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Kapitel 6 Die Möglichkeiten des Erbrechts zur Förderung von
Pflegeleistungen
I. Gedanken zur Beteiligung nicht verwandter Personen am Nachlass
Der Beitrag, der durch das Erbrecht im Wege eines Anreizes zur Pflegearbeit geleistet werden könnte, wäre möglicherweise der, dass diese Sonderleistung für die
zahlenmäßig immer weniger werdenden Abkömmlinge eine werthaltigere Berücksichtigung im Rahmen der Erbauseinandersetzung erhalten würde. Die durch eine
solche Maßnahme geschaffene Besserstellung von Pflegeleistungen erbringenden
Familienangehörigen (Ehegatten und Verwandte) dürfte jedoch den fehlenden Bedarf an notwendigen Pflegepersonen kaum ersetzen. Möglicherweise scheint es erforderlich, die Sonderleistung Pflege losgelöst von verwandtschaftlichen Beziehungen zu würdigen und damit den Kreis der erbrechtlichen Anspruchsteller zu erweitern.
Wenn dem späteren Erblasser die ihm zuteil werdende Pflege dient, sie von ihm
gewünscht und ihm dadurch die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben weitestgehend ermöglicht wird, scheint eine erbrechtliche Differenzierung unverständlich,
die ein Sonderopfer eben nur unter Abkömmlingen oder anderen Verwandten nicht
aber Dritter belohnt. Der Pflegeperson dürfte es gleichgültig sein, wer es ihm ermöglicht, nicht in ein Pflegeheim umziehen zu müssen. Ein vermuteter Erblasserwille, nur die Kinder, Verwandte oder Ehepartner sollten für die Pflegeleistungen belohnt werden, ist kaum vorstellbar, schon gar nicht, wenn der Erblasser
kinderlos und ohne Ehepartner verstirbt, mithin die entfernte verwandtschaftliche
Beziehung zu dem Erben gegenüber der jahrelang, mit dem Erblasser nicht verwandten sondern nur durch Freundschaft, Bekanntschaft oder Lebenspartnerschaft
verbundenen Pflegeperson völlig in den Hintergrund gerät. Ist eine solche Erweiterung der erbrechtlich Berechtigten gewollt und möglicherweise auch notwendig, stellt sich weiter die Frage nach dem Wie. Auf welche Weise könnten
Dritte, nicht durch verwandtschaftliche Bande mit dem Erblasser verbundene Personen einen erbrechtlichen Ausgleich für ihre Leistungen erhalten? Neben der notwendigen Erweiterung des berechtigten Personenkreises wirft die Fragestellung das
Problem des dafür erforderlichen erbrechtlichen Instrumentariums auf. Die erbrechtlich in keiner Weise mit dem Erblasser verbundene Pflegeperson wird ohne
Testament kein Erbe und kann schon deshalb nicht im Rahmen einer Erbauseinandersetzung Ansprüche geltend machen. Zuwendungen „an Dritte“ oder Ansprüche
Dritter gegen die Erben kennt das Erbrecht nur in der Form von Auflagen,
Vermächtnissen oder Nachlassverbindlichkeiten.
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Die Konstruktion eines Anspruchs in Form einer Nachlassverbindlichkeit
scheidet schon deshalb aus, da eine Nachlassverbindlichkeit voraussetzt, dass die
Schuld in der Person des Erblassers begründet worden ist. Tatsächlich erfolgt die
hier diskutierte Pflegeleistung jedoch unentgeltlich und ohne eine vertragliche
Absprache, so dass eine Nachlassverbindlichkeit nicht in Betracht kommt. Sowohl
Auflagen im Sinne des § 1940 BGB als auch Vermächtnisse (§ 1939 BGB) setzen
voraus, dass der Erblasser sie in einer Verfügung von Todes wegen angeordnet hat.
Gerade aber das wird nicht immer der Fall sein. Sicherlich kann der Erblasser
testamentarisch die Sonderleistung des Nachbarn oder Freundes erbrechtlich
bedenken, doch tut er es nicht, ist damit das Problem der erbrechtlichen Würdigung
von Pflegeleistungen Dritter nicht aus der Welt. Es ist vielmehr eine erbrechtliche
Lösung allein für den Fall zu finden, dass eine Verfügung von Todes wegen nicht
vorliegt und dennoch die Pflegeleistung des Dritten im Erbfall angemessen
gewürdigt wird.
II. Der Gedanke des gesetzlichen Erbrechts Familienfremder
Die Überlegung, Pflegeleistung Dritter im Erbfall angemessen zu würdigen, berühren den Bereich einer schon lang anhaltenden Diskussion zur Berücksichtigung
Familienfremder im Erbrecht.376 Lag bei der Schaffung des BGB die Rechtfertigung
für das gesetzliche Erbrecht in der Blutsverwandtschaft mit dem Erblasser, wird
heute vielfach der Gedanke der tatsächlich „engen familiären Beziehung“ zum Erblasser in den Vordergrund gerückt.377 Nach diesem Verständnis fußt das gesetzliche
Erbrecht heute auf der „Familie als Solidaritätsgruppe“378 und der menschlichen
Nähe zum Erblasser. Danach könnte die Grenze des gesetzlichen Erbrechtes dort gezogen werden, wo solch ein enger persönlicher und wirtschaftlicher Zusammenhang
nicht mehr besteht. Nach diesen Überlegungen basiert die geforderte Einschränkung
des Familienerbrechtes also auf dem Fehlen einer „inneren Verbundenheit“379 zum
Erblasser und dem Nichtbestehen der „sozialen Bande“.380 Gerade die so beschriebene Distanz des Erblassers zum gesetzlichen Erben führt zu der Überlegung,
Familienfremde in das gesetzliche Erbrecht mit einzubeziehen.381
In einer oft Jahrzehnte bestehenden Lebensgemeinschaft stellen die Partner die
engsten Bezugspersonen dar. Ihre Verbundenheit sowie die menschliche und ökonomische Solidarität wird berechtigterweise deshalb auch als eheähnlich eingestuft.
Gerade wenn eine solche Gemeinschaft über Jahre bestanden hat, kann – wie in
einer langjährigen Ehe – von einer Gemeinschaftlichkeit der Lebensleistung
376 Goetz, FamRZ 1985, 987 ff
377 S. v. Lübtow, S. 19 f.; Coing, Gutachten zum 49. DJT A, S. 22 f.
378 Coing, Gutachten zum 49. DJT A, S. 22 f.
379 Kühne, JR 1972, 221, 224
380 S. v. Lübtow, S. 19 f.
381 Goetz, FamRZ 1985, 987, 989
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Wenn Abkömmlinge durch ihre unentgeltliche Mitarbeit im Haushalt, Beruf oder Geschäft des Erblassers oder durch erhebliche Geldleistungen in besonderem Maße zur Nachlassmehrung – oder dessen Erhalt – beigetragen haben, kann dies einen Ausgleichungsanspruch bei der Erbauseinandersetzung rechtfertigen.
Selbst die möglicherweise Jahrzehnte zurückliegenden Leistungen der Kinder im Rahmen der §§ 1619, 1620 BGB stehen der Ausgleichungspflicht nicht entgegen.
In den erbrechtlichen Fokus gelangen immer häufiger Pflegeleistungen von Abkömmlingen gegenüber ihren Eltern. Diese rechtfertigen nach der derzeitigen Gesetzeslage nur dann einen Ausgleichungsanspruch wenn die Pflege und der Verzicht auf berufliches Einkommen erfolgt (§ 2057 a Abs. 1 S. 2 BGB). Diese Situation soll nach dem Willen der Bundesregierung (Regierungsentwurf vom 30.01.2008) durch die Schaffung eines § 2057 b BGB-E geändert werden.
Pflege wird mittlerweile als gesellschaftliche Aufgabe verstanden. Es wird nunmehr auch erkannt, dass alle gesetzlichen Erben – also auch der Ehepartner – an der Ausgleichung beteiligt werden sollen, was nach der bisherigen Gesetzeslage nicht der Fall war und zu Ungereimtheiten führte.
Weil es immer mehr ältere Menschen in unserer Gesellschaft gibt und diese im Falle einer Pflegebedürftigkeit nach Möglichkeit in ihrem häuslichen Bereich gepflegt werden möchten und dabei der Unterstützung ihrer Kinder und Ehepartner bedürfen, kann angenommen werden, dass die Ausgleichungspflicht auf Grund von Sonderleistungen nach §§ 2057 a, 2057 b BGB-E in Zukunft häufiger bei der Erbauseinandersetzung zu beachten sein wird.