189
Schließlich wird unter dem Stichwort Verbraucherdiskriminierung kritisch diskutiert, ob es nicht dem Allgemeininteresse zuwiderläuft, dass bei fortschreitender Durchsetzung von Bonusprogrammen in Zukunft die Möglichkeit besteht,
dass diese nicht (mehr) jedermann zugänglich sein könnten.733
B. Schutzfähige Allgemeininteressen im Wettbewerbsrecht
Um die aufgeworfenen Fragen zu beantworten, stellt sich die Frage, anhand welcher Kriterien die Allgemeininteressen zu bestimmen sind, die über das Lauterkeitsrecht Schutz finden sollen. Vor der Novelle im Jahre 2004 war das UWG vornehmlich durch den Begriff der Sittenwidrigkeit geprägt. Die überwiegende
Rechtsprechung und Teile der Literatur734 sahen die Generalklausel des
§ 1 UWG aF dementsprechend als »in ihrem Kern sittlich-rechtlich fundiert«.
Der Wertmaßstab für die Bestimmung von Wettbewerbshandlungen sei deshalb
den Geboten der Sittlichkeit zu entnehmen. Maßgeblich sei das »Anstandsgefühl
aller billig und gerecht denkenden« oder die »Auffassung des verständigen
Durchschnittsgewerbetreibenden«.735 Zum Teil wurde auch darauf abgestellt, inwieweit das Wettbewerbsverhalten »von der Allgemeinheit missbilligt und für
untragbar angesehen wird«.736 Ziel des UWG sei es, so wurde formuliert, »Auswüchse des Wettbewerbs« zu verhindern.737 Dieses Verständnis war denn auch
Einfallstor für alle möglichen Wertungen in das Lauterkeitsrecht. Einige Beispiele:
Man war beispielsweise der Ansicht, es sei sittenwidrig, wenn ein Bestattungsunternehmen im Wege unbestellter Hausbesuche eine Vereinbarung über eine
zukünftige Bestattung zu treffen versucht. Das sittliche Bewusstsein der Allgemeinheit richte sich gegen die Verletzung der mit dem inneren Gefühlsleben des
Menschen verbundenen Empfindungen, die mit seinem eigenen Ableben verknüpft sind.738 Beanstandet wurde ferner die Etikettierung von Likörfläschchen,
die sexuell anzügliche Bilddarstellungen von Frauen zeigten und die Bezeich-
733 Fezer WRP 2001, 898 1013 f.
734 Zu den verschieden Varianten den Begriff der Sittenwidrigkeit ohne Bezugnahme auf wettbewerbsfunktionale Überlegungen vgl. Merz Vorfeldthese S. 256 ff.
735 Früher RGZ 80, 219, 221, wo der Bezug auf § 826 BGB deutlich wird; aber auch aus neuerer Zeit z.B. BGH GRUR 1982, 53, 55 – Bäckerfachzeitschrift; BGH GRUR 1995, 592
– Busengrapscher; BGH GRUR 1999, 1128, 1129 – Hormonpräparat; vgl. auch BVerfG
GRUR 1972, 358 f – Grabsteinwerbung; aus der Literatur: z.B. Meyer-Cording JZ 1964,
273 ff, 310 ff; v. Gamm Kap. 18 Rn. 7 ff; ders. WM 1981, 730, 732; ders. NJW 1980, 2489;
ders. GRUR 1979, 680; vgl. auch Rittner § 2 Rn .15 ff.
736 BGH GRUR 1955, 541, 542 – Bestattungswerbung; BGH GRUR 1971, 317 – Grabsteinwerbung II; BGH GRUR 1972, 553 – Onko statt Blumen; vgl. auch LG Hamburg NJW-
RR 1989, 488.
737 v. Gamm NJW 1980, 2489.
738 BGH GRUR 1955, 541, 542 – Bestattungswerbung; vgl. auch RGZ 145, 396, 402 – Bestattungsunternehmen I.
190
nung »Busengrapscher« und »Schlüpferstürmer« trugen. Die Etikettierung vermittele in obszöner Weise den Eindruck der freien Verfügbarkeit der Frau in sexueller Hinsicht und solle zugleich die Vorstellung fördern, die betreffenden
Getränke seien geeignet, einer solchen Verfügbarkeit Vorschub zu leisten. Die
kränkende Herabsetzung eines Bevölkerungsteils verstoße in grobem Maße
gegen das allgemeine Anstandsgefühl.739
Auch im Rahmen des Tatbestandes des Rechtsbruchs (jetzt § 4 Nr. 11 UWG)
war eine vergleichbare Grundtendenz zu verzeichnen. Nach diesem wurden alle
Verstöße gegen Normen auch außerhalb des Wettbewerbsrechts geahndet, soweit
diese wertbezogen waren. Als wertbezogen wurde dabei eine Norm angesehen,
die entweder sittlich fundiert, d.h. Ausdruck einer sittlichen Grundanschauung
war oder dem Schutze eines wichtigen Gemeinschaftsgutes diente.740 Dies galt für
Normen des Strafgesetzbuches,741 aber auch für solche mit gesundheitspolitischer742 oder auf die Zuverlässigkeit der Rechtspflege743 gerichteten Zielsetzung.744
Diese Offenheit wurde bereits vor der UWG-Novelle 2004 heftig kritisiert.745
Der Sittenbezug sei leerformelhaft und damit konturlos.746 So habe es in der Praxis nur selten wissenschaftlich vertretbare Erhebungen darüber gegeben, welches
der Personenkreis der Durchschnittsgewerbetreibenden ist, deren Sittlichkeitsgefühl normativen Rang haben soll.747 Lauterkeitsrechtliche Normen seien vielmehr
anhand der Funktionsbedingungen des Wettbewerbs auszulegen.748
Dieser so genannten wettbewerbsfunktionalen Sichtweise ist zuzustimmen.
Ansonsten besteht die Gefahr, dass gerade bei neuen Marketingmethoden, wie
739 BGH GRUR 1995, 592, 594 – Busengrapscher.
740 Z.B. BGH GRUR 1965, 373, 375 – Blockeis II.
741 Z.B. OLG Hamburg GRUR 1987, 381, 383; vgl. Emmerich Unlauterer Wettbewerb § 20
II 1.; Beater § 27 Rn. 12.
742 Z.B. BGH GRUR 1957, 131 – Apothekenpflichtige Arzneimittel
743 Z.B. BGH NJW 1967, 1588 – Preisbindungsüberwachung – Treuhand.
744 Zum Ganzen vgl. MünchKommUWG/Schaffert § 4 Nr. 11 Rn. 5 ff; Emmerich Unlauterer
Wettbewerb § 20 II 1.; Beater § 27 Rn. 11 f.
745 Vgl. z.B. Hefermehl/Köhler/Bornkamm § 3 Rn. 36 ff; MünchKommUWG/Sosnitza § 1
Rn. 30 ff; Fezer/Fezer § 3 Rn. 65; Harte/Henning/Schünemann § 3 Rn. 75 ff; ders. S. 46
ff; Koppensteiner § 32 Rn. 43; Baudenbacher ZHR 144 (1980), 145, 152 ff; Ohly AcP 201
(2001), 1, 9 ff; Mestmäcker AcP 168 (1968), 235, 255 f; Schluep GRUR Int. 1973, 446, 447.
746 vgl. Emmerich FS BGH II, S. 627, 631 ff; ders. Unlauterer Wettbewerb § 5 II mwN.
747 vgl. Emmerich FS BGH II, S. 627, 631 ff; ders. Unlauterer Wettbewerb § 5 II mwN; Harte/
Henning/Schünemann § 3 Rn. 90, »(...) unentwirrbares Konglomerat von rechtlichen
Argumenten, Präjudizien und sonstigen, freilich durchweg nicht wirtschaftlich unterlegten
Erwägungen. (...) Dies ist rechtsdogmatisch nicht attraktiv, zumal auf diesem Wege nicht
selten wettbewerbsfeindliche Tendenzen mit dem Anspruch wettbewerbsrechtlicher Dignität zum Vorschein kamen«; ausführlich Merz, S. 255 ff.
748 Hefermehl/Köhler/Bornkamm § 3 Rn. 38; Harte/Henning/Schünemann § 3 Rn. 75 ff; ders.
S. 46 ff; Koppensteiner § 32 Rn. 43; Ohly AcP 201 (2001), 1, 9 ff; Mestmäcker AcP 168
(1968), 235, 255 f, Schluep GRUR Int. 1973, 446, 447; neuerdings auch BGH GRUR 2002,
825 – Elektroarbeiten; sowie BVerfG NJW 2001, 3403 – Bennetton; vgl. auch Münch-
KommUWG/Sosnitza § 1 UWG Rn. 30 ff.
191
zum Beispiel Bonusprogrammen, angesichts der damit verbundenen Bedenken,
mangels Gepflogenheiten vorschnell durch beliebige subjektive, rein emotional
begründete Erwägungen, ein Unlauterkeitsurteil gefällt wird. Nur wenn die Funktionsbedingungen des Wettbewerbs den übergeordneten Bezugspunkt der Beurteilung darstellen, lässt sich der Unlauterkeitsvorwurf dogmatisch sauber begründen und frei von subjektiven Wertungen, ein objektives Referenzsystem von normativem Rang etablieren, was letztlich sowohl der Rechtsklarheit als auch der
Rechtssicherheit zuträglich ist. Nur ein derartiges theoretisches Referenzsystem
ermöglicht ein systematisches Verständnis einer Rechts- und Wirtschaftsordnung, das im Rahmen der notwendigen Rechtsfortbildung seinerseits wieder
fruchtbar gemacht werden kann.749
Deshalb ist es zu begrüßen, dass seit der Novellierung des UWG im Jahre 2004
nun ein ausdrücklicher Wettbewerbsbezug im Gesetz verankert ist. So heißt es in
§ 1 UWG: »Dieses Gesetz dient dem Schutz der Mitbewerber, der Verbraucherinnen und der Verbraucher sowie der sonstigen Marktteilnehmer vor unlauterem
Wettbewerb. Es schützt zugleich das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb (Hervorhebung durch den Verfasser).« Begrifflich lehnt
sich das UWG mit der Verwendung des Begriffs Wettbewerbsverfälschung an
Art. 3 lit. g), Art. 81 EG sowie an § 1 GWB an. Auch in § 3 UWG wird eine
Beeinträchtigung des Wettbewerbs, als Voraussetzung des Unlauterkeitsurteils
aufgestellt. All dies belegt den intendierten Wettbewerbsbezug, im Sinne einer
wettbewerbsfunktionalen Sichtweise bei der Beurteilung lauterkeitsrechtlicher
Sachverhalte.750
Die lauterkeitsrechtlich schutzfähigen Allgemeininteressen sind also fortan
rein wettbewerbsfunktional zu bestimmen. Folglich entspricht dem Allgemeininteresse im Sinne des UWG nichts anderes als das geeinte Interesse aller Marktbeteiligten und somit das Interesse der Gesellschaft an einem funktionierenden
freien Wettbewerb überhaupt.751 So ist es zu verstehen, wenn es ergänzend zu
§ 1 Satz 2 UWG in der Gesetzesbegründung heißt: »Der Schutz sonstiger (Hervorhebung durch den Verfasser) Allgemeininteressen ist nicht Aufgabe des Wettbewerbsrechts.«752 Auch die Regelung des neuen § 4 Nr. 11 UWG ist in diesem
Sinne zu interpretieren. Denn danach kommen für den Rechtsbruchtatbestand nur
solche Normen in Betracht, die dazu bestimmt sind, das Marktverhalten im Interesse der Marktteilnehmer zu regeln.753 Soweit es schließlich um die konkreten
Funktionsbedingungen des Wettbewerbs geht, sind nach hier vertretener Ansicht
die Vorstellung der Vertreter des systemtheoretischen Ansatzes zu Grunde zu
legen, wie sie bereits zu Beginn der Arbeit vorgestellt wurden.754
749 Möschel Pressekonzentration, S. 37.
750 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 15/1487 S. 17 »Maßstab sind vielmehr die Wirkungen wettbewerbswidrigen Verhaltens auf das Marktgeschehen«; Harte/Henning/Schünemann § 1
Rn 57 f; sowie Keßler WRP 2005, 1203, 1205 f; siehe auch Köhler WRP 2005, 645 ff.
751 Harte/Henning/Schünemann § 1 Rn. 64 f; Ullmann GRUR 2003, 817, 821.
752 BT-Drucks. 15/1487, S. 16; vgl. hierzu MünchKommUWG/Sosnitza § 1 Rn. 30 ff.
753 Hierzu BT-Drucks. 15/1487, S. 19.
754 Vgl. oben Kap. 1 C.
192
An der wettbewerbsfunktionalen Ausrichtung des Lauterkeitsrechts ändert
auch die Tatsache nichts, dass in der Unlauterkeitsrichtlinie Anklänge wiederfinden, die im Sinne eines Sittlichkeitsmaßstabes interpretiert werden könnten. So
wird in Art 5 Abs. 2 zur Konkretisierung des Begriffs der Unlauterkeit unter
anderem darauf abgestellt, ob eine Handlung dem »Gebot der beruflichen Sorgfaltspflicht« widerspricht. Eine Abkehr vom wettbewerbsfunktionalen Ansatz
geht damit aber nicht einher. Im Gegenteil. Ausweislich des Art. 1 ist es Ziel der
Richtlinie zu einem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts beizutragen.
Wie Veelken richtig hervorhebt bildet diese normative Zwecksetzung nicht eine
unverbindliche Deklamation oder Programmatik ohne rechtliche Bedeutung, sondern ist im Rahmen systematischer und teleologischer Auslegung von unmittelbarer normativer Relevanz für die Interpretation der Richtlinienvorschriften, insbesondere die Konkretisierung der Generalklausel des Art. 5 Abs. 1. Im Verweis
auf ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarkts ist nicht nur eine Bezugnahme auf die Ermächtigungsgrundlage des Art. 94 EG zu sehen. Dies bezieht
vielmehr neben den Grundfreiheiten, die im Binnenmarktkonzept der
Art. 3 lit. c), 14 EG im Vordergrund stehen, insbesondere auch das in Art.
3 lit. g) EG normierte Referenzsystem des unverfälschten Wettbewerbs ein. In
Parallele zur deutschen Diskussion um eine wettbewerbsfunktionale Interpretation der lauterkeitsrechtlichen Regelungen ist daher auch die Generalklausel des
Art. 5 der Richtlinie vor dem System der Grundfreiheiten und des Systems unverfälschten Wettbewerbs zu interpretieren.755 Richtschnur kann auch hierbei nur die
Idee der Wettbewerbsfreiheit sein, wie sie dem hier vertretenen systemtheoretischen Ansatz zugrunde liegt und auch in Art. 4 EG zum Ausdruck kommt.
C. Die Konfliktfelder im Einzelnen
Im Folgenden soll nun überprüft werden, inwiefern die oben gegenüber Bonusprogrammen geäußerten Bedenken bei einer wettbewerbsfunktionalen Betrachtung Berücksichtigung finden können.
I. Verstöße gegen das Datenschutzrecht als Unlauterkeit wegen
Rechtsbruchs
Neben der intendierten Kundenbindung durch Inaussichtstellung geldwerter Vergünstigungen ist die Erhebung von Kaufdaten zur Erstellung von Kundenprofilen
eines der maßgeblichen Ziele von Bonusprogrammen. Diese Daten sollen im
Wege des one-to-one Marketing eingesetzt werden. Von einer individuellen, auf
die Bedürfnisse des Kunden zugeschnittenen Werbeansprache verspricht man
755 Veelken WRP 2004, 1, 4 f; ebenso MünchKommUWG/Micklitz EG D Rn. 110 f und E Rn.
110 ff.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Arbeit untersucht Bonusprogramme wie Miles & More oder Payback aus lauterkeits- und kartellrechtlicher Sicht. Sie präzisiert den gängigen Terminus Kundenbindungssystem vor dem Hintergrund wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnisse.
Einen Schwerpunkt stellen die lauterkeitsrechtlichen Anforderungen an die Transparenz solcher Programme dar. Dabei wird zwischen der Transparenz der Inanspruchnahmebedingungen und der Werttransparenz unterschieden. Die Frage, inwiefern Bonusprogramme mit den Missbrauchstatbeständen des deutschen und europäischen Kartellrechts konfligieren können, bildet einen weiteren Schwerpunkt. Neben den Grenzen der Angebots- und Preisgestaltungsfreiheit wird hier der Aspekt der Sogwirkung diskutiert.