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lich zu kommen333, die Beweisaufnahme notfalls so weit auszudehnen ist, bis eine
zuverlässige Grundlage für eine Billigkeitsentscheidung erreicht ist.334 Die Bemessung der Ausgleichung hat dann unter Würdigung aller relevanten Umstände so zu
erfolgen, wie es der Billigkeit entspricht.335
Bei der Betragsermittlung sind zunächst Dauer und Umfang der Leistungen des
grundsätzlich Ausgleichungsberechtigten, wie z.B. die Höhe seiner Geldleistungen,
der Umfang seiner Pflegetätigkeit, die Nachteile für den Leistenden in der Zeit seiner Leistung336 einschließlich seiner Vermögenseinbußen im Hinblick auf Ersparnismöglichkeiten zu berücksichtigen.337 Daneben ist der Wert des Nachlasses nach
Bereinigung durch Nachlassverbindlichkeiten als Bemessungsgrundlage heranzuziehen338 und abzuschätzen, welchen Einfluss die Leistung auf den Wert des Nachlasses hatte.339
2. Die Aufzehrung des Nachlasses durch den Ausgleichungsanspruch
Der tatsächliche Nachlasswert gibt einen Anhaltspunkt dafür, ob und in welcher
Höhe die Sonderleistungen eine Vermögenserhaltung oder –mehrung des Erblassers
bewirkten.340 Unbestritten ist, dass der Ausgleichungsanspruch auch von der Größe
der zu verteilenden Masse selbst abhängt.341 Je höher der Nachlasswert, desto höher
ist auch der Ausgleichungsanspruch anzusetzen.342 Streitig ist jedoch, ob der Ausgleichungsanspruch auch den gesamten Nachlass erfassen kann. Der BGH hat die
Diskussion zu dieser Frage in einer Entscheidung zwar angesprochen, aber letztlich
offen gelassen.343 Einige Autoren vertreten ihre zu dieser Frage ablehnende Auffassung damit, dass nach § 2057 a Abs. 3 BGB der Ausgleichungsanspruch in Relation zu der Sonderleistung und dem Nachlass gestellt wird – mithin die Höhe der
Ausgleichung nur unter Berücksichtigung des Nachlasswertes zu bestimmen sei,
333 Soergel-Wolf, § 2057 a Rn. 17
334 Odersky, § 2057 a Anm. III 2b; Soergel-Wolf, § 2057 a Rn. 17
335 Soergel-Wolf, § 2057 a Rn. 17; Zimmermann Rn. 565
336 AK-Pardey, § 2057 a Rn. 23
337 Knur, FamRZ 1970, 269, 277 unter Hinweis auf die Rechtsprechung zu § 633 des Schweizer
ZGB; Odersky, § 2057 a Anm. III 2b; MünchKomm-Heldrich, § 2057 a Rn. 37; Staudinger
Werner, § 2057 a Rn. 28; Damrau-Bothe, § 2057 a Rn. 15
338 MünchKomm-Heldrich, § 2057 a Rn. 35; Soergel-Wolf, § 2057 a Rn. 17
339 Damrau-Bothe, § 2057 a Rn. 15: „Dieser Aspekt hat den Charakter eines Korrektivs“
340 Damrau-Bothe, § 2057 a Rn. 15 ; Staudinger-Werner, § 2057 a Rn. 29; Soegel-Wolf, § 2057 a
Rn. 17
341 Staudinger-Werner, § 2057 a Rn. 2; Soergel-Wolf, § 2057 a Rn. 17; AK-Pardey, § 2057 a Rn.
23
342 Allgemeine Meinung; vgl. Staudinger-Werner, § 2057 a Rn. 29; Damrau-Bothe, § 2057 a Rn.
15; MünchKomm-Heldrich, § 2057 a Rn. 35; AK-Pardey, § 2057 a Rn. 24
343 BGH NJW 1993, 1197, 1198
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was ausschließe, dass der Ausgleichungsbetrag dem Aktivnachlass gleichgestellt
werden könne.344
Bothe widerspricht diesem Argument mit dem Hinweis auf § 2056 BGB und
meint, dass dann, „wenn es im Rahmen des § 2056 BGB möglich sei, dass die mit
Vorempfängen versehenen Abkömmlinge leer ausgingen, auch kein Grund bestehe,
von dieser Möglichkeit im spiegelbildlichen Fall des § 2057 a BGB prinzipiell
abzurücken“.345 Dieser Betrachtung kann jedoch schon deshalb nicht gefolgt
werden, da § 2056 BGB gerade nicht bewirkt, dass der mit Vorempfängen versehene
Abkömmling „leer ausgeht“, vielmehr kann er sogar den Vorempfang in voller Höhe
behalten, und es wird durch § 2056 Satz 2 BGB lediglich verhindert, dass der
Vorempfänger nicht noch mehr erhält, als ihm ohne den Vorempfang in der
Auseinandersetzung zukommen würde. Damit schließt § 2056 Satz 2 BGB den
bereits durch Vorempfänge befriedigten Abkömmling von der Ausgleichung aus.
Diese Regelung würde im Rahmen des § 2057 a BGB dazu führen, dass die keine
Sonderleistung erbringenden Erben schon von der Ausgleichung selbst ausgeschlossen würden, was aber in § 2057 a BGB auch nicht im Ansatz anklingt.346
Vielmehr dürfen im Rahmen des § 2057 a BGB die Erbteile der übrigen
Abkömmlinge nicht außer Betracht bleiben.347 Der Rechtsgedanke des § 2056 ist im
Ergebnis nicht auf § 2057 Abs. 3 BGB übertragbar.348
Dennoch ist es keineswegs ausgeschlossen, dass ein Ausgleichungsanspruch den
Nachlass vollständig aufzehren kann. Das Erfordernis, den Anspruch nach Dauer
und Umfang der Sonderleistungen mit Rücksicht auf den Nachlass zu bewerten,
schließt dies nicht aus. Das kann am folgenden Fall gezeigt werden:
T wendet ihrer Mutter zur Abwendung einer Geschäftsaufgabe 150.000 EUR zu.
Das Unternehmen ist das einzige Vermögen der Mutter. Als sie stirbt, sind noch
10.000 EUR von den 150.000 EUR vorhanden. Die anderen Abkömmlinge erbrachten keine Sonderleistungen.
Warum sollte es hier nicht der Billigkeit entsprechen, dass T „vorab“ diesen
eindeutig von ihr stammenden Betrag erhält? Der Vergleich zwischen Sonderleistungen und Nachlasswert lässt vielmehr die Bedeutung der Sonderleistungen absolut
in den Vordergrund treten, zumal feststeht, dass der Nachlass selbst nur aus dem
Rest der Sonderleistung besteht. Zumindest dann, wenn bei einem Vergleich zwischen Dauer und Umfang der Sonderleistung und dem Nachlass dieser in seiner
wirtschaftlichen Bedeutung völlig zurücktritt, und erst recht, wenn der Nachlass
selbst nur noch ein Überbleibsel des vom Abkömmling stammenden Sonderopfers
344 Palandt-Edenhofer, § 2057 a Rn. 2; RGRK–Kregel, § 2057 a Rn. 9; Erman-Schlüter, § 2057 a
Rn. 10; Damrau, FamRZ 1969, 579, 580; Weimar, MDR 1973, 23, 24; MünchKomm
Heldrich, § 2057 a Rn. 35; AK-Pardey, § 2057 a Rn. 24
345 Damrau-Bothe, § 2057 Rn. 16
346 So auch AK-Pardey,§ 2057 a Rn. 24
347 AK-Pardey, § 2057 a Rn. 24, 25
348 Erman-Schlüter, § 2057 a Rn. 10; RGRK-Kregel, § 2057 a Rn. 9
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darstellt, muss es möglich sein, dass durch Ausgleichungsanspruch der Nachlass
gänzlich aufgebraucht wird.349
3. Der Einfluss von Vorempfängen auf die Höhe des Ausgleichungsanspruches
Die bloße Orientierung am reinen Nachlass kann jedoch zu Ungereimtheiten führen,
wenn einer der im Rahmen des § 2057 a BGB ausgleichspflichtigen Erben Vorempfänge vom Erblasser erhalten hat und diese zur Ausgleichung zu bringen sind. Das
zeigt sich an folgendem Fall:
Der Erblasser (Vater) war Witwer. Er hinterlässt die Kinder A und B. A hat dem
Vater zu Lebzeiten Zuwendungen in Höhe 100.000 EUR erbracht. B hat 10 Tage
vor dem Erbfall einen ausgleichspflichtigen Vorempfang von 90.000 EUR erhalten.
Eine Verfügung von Todes wegen existiert nicht. Der Wert des reinen Nachlasses
beträgt 40.000 EUR.
Es wird deutlich, dass dem Erblasser ohne die Sonderleistung des Sohnes A
weder die Zuwendung an B – zumindest nicht in der erfolgten Höhe – möglich noch
der Nachlass selbst in Höhe von 40.000 EUR vorhanden gewesen wäre. Ohne die
Zuwendung an B hätte sich die Höhe des Ausgleichungsbetrages an einem Nachlass
in Höhe von 130.000 EUR ausrichten können und wäre damit großzügiger zu
bemessen als beim Ansatz des zum Zeitpunkt des Erbfalls tatsächlichen Nachlasswertes (hier 40.000 EUR). Es stellt sich mithin die Frage, ob unter dem „Wert
des Nachlasses“ im Sinne des § 2057 a Abs. 3 BGB entgegen dem Wortlaut nicht
nur der Nachlass selbst sondern der Nachlass unter Hinzurechnung von Vorempfängen verstanden werden muss – dies auch im Fall von Vorempfängen an den
Abkömmling, der einen Ausgleichsanspruch nach § 2057 a BGB geltend machen
kann.
Dem könnte nicht entgegen gehalten werden, dass im Rahmen der Durchführung
der Ausgleichung nach § 2057 a Abs. 4 BGB auch Vorempfänge im Sinne der §§
2050 ff. BGB zu berücksichtigen sind, denn der Vollzug der Ausgleichung setzt
gerade die vorherige Ermittlung und Feststellung der Ausgleichungsbeträge voraus.
Einen Einfluss auf die Höhe des Ausgleichungsanspruches hat die Art der Durchführung der Ausgleichung nicht. Die Frage der Höhe des Ausgleichungsanspruchs
ist mithin vorab zu entscheiden und orientiert sich ausschließlich am Umfang der
Sonderleistungen und dem Wert des Nachlasses (§ 2057 a Abs. 3 BGB).
Wenn das Ergebnis der Billigkeit entsprechen soll, darf es nicht von Manipulationen des Erblassers abhängig sein. Dies wäre jedoch durch Zuwendungen im
Rahmen der §§ 2050 ff. BGB möglich, wenn unter „Wert des Nachlasses“ nur das
beim Erbfall tatsächlich vorhandene Erblasservermögen und nicht der um ausgleichspflichtige Vorempfänge erhöhte tatsächliche Nachlass verstanden werden
sollte. Auch vor dem Hintergrund der von § 2050 ff. BGB verfolgten Gleich-
349 So im Ergebnis auch OLG Celle, OLGR 1996, 215, 216; Soegel-Wolf, § 2057 a Rn. 17
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Wenn Abkömmlinge durch ihre unentgeltliche Mitarbeit im Haushalt, Beruf oder Geschäft des Erblassers oder durch erhebliche Geldleistungen in besonderem Maße zur Nachlassmehrung – oder dessen Erhalt – beigetragen haben, kann dies einen Ausgleichungsanspruch bei der Erbauseinandersetzung rechtfertigen.
Selbst die möglicherweise Jahrzehnte zurückliegenden Leistungen der Kinder im Rahmen der §§ 1619, 1620 BGB stehen der Ausgleichungspflicht nicht entgegen.
In den erbrechtlichen Fokus gelangen immer häufiger Pflegeleistungen von Abkömmlingen gegenüber ihren Eltern. Diese rechtfertigen nach der derzeitigen Gesetzeslage nur dann einen Ausgleichungsanspruch wenn die Pflege und der Verzicht auf berufliches Einkommen erfolgt (§ 2057 a Abs. 1 S. 2 BGB). Diese Situation soll nach dem Willen der Bundesregierung (Regierungsentwurf vom 30.01.2008) durch die Schaffung eines § 2057 b BGB-E geändert werden.
Pflege wird mittlerweile als gesellschaftliche Aufgabe verstanden. Es wird nunmehr auch erkannt, dass alle gesetzlichen Erben – also auch der Ehepartner – an der Ausgleichung beteiligt werden sollen, was nach der bisherigen Gesetzeslage nicht der Fall war und zu Ungereimtheiten führte.
Weil es immer mehr ältere Menschen in unserer Gesellschaft gibt und diese im Falle einer Pflegebedürftigkeit nach Möglichkeit in ihrem häuslichen Bereich gepflegt werden möchten und dabei der Unterstützung ihrer Kinder und Ehepartner bedürfen, kann angenommen werden, dass die Ausgleichungspflicht auf Grund von Sonderleistungen nach §§ 2057 a, 2057 b BGB-E in Zukunft häufiger bei der Erbauseinandersetzung zu beachten sein wird.