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meist die Kinder.94 Nach Geschlechtern unterschieden sind es 62 % Frauen und ca.
37 % Männer, die private Pflegeleistungen erbringen.95 60 % der Hauptpflegepersonen sind 65 Jahre und älter. Es ist mithin die Gruppe im dritten Alter, welche
in Deutschland die private Pflege trägt. Gerade die Menschen im Alter zwischen 55
und 70 Jahren verfügen über eine hohe Familienbindung und damit eine Bereitschaft
zur Pflege. Sicherlich ist es auch die Altersgruppe, die bereits eine gewisse familiäre
Entpflichtung erfahren hat, denn die eigenen Kinder sind meist erwachsen, und dies
gibt den zeitlichen Spielraum und die Verfügbarkeit, verlässlich die Rolle einer
Hauptpflegeperson auszuüben.96 Etwa 9 % der Pflegebedürftigen werden nicht von
Familienangehörigen, sondern von Nachbarn, Freunden oder Bekannten gepflegt.
Die Pflegebereitschaft dieses Personenkreises beruht auf lang-jährigen, bereits vor
der Pflegesituation vorhandenen Kontakten.97
VI. Der gewünschte Vorrang der häuslichen Pflege
Sowohl bei den Pflegebedürftigen als auch bei ihren Angehörigen ist der Wunsch,
so lange wie möglich im eigenen Haushalt bleiben zu können, vorherrschend. Bei
den Pflegebedürftigen besteht die Angst, die angestammte Wohnung, d.h. die
vertraute Umgebung verlassen zu müssen, bei den Angehörigen ist es die ganz
persönlich empfundene Verantwortung, den Eltern das Leben zuhause und weiterhin
in der Familie zu ermöglichen. Beides führt zu einer grundsätzlichen Ablehnung
eines Umzugs in eine Pflegeeinrichtung.98 So sind 48 % aller pflegenden Familienangehörigen der Meinung, dass eine Unterbringung des pflegebedürftigen
Angehörigen in einem Heim „auf gar keinen Fall in Frage kommt“, 23 % aller Familienangehörigen halten einen Umzug in ein Heim für „eher unwahrscheinlich“. Von
den Pflegebedürftigen selbst sprechen sich mit dieser Klarheit nur 38 % mit „auf
keinen Fall“, 24 % für die „Unwahrscheinlichkeit des Umzugs“ aus.99 Dies mag
auch mit einer von den Familienangehörigen „gefühlten“ – aber tatsächlich auch
gegebenen – Erkenntnis zusammenhängen, dass ein Übergang in eine stationäre Betreuung, z. B. als Folge einer akuten Verschlechterung des Gesundheitszustandes,
etwa nach einem Krankenhausaufenthalt oder im Fall einer krisenhaften Zuspitzung
der häuslichen Pflege, in der Regel als „Einbahnstraße“ wirkt.100
94 Schneekloth in Schneekloth/Wahl, MUG III, S. 76
95 Heinemann-Knoch,Knoch,Korte in Schneekloth/Wahl, MUG III, S. 148
96 Schneekloth in Schneekloth/Wahl, MUG III, S. 77
97 Schneekloth in Schneekloth/Wahl, MUG III, S. 77
98 Schneekloth in Schneekloth/Wahl, MUG III, S. 84
99 TNS Infratest Repräsentationserhebung 2002 in Schneekloth/Wahl, MUG III, S. 85
100 Schneekloth/Wahl in Schneekloth/Wahl, MUG III, S. 241
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VII. Pflegeaufwand und Belastung der Hauptpflegeperson
Private Pflege ist ein Full-Time-Job, da täglicher Pflegebedarf bedient werden muss.
Differenziert nach Pflegestufen beträgt der geschätzte wöchentliche Pflegeaufwand
bei der Pflegestufe I 22,2 Stunden, bei Pflegebedürftigen der Pflegestufe II 29,4
Stunden, bei Pflegebedürftigen der Pflegestufe III 54,2 Stunden. Bei kognitiven
Beeinträchtigungen ist der Pflegeaufwand noch größer:101 Etwa 64 % der Hauptpflegepersonen sind „rund um die Uhr“ verfügbar. Eine tendenzielle Veränderung
hat es in den Jahren zwischen 1991 und 2002 bei der Vereinbarkeit von privater
Pflege und eigener Berufstätigkeit gegeben. 23 % der Hauptpflegepersonen gingen
im Jahr 2002 einer Voll- oder Teilzeitbeschäftigung nach, dagegen im Jahr 1991 nur
18 %. In der Mehrheit waren und sind die Hauptpflegepersonen bereits zu Beginn
der Pflege nicht berufstätig oder schränken im Laufe der Pflegearbeit ihre Erwerbstätigkeit ein oder geben sie sogar auf.102
Die Betreuung von Familienangehörigen in privaten Haushalten wird von der
Mehrheit der Hauptpflegepersonen als sehr belastend empfunden. So fühlen sich
42 % der Hauptpflegepersonen von Pflegebedürftigen „eher stark“ und weitere 41 %
„sehr stark“ belastet. Als ganz besonders belastend wird es empfunden, wenn
psychisch kranke Menschen, insbesondere Demenzkranke, mit einem gestörten Tag-
/Nachtrhythmus betreut werden. Auch die Konstellation, in der die Hauptpflegeperson eine Pflegetätigkeit mit einer Berufstätigkeit verbinden muss, stellt
aufgrund der großen Anforderungen an die Hauptpflegeperson eine schlechte Voraussetzung für eine dauerhafte Gewährleistung der Pflege dar.103 Das Ziel einer
selbständigen Lebensführung, welches die zu pflegende Person aber auch die Hauptpflegeperson (Angehörige) haben, wird dennoch einer stationären Unterbringung
vorgezogen, ohne jedoch die Fragilität eines solchen Pflegearrangements unrealistisch einzuschätzen.104
Maßgeblich für die Übernahme und Aufrechterhaltung der häuslichen Pflege von
Familienangehörigen ist eine gute und tragfähige Beziehung. Beruht die Bereitschaft
zur Übernahme von Pflegearbeit allein auf einem bestehenden Verwandtschaftsverhältnis zum Pflegebedürftigen, werden die Belastungen von den Pflegepersonen eher als gravierend eingestuft als in den Fällen, in denen die Beziehung
zwischen Pflegeperson und Pflegebedürftigen „ausgezeichnet“ genannt wird.105 In
diesen Fällen wirken sich die enormen Belastungen der Pflege nicht so auf die Beziehungsqualität aus, wie es vermutet werden könnte.106
Pflegearbeit führt bei den Familienangehörigen am ehesten zu körperlicher
Erschöpfung, gefolgt von emotionalen und geistigen Erschöpfungszuständen,107
101 TNS Infratest Repräsentationserhebung 2002 in Schneekloth/Wahl, MUG III, S. 79
102 TNS Infratest Repräsentationserhebung 2002 in Schneekloth/Wahl, MUG III, S. 79
103 Schneekloth in Schneekloth/Wahl, MUG III, S. 87
104 Heinemann-Knoch, Knoch, Korte in Schneekloth/Wahl, MUG III, S. 150
105 Heinemann-Knoch, Knoch, Korte in Schneekloth/Wahl MUG III, S. 158
106 Heinemann-Knoch, Knoch, Korte in Schneekloth/Wahl, MUG III, S. 118
107 Heinemann-Knoch, Knoch, Korte in Schneekloth/Wahl, MUG III, S. 159
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Wenn Abkömmlinge durch ihre unentgeltliche Mitarbeit im Haushalt, Beruf oder Geschäft des Erblassers oder durch erhebliche Geldleistungen in besonderem Maße zur Nachlassmehrung – oder dessen Erhalt – beigetragen haben, kann dies einen Ausgleichungsanspruch bei der Erbauseinandersetzung rechtfertigen.
Selbst die möglicherweise Jahrzehnte zurückliegenden Leistungen der Kinder im Rahmen der §§ 1619, 1620 BGB stehen der Ausgleichungspflicht nicht entgegen.
In den erbrechtlichen Fokus gelangen immer häufiger Pflegeleistungen von Abkömmlingen gegenüber ihren Eltern. Diese rechtfertigen nach der derzeitigen Gesetzeslage nur dann einen Ausgleichungsanspruch wenn die Pflege und der Verzicht auf berufliches Einkommen erfolgt (§ 2057 a Abs. 1 S. 2 BGB). Diese Situation soll nach dem Willen der Bundesregierung (Regierungsentwurf vom 30.01.2008) durch die Schaffung eines § 2057 b BGB-E geändert werden.
Pflege wird mittlerweile als gesellschaftliche Aufgabe verstanden. Es wird nunmehr auch erkannt, dass alle gesetzlichen Erben – also auch der Ehepartner – an der Ausgleichung beteiligt werden sollen, was nach der bisherigen Gesetzeslage nicht der Fall war und zu Ungereimtheiten führte.
Weil es immer mehr ältere Menschen in unserer Gesellschaft gibt und diese im Falle einer Pflegebedürftigkeit nach Möglichkeit in ihrem häuslichen Bereich gepflegt werden möchten und dabei der Unterstützung ihrer Kinder und Ehepartner bedürfen, kann angenommen werden, dass die Ausgleichungspflicht auf Grund von Sonderleistungen nach §§ 2057 a, 2057 b BGB-E in Zukunft häufiger bei der Erbauseinandersetzung zu beachten sein wird.