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12. Die Ausgleichungsberechtigung der erbenden Abkömmlinge gegenüber nur
pflichtteilsberechtigten Abkömmlingen
Wird der eine Leistung im Sinne des § 2057 a BGB erbringende Abkömmling als
einziger Abkömmling Erbe, auch neben anderen Personen, so findet eine
Ausgleichung nicht statt. Der ausgleichungsberechtigte Abkömmling muss neben
anderen Abkömmlingen gesetzlicher Erbe werden. Der Gesetzgeber unterstellt mit
dieser Regelung den Erblasserwillen, dass ausschließlich unter Abkömmlingen,
denen durch den Erbfall das zukommt, was ihnen aufgrund des Verwandtschaftsverhältnisses von Gesetzes wegen zusteht, die Ausgleichung erfolgen soll. Nach §
2057 a Abs. 1 S. 1 BGB findet die Ausgleichung dementsprechend nur unter Abkömmlingen statt, die mit dem Berechtigten zur gesetzlichen Erbfolge gelangen.
Damit ist zunächst ausgeschlossen, dass eine echte Ausgleichung zwischen dem
zum Alleinerben eingesetzten und dem weiteren enterbten Abkömmling vorzunehmen ist.196 Nicht beantwortet ist aber damit die Frage, ob sich ein enterbter
Abkömmling im Rahmen der Geltendmachung seines Anspruchs auf Zahlung eines
Pflichtteils die Sonderleistungen des Alleinerben im Sinne des § 2057 a BGB entgegenhalten lassen muß, die diesen im Falle gesetzlicher Erbfolge berechtigt hätten,
eine Ausgleichung nach § 2057 a BGB zu verlangen. In der materiellen Wirkung
käme dies dann einem Ausgleichsanspruch nach § 2057 a BGB gleich. Die Verpflichtung zur Ausgleichung im Rahmen eines Pflichtteilsanspruches ist in § 2316
BGB geregelt. Danach bestimmt sich der Pflichtteil eines Abkömmlings, wenn
mehrere Abkömmlinge vorhanden sind und unter ihnen im Falle der gesetzlichen
Erbfolge eine Zuwendung des Erblassers oder Leistungen der in § 2057 a BGB
bezeichneten Art zur Ausgleichung zu bringen sein würden, nach demjenigen, was
auf den gesetzlichen Erbteil unter Berücksichtigung der Ausgleichungspflichten bei
der Teilung entfallen würde. Das OLG Stuttgart197 vertrat nun hierzu die Auffassung, § 2316 Abs. 1 BGB sei nur zugunsten des pflichtteilsberechtigten Abkömmlings, nicht aber zugunsten des durch die letztwillige Verfügung zum
Alleinerben eingesetzten Abkömmlings anwendbar. Nach dieser Auffassung regelt §
2316 BGB nur, wie sich der Pflichtteilsanspruch des enterbten Abkömmlings berechnet, wenn dieser, nicht aber die als Erben eingesetzten Abkömmlinge im Falle
gesetzlicher Erbfolge ausgleichungsberechtigt wären. Dieser Auffassung ist entgegenzuhalten, dass der Wortlaut des § 2316 BGB nichts dafür hergibt, dass dort
ausschließlich das Ausgleichungsrecht des enterbten pflichtteilsberechtigten Abkömmlings angesprochen wird. Der BGH ist deswegen der Rechtsprechung des
OLG Stuttgart entgegengetreten und führt aus, dass in § 2316 BGB allgemein die
Berechnung des Pflichtteils beschrieben wird, wenn mehrere Abkömmlinge vorhanden sind und unter ihnen im Falle gesetzlicher Erbfolge eine Ausgleichung stattzufinden hätte. 198 Es wird unterstellt, dass für alle pflichtteilsberechtigten Ab-
196 BGH NJW 1993, 1197
197 OLG Stuttgart, DNotZ 1989, 184 f
198 So BGH NJW 1993, 1197; Cieslar, DNotZ 1989,184, 185
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kömmlinge die gesetzliche Erbfolge zugrunde zu legen ist. Dann steht dem pflichtteilsberechtigten Abkömmling gegenüber dem zum Alleinerben eingesetzten weiteren Abkömmling nicht mehr als die Hälfte dessen zu, was er im Falle der gesetzlichen Erbfolge beanspruchen könnte. Unter gesetzlichen Erben würde eine Ausgleichung stattfinden, wenn ein Abkömmling als Erbe eine Leistung im Sinne des §
2057 a BGB erbracht hätte. Mithin muss sich der pflichtteilsberechtigte Abkömmling gleichfalls das Recht auf Ausgleichung entgegen halten lassen. Nach
dieser Rechtsprechung wirkt § 2316 BGB nicht nur zugunsten des enterbten Pflichtteilsberechtigten, sondern auch zu seinen Lasten und schließt deshalb keinesfalls
aus, dass sich der Pflichtteilsberechtigte auch die an ihn gegangenen Zuwendungen
im Sinne des § 2050 BGB oder Ausgleichsansprüche anderer Pflichtteilsberechtigter
nach § 2057 a BGB entgegen halten lassen muss. Der BGH verweist im Übrigen auf
die Materialien der XII. Kommission des Reichstages vom 12.06.1896, die die
Norm dahingehend erklärt hat, dass unter Abkömmlingen bei der Berechnung des
Pflichtteils der gesetzliche Erbteil in der Gestalt zugrunde zu legen sei, der im Falle
der gesetzlichen Erbfolge unter Berücksichtigung der Einwerfposten nach den für
die Ausgleichungspflicht geltenden Grundsätzen bestehe.199 Zwar findet zwischen
dem Erben und dem enterbten Abkömmling eine echte Ausgleichung nicht statt. Da
aber gemäß § 2316 Abs. 1 S. 1 BGB daran angeknüpft wird, dass eine gesetzliche
Erbfolge eingetreten wäre, ist unter diesen Voraussetzungen eine hypothetische
Ausgleichung für die Berechnung des Pflichtteils vorzunehmen. Es kann danach
nicht darauf ankommen, ob sich die Ausgleichung zugunsten oder zu Lasten des enterbten Abkömmlings auswirkt.
Dem steht auch nicht das Argument entgegen, der eingesetzte Erbe werde schon
allein durch die Erbeinsetzung für seine Leistung im Sinne des § 2057 a BGB ausreichend honoriert und das Pflichtteilsrecht des enterbten Abkömmlings werde
durch eine Ausgleichungspflicht ausgehöhlt.200 Vielmehr kann sich die innere Berechtigung für den Pflichtteilsanspruch nur auf das Vermögen beziehen, das vom
Erblasser selbst stammt. Eine Teilhabe an Leistungen eines anderen Abkömmlings
im Sinne des § 2057 a BGB ist dagegen nicht gerechtfertigt. Im Ergebnis kann damit
ein zum Alleinerben bestellter Abkömmling eine Ausgleichung seiner Sonderleistung i. S. des § 2057 a BGB auch gegenüber Pflichtteilsansprüchen anderer
Abkömmlinge geltend machen.
199 Mugdan, „Die gesamten Materialien zum BGB“, Band V, S. 889
200 BGH NJW 1993, 1197, 1198
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13. Die Berücksichtigung eines Ausgleichungsrechtes nach § 2057 a BGB im
Rahmen von Pflichtteilsergänzungsansprüchen nach §§ 2325, 2329 BGB
Die hinter diesem Thema stehende Frage wird an folgendem Fall verdeutlicht:
Der Erblasser war Alleineigentümer eines Grundstückes. Hierauf errichtete der Sohn
S 1 ein Wohnhaus. Später übertrug der Erblasser das Grundstück an den Sohn S 2
(Ausstattung), den er auch zum Alleinerben einsetzte. Der Nachlass ist ohne Wert.201
Die Söhne sind die einzigen Angehörigen des Erblassers.
Wären die Söhne S 1 und S 2 beide gesetzliche Erben geworden, so wären die
Zuwendungen (Hausbau) des Sohnes S 1 an den Vater als Sonderleistung „in
anderer Weise“ nach § 2057 a BGB sowie die Zuwendung des Vaters an den Sohn S
2 im Rahmen der Auseinandersetzung zu berücksichtigen gewesen (§ 2050 Abs. 1
BGB).
Der Sohn S 1 ist hier jedoch nur Pflichtteilsberechtigter. Aber auch in dieser
Position könnte im Wege der „unechten Ausgleichung“ sowohl die ausgleichungspflichtige Zuwendung des Vaters an den Sohn S 2, als auch seine Sonderleistung
nach § 2057 a BGB Berücksichtigung finden, denn nach § 2316 BGB bestimmt sich
der Pflichtteil des Abkömmlings nach der Hälfte dessen (§ 2303 Abs. 1 Satz 2
BGB), was im Falle der gesetzlichen Erbfolge unter Berücksichtigung von ausgleichungspflichtigen Zuwendungen des Erblassers (hier die Ausstattung nach §§
1624, 2050 BGB) und der Sonderleistung nach § 2057 a BGB auf den gesetzlichen
Erbteil entfallen würde.
Hier ginge jedoch der Pflichtteilsanspruch nach § 2316 BGB für den enterbten
Sohn S 2 wirtschaftlich ins Leere. Pflichtteilsansprüche sind Nachlassverbindlichkeiten (§ 1967 Abs. 2 BGB). Ist der Nachlass jedoch wertlos, so fehlt es an
der Masse, aus der der Pflichtteilsberechtigte seinen Anspruch befriedigen könnte.
Allerdings haftet der Erbe für die Nachlassverbindlichkeiten (§ 1967 Abs. 1 BGB),
so dass dem Anspruchsteller zunächst auch ein Durchgriff auf das außerhalb des
Nachlasses bestehende Vermögen des Erben möglich wäre. Hier „hilft“ dem Erben
jedoch die ihm vom Gesetz eingeräumte Möglichkeit zur Haftungsbeschränkung.
Eine solche, auf den Nachlass beschränkte Haftung ist aufgrund eines vom Erben
gestellten Antrages auf Einrichtung einer Nachlasspflegschaft (Nachlassverwaltung)
oder durch die Anordnung einer Nachlassinsolvenz möglich (§ 1945 BGB).
Gleiches gilt, wenn der Erbe gegenüber den ihm erhobenen Ansprüchen die
„Dürftigkeitseinrede“ erhebt (§§ 1990, 1991 BGB).
Auch der Pflichtteilsergänzungsanspruch nach § 2325 BGB hilft dem Pflichtteilsberechtigten in dieser Situation zunächst nicht weiter. Hier ist zwar normiert,
dass eine Pflichtteilsergänzung möglich ist, wenn der Erblasser Schenkungen
innerhalb der 10-Jahres-Frist des § 2325 Abs. 3 BGB an Dritte getätigt hat. Jedoch
ist auch dieser Anspruch eine Nachlassverbindlichkeit, so dass bei Wertlosigkeit des
201 Der Fall ist angelehnt an DNotI-Report 1/2008, S. 1ff
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References
Zusammenfassung
Wenn Abkömmlinge durch ihre unentgeltliche Mitarbeit im Haushalt, Beruf oder Geschäft des Erblassers oder durch erhebliche Geldleistungen in besonderem Maße zur Nachlassmehrung – oder dessen Erhalt – beigetragen haben, kann dies einen Ausgleichungsanspruch bei der Erbauseinandersetzung rechtfertigen.
Selbst die möglicherweise Jahrzehnte zurückliegenden Leistungen der Kinder im Rahmen der §§ 1619, 1620 BGB stehen der Ausgleichungspflicht nicht entgegen.
In den erbrechtlichen Fokus gelangen immer häufiger Pflegeleistungen von Abkömmlingen gegenüber ihren Eltern. Diese rechtfertigen nach der derzeitigen Gesetzeslage nur dann einen Ausgleichungsanspruch wenn die Pflege und der Verzicht auf berufliches Einkommen erfolgt (§ 2057 a Abs. 1 S. 2 BGB). Diese Situation soll nach dem Willen der Bundesregierung (Regierungsentwurf vom 30.01.2008) durch die Schaffung eines § 2057 b BGB-E geändert werden.
Pflege wird mittlerweile als gesellschaftliche Aufgabe verstanden. Es wird nunmehr auch erkannt, dass alle gesetzlichen Erben – also auch der Ehepartner – an der Ausgleichung beteiligt werden sollen, was nach der bisherigen Gesetzeslage nicht der Fall war und zu Ungereimtheiten führte.
Weil es immer mehr ältere Menschen in unserer Gesellschaft gibt und diese im Falle einer Pflegebedürftigkeit nach Möglichkeit in ihrem häuslichen Bereich gepflegt werden möchten und dabei der Unterstützung ihrer Kinder und Ehepartner bedürfen, kann angenommen werden, dass die Ausgleichungspflicht auf Grund von Sonderleistungen nach §§ 2057 a, 2057 b BGB-E in Zukunft häufiger bei der Erbauseinandersetzung zu beachten sein wird.