doppelte Monopolpreisbildung. Die nachgelagerte „Abteilung“ des Unternehmens bildet den
Output-Preis nun anhand der Grenzkosten der vorgelagerten „Abteilung“ und nicht
mehr anhand des Monopolpreises.275 Die Absatzmenge steigt, der Preis sinkt. Deshalb werden durch den Zusammenschluss alle beteiligten Gesellschaftsgruppen
besser gestellt.276 Somit bewirkt die vertikale Integration eine Pareto-Verbesserung.277 Diese kann auch als Internalisierung einer Externalität im Vertikalverhältnis interpretiert werden: Die Externalität entsteht dadurch, dass vertikal benachbarte Unternehmen die Auswirkungen der eigenen Preissetzung auf andere Unternehmen nicht beachten.278 Zwar ist das Vorliegen von zwei nachgelagerten Monopolen eine sehr spezielle Situation. Allerdings können sich Wohlfahrtsverluste durch
doppelte Marginalisierung auch schon ergeben, wenn zwei vertikal benachbarte
Unternehmen ein geringeres Maß an Marktmacht besitzen.279
Diese Situation ist grundsätzlich auch im Immaterialgüterrecht denkbar. Wenn
ein Monopolist eine Exklusivlizenz an einem Schutzrecht vergibt, erfolgt auch hier
eine doppelte Monopolpreisbildung.280 Auch dann kann eine vertikale Integration
die Lösung sein. Allerdings kann die Ineffizienz auch durch die Gestaltung der Lizenzgebühr umgangen werden.281 Es können etwa Höchstpreise, Mindestabsatzmengen oder eine nichtlineare Gebühr festgesetzt werden.282 Wegen der hohen Anforderungen an die Marktmacht der Beteiligten und dieser Umgehungsmöglichkeit, halten
sich die Bedenken hier in Grenzen. Problematischer sind Fälle von „multiple margi-
273 Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1083.
274 Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1359.
275 Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1359. Bishop/Lofaro/Rosato/Young, S. 31 f.
zeigen jedoch verschiedene Situationen auf, in denen auch unternehmensintern Preise über
den Grenzkosten verlangt werden.
276 Vgl. Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1360.
277 Church, S. 14 ff. mit formalem ökonomischem Nachweis zur Theorie der aufeinanderfolgenden Monopole. Unter bestimmten Bedingungen können aber auch andere vertikale Bindungen, wie Preis- oder Mengenbindungen oder ein nichtlinearer Tarif, das Problem der doppelten Marginalisierung lösen, vgl. hierzu Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnrn.
1361 f.; Motta, S. 308 f.
278 Church, S. 16 f.; Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnrn. 1360 f.; Motta, S. 307 f.
279 Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnrn. 1360 f.
280 Noll, JITE 160 (2004), 79, 83 u. 87.
281 Noll, JITE 160 (2004), 79, 83.
282 Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1361.
60
nalization“. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass mehrere Patentinhaber ihre
Ausschließlichkeit in Bezug auf ein Produkt ausüben, das von der Kombination
dieser verschiedenen Patente abhängig ist. Diese Blockadesituation ist unter der
Bezeichnung „tragedy of the anticommons“ bekannt geworden.283 Eine Zusammenführung der Schutzrechte in einem Unternehmen könnte dieses Problem lösen.284
b) Die Chicago-These vom einheitlichen Monopolgewinn
Die Chicago-School bestritt, dass die Motivation für eine vertikale Integration eine
Ausdehnung von Marktmacht auf die nachgeordnete Marktstufe sein kann.285 Sie
führte die These des einheitlichen Monopolgewinns an, die besagt, dass es nur eine
einzige Quelle für einen Monopolgewinn geben könne.286 Ein Hebeleffekt (Leveraging) in Bezug auf den nachfolgenden Markt wird damit abgelehnt.287 Tatsächlich
kann gezeigt werden, dass sich in einem Modell, in dem ein Monopolist an eine
perfekt wettbewerbliche nachgelagerte Marktstufe verkauft, der Endverkaufspreis
durch eine vertikale Integration nicht verändert,288 auch wenn die Integration zu
einer Monopolisierung des nachgelagerten Marktes führt.289
Allerdings gilt dies nur, wenn der Input und der Output des nachgelagerten Unternehmens in einem festen Verhältnis zueinander stehen, das heißt, wenn das Unternehmen eine Einheit des Inputs zur Herstellung einer Einheit des Outputs
braucht.290 Ein Beispiel mit Schutzrechtsbezug hierzu stammt von Bowman:291 Ein
unpatentiertes Messer wird aus einem Griff und einer Klinge hergestellt. Dabei ist
der Griff unpatentiert, die Klinge jedoch patentiert. Unter diesen Bedingungen trifft
es zu, dass eine vertikale Integration nicht aus der Motivation heraus erfolgen kann,
die eigene Marktmacht auszudehnen, sondern nur der Realisierung von Effizienzen
283 S. hierzu grundlegend Heller, 111 Harvard Law Review 621 ff. (1998); Heller/Eisenberg,
Science 280 (1998), 698 ff.; Buchanan/Yoon, 43 J. L. & Econ. 1 ff. (2000). Vgl. aber auch die
Hinweise zur empirischen Überprüfung dieser Theorie in Fn. 798.
284 Lévêque/Ménière, S. 62 f.; Burk, 2007 U. Ill. L. Rev. 575, 617 (2007); Arora/Merges, Industrial and Corporate Change 13 (2004), 451, 452.
285 Vgl. z.B. Bork, S. 229; Bowman, S. 57 f.
286 Vgl. etwa Bork, S. 229. Eine Darstellung diese These erfolgt in Church, S. 17 ff.; Viscusi/Harrington/Vernon, S. 242 ff. Eine jüngeres Beispiel für diese Argumentation ist das Vorbringen der Theorie durch Microsoft im Verfahren vor der Europäischen Kommission, s. Europäische Kommission, (s. Fn. 188), S. 203 ff., Tz. 764 ff. – Microsoft.
287 Church, S. 17.
288 Bork, S. 229; Church, S. 17 ff.; Viscusi/Harrington/Vernon, S. 242 ff.
289 Dabei spielt es keine Rolle, ob der Hersteller alle Unternehmen des nachgelagerten Marktes
erwirbt, oder den übrig gebliebenen Unternehmen die Lieferung verweigert, vgl. Viscusi/Harrington/Vernon, S. 242.
290 Bork, S. 229; Church, S. 17 f.; Viscusi/Harrington/Vernon, S. 242.
291 Bowman, S. 71.
61
im Produktionsbereich dient.292 Aus der ökonomischen Logik folgt dann auf die
Realisierung dieser Produktionseffizienzen die Ausweitung der Output-Menge, was
ein Sinken des Preises und ein Steigen der Konsumentenwohlfahrt nach sich
zieht.293
c) Vertikale Integration unter dem Aspekt der Marktverschließung
aa) Marktverschließungseffekt
Entgegen der Ansicht der Chicago-School kann aber gezeigt werden, dass es unter
bestimmten Annahmen doch zu einer Übertragung von Marktmacht und Marktverschließungen durch eine vertikale Integration kommen kann.294 Auszugehen ist im
Folgenden von einer Marktsituation, in der ein Hersteller sich vertikal integriert und
danach andere Unternehmen der nachgelagerten Marktstufe gar nicht mehr oder zu
höheren Preisen beliefert. Diese Situation kann als Marktverschließung bzw. „Input
foreclosure“ bezeichnet werden.295 Weil dabei die Kosten der Konkurrenten steigen,
wird auch von einer „Raising Rivals' Costs“-Strategie gesprochen.296 Hier schließt
die These an, dass das vertikal integrierte Unternehmen durch die Erhöhung der
Kosten für die Konkurrenz auf dem nachgelagerten Markt, auf diesem Markt
Marktmacht erzeugen kann.297
292 Church, S. 19; Viscusi/Harrington/Vernon, S. 242.
293 Church, S. 19.
294 Die Darstellung im Folgenden richtet sich nach dem Prüfungsschema der EU-Kommission
zum „Input foreclosure“ bei vertikalen Fusionen, wie sie es in den Leitlinien zur Bewertung
nichthorizontaler Zusammenschlüsse gemäß der Ratsverordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen vom 28. 11. 2007 niedergelegt hat, s. Europäische Kommission, Leitlinien nichthorizontal, erhältlich unter http://ec.europa.eu/comm/competition/
mergers/legislation/nonhorizontalguidelines.pdf, Rdnr. 32; zum Leitlinienentwurf schon Denzel/Hermann, WuW 2007, 566, 569. Diese Grundsätze stimmen mit den Vorgaben aus der
Rechtsprechung in EuGH, 15. 2. 2005, Slg. 2005, I-987 ff. – Tetra-Laval/Kommission und
EuG, 14. 12. 2005, Slg. 2005, II-5575 ff. – General Electric/Kommission überein, s. Denzel/Hermann, WuW 2007, 566, 569. Zur frühen Kritik an den Ansichten der Chicago-School
bezüglich vertikaler Integration und den zugrunde liegenden Annahmen vgl. Church, S. 19
ff.; Viscusi/Harrington/Vernon, S. 244 ff.
295 Europäische Kommission, Leitlinien nichthorizontal (s. Fn. 294), Rdnr. 31 ff.; Church, S. 26
ff.; Denzel/Hermann, WuW 2007, 566, 569 f. Vom „Input foreclosure“ ist der Effekt des
„customer foreclosure“ zu unterscheiden. Hier werden nicht die Unternehmen der nachgelagerten Marktstufe von einem Lieferanten, sondern Unternehmen der vorgelagerten Marktstufe von einem Abnehmer abgeschnitten, vgl. Europäische Kommission, Leitlinien nichthorizontal (s. Fn. 294), Rdnrn. 58 ff.; Church, S. 94 ff.; Denzel/Hermann, WuW 2007, 566, 571.
296 Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1385; Riordan/Salop, 63 Antitrust L. J. 513,
528 (1995); vgl. allgemein zur „Raising Rivals' Costs“-Strategie Salop/Scheffman, American
Economic Review 73 (1983), 267 ff., die sich u.a. mit den Vorteilen dieser Strategie gegenüber der Kampfpreisunterbietung auseinandersetzen.
297 Vgl. Church, S. 26.
62
Der Marktverschließungseffekt entsteht aber nur unter bestimmten Bedingungen.
Entscheidend ist die Bedeutung des vorgelagerten Teils des integrierten Unternehmens für den nachgelagerten Markt. Der vom integrierten Unternehmen produzierte
Input muss ein entscheidender Kostenfaktor bei der Produktion auf dem nachgelagerten Markt sein.298 Dies kann der Fall sein, wenn der Input zur Herstellung des
Produktes oder zu seiner Differenzierung notwendig ist.299 Die Marktstellung des
integrierten Unternehmens muss dabei so stark sein, dass die von der Lieferung
abgeschnittenen Unternehmen nicht auf andere Lieferanten ausweichen können bzw.
andere Lieferanten den zusätzlichen Bedarf nicht decken können.300 Daher sind die
Substituierbarkeit des Inputs, die Kapazitäten von Konkurrenten auf dem vorgelagerten Markt und die Möglichkeit des Neueintritts in diesen Markt für die Beurteilung des neuen Input-Preises entscheidend.301
Der Leitlinienentwurf der Kommission zu nichthorizontalen Fusionen bezieht
ausdrücklich die Möglichkeit mit ein, dass der Input im Zugang zu einem geistigen
Eigentumsrecht besteht.302 Beispiel in dieser Situation – obwohl es dort um Missbrauchssachverhalte und nicht um Fusionen ging – könnten die Sachverhalte von
Magill, IMS-Health und Standard-Spundfass sein, wo jeweils der Zugang zu einer
Lizenz für ein Immaterialgüterrecht begehrt wurde, dessen Schutzgegenstand für die
Tätigkeit auf dem nachgelagerten Produktmarkt wesentlich war.303 Wird die Lizenz
verweigert, etwa weil der Schutzrechtsinhaber nachgelagerte Märkte selbst bedienen
oder exklusiv lizenzieren will, führt dies zu einem Ausschluss der entsprechenden
Unternehmen auf dem nachgelagerten Markt, weil sie von ihrem wesentlichen Input
abgeschnitten werden.
In anderen Fällen scheint die Ausschlussgefahr geringer: In den typischen Sekundärmarktfällen, in denen es um den Verkauf bestimmter Systeme von komplementären Grund- und Folgeprodukten geht, wird oft schon der Systemwettbewerb, also vor
allem der horizontale Wettbewerbsdruck auf der vorgelagerten Stufe, wohlfahrtsschädliche Ausschlussstrategien verhindern. Zum Beispiel besteht im Kaffeepadfall304 Wettbewerb zwischen den Anbietern unterschiedlicher Kaffeemaschinen mit
entsprechendem Folgebedarf und auf dem Automarkt Wettbewerb zwischen Auto-
298 Europäische Kommission, Leitlinien nichthorizontal (s. Fn. 294), Rdnr. 34.
299 Europäische Kommission, Leitlinien nichthorizontal (s. Fn. 294), Rdnr. 34.
300 Europäische Kommission, Leitlinien nichthorizontal (s. Fn. 294), Rdnr. 35 f.; Denzel/Hermann, WuW 2007, 566, 569; Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1384;
Motta, S. 373.
301 Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1384; Motta, S. 373.
302 Europäische Kommission, Leitlinien nichthorizontal (s. Fn. 294), Rdnr. 33, Fn. 24.
303 Vgl. oben Teil 1 B. IV. 1. c) und unten Teil 3 A. I. 3. u. 5. Zur notwendigen Unterscheidung
eines vertikal vorgelagerten Technologiemarktes (upstream) vom vertikal nachgelagerten
Produktmarkt (downstream) s. Ordover, 53 Antitrust L.J. 503, 514 ff. (1985).
304 S. oben Teil 2 B. II. 2.
63
herstellern mit entsprechenden Ersatzteilen. Allerdings spielen in diesen Fällen eine
Reihe weiterer Argumente eine Rolle, die im Zusammenhang mit Preisdiskriminierungsstrategien und „Tying“ erörtert werden sollen.305
bb) Rationalität der Marktausschließungsstrategie
Ist die Marktsituation so beschaffen, dass ein Ausschließungseffekt auftreten kann,
ist zu prüfen, ob es für ein vertikal integriertes Unternehmen überhaupt ökonomisch
rational ist, die Lieferung an andere Unternehmen der nachgelagerten Marktstufe zu
verweigern oder die Preise für diese Lieferungen zu erhöhen.306 Intuitiv würde man
annehmen, dass das integrierte Unternehmen bei einer Lieferverweigerung auf Gewinne verzichtet und sich damit selbst schadet. Das integrierte Unternehmen muss
also abwägen, ob der Verlust durch die Verweigerung der Lieferung des Inputs oder
der Absatzrückgang durch die Erhöhung des Input-Preises größer ist als der mögliche Gewinn auf dem nachgelagerten Markt durch eine stärkere Marktstellung.307
Hier spielt eine Rolle, ob das integrierte Unternehmen die durch die ausgeschlossenen Konkurrenten freigewordene Nachfrage bedienen kann.308 Dies hängt von den
Kapazitäten des integrierten Unternehmens und den Substitutionsbeziehungen zu
den Produkten der Wettbewerber ab.309
cc) Auswirkungen auf die Wohlfahrt
Aus Sicht eines Konsumentenwohlfahrtsstandards ist der Endverkaufspreis entscheidendes Kriterium für die Beurteilung einer Fusion.310 Denn bei gleich bleiben-
305 S. unten Teil 2 B. IV. u. V.
306 Europäische Kommission, Leitlinien nichthorizontal (s. Fn. 294), Rdnrn. 40 ff.; Denzel/Hermann, WuW 2007, 566, 570; Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1384;
Motta, S. 373. Nach Motta, S. 373, Fn. 70 ist die vollständige Lieferverweigerung der extremste Fall der Anhebung des Input-Preises.
307 Europäische Kommission, Leitlinien nichthorizontal (s. Fn. 294), Rdnrn. 41 f.; Denzel/Hermann, WuW 2007, 566, 570.
308 Europäische Kommission, Leitlinien nichthorizontal (s. Fn. 294), Rdnr. 42; Denzel/Hermann,
WuW 2007, 566, 570.
309 Europäische Kommission, Leitlinien nichthorizontal (s. Fn. 294), Rdnr. 43; Denzel/Hermann,
WuW 2007, 566, 570.
310 Allgemein zu diesem möglichen normativen Kriterium der Rechtsanwendung, vor allem in
Abgrenzung zu einem Gesamtwohlfahrtsstandard Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl.
Rdnrn. 1057 ff. Die Diskussion um einen Konsumentenwohlfahrtsstandard als Entscheidungskriterium und sein Verhältnis zum Konzept der Wettbewerbsfreiheit wird vor allem im
Rahmen des „more economic approach“ im europäischen Kartellrecht geführt, s. hierzu
Mestmäcker, WuW 2008, 6, 14 ff.; v. Weizsäcker, WuW 2007, 1078 ff.; Basedow, WuW
2007, 712 ff. Die Europäische Kommission nimmt in ihrem Diskussionspapier zu Art. 82 EG
64
den Leistungen steigt die Konsumentenrente mit einem Sinken der Preise.311 Aber
selbst wenn man davon ausgeht, dass der Inputpreis für die nicht integrierten Unternehmen der nachgelagerten Marktstufe steigt, muss sich dies nicht notwendig negativ auf den Endverkaufspreis auswirken. Allerdings nimmt die Wahrscheinlichkeit
von steigenden Endverkaufspreisen mit dem Steigen des Preises für den Input zu.312
Für eine genaue Prüfung müssen die konkreten Wettbewerbsverhältnisse auf dem
nachgelagerten Markt ermittelt werden.313 Je bedeutender die Stellung des integrierten Unternehmens auf dem nachgelagerten Markt ist, und je mehr Konkurrenten
ausgeschlossen werden, desto eher steigen dabei die Preise auf dem nachgelagerten
Markt.314 Auch potentieller Wettbewerb muss dabei berücksichtigt werden, weshalb
zu prüfen ist, inwieweit die Integration zu Errichtung von Marktzugangsschranken
führt.315 Auch hier kann Schutzrechten Bedeutung zukommen, insbesondere wenn
sie – wie in den Fällen Microsoft oder Standard-Spundfass – mit Netzwerkeffekten
oder Industriestandards zusammenfallen.316
Darüber hinaus ist bei der Ermittlung des Endverkaufspreises eine eventuelle
Vermeidung doppelter Marginalisierung durch die vertikale Integration zu berücksichtigen.317 Ist dieser Effekt groß genug, kann dies auch zu einem in der Summe
niedrigeren Endverkaufspreis führen.318 Zu niedrigeren Preisen können aber auch
andere, entsprechend große, Effizienzvorteile führen. Legt man das ökonomische
Kalkül zugrunde, besteht zumindest die Vermutung, dass die bewusste vertikale
Integration die Effizienz des Unternehmens erhöht. Mögliche Effizienzvorteile können in einer Vermeidung von Trittbrettfahrerproblemen, in der Vermeidung von
Transaktionskosten oder Hold-up Problemen oder in Größenvorteilen liegen.319
Doch selbst wenn diese nicht ausreichen, um negative Wirkungen auf den Preis zu
kompensieren, können sie innerhalb einer Bewertung anhand des Kriteriums eines
Gesamtwohlfahrtsstandards berücksichtigt werden.320
mehrmals Bezug auf die Konsumentenwohlfahrt, s. Europäische Kommission, Article 82
Discussion Paper, Tz. 1, 54, 87, 210.
311 Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1058.
312 Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1385.
313 Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1385; Motta, S. 374.
314 Europäische Kommission, Leitlinien nichthorizontal (s. Fn. 294), Rdnr. 47.
315 Europäische Kommission, Leitlinien nichthorizontal (s. Fn. 294), Rdnr. 48; Denzel/Hermann,
WuW 2007, 566, 570.
316 Dazu sogleich Teil 2 B. II. 4. b).
317 Europäische Kommission, Leitlinien nichthorizontal (s. Fn. 294), Rdnr. 54.
318 Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1386; Motta, S. 374.
319 Umfassend zu den Effizienzvorteilen vertikaler Vereinbarungen vgl. Church, S. 281 ff.;
Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnrn. 1344 ff. m.w.N. Zu den Auswirkungen von
Immaterialgüterrechten auf Transaktionskosten und Hold-up-Probleme s. auch Teil 2 C. I. 4.
320 S. zu den Kriterien des Gesamt- bzw. Konsumentenwohlfahrtsstandards die Literaturhinweise
in Fn. 310.
65
4. Absicherung von Marktmacht und Marktverschließung
Eine Grundthese der Chicago-School war, dass eine Ausdehnung von Marktmacht
durch vertikale Bindungen nicht rational sei, da der gesamte Monopolprofit schon
durch die Ausübung der Marktmacht auf dem Ursprungsmarkt realisiert werden
könne.321 Allerdings zeigt ein neuerer Ansatz, dass ein vorgelagerter Monopolist
seine Marktmacht oft gar nicht vollständig ausüben kann, ohne Ausschlussstrategien
zu verfolgen.322 Neben der Ausdehnung oder Übertragung von Marktmacht kommt
daher noch eine andere Motivation für vertikale Beschränkungen in Betracht, nämlich die Absicherung von Marktmacht.323 Dies relativiert die Bedeutung des „leveraging“-Arguments, lässt aber die Gefahr der Marktverschließung („foreclosure“)
unberührt.
Aufgrund des ökonomischen Kalküls wird jeder Anbieter versuchen, seine
Marktmacht soweit wie möglich auszunutzen. Diese Strategie kann im Vertikalverhältnis so stark bedroht sein, dass es für den Anbieter rational ist, die Wettbewerbsverhältnisse auf dem nachgelagerten Markt zu beeinflussen. Dies kann er tun, indem
er Geschäftsbeziehungen mit bestimmten Unternehmen dieses Marktes abbricht oder
selbst auf diesem Markt tätig wird, sich also vertikal integriert. Dies kann sich negativ auf die Wohlfahrt auswirken. Nachfolgend soll dargestellt werden unter welchen
Voraussetzungen die Marktmacht des Anbieters bedroht ist und wie er sie wieder
herstellen kann. Dies hat direkte Bedeutung für den Schutzrechtskontext.324
a) Vertikale Marktverschließung („vertical foreclosure“)
Im Mittelpunkt der Wohlfahrtsanalyse dieser Ausschlussfälle steht der Effekt der
vertikalen Marktverschließung („vertical foreclosure“). Rey/Tirole definieren diese
bei der Entwicklung des Arguments als eine Situation, in der ein Unternehmen einen
Markt für ein wesentliches Gut („bottleneck good“) beherrscht und seine Marktmacht auf diesem Markt dazu ausnutzt, den Wettbewerb auf dem nachgelagerten
321 Bork, S. 229
322 Rey/Tirole in: Armstrong/Porter (Hrsg.), S. 2145, 2155 f.
323 Rey/Tirole in: Armstrong/Porter (Hrsg.), S. 2145, 2158: „Foreclosure can however serve to
protect rather than extend monopoly power.“ Die grundlegende Arbeit zu dieser Argumentation ist Hart/Tirole Brookings Papers on Economic Activity: Microeconomics 1990, 205 ff.
324 Im immaterialgüterrechtlichen Kontext wurde dieses Argument von Rey bei den Hearings
„Competition and Intellectual Property Law and Policy in the Knowledge-Based Economy“
des U.S. Department of Justice und der Federal Trade Commission vorgetragen, und fand
daraufhin Berücksichtigung im aus den Hearings folgenden Bericht „Antitrust Enforcement
and Intellectual Property Rights: Promoting Innovation and Competition“, s. DoJ/FTC, Promoting Innovation and Competition, S. 24 f.; DoJ/FTC, Hearing 22. 5. 2002, Transcript, S.
26 ff.
66
Markt durch Zugangsverweigerungen oder -beschränkungen zu beeinflussen.325 Das
wesentliche Gut wird als Input definiert, der von den ausgeschlossenen Unternehmen nicht zu angemessenen Kosten dupliziert werden kann.326 Damit setzt die Theorie der vertikalen Marktverschließung bei den typischen „essential facilities“-Fällen
an. Mit dieser Definition der Voraussetzung werden andere Marktsituationen als die
des Monopols oder der Marktbeherrschung ausgeschlossen. Denkbar ist der Ausschluss von Wettbewerb auf nachgelagerten Märkten zur Absicherung der eigenen
Marktmacht zwar in allen Fällen, in denen Marktmacht besteht.327 Die Ergebnisse
hängen aber stark von der konkreten Marktmacht ab.328 Dies hat vor allem Bedeutung im Bereich des geistigen Eigentums. Wenn im konkreten Fall ein Maß an
Marktmacht besteht, das bedenklich ist, spricht – zunächst aus ökonomischer Sicht –
vieles dafür, auch geistiges Eigentum als „essential facility“ bzw. als wesentliches
Gut zu behandeln,329 wie dies im europäischen Kartellrecht der Fall ist,330 aber im
deutschen Kartellrecht ausgeschlossen wird.331
b) Das wesentliche Gut
Zu einer vertikalen Marktverschließung kann es kommen, wenn der vorgelagerte
Anbieter über ein wesentliches Gut verfügt, das den nachgelagerten Unternehmen
als Input dient. Dies können typische „essential facilities“ in Form von Infrastruktureinrichtungen sein, wie zum Beispiel Häfen, Schienen- oder Leitungsnetze.332
Aus ökonomischer Sicht kommen hier aber auch alle Formen geistigen Eigentums in
Frage, wenn sie eine entsprechende Marktstellung errungen haben. Ein Grund für
eine solche Stellung können Netzwerkeffekte sein. Diese tauchen auf, wenn die
Nützlichkeit eines Produktes für einen Konsumenten mit der Zahl der anderen Konsumenten, die dieses Produkt auch nutzen, ansteigt.333 Einerseits trifft dies auf physische Netze zu. Der Wert eines Telefonnetzes steigt mit der Anzahl der Teilnehmer,
die erreicht werden können. Dies ist ein direkter Netzwerkeffekt.334 Netzwerkeffekte
325 Rey/Tirole in: Armstrong/Porter (Hrsg.), S. 2145, 2153.
326 Rey/Tirole in: Armstrong/Porter (Hrsg.), S. 2145, 2148.
327 Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1373.
328 Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1376.
329 Vgl. Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1463; Motta, S. 66 ff.; Rey/Tirole in:
Armstrong/Porter (Hrsg.), S. 2145, 2204 f.
330 Vgl. zur einschlägigen Rechtsprechung Möschel in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG, Art.
82 Rdnrn. 239 ff.; Ullrich/Heinemann in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), EG, GRUR B.
Rdnrn. 56 ff. jeweils m.w.N.
331 Zur Situation im deutschen Kartellrecht Möschel in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), GWB, §
19 Rdnr. 219.
332 Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1461.
333 Diese Definition stammt von Katz/Shapiro, American Economic Review 75 (1985), 424. Vgl.
zum Zusammenhang von Infrastruktur und Netzwerkeffekten auch Frischmann, 89 Minn. L.
Rev. 917, 970 ff. (2005).
334 Motta, S. 82; Tirole, S. 907.
67
können aber auch indirekt auftreten. Im virtuellen Bereich, zum Beispiel bei Software, ist der Nutzen eines Produktes umso höher, umso mehr andere Nutzer des
Produktes es gibt, weil dann mehr komplementäre Produkte erhältlich sein werden.335 Ein Beispiel ist hier das Computerbetriebssystem Windows von Microsoft,
dessen weite Verbreitung zu einer hohen Zahl an kompatibler Anwendungssoftware
geführt hat.336 Gleichzeitig kann ein solches Produkt durch Urheberrecht geschützt
sein,337 was seine Imitation verhindert. Darüber hinaus besteht ein weiteres Problem.
Netzwerkeffekte führen häufig zu Standardisierung.338 Besteht gleichzeitig Schutz
durch ein Immaterialgüterrecht, kann dieses auch einen Industriestandard schützen.339 Industriestandards ermöglichen die Interoperabilität von Produkten verschiedener Anbieter, was zur Entwicklung neuer Märkte führen kann.340 Gleichzeitig
verringern sie Such- und Koordinationskosten für die Nutzer.341 Fällt das Schutzobjekt des Immaterialgüterrechts mit einem solchen Standard zusammen, können Ausschlusssituationen auftreten.342 Eine solche Situation liegt zum Beispiel dem vom
BGH entschiedenen Fall „Standard-Spundfass“ zugrunde.343 Hier verweigerte der
Inhaber eines Patentes auf die Gestaltung eines bestimmten Industriefasses, das zum
Industriestandard erhoben wurde, die Lizenzierung an einen anderen Fasshersteller.
c) Bindungsproblem
Die Absicherung von Marktmacht durch den Ausschluss von Wettbewerb auf dem
nachgelagerten Markt wird für einen Anbieter aufgrund eines Bindungsproblems
(„commitment problem“) gegenüber der nachgelagerten Marktstufe notwendig.344
Wegen dieses Bindungsproblems kann der Monopolist seinen Abnehmern nicht
glaubhaft versichern, dass er sich nicht opportunistisch verhält, also den Konkurrenten bessere Angebote macht oder mit ihnen nachverhandelt. Dieses Problem führt
aus Sicht des Monopolisten zu niedrigeren Abgabepreisen, da die Händler nicht auf
Angebote des Monopolisten eingehen werden, die Monopolmenge zu verkaufen.
335 Motta, S. 82; Pepall/Richards/Norman, S. 615; Tirole, S. 907.
336 Pepall/Richards/Norman, S. 615.
337 Nach deutschem Urheberrecht wird Software durch die §§ 69a ff. UrhG geschützt.
338 Vgl. Tirole, S. 907 f.
339 In diesem Fall liegt regelmäßig eine marktbeherrschende Stellung auf dem Lizenzmarkt vor,
vgl. Möschel in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), GWB, § 19 Rdnr. 219 u. BGH GRUR 2004,
966, 967 – Standard-Spundfass.
340 Ghidini/Arezzo in Ehlermann/Atanasiu (Hrsg.), S. 105, 106.
341 Carlton/Klamer, 50 U. Chi. L. Rev. 446 ff. (1983); Tirole, S. 908.
342 Vgl. weiter zum Problembereich von Standardisierung, technischen Normen und Immaterialgüterrecht DoJ/FTC, Promoting Innovation and Competition, S. 33 ff.; Ullrich, GRUR 2007,
817 ff.
343 BGH, GRUR 2004, 966 ff. – Standard-Spundfass.
344 Vgl. hierzu Church, S. 82; Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1373 ff.; Motta,
S. 338 ff.; Rey/Tirole in: Armstrong/Porter (Hrsg.), S. 2145, 2158; Viscusi/Harrington/
Vernon, S, 246 ff.
68
Wenn der Monopolist nun ein Unternehmen der nachgelagerten Stufe integriert oder
mit ihm eine exklusive Bindung eingeht, kann er seine Marktmacht wieder ausüben
und die volle Monopolrente abschöpfen. Es besteht also der Anreiz, Unternehmen
im nachgelagerten Markt zu diesem Zweck auszuschließen („foreclosure“). Das
entscheidende Bindungsproblem kann aus dem Bindungsproblem des monopolistischen Herstellers dauerhafter Güter abgeleitet werden.345
aa) Bindungsproblem des monopolistischen Herstellers dauerhafter Güter
Ein Produzent eines langlebigen Gutes macht sich selbst Konkurrenz. Er kann den
Preis für sein Produkt intertemporal differenzieren. Mit dem Verkauf seines Produktes sinkt nicht nur die heutige, sondern auch die zukünftige Nachfrage. Deshalb wird
er den Preis später senken, um an die verbleibenden Nachfrager zu verkaufen.346
Wenn die Verbraucher dieses Verhalten voraussehen, schadet dies dem heutigen
Absatz des Monopolisten.347 Der Monopolist könnte das Problem lösen, indem er
sich im Voraus verbindlich auf einen Preis festlegt. Diese Festlegung ist jedoch
aufgrund des ökonomischen Kalküls nicht glaubwürdig, da allein die Möglichkeit
eines höheren Absatzes in der Zukunft diesen notwendig macht. Der Monopolist hat
deshalb ein Problem, sich glaubwürdig für die Zukunft an ein bestimmtes Verhalten
zu binden.348
bb) Bindungsproblem des Herstellers eines wesentlichen Gutes
Grundlegend zum Bindungsproblem des vertikal vorgelagerten Herstellers ist folgender Fall:349 Ein Monopolist produziert ein für einen nachgelagerten Markt wesentliches Produkt („bottleneck good“). Der Wettbewerb auf dem nachgelagerten
Markt hängt vom Zugang zum Produkt des Monopolisten ab. Auf dem nachgelagerten Markt sind zwei Unternehmen tätig, die das Produkt weiterverwerten und auf
dem Endkundenmarkt anbieten. Wenn der Monopolist den nachgelagerten Unternehmen Angebote macht, die das jeweils andere Unternehmen kennt, wird er seine
Marktmacht voll ausüben und die ganze Monopolrente abschöpfen können.350 In
diesem Fall gibt es auch keinen Grund einen Markt zu verschließen.351
345 Das Problem wurde zuerst von Coase, 15 J. L. & Econ. 143 ff. (1972) beschrieben und ist als
„Coase conjecture“ bekannt, vgl. Motta, S. 70 ff. Die nachfolgende Darstellung basiert auf
Tirole, S. 159 ff.
346 Tirole, S. 159.
347 Tirole, S. 160.
348 Tirole, S. 182.
349 Nach Rey/Tirole in: Armstrong/Porter (Hrsg.), S. 2145, 2158 ff.
350 Nachweis bei Mathewson/Winter, RAND Journal of Economics 15 (1984), 25 ff.
351 Rey/Tirole in: Armstrong/Porter (Hrsg.), S. 2145, 2159 f.
69
Werden die Verträge mit den nachgelagerten Unternehmen jedoch geheim ausgehandelt, stellt sich dem Monopolisten das Bindungsproblem. Um das Problem der
doppelten Marginalisierung zu umgehen, wird er einen Preis wählen, der aus einem
Fixbetrag und einem Stückpreis besteht, wobei der Stückpreis seinen Grenzkosten
entspricht.352 Bei diesem Preis wird der Händler die Monopolmenge verkaufen.
Wurden die Bedingungen ausgehandelt, besteht aber trotzdem noch ein Anreiz für
den Hersteller, auch an den zweiten Händler zu verkaufen. Der Grund liegt darin,
dass der daraus entstehende Nachteil, nämlich die sinkende Endnachfrage, sich nur
auf den ersten Händler und nicht auf den Hersteller auswirkt.353 Der zuerst belieferte
Händler wird daher nach Zahlung des Fixbetrags einen Verlust erleiden.354 Da dies
aber unter Annahme des ökonomischen Kalküls vom ersten Händler vorausgesehen
wird, wird dieser nie einen Vertrag akzeptieren, in dem er die Monopolmenge verkauft. Gleiches wird geschehen, wenn in einer ersten Runde zwar alle Verträge abgeschlossen wurden, man aber die Möglichkeit zu Nachverhandlungen zwischen den
Parteien mitberücksichtigt. Der Hersteller kann den Monopolgewinn also nicht realisieren, weil er sich aus ökonomischer Sicht nicht glaubhaft auf ein zukünftiges Verhalten festlegen kann, das nicht profitmaximierend ist.355
d) Lösungsmöglichkeiten für das Bindungsproblem
Als Lösung für das Bindungsproblems kommt zunächst die vertikale Integration in
Frage.356 Hierdurch kann sich der Anbieter glaubhaft darauf festlegen, nicht an Konkurrenten auf dem nachgelagerten Markt zu liefern, da dies zu Lasten des eigenen
Gewinns gehen würde.357 Ähnliche Wirkung hätte ein Alleinvertriebsrecht für einen
Händler, zum Beispiel für ein bestimmtes Gebiet.358 Eine vertikale Preisbindung
oder eine Meistbegünstigungsklausel, die Preissenkungen für einzelne Händler auf
alle ausdehnt, führen ebenfalls zum Ziel.359
Alle diese Mittel begünstigen die Selbstbindung des Unternehmens an eine bestimmte Strategie. Problematisch sind deshalb auch Vorschriften gegen Preisdiskriminierung.360 Wenn diese greifen, dürfen für gleichwertige Leistungen keine unter-
352 Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1373.
353 Church, S. 82.
354 Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1373.
355 Rey/Tirole in: Armstrong/Porter (Hrsg.), S. 2145, 2156.
356 Teilweise wird diesem Problem aber mehr Bedeutung im Rahmen von Exklusivbindungen als
im Bereich der vertikalen Integration zugemessen, vgl. Church, S. 85.
357 Church, S. 85; Motta, S. 340 f.; Rey/Tirole in: Armstrong/Porter (Hrsg.), S. 2145, 2163.
358 Motta, S. 341; Rey/Tirole in: Armstrong/Porter (Hrsg.), S. 2145, 2176.
359 Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1375; Motta, S. 342 f.; Rey/Tirole in:
Armstrong/Porter (Hrsg.), S. 2145, 2163 f.
360 Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1376; Motta, S. 343; Rey/Tirole in:
Armstrong/Porter (Hrsg.), S. 2145, 2168 ff.
70
schiedlichen Preise verlangt werden.361 Eine solche Beschränkung kann dem marktbeherrschenden Unternehmen aber gerade helfen. Sein Problem bei der Ausübung
seiner Marktmacht besteht darin, sich nicht glaubhaft an ein nicht-opportunistisches
Verhalten binden zu können. Diese Möglichkeit bekommt er aber durch die Vorschrift, allen Abnehmern gleichwertige Angebote zu machen.362 Die konkreten
Auswirkungen der Wiederherstellung des Selbstbindungsmechanismus des Anbieters hängen jedoch stark von der konkreten Marktmacht des Herstellers ab.363 Umso
stärker die Stellung des Unternehmens auf dem Input-Markt ist, umso stärker sind
die negativen Folgen der vertikalen Kontrolle. Möglichkeiten für Wettbewerbsbehörden, diese negativen Folgen abzumildern, können zum Beispiel eine vertikale
Separation, Preis- und Mengenkontrollen oder die Offenlegung von Verträgen
sein.364
e) Bedeutung im Immaterialgüterrecht
Das Selbstbindungsproblem des Herstellers eines wesentlichen Gutes hat direkte
Bedeutung für das Immaterialgüterrecht. Rey/Tirole beschreiben folgende Situation:365 Der Inhaber eines Patents,366 das eine einzigartige und daher marktbeherrschende Technologie schützt,367 sieht sich genau wie jeder andere Inhaber einer
„essential facility“ einem Selbstbindungsproblem ausgesetzt. Die potentiellen Lizenznehmer werden voraussehen, dass der Inhaber des Schutzrechts einen Anreiz zu
opportunistischem Verhalten hat, und nach der Vergabe der Lizenz weitere vergeben
wird. Daher werden sie nur einen entsprechend niedrigeren Preis zahlen. Der
Schutzrechtsinhaber kann seine Marktmacht auf dem vorgelagerten Markt erst wieder ausüben, wenn er dieses Bindungsproblem löst. Möglichkeiten hierfür wurden
dargestellt. Das Immaterialgüterrecht trägt diesem Problem insoweit Rechnung, als
es seinem Inhaber die Freiheit gewährt, sich seine Lizenznehmer auszusuchen.368
361 Vgl. Mestmäcker/Schweitzer, § 17 Rdnrn. 14 ff. u. Markert in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.),
GWB, § 20 Rdnrn. 177 ff.
362 Rey/Tirole in: Armstrong/Porter (Hrsg.), S. 2145, 2169 f.
363 Kerber/Schwalbe in: MüKo-WettbR, Einl. Rdnr. 1376; Motta, S. 341.
364 Vgl. hierzu Rey/Tirole in: Armstrong/Porter (Hrsg.), S. 2145, 2151 f.
365 Rey/Tirole in: Armstrong/Porter (Hrsg.), S. 2145, 2155 f.; DoJ/FTC, Hearing 22. 5. 2002,
Transcript, S. 36 ff.
366 Prinzipiell kommen hier auch andere Schutzrechte in Betracht. Besondere Bedeutung könnten
hier das Urheberrecht für Computerprogramme und das Leistungsschutzrecht für Datenbanken haben.
367 Hier muss wieder betont werden, dass diese Marktposition keine zwangsläufige Folge des
Schutzrechtes ist, sondern auf vielen verschiedenen wirtschaftlichen Faktoren beruhen kann.
368 Rey/Tirole in: Armstrong/Porter (Hrsg.), S. 2145, 2155 f.
71
Unter diesem Aspekt sind auch Zugangsansprüche skeptisch zu betrachten, zumal
diese erheblichen praktischen Problemen begegnen.369 Ist der Schutzrechtsinhaber
im Stande, die Zahl der Lizenzen zu begrenzen, wird er einen höheren Erlös daraus
ziehen.370 Dies ist positiv zu werten, wenn das wesentliche Gut eine wirkliche Innovation ist.371 Gleichzeitig ist zu erwarten, dass auch die Lizenznehmer aufgrund des
verminderten Wettbewerbs auf dem nachgelagerten Markt durch die beschränkte
Lizenzvergabe mehr investieren werden.372 Einerseits spricht dies für eine Gleichbehandlung von immateriellen und materiellen Gütern Hinsichtlich einer Wertung als
„essential facility“. Andererseits bringt dies aber die üblichen Probleme der Zugangsgewährung mit sich. Verstärkt wird diese durch die Tatsache, dass der Wert
von immateriellen Gütern noch schwerer eingeschätzt werden kann als der von materiellen Gütern. Verdeutlicht wird aber auch, dass es notwendig sein kann, dass der
Inhaber eines Schutzrechts seine Ausschließlichkeitsstellung nicht nur auf seiner
Wirtschaftsstufe, sondern auch gegenüber nachgelagerten Stufen ausüben kann.
III. Lizenzierung
1. Grundlagen
Anstatt selbst auf nachfolgenden Märkten tätig zu sein, kann ein Schutzrechtsinhaber Lizenzen an seinem Immaterialgüterrecht vergeben.373 Er kann einfache oder
ausschließliche Lizenzen vergeben.374 Komplexer wird das Lizenzverhältnis, wenn
Rücklizenzierungen („grantbacks“) oder Unterlizenzierungen vereinbart werden.375
Eine einfache Lizenz an sich ist immer als positiv zu werten, da sie dem Lizenzgeber
eine Entlohnung für seine Leistung verschafft und gleichzeitig zur Verbreitung von
369 DoJ/FTC, Promoting Innovation and Competition, S. 25; DoJ/FTC, Hearing 22. 5. 2002,
Transcript, S. 42. Praktische Probleme bereitet vor allem die Bestimmung eines „angemessenen Entgelts“ (so § 19 IV Nr. 4 GWB). Diese führt zu allgemeinen Problemen der Preiskontrolle, vgl. etwa Möschel in: Immenga/Mestmäcker (Hrsg.), GWB, § 19 Rdnrn. 219 u. 154 ff.
m.w.N.
370 Rey/Tirole in: Armstrong/Porter (Hrsg.), S. 2145, 2155 f.; DoJ/FTC, Promoting Innovation
and Competition, S. 24.
371 Rey/Tirole in: Armstrong/Porter (Hrsg.), S. 2145, 2201; DoJ/FTC, Promoting Innovation and
Competition, S. 25; DoJ/FTC, Hearing 22. 5. 2002, Transcript, S. 41 f.
372 DoJ/FTC, Promoting Innovation and Competition, S. 24.
373 Lizenzen können auch im Horizontalverhältnis, also gegenüber Konkurrenten vergeben
werden. Dieser Fall soll hier ausgeblendet werden.
374 Vgl. § 15 II PatG, § 31 I UrhG und § 30 I MarkenG.
375 Hovenkamp/Janis/Lemley, § 20. 1, S. 20-3, § 25, S. 25-1 ff. Sog. „grantbacks“ gewähren dem
Lizenzgeber ein einfaches oder ausschließliches Nutzungsrecht an Weiterentwicklungen des
Schutzgegenstands durch den Lizenznehmer. Dagegen ist von „Reach-Through-Licensing“
die Rede, wenn der Lizenzgeber über die Gestaltung der Lizenzvereinbarung am wirtschaftlichen Erfolg des Lizenznehmers beteiligt ist, s. Backhaus, GRUR Int. 2005, 359 ff.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Das Immaterialgüterrecht soll die Imitation von geistigen Leistungen verhindern. Damit wirkt es zunächst horizontal gegen direkte Konkurrenz. Es verleiht jedoch auch Schutz gegenüber Dritten, die das geschützte Gut als Input auf anderen Märkten nutzen. Dies kann als vertikale Schutzrichtung bezeichnet werden. Obwohl diese Schutzrichtungen verschiedene Auswirkungen auf die Produktion immaterieller Güter haben, wird im Immaterialgüterrecht nicht zwischen ihnen differenziert.
Die vorliegende Arbeit untersucht anhand dieser Unterscheidung die schutzrechtsinternen Grenzen des Immaterialgüterrechts. In einer ökonomischen Analyse werden zunächst die Wirkungen der vertikalen Kontrollbefugnisse dargestellt. Anschließend wird analysiert, inwieweit die ökonomischen Erkenntnisse ins Recht Einzug gefunden haben und welche Hebel es zur Justierung vertikaler Kontrolle gibt. Diese Betrachtungsweise schärft das Verständnis des Immaterialgüterrechts als Marktorganisationsrecht und schafft eine tragfähigere Grundlage für die Bewertung und Justierung der schutzrechtsexternen Grenzen. Darüber hinaus trägt sie zu einem „more economic approach“ im Immaterialgüterrecht bei.