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Im Einzelfall könne es dagegen durchaus gerechtfertigt sein, an andere Beträge als
die der Pflegeversicherung anzuknüpfen. So könne z. B. ein nur geringer Pflegeumfang zwar eine Ausgleichung rechtfertigen, aber möglicherweise nicht in dem in
§ 36 Abs. 3 des XI. Buches SGB beschriebenen Umfang. Der Entwurf schließe auch
nicht aus, bei der Berechnung der Pflegeleistungen nach den einzelnen Pflegestufen
zu unterscheiden. Das könne insbesondere sinnvoll sein, wenn der Erblasser
verschiedene Pflegephasen über einen längeren Zeitraum hinweg durchlaufen habe.
Letztlich habe das Gericht im Streitfall nach den vorgetragenen Umständen zu
entscheiden, an welche Beträge und welche Sätze es bei der Berechnung der
Ausgleichung anknüpfe.
II. Die Erweiterung des Kreises der Ausgleichsberechtigten nach dem
Regierungsentwurf vom 30.01.2008
Die Erweiterung des Kreises der Ausgleichungsberechtigten auf die „gesetzlichen
Erben“ ist zu begrüßen. Fraglich ist, ob diese Ausweitung auch ausreichend ist, um
der gesellschaftsrelevanten Bedeutung von Pflegeleistungen gerecht zu werden.
Vielfach übernehmen Kinder die Pflege der Eltern, zwingend ist dies jedoch keinesfalls. Wenn feststeht, dass 1/3 der Frauen und Männer eines Jahrgangs zeitlebens
kinderlos bleiben, ist eine rechtliche Anpassung an diese Situation erforderlich,
wenn auch zu fragen bleibt, weshalb die Erweiterung des Kreises der Ausgleichsberechtigten nur für Pflegeleistungen, nicht aber auch für Sonderleistungen wie
„Mitarbeit im Haushalt, Beruf oder Geschäft des Erblassers“ vorgesehen wird. Dies
ist sachlich nicht gerechtfertigt.366 Immerhin wird es nicht selten so sein, dass die
eigentliche Pflegeleistung als Folge einer Unterstützung des späteren Erblassers in
seinem Haushalt festzustellen sein wird. Diese Ausklammerung solcher Sonderleistungen aus dem erweiterten Kreis der Ausgleichungsberechtigten (gesetzliche
Erben) wird im Regierungsentwurf auch gar nicht erst begründet.
III. Die Streichung des Tatbestandsmerkmals „Verzicht auf berufliches Einkommen
bei Pflegeleistungen
Die Argumente im Regierungsentwurf sind durchaus plausibel. Die Vorschrift des §
2057 a BGB will zweifellos ausschließlich die nachlassmehrende und -erhaltende
Leistung würdigen und nicht die Nachteile, die der Pflegende zugunsten des späteren Erblassers hinnimmt. Auch wird anerkannt, dass Pflegeleistungen eine derart
hohe gesellschaftliche Relevanz besitzen und für den Pflegenden so belastend sein
können, dass auch die Frage der Nachlassmehrung und -erhaltung dabei in den
366 So auch Muscheler, ZEV 2008, 105, 109
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Hintergrund rückt und die Leistung nicht vor dem Hintergrund des „Verzichts auf
berufliches Einkommen“ gewürdigt werden kann.367
IV. Zur Beweiserleichterung des Ausgleichungsanspruchs und dessen Höhe
Ob es zu einer Beweiserleichterung für den Ausgleichungsanspruch durch § 2057 b
BGB – E kommen würde, erscheint zweifelhaft. Vielmehr ist anzunehmen, dass für
die Gerichte und Erben alte Probleme durch neue ersetzt werden. Im Übrigen wird
durch § 2057 b Abs. 2 BGB – E nur deutlich, was schon immer selbstverständlich
war, nämlich die Tatsache, dass die Rundumpflege eines Pflegebedürftigen mit der
Pflegestufe III einen weitaus höheren Einsatz fordert als die eines Pflegebedürftigen
mit der Pflegestufe I. Es wurde auch bislang nicht bestritten, dass die Rundumpflege
eines nach Pflegestufe III Pflegebedürftigen im Rahmen der Ausgleichung höher
honoriert werden muss als die Pflege einer Person mit der Pflegestufe I. Auch nach
der bestehenden Vorschrift des § 2057 a Abs. 1 S. 2 BGB wird nicht allein die
Rundumpflege gewürdigt und belohnt – schon die Übernahme eines Teils der erforderlichen Pflege reicht unumstritten aus, einen Ausgleichsanspruch zu begründen.
Relevant ist damit nicht allein der Grad der Behinderung des zu Pflegenden, sondern
der Einsatz des die Pflegeleistung erbringenden gesetzlichen Erben. Dieser Beitrag
kann aber von den jeweiligen Pflegestufen völlig unabhängig sein, sowohl in der
Qualität als auch in der Quantität. Der Einsatz, das Sonderopfer des Pflegenden, ist
mithin nicht unbedingt vom Grad der Pflegebedürftigkeit des späteren Erblassers
abhängig, im Übrigen war auch in der Vergangenheit ohne die neue Vorschrift des §
2057 b BGB – E der Grad der Pflegebedürftigkeit nur ein Kriterium unter mehreren
anderen, welches vernünftigerweise bei der Ermittlung der Höhe des Ausgleichsanspruchs beachtet werden muss. Im Ergebnis bietet § 2057 b BGB – E dem ausgleichungsberechtigten Erben nur eine Erleichterung insoweit, als er bei schwieriger
Beweisführung zu der Qualität und dem Umfang seiner Pflegetätigkeit bei der
Feststellung der Höhe seines Ausgleichsanspruchs „in der Regel“ auf die Beträge
des § 36 Abs. 3 des XI. Buches SGB zurückgreifen kann. An die Stelle einer Entscheidung nach Billigkeit tritt insoweit ein klarerer Bewertungsmaßstab.368 Zu
Schwierigkeiten kann es aber dennoch kommen, wenn der zu Pflegende gar nicht
eine Pflegestufe eingeordnet wurde. In diesem Fall muss nach dem Erbfall von dem
Gericht geklärt werden, in welche Pflegestufe der Erblasser einzuordnen war, wobei
in der zivilrechtlichen Bewertung (Pflege als Fremdleistung nach § 36 Abs. 3 SGB
XI) von der sozialrechtlichen Bewertung (§ 37 Abs. 1 SGB XI – Pflege durch
Angehörige) abgewichen werden kann, zumal die an Angehörigen gezahlten Pflegegelder nicht den wahren Wert der Pflege wieder geben.369
367 RegE vom 30.01.2008, S. 36: „Auch wer zugunsten der Pflege nicht auf berufliches
Einkommen verzichtet, erfüllt eine wichtige Aufgabe, die honoriert werden soll.“
368 Muscheler ZEV 2008, 105, 108
369 Muscheler ZEV 2008, 105, 108 unter Hinweis auf den RegE vom 30.01.2008, S. 38
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References
Zusammenfassung
Wenn Abkömmlinge durch ihre unentgeltliche Mitarbeit im Haushalt, Beruf oder Geschäft des Erblassers oder durch erhebliche Geldleistungen in besonderem Maße zur Nachlassmehrung – oder dessen Erhalt – beigetragen haben, kann dies einen Ausgleichungsanspruch bei der Erbauseinandersetzung rechtfertigen.
Selbst die möglicherweise Jahrzehnte zurückliegenden Leistungen der Kinder im Rahmen der §§ 1619, 1620 BGB stehen der Ausgleichungspflicht nicht entgegen.
In den erbrechtlichen Fokus gelangen immer häufiger Pflegeleistungen von Abkömmlingen gegenüber ihren Eltern. Diese rechtfertigen nach der derzeitigen Gesetzeslage nur dann einen Ausgleichungsanspruch wenn die Pflege und der Verzicht auf berufliches Einkommen erfolgt (§ 2057 a Abs. 1 S. 2 BGB). Diese Situation soll nach dem Willen der Bundesregierung (Regierungsentwurf vom 30.01.2008) durch die Schaffung eines § 2057 b BGB-E geändert werden.
Pflege wird mittlerweile als gesellschaftliche Aufgabe verstanden. Es wird nunmehr auch erkannt, dass alle gesetzlichen Erben – also auch der Ehepartner – an der Ausgleichung beteiligt werden sollen, was nach der bisherigen Gesetzeslage nicht der Fall war und zu Ungereimtheiten führte.
Weil es immer mehr ältere Menschen in unserer Gesellschaft gibt und diese im Falle einer Pflegebedürftigkeit nach Möglichkeit in ihrem häuslichen Bereich gepflegt werden möchten und dabei der Unterstützung ihrer Kinder und Ehepartner bedürfen, kann angenommen werden, dass die Ausgleichungspflicht auf Grund von Sonderleistungen nach §§ 2057 a, 2057 b BGB-E in Zukunft häufiger bei der Erbauseinandersetzung zu beachten sein wird.