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Anhang
Auszug aus Bekanntmachung Nr. 124/2003 des Bundeskartellamtes zur Anwendung des § 20 Abs. 4 Satz 2 GWB (Angebot unter Einstandspreis)
A. Einleitung
1. Nach § 20 Abs. 4 GWB ist es verboten, kleine und mittlere Wettbewerber durch
Ausnutzung überlegener Marktmacht unbillig zu behindern (Satz 1). Eine unbillige
Behinderung stellt insbesondere das nicht nur gelegentliche Angebot von Waren
und Dienstleistungen unter Einstandspreis dar, es sei denn, dies ist sachlich gerechtfertigt (Satz 2). 2. Ziel der Vorschrift ist der Schutz von kleinen und mittleren Unternehmen gegenüber unbilligen Behinderungspraktiken marktstarker Konkurrenten. Als Regelbeispiel für eine verbotene Behinderung ist durch die 6. GWB-Novelle das Angebot unter Einstandspreis ausdrücklich in die Vorschrift eingefügt
worden. Das Verbot gilt allerdings nicht generell, sondern erstreckt sich nur auf
marktmächtige Unternehmen sowie auf das nicht nur gelegentliche und sachlich
nicht gerechtfertigte Anbieten unter Einstandspreis. Dagegen setzt das Verbot weder das Vorliegen einer Verdrängungsabsicht voraus noch den Nachweis objektiver
Marktfolgen im Sinne einer nachhaltigen oder auch nur spürbaren Beeinträchtigung
der Wettbewerbsverhältnisse kleiner und mittlerer Wettbewerber. Die Beweislast
für die sachliche Rechtfertigung liegt bei dem unter seinem Einstandspreis anbietenden Unternehmen. Durch die Vorschrift wird der Grundsatz der freien Preisbildung nicht in Frage gestellt.
2. Sie darf auch nicht dazu führen, dass durch eine Offenlegung der Einkaufspreise
gegenüber anderen Unternehmen der Geheimwettbewerb um Konditionen und die
Wahrung von Geschäftsgeheimnissen außer Kraft gesetzt wird.
3. Vor dem Hintergrund der bisherigen Rechtspraxis zum Angebot unter Einstandspreis war es auch dem Gesetzgeber der 6. GWB-Novelle klar, dass die Vorschrift
mit ihren unbestimmten Rechtsbegriffen erhebliche Auslegungs- und Anwendungsprobleme aufwirft, deren Lösung bewusst der Verwaltungspraxis und Rechtsprechung überlassen wurde. Trotz dieser Probleme macht es die Gefahr der Verdrängung auch leistungsfähiger kleiner und mittlerer Unternehmen durch fortschreitende Konzentrationsprozesse erforderlich, im Interesse der Rechtsklarheit die
Grenzen zulässigen (Preis-) Wettbewerbs aufzuzeigen. Auch im Hinblick darauf,
dass es sich bei der Vorschrift um ein (Bußgeld-bewehrtes) Verbot handelt, muss für
den Normadressaten erkennbar sein, welcher Preissetzungsspielraum ihm zur Verfügung steht.
4. Das Verbot des Angebots unter Einstandspreis hat in der Vergangenheit praktische Bedeutung vornehmlich im Einzelhandel erlangt. Die Mehrzahl der Fälle, in
denen das Bundeskartellamt die neue Vorschrift angewandt hat, betraf den Lebensmitteleinzelhandel. Die in den bislang durchgeführten Verfahren gewonnenen Er-
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kenntnisse liegen den folgenden Überlegungen zur Auslegung des § 20 Abs. 4 Satz
2 GWB zugrunde.
5. Diese Bekanntmachung tritt an die Stelle der Bekanntmachung Nr. 147/2000
vom 12. Oktober 2000.
(....)
3. Unter-Einstandspreise
Bei der Feststellung des Einstandspreises einer Ware geht das Bundeskartellamt
vom Listenpreis des Lieferanten (ohne Mehrwertsteuer) aus, von dem alle preiswirksamen Konditionen abgezogen werden, die ihren rechtlichen Grund in den zwischen dem Lieferanten und dem Abnehmer geschlossenen Beschaffungsverträgen
haben. Entsprechend den tatsächlichen Einkaufsgepflogenheiten zählen hierzu die
sog. Jahresvereinbarungen, die den allgemeinen (Konditionen-) Rahmen für die Beschaffung bzw. Belieferung darstellen, und die zusätzlichen im Laufe eines Jahres
getroffenen Vereinbarungen, die im Zusammenhang mit einer konkreten Warenbestellung oder auch unabhängig davon erfolgen können. Grundsätzlich geht das Bundeskartellamt davon aus, dass alle zwischen dem Lieferanten und Abnehmer vereinbarten Konditionen dem Absatz der Waren des Herstellers/Lieferanten dienen
und daher warenbezogen und preisrelevant sind, auch wenn sie nicht ausdrücklich
auf die Förderung bestimmter Waren oder Sortimentsteile Bezug nehmen. Leistungen und Vergünstigungen von Lieferanten sind daher grundsätzlich auch unabhängig von ihrer Bezeichnung als preisrelevant einzubeziehen. Soweit im Einzelfall erkennbar Zahlungen ohne Warenbezug geleistet werden, bleiben diese ebenso unberücksichtigt, wie nachträglich bzw. rückwirkend vereinbarte oder geleistete Vergütungen.
Der Einstandspreis ist mithin nicht identisch mit dem für eine konkrete Einzellieferung in Rechnung gestellten Preis (Rechnungspreis), der nur die soweit direkt zurechenbaren Abzüge (Skonto, Rabatt etc.) enthält. Alle weiteren Konditionen (wie
Jahresboni, Werbekostenzuschüsse, Verkaufsförderungsentgelte, Umsatzvergütungen etc.) werden anteilig berücksichtigt. Dabei wird beispielsweise ein Jahresbonus als Rabatt auf den Jahresumsatz betrachtet und mit dem entsprechenden Prozentsatz vom Rechnungspreis der jeweiligen Waren abgezogen. Das gilt auch für
den Fall, dass Vergütungen ausdrücklich nur für die Förderung eines einzelnen Produktes, für befristete Verkaufsaktionen oder für einzelne Vertriebsschienen vereinbart wurden, damit eine unangemessene Manipulation der Einkaufspreise ausgeschlossen werden kann. Allerdings können derartige Zuordnungen von Fördermaßnahmen im Rahmen der sachlichen Rechtfertigung Berücksichtigung finden.
Voraussetzung für die Einbeziehung von Vergütungen, die dem Grunde nach pauschal vereinbart, der Höhe nach jedoch erst am Ende des Vertragszeitraums bzw. der
Bezugsperiode geleistet werden, ist, dass sie mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
zum Zeitpunkt der Preisfestsetzung zu erwarten sind, der Kaufmann also sein Handeln nach dieser Erwartung ausrichten kann. Darüber hinaus sind ungewisse, etwa
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von der Steigerung des Jahresumsatzes abhängige Rabatte so lange unbeachtlich,
bis deren Gewährung hinreichend wahrscheinlich ist.
Im Ergebnis bedeutet das, dass alle Konditionen einbezogen werden, unabhängig
davon, auf welche Weise (z. B. aufgrund von nicht missbräuchlich genutzter Nachfragemacht) sie zustande gekommen sind. Nicht abzusetzen sind allerdings solche
(Vorzugs-) Konditionen, die rechtswidrig erlangt worden sind, wobei die Rechtswidrigkeit festgestellt oder evident sein muß. Darüber hinaus kann die Zulässigkeit
von vereinbarten und tatsächlich gewährten Konditionen im Rahmen von Verfahren
nach § 20 Abs. 4 Satz 2 nicht gesondert geprüft werden.
Die Zahlungen von Lieferanten, die für den Abnehmer nur durchlaufende Posten
darstellen und an diesen auch nicht teilweise zurückfließen, ihn also nicht bereichern, weil sie für konkrete Leistungen Dritter (Zeitungsanzeigen, Speditionsleistungen etc.) erfolgen, gehen nicht in den Einstandpreis ein. Auch anteilige Gemeinkosten der Beschaffung werden nicht in den Einstandspreis eingerechnet.
Zum Einstandspreis zählen hingegen die der konkreten Warenlieferung unmittelbar
zurechenbaren Nebenkosten der Beschaffung (Verpackung, Transport, Fracht, Versicherung u. ä.), sofern der Abnehmer sie trägt.
Liegt der so bestimmte Einstandspreis über dem Angebotspreis der entsprechenden
Ware (nach Abzug der darin enthaltenen Mehrwertsteuer), ist das Tatbestandsmerkmal des Angebots zu Unter-Einstandspreisen erfüllt.
Dies gilt stets auch dann, wenn ein konstanter Angebotspreis von einem sich erhöhenden Einstandspreis überschritten wird. In diesem Fall wäre grundsätzlich der
Angebotspreis so weit zu erhöhen, dass er den neuen Einstandspreis nicht mehr unterschreitet. Gleichwohl kann hier im Einzelfall bei überraschenden Preiserhöhungen das kurzzeitige Beibehalten des Angebotspreises sachlich gerechtfertigt
sein, sofern es sich nur um die Überbrückung bis zur Erschließung einer neuen Bezugsquelle handelt.
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References
Zusammenfassung
Die Arbeit untersucht Bonusprogramme wie Miles & More oder Payback aus lauterkeits- und kartellrechtlicher Sicht. Sie präzisiert den gängigen Terminus Kundenbindungssystem vor dem Hintergrund wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnisse.
Einen Schwerpunkt stellen die lauterkeitsrechtlichen Anforderungen an die Transparenz solcher Programme dar. Dabei wird zwischen der Transparenz der Inanspruchnahmebedingungen und der Werttransparenz unterschieden. Die Frage, inwiefern Bonusprogramme mit den Missbrauchstatbeständen des deutschen und europäischen Kartellrechts konfligieren können, bildet einen weiteren Schwerpunkt. Neben den Grenzen der Angebots- und Preisgestaltungsfreiheit wird hier der Aspekt der Sogwirkung diskutiert.