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Kapitel 5 Der Regierungsentwurf vom 30.01.2008
I. Die Begründung für den Gesetzentwurf
Am 30.01.2008 veröffentlichte die Bundesregierung einen Gesetzesentwurf, worin
zum Ausdruck gebracht wird, dass Pflegeleistungen zukünftig eine größere erbrechtliche Bedeutung erfahren sollen. So ist beabsichtigt, § 2057 a Abs. 1 Satz 2 BGB zu
streichen und nach § 2057 a BGB folgenden § 2057 b BGB einzuführen:
§ 2057 b BGB – Ausgleichungspflicht bei Pflegeleistungen eines gesetzlichen
Erben
1. Ein gesetzlicher Erbe, der den Erblasser während längerer Zeit gepflegt hat,
kann bei der Auseinandersetzung die Ausgleichung dieser Leistung verlangen. §§
2052 und 2057 a Abs. 2 und Abs. 4 BGB gelten entsprechend.
2. Die Höhe des Ausgleichsbetrages bemisst sich in der Regel nach den zur Zeit
des Erbfalls in § 36 Abs. 3 des XI. Buches SGB vorgesehenen Beträgen.“
In der Begründung des Gesetzentwurfes wird ausgeführt365, dass 2/3 der auf
Pflege angewiesenen Personen nicht in einem Pflegeheim, sondern im eigenen Zuhause versorgt werden. Viele Angehörige erbringen hier wichtige Leistungen. Da
die Pflege aufgrund der familiären Verbundenheit erfolge, würden die Beteiligten in
der Praxis vielfach keine verbindlichen und nachweisbaren Regelungen über einen
finanziellen Ausgleich, z. B. die Vereinbarung eines angemessenen Entgelts für die
Pflegeleistungen, vereinbaren. Auch der Gepflegte sorge aus den unterschiedlichsten
Gründen nicht immer dafür, dass die ihm erbrachten Leistungen aus der Pflegeversicherung an die pflegenden Angehörigen weitergeleitet würden. Habe der Erblasser auch keine Verfügung von Todes wegen errichtet, mit der er die Pflege durch
Erbeinsetzung oder ein Vermächtnis hätte honorieren können, gehe der pflegende
Angehörige für seine erbrachten Leistungen oftmals leer aus. Werde der pflegende
Angehörige nur Miterbe, so spiegele sein Erbteil die überobligatorisch erbrachten
Pflegeleistungen im Vergleich zu den anderen Erben häufig nicht wieder. Im Ergebnis sei § 2057 a BGB trotz der Anrechnung von Pflegeleistungen zu eng formuliert.
Die Vorschrift gelte nur für Abkömmlinge und nur, wenn die Pflege unter Verzicht
auf berufliches Einkommen geleistet worden sei. Gerade die letztgenannte Voraussetzung schließe den in der Praxis häufigsten Pflegefall aus. Hausfrauen, die meist
noch neben der Betreuung und Erziehung ihrer Kinder zusätzlich einen Elternteil
pflegten, verzichteten nicht auf berufliches Einkommen. Sie erhielten deshalb bei
der Erbauseinandersetzung für die Pflege auch keinen Ausgleich.
365 Die Begründung für die geplante Gesetzesänderung ist dem vorausgegangenen
Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums vom 14.04.2007 entnommen
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Nach der Vorstellung der Bundesregierung sollten zukünftig im Falle von
Sonderleistungen durch Pflege alle gesetzlichen Erben und nicht nur Abkömmlinge
ausgleichsberechtigt sein. Es gebe keinen zwingenden Grund, die Ausgleichspflicht
auch weiterhin nur für Abkömmlinge zuzulassen. Zwar solle mit der geltenden
Konzeption der §§ 2050 ff. BGB und damit auch des § 2057 a Abs. 1 Satz 2 BGB
die Gleichstellung aller Abkömmlinge erreicht werden. In der Regel seien auch die
in diesen Vorschriften aufgeführten Zuwendungen an einen Abkömmling (z. B. die
Ausstattung in § 2050 Abs. 1 BGB oder Ausbildungsaufwendungen gemäß § 2050
Abs. 2 BGB) oder Leistungen des Abkömmlings (z. B. Mitarbeit im Haushalt, Beruf
oder Geschäft des Erblassers gemäß § 2057 a Abs. 1 BGB) typische Zuwendungen
oder Leistungen zwischen Eltern und Kindern. Dies gelte aber nicht mehr unbedingt
bei Pflegeleistungen. Vielfach würden zwar Kinder die Pflege der Eltern übernehmen, viele Menschen lebten aber auch ohne Kinder. Ca. 1/3 der Frauen und
Männer eines Jahrgangs blieben zeitlebens kinderlos. Werde dann die Pflege von
einem anderen Verwandten übernommen, bestehe kein Grund, z. B. Pflegeleistungen der Schwester des kinderlosen unverheirateten Erblassers gegenüber den
anderen erbberechtigten Geschwistern nicht zu berücksichtigen.
Weiterhin soll auf das Tatbestandsmerkmal „Verzicht auf berufliches Einkommen
des Pflegenden“ verzichtet werden. Dies wird damit begründet, dass diese Voraussetzung dem Wert der erbrachten Pflegeleistungen nicht gerecht werde. Auch wer
zugunsten der Pflege nicht auf berufliches Einkommen verzichte, erfülle eine wichtige Aufgabe, die honoriert werden solle. Darüber hinaus solle berücksichtigt
werden, dass der Pflegende regelmäßig dazu beitrage, das Vermögen des Erblassers
nicht durch teure, ansonsten anderweitig in Anspruch zu nehmende Pflegeleistungen
zu mindern. Eine solche Ausgleichungspflicht unabhängig vom Verzicht auf berufliches Einkommen sei daher geboten.
§ 2057 b BGB – E soll im Übrigen eine Regelung zur Beweiserleichterung und
zur klaren Feststellung der Höhe des Ausgleichungsanspruches bieten. Hierzu führt
die Bundesregierung aus, das geltende Recht habe praktische Probleme verursacht –
dies auch für die Berechnung der Ausgleichung. Das vom Gesetz vorgegebene
Zusammenspiel von Dauer und Umfang der Leistungen mit dem Wert des
Nachlasses unter Berücksichtigung der Billigkeit gebe weder für die Beratungspraxis noch für die Gerichte leicht ermittelbare und für die Beteiligten transparente
Anhaltspunkte wieder. Der Entwurf schlage deshalb für die Höhe der Ausgleichung
als regelmäßige Berechnungsgrundlage die Sätze des § 36 Abs. 3 des XI. Buches
des SGB vor. Danach sind derzeit je Kalendermonat Pflegesätze bis zu einem Betrag
von 384 EUR für die Pflegestufe I, 921 EUR für die Pflegestufe II und 1.432 EUR
für die Pflegestufe III vorgesehen. Die Sätze des § 36 Abs. 3 des XI. Buches SGB
beziffern den jeweils aktuellen geltenden Pflegesatz. Um den Wert für die
Ausgleichung der Pflegeleistung zu ermitteln, sei auf die Zeit des Erbfalls in § 36
Abs. 3 des XI. Buches SGB festgesetzten Pflegesätze abzustellen. Dabei könne die
Anknüpfung an diese Beträge auch nur ein regelmäßiger Anhaltspunkt für die Bewertung der Höhe der Pflegeleistungen sein.
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Im Einzelfall könne es dagegen durchaus gerechtfertigt sein, an andere Beträge als
die der Pflegeversicherung anzuknüpfen. So könne z. B. ein nur geringer Pflegeumfang zwar eine Ausgleichung rechtfertigen, aber möglicherweise nicht in dem in
§ 36 Abs. 3 des XI. Buches SGB beschriebenen Umfang. Der Entwurf schließe auch
nicht aus, bei der Berechnung der Pflegeleistungen nach den einzelnen Pflegestufen
zu unterscheiden. Das könne insbesondere sinnvoll sein, wenn der Erblasser
verschiedene Pflegephasen über einen längeren Zeitraum hinweg durchlaufen habe.
Letztlich habe das Gericht im Streitfall nach den vorgetragenen Umständen zu
entscheiden, an welche Beträge und welche Sätze es bei der Berechnung der
Ausgleichung anknüpfe.
II. Die Erweiterung des Kreises der Ausgleichsberechtigten nach dem
Regierungsentwurf vom 30.01.2008
Die Erweiterung des Kreises der Ausgleichungsberechtigten auf die „gesetzlichen
Erben“ ist zu begrüßen. Fraglich ist, ob diese Ausweitung auch ausreichend ist, um
der gesellschaftsrelevanten Bedeutung von Pflegeleistungen gerecht zu werden.
Vielfach übernehmen Kinder die Pflege der Eltern, zwingend ist dies jedoch keinesfalls. Wenn feststeht, dass 1/3 der Frauen und Männer eines Jahrgangs zeitlebens
kinderlos bleiben, ist eine rechtliche Anpassung an diese Situation erforderlich,
wenn auch zu fragen bleibt, weshalb die Erweiterung des Kreises der Ausgleichsberechtigten nur für Pflegeleistungen, nicht aber auch für Sonderleistungen wie
„Mitarbeit im Haushalt, Beruf oder Geschäft des Erblassers“ vorgesehen wird. Dies
ist sachlich nicht gerechtfertigt.366 Immerhin wird es nicht selten so sein, dass die
eigentliche Pflegeleistung als Folge einer Unterstützung des späteren Erblassers in
seinem Haushalt festzustellen sein wird. Diese Ausklammerung solcher Sonderleistungen aus dem erweiterten Kreis der Ausgleichungsberechtigten (gesetzliche
Erben) wird im Regierungsentwurf auch gar nicht erst begründet.
III. Die Streichung des Tatbestandsmerkmals „Verzicht auf berufliches Einkommen
bei Pflegeleistungen
Die Argumente im Regierungsentwurf sind durchaus plausibel. Die Vorschrift des §
2057 a BGB will zweifellos ausschließlich die nachlassmehrende und -erhaltende
Leistung würdigen und nicht die Nachteile, die der Pflegende zugunsten des späteren Erblassers hinnimmt. Auch wird anerkannt, dass Pflegeleistungen eine derart
hohe gesellschaftliche Relevanz besitzen und für den Pflegenden so belastend sein
können, dass auch die Frage der Nachlassmehrung und -erhaltung dabei in den
366 So auch Muscheler, ZEV 2008, 105, 109
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Wenn Abkömmlinge durch ihre unentgeltliche Mitarbeit im Haushalt, Beruf oder Geschäft des Erblassers oder durch erhebliche Geldleistungen in besonderem Maße zur Nachlassmehrung – oder dessen Erhalt – beigetragen haben, kann dies einen Ausgleichungsanspruch bei der Erbauseinandersetzung rechtfertigen.
Selbst die möglicherweise Jahrzehnte zurückliegenden Leistungen der Kinder im Rahmen der §§ 1619, 1620 BGB stehen der Ausgleichungspflicht nicht entgegen.
In den erbrechtlichen Fokus gelangen immer häufiger Pflegeleistungen von Abkömmlingen gegenüber ihren Eltern. Diese rechtfertigen nach der derzeitigen Gesetzeslage nur dann einen Ausgleichungsanspruch wenn die Pflege und der Verzicht auf berufliches Einkommen erfolgt (§ 2057 a Abs. 1 S. 2 BGB). Diese Situation soll nach dem Willen der Bundesregierung (Regierungsentwurf vom 30.01.2008) durch die Schaffung eines § 2057 b BGB-E geändert werden.
Pflege wird mittlerweile als gesellschaftliche Aufgabe verstanden. Es wird nunmehr auch erkannt, dass alle gesetzlichen Erben – also auch der Ehepartner – an der Ausgleichung beteiligt werden sollen, was nach der bisherigen Gesetzeslage nicht der Fall war und zu Ungereimtheiten führte.
Weil es immer mehr ältere Menschen in unserer Gesellschaft gibt und diese im Falle einer Pflegebedürftigkeit nach Möglichkeit in ihrem häuslichen Bereich gepflegt werden möchten und dabei der Unterstützung ihrer Kinder und Ehepartner bedürfen, kann angenommen werden, dass die Ausgleichungspflicht auf Grund von Sonderleistungen nach §§ 2057 a, 2057 b BGB-E in Zukunft häufiger bei der Erbauseinandersetzung zu beachten sein wird.