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Dass der Ausgleichungsanspruch nach § 2057 b BGB – E nur „in der Regel“ nach
den Sätzen des § 36 Abs. 3 SGB XI ermittelt werden soll, rechtfertigt somit die Annahme eines Ermessens oder einer Billigkeitsabwägung nicht. Immerhin verweist
aber der Regierungsentwurf vom 30.01.2008 darauf, dass die Sätze des § 36 Abs. 3
SGB XI nur regelmäßige Anhaltspunkte für die Bewertung der Pflegeleistungen
seien und es durchaus gerechtfertigt sein könne, z. B. bei geringeren Pflegeleistungen oder beim Durchlaufen verschiedener Pflegestufen, an andere Beträge als
die der Pflegeversicherung anzuknüpfen.493 Angesprochen wird damit aber keinesfalls ein richterliches Ermessen oder eine Billigkeitsabwägung. Vielmehr solle es
Aufgabe des Anspruchstellers sein, den Ausgleichungsanspruch nach dem Umfang
seiner Pflegeleistungen im Rahmen möglicherweise unterschiedlicher durchlaufender Pflegestufen der Pflegeperson zu ermitteln. Ein unbezifferter Antrag ist
damit nicht zulässig. Ein solcher Antrag würde letztlich dazu führen, dass das
Bestimmungsrecht des Anspruches auf das Gericht verschoben würde, obwohl der
Kläger selbst in der Lage ist, dieses Recht auszuüben (§ 316 BGB).494
IV. Die Substantiierungspflicht des Anspruchstellers und die Beweislage
Der Anspruchsteller hat zunächst die seinen Anspruch begründenden Tatsachen vorzutragen. Das sind für den Ausgleichsanspruch nach § 2057 a BGB die von ihm erbrachten Sonderleistungen, die Nachlassmehrung und der Wert des Nachlasses. Die
Mithilfe im Haushalt, Beruf oder Geschäft des Erblassers aber auch die „Leistungen
in anderer Weise“ dürften wertmäßig kaum durch einfache Addition bezifferbar
sein. Deshalb wird hier dem Anspruchsteller seine Substantiierungspflicht insoweit
erleichtert, als von ihm nur verlangt wird, dass er ausreichende Anknüpfungspunkte
für eine Schätzung des Wertes seiner Leistungen gemäß § 287 ZPO liefert.495 Beweise müssen nur insoweit erhoben werden, als die tatsächlichen Umstände für die
erforderliche Gesamtabwägung Bedeutung haben.496
Wird jedoch der Vortrag des Klägers bestritten, so ist er gehalten die anspruchsbegründenden Tatsachen zu beweisen und dies umfasst auch den Beweis für die
durch seine Sonderleistung erfolgte Nachlassmehrung.497 Umgekehrt haben die ausgleichungsverpflichteten Erben die Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsausschließenden Umstände (§ 2057 a Abs. 2 BGB). So obliegt es ihnen z. B. nachzuweisen, dass das für die jeweilige Leistung gewährte oder vereinbarte Entgelt
hoch genug sei oder dem Kläger ein Anspruch „aus anderem Rechtsgrund“ zustehe.
Diese Beweissituation verwundert zunächst. In der 3. Alternative des § 2057 a Abs.
493 RegE vom 30.01.2008, S. 38; Keim, ZEV 2008, 161, 166
494 BGH JR 1973, 610 = ZZP 86, 322
495 OLG Oldenburg FamRZ 1999, 1466, 1467; Lange-Kuchinke, § 15 III 5 d
496 Soergel-Wolf, § 2057 a Rn. 17; BGH NJW 1993, 1197, 1198; BGH NJW 1992, 364
497 Petersen, ZEV 2000, 432
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2 Satz 1 BGB (Anspruch aus anderem Rechtsgrund) ist es tatsächlich die „Aufgabe“
der Anspruchsgegner, mit dem Ziel des Ausschlusses des Ausgleichungsanspruches
zu beweisen, dass der Kläger wegen seiner Sonderleistung ein anderweitiger
Anspruch zusteht. Nachvollziehbar wird diese Beweissituation jedoch bei Betrachtung der jeweiligen Interessenlagen der in Anspruch genommenen Erben. Das zeigt
folgender Fall:
Der Erbe A nimmt seine Geschwister B und C aus § 2057 a BGB aufgrund der
von A gegenüber dem Erblasser (Vater) erbrachten erheblichen Geldleistungen in
Anspruch. Die Geldleistung diente dem Unterhalt des bedürftigen Vaters. Es steht
fest, dass C eine Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Vater hatte, dieser aber
niemals nachkam. A war nicht unterhaltsverpflichtet. Im Prozess wendet B gegen-
über der Ausgleichsforderung des A nunmehr ein, ein Ausgleichsanspruch bestehe
nicht, da A gemäß § 2057 a Abs. 2 BGB einen Aufwendungsersatzanspruch aus
Geschäftsführung ohne Auftrag, gem. §§ 683, 677, 670 BGB gegen C habe.
Bestünde tatsächlich ein solcher Aufwendungsersatzanspruch des A gegen C und
würde B dies auch beweisen, wäre die Klage des A unbegründet und abzuweisen.498
Daran hätte B auch ein originäres Interesse, zumal der Nachlass und die Auseinandersetzung dann nicht mehr durch den Ausgleichungsanspruch belastet würde.
Der Aufwendungsersatzanspruch stellt auch keine vor der Auseinandersetzung zu
befriedigende Nachlassverbindlichkeit dar (§ 2046 BGB), er richtet sich ausschließlich gegen C. Kann jedoch der mitverklagte Erbe B den Anspruchsausschluss nicht
beweisen, so bleibt der Ausgleichungsanspruch nach § 2057 a BGB bestehen.
V. Die Kostenentscheidung des Gerichtes
Auch wenn der ausgleichungsberechtigte Kläger seiner Substantiierungspflicht vollumfänglich und mit aller „Vorsicht“ bei der Abwägung des Wertes seiner Sonderleistung im Zusammenspiel mit dem Nachlasswert nachkommt, wird er nicht sicher
sein können, dass das Gericht seinen Klageantrag in voller Höhe bestätigt, was
grundsätzlich nach § 92 Abs. 1 ZPO zu einer Kostenteilung entsprechend dem Obsiegen und Unterliegen der Parteien führt. Da jedoch die geltend gemachte Ausgleichungsforderung von einem richterlichen Ermessen und einer Billigkeitsabwägung abhängt, hätte das Gericht im Falle einer teilweisen Klagabweisung die
Möglichkeit, gemäß § 92 Abs. 2 Ziffer 2 ZPO dem beklagten Erben die gesamten
Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.499
498 Petersen, ZEV 2000, 432, 433
499 So auch Odersky, § 2057 a Anm. III 3; Göppinger, JR 1969, 401, 408
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Wenn Abkömmlinge durch ihre unentgeltliche Mitarbeit im Haushalt, Beruf oder Geschäft des Erblassers oder durch erhebliche Geldleistungen in besonderem Maße zur Nachlassmehrung – oder dessen Erhalt – beigetragen haben, kann dies einen Ausgleichungsanspruch bei der Erbauseinandersetzung rechtfertigen.
Selbst die möglicherweise Jahrzehnte zurückliegenden Leistungen der Kinder im Rahmen der §§ 1619, 1620 BGB stehen der Ausgleichungspflicht nicht entgegen.
In den erbrechtlichen Fokus gelangen immer häufiger Pflegeleistungen von Abkömmlingen gegenüber ihren Eltern. Diese rechtfertigen nach der derzeitigen Gesetzeslage nur dann einen Ausgleichungsanspruch wenn die Pflege und der Verzicht auf berufliches Einkommen erfolgt (§ 2057 a Abs. 1 S. 2 BGB). Diese Situation soll nach dem Willen der Bundesregierung (Regierungsentwurf vom 30.01.2008) durch die Schaffung eines § 2057 b BGB-E geändert werden.
Pflege wird mittlerweile als gesellschaftliche Aufgabe verstanden. Es wird nunmehr auch erkannt, dass alle gesetzlichen Erben – also auch der Ehepartner – an der Ausgleichung beteiligt werden sollen, was nach der bisherigen Gesetzeslage nicht der Fall war und zu Ungereimtheiten führte.
Weil es immer mehr ältere Menschen in unserer Gesellschaft gibt und diese im Falle einer Pflegebedürftigkeit nach Möglichkeit in ihrem häuslichen Bereich gepflegt werden möchten und dabei der Unterstützung ihrer Kinder und Ehepartner bedürfen, kann angenommen werden, dass die Ausgleichungspflicht auf Grund von Sonderleistungen nach §§ 2057 a, 2057 b BGB-E in Zukunft häufiger bei der Erbauseinandersetzung zu beachten sein wird.