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Vorlauf für nur ganz kurze Zeit in Aussicht gestellt werden. Solange dies nicht
der Fall ist, sind sowohl besonders werthaltige Angebote, sei es auch unter Einsatz von Schwellenwerten oder Bonusstaffeln, aus Verbrauchersicht nicht zu beanstanden. Auch die mit dem principal-agent-Problem umschriebene Kostenbzw. Risikoverteilung vermag den Unlauterkeitsvorwurf nicht zu begründen.
Die getroffenen Wertungen stimmen mit dem überein, was in der am 12. Juni
2005 in Kraft getretenen und bis zum 12. Juni 2007 in nationales Recht umzusetzenden Unlauterkeitsrichtlinie vorgesehen ist. Schwerpunktmäßig erfasst diese
nur irreführende (Art. 6 und 7) und aggressive (Art. 8 und 9) Geschäftspraktiken.
Die hier im Hinblick auf ein übertriebenes Anlocken verworfenen Auffassungen
lassen sich jedenfalls nicht unter den Topos aggressive Geschäftspraktik subsumieren, denn ausweislich des Art. 2 lit. j), des Art. 9 und des Anhangs I Nr. 24 ff.
fallen hierunter nur nötigende bzw. machtbedingte oder belästigende Geschäftspraktiken.394 Aber auch die Generalklausel des Art. 5 der Richtlinie wird keinen
Anknüpfungspunkt für derartige Wertungen bieten.395 Sowohl in Art. 2 lit e) als
auch in den Erwägungsgründen 6 und 7 kommt zum Ausdruck, dass die Richtlinie
lediglich die Informiertheit des Verbrauchers im Blick hat. Erwägungen, die die
werthaltige Übermäßigkeit eines Angebots im Blick haben, finden in diesem
Konzept keinen Platz.396 Auch aus dem Vorschlag zu einer Sales-Promotion-Verordnung geht hervor, dass Verkaufsförderungsmaßnahmen aus europäischer Sicht
vorzugsweise unbegrenzt zulässig sein sollten, wenngleich die konkret vorgeschlagenen Informationspflichten abzulehnen sind.397
E. Zusammenfassung
Aus Verbrauchersicht sind Bonusprogramme also dann unlauter, wenn auch der
mündige Verbraucher wegen der Unzulänglichkeit der bereitgehaltenen Informationen die Bedingungen und Wertigkeit des Programms nicht ausreichend abschätzen kann oder wenn er in zeitlicher Hinsicht derart unter Druck gesetzt wird,
dass er keine rationale Kaufentscheidung fällen kann. Auch der mündige Verbraucher benötigt bei komplexen Verkaufsförderungsmaßnahmen wie Bonusprogrammen einige Basisinformationen, die die Programmausrichter für ihn bereithalten müssen. Rechtlicher Anknüpfungspunkt hierfür ist § 4 Nr. 4 UWG, der allerdings im Hinblick auf Art und Zeitpunkt der Informationsbereitstellung situationsadäquat im Sinne des Modells der abgestuften Information ausgelegt werden
muss. In Fragen der Preistransparanz ist § 5 Abs. 2 Satz 2 UWG der richtige dog-
394 MünchKommUWG/Micklitz EG H Rn. 28.
395 Zum Generalklauselcharakter des Art. 5 der Unlauterkeitsrichtlinie vgl. Lettl WRP 2004
1079, 1100; Henning-Bodewig GRUR Int. 2005, 629, 631.
396 Vgl. Henning-Bodewig GRUR Int. 2005, 629, 631.
397 Zur Sales-Promotion-Verordnung und der deutschen Fallgruppe des übertriebenen Anlockens vgl. Lettl WRP 2004 1079, 1102; zu diesem Vorschlag allgemein oben Kap 3 C. II.
2. a).
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matische Anknüpfungspunkt. Preisverschleiernd und damit irreführend durch
Unterlassen können vor allem Bonusprogramme ohne Auszahlungsfunktion und
ohne strengen Umsatzbezug sein. Abhilfe kann hier aber die parallele Dokumentation der getätigten Umsätze schaffen. Außerdem müssen Prämien im Rahmen
von Bonusprogrammen prinzipiell im gesamten Geltungszeitraum der Prämienbroschüren oder angekündigten Aktionszeiträume vorgehalten werden. Kann dies
nicht gewährleistet werden, reicht grundsätzlich ein Hinweis »solange der Vorrat
reicht« aus. Nur wenn es sich um eine ganz außergewöhnliche Prämie handelt,
muss die konkret vorgehaltene Menge angegeben werden. Schließlich muss darauf geachtet werden, dass dem Verbraucher auch im Rahmen von Bonusprogrammen ausreichend Zeit gegeben wird, die Angebote zu reflektieren. Ganz kurzfristige Aktionen können also unlauter sein. Der werbliche Vorlauf solcher Aktionen
muss aber berücksichtigt werden. Sind diese Vorraussetzungen gewahrt, sind
selbst extrem attraktive Angebote wie zum Beispiel besonders hohe Gutschriften
oder sehr günstige Prämien zumindest aus Verbrauchersicht lauterkeitsrechtlich
unbedenklich. Auch das so genannte principal-agent-Problem ist unbeachtlich.
Die Möglichkeit, dass ein Käufer das finanzielle Risiko eines Kaufs nicht selbst
trägt, besteht grundsätzlich bei allen entgeltlichen Geschäften. Nur demjenigen,
der die Kosten für die im Rahmen eines Bonusprogramms in Anspruch genommenen Leistungen trägt, obliegt es zu kontrollieren, ob seine Interessen gewahrt
werden.
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References
Zusammenfassung
Die Arbeit untersucht Bonusprogramme wie Miles & More oder Payback aus lauterkeits- und kartellrechtlicher Sicht. Sie präzisiert den gängigen Terminus Kundenbindungssystem vor dem Hintergrund wirtschaftswissenschaftlicher Erkenntnisse.
Einen Schwerpunkt stellen die lauterkeitsrechtlichen Anforderungen an die Transparenz solcher Programme dar. Dabei wird zwischen der Transparenz der Inanspruchnahmebedingungen und der Werttransparenz unterschieden. Die Frage, inwiefern Bonusprogramme mit den Missbrauchstatbeständen des deutschen und europäischen Kartellrechts konfligieren können, bildet einen weiteren Schwerpunkt. Neben den Grenzen der Angebots- und Preisgestaltungsfreiheit wird hier der Aspekt der Sogwirkung diskutiert.