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genannt. Die Gründe hierfür sind - wie gezeigt - vielfältig und divergieren
regional. Sofern man diese Erkenntnis für verallgemeinerungsfähig erachtet,
kann davon ausgegangen werden, dass knapp ein Drittel aller tatbestandsmäßigen Widerstände statistisch nicht registriert wird und somit dem Graufeld
zuzurechnen ist.
VII. Ausblick
Die vorliegende Arbeit hat den Zusammenhang zwischen der strategischen Vorgehensweise von Polizeibeamten bei Konflikten sowie personalstrukturellen
Merkmalen auf der einen und der polizeistatistischen Registrierung von Widerstandshandlungen nach § 113 StGB auf der anderen Seite deutlich werden lassen
und damit einen Beitrag zur Erforschung des polizeilichen Kriminalisierungsverhaltens leisten können. Da dieser Sichtweise bisher in der Wissenschaft nahezu
keine Aufmerksamkeit gewidmet wurde, konnte die Arbeit insoweit eine Lücke
schließen und bietet damit einen Ausgangspunkt für künftige Untersuchungen. Die
Merkmale der Widerstandsübenden sind umfassend erforscht und werden auch von
den Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik und des Zweiten Periodischen
Sicherheitsberichtes bestätigt. Sie entsprechen auch allgemeinen kriminologischen
Erkenntnissen, nach denen Täter häufig jung und alkoholisiert sind und ihre Taten
oftmals zu Abend- und Nachtzeiten, an Wochenenden und in den Sommermonaten
begehen. Insoweit ist kein Forschungsbedarf mehr vorhanden. Ebenso kann die Erkenntnis als gesichert gelten, dass die Aus- und Fortbildungssituation bundesweit,
trotz föderalistisch bedingter Unterschiede, derart einheitlich ist, dass unabhängig
vom Bundesland, dem der Beamte angehört, eine in etwa vergleichbare Wahrnehmung von Konflikten gegeben ist.
Lohnenswert wäre die Untersuchung von Konfliktsituationen anhand einer neuartigen Erhebungsmethode. Der Nachteil von ausschließlich schriftlichen Befragungen liegt per se darin, dass die Konfliktsituationen lediglich begrenzt umfassend geschildert werden können und somit durch die Wortwahl sowie die knapp
zu haltende Wortanzahl eine Suggestivwirkung entstehen kann. Dies ist zwar insoweit nicht nachteilig, als diese Variable konstant gehalten werden kann und damit
die Vergleichbarkeit aller Antworten gewährleistet bleibt. Um jedoch noch präzisere
Ergebnisse zu gewinnen, könnte in einer künftigen Untersuchung auf eine Videotechnik zugegriffen werden und damit das qualitative Design der Befragung weiter
gesteigert werden. Dies könnte sich derart gestalten, dass die vorgegebenen
Konfliktsituationen professionell nachgestellt und in kurzen Sequenzen auf Video
aufgezeichnet werden. Diese Sequenzen können den Befragten vorgespielt und die
Situationsbewertung schriftlich abgefragt werden. Soweit die technischen Möglichkeiten für die Realisierung einer solchen Befragung vorhanden sind, kann auf diese
Weise eine sehr praxisbezogene Erhebung durchgeführt werden, die sich ausschließlich mit den Reaktionen der Polizeibeamten auf Konflikte beschäftigt.
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References
Zusammenfassung
Die Arbeit knüpft an das irritierende Faktum an, dass in der Hansestadt Lübeck zumindest in den Jahren 1999 bis 2004, aber auch noch aktuell, deutlich mehr Delikte wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 StGB registriert worden sind als in Kiel. Dennoch ist die Zahl der Verurteilten nahezu gleich. Es liegt die Vermutung nahe, dass nur mehr Widerstände thematisiert werden als verurteilt.
Bisher vorhandene Studien zum Thema Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gehen zumeist ätiologisch vor. Sie liefern keine Erklärung für das unterschiedliche Registrierungsverhalten, aber wichtige Vorerkenntnisse über die zu erwartenden Konflikte und sozialen Besonderheiten der „widerständigen“ Personen.
Die Arbeit knüpft an diese Erkenntnisse an, überprüft sie bezüglich ihrer Aktualität und stellt einen eigenen vollständigen theoretischen Ansatz auf. Dieser kriminalsoziologische Ansatz unterscheidet zwischen Wahrnehmung eines Konfliktes, Thematisierung des Konfliktes und Mobilisierung des Widerstandsparagrafen. Die Datenerhebung erfolgte per schriftlicher Befragung mit Interviews bei 300 Polizeibeamtinnen und -beamten. Einbezogen wurden Kiel, Lübeck und – des regionalen Vergleichs wegen – die sozialstrukturell vergleichbare Stadt Mannheim. Abgefragt wurden zahlreiche Konfliktkonstellationen und Einflussfaktoren, solche wie Geschlecht, Diensterfahrung und Dienstgrad. Die Arbeit wertet die Daten umfangreich auf unterschiedliche Reaktionsmuster hin aus.