231
V. Prophylaktische Anzeigen
In der Praxis, aber auch in der Wissenschaft442 wird das Vorhandensein prophylaktischer Anzeigen diskutiert. Der Polizeibeamte zeigt ggf. das Verhalten eines
widerständigen Bürgers auch bzw. nur deswegen gemäß § 113 StGB an, weil er
einer möglichen Gegenanzeige zuvorkommen will. Einschlägige Delikte einer
Gegenanzeige können typischerweise Körperverletzung im Amt (§ 340 StGB) oder
Nötigung im Amt (§ 240 Abs. 4 Nr. 3 StGB) sein. Gespräche mit Polizeibediensteten der höheren Dienstebene im Vorfeld der vorliegenden Arbeit ergaben
Hinweise auf eine (gemutmaßte) hohe prophylaktische Anzeigebereitschaft der
Polizeibeamten bei widerständigen Bürgern. Dieser Gedanke ist zunächst nicht abwegig. Sollte eine Anzeige wegen Körperverletzung im Amt durch den Widerstandsübenden gestellt werden und entschließt sich der Polizeibeamte erst infolgedessen eine Anzeige wegen Widerstandes zu fertigen, so können sich im Verlauf
eines späteren Strafverfahrens erhebliche Glaubwürdigkeitsprobleme ergeben. Hat
er hingegen den Widerstand nicht angezeigt und kann ein solcher in der Beweisaufnahme eines Strafverfahrens nachgewiesen werden, so droht dem Beamten ein
Strafverfahren wegen Strafvereitelung im Amt nach § 258a StGB. Es kann ein sog.
Zwickmühleneffekt auftreten.443
Zwei der oben vorgestellten polizeilichen Studien widmen sich auch dem Aspekt
der prophylaktischen Widerstandsanzeigen und kommen dabei zu gegenteiligen Einschätzungen. Jäger geht davon aus, dass mehr als die Hälfte der Widerstandsanzeigen prophylaktisch sei, und beruft sich bei dieser Vermutung auf Schätzungen von Praktikern444, wobei er eine nachvollziehbare Quellenangabe schuldig
bleibt. Falk hingegen mutmaßt, dass es sich bei diesem von Jäger behaupteten
Phänomen der prophylaktischen Widerstandsanzeige lediglich um Einzelfälle
handeln dürfte.445 Als Indikatoren führt er die in seiner Studie erhobene geringe Anzahl der Gegenanzeigen (47 von 1.336) und Dienstaufsichtsbeschwerden (21 von
1.326) sowie den Ausgang des Strafverfahrens (51 Einstellungen von 1.044) ins
Feld.446
442 Etwa vermutet von Ostendorf (1987), S. 335, der die Prophylaxe allerdings als reaktives und
nicht als präventives Phänomen einstuft: „Die Problematik zeigt sich gerade beim Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte; diesbezügliche Anzeigen stellen häufig eine Antwort auf
Anzeigen von Seiten des Bürgers dar.“
443 Siehe hierzu auch: Behr (2000), S. 190 f.
444 Jäger (1988), S. 316, 326.
445 Falk (2000), S. 45.
446 Falk (2000), S. 44, 45.
232
Die eigene Arbeit widmet sich prophylaktischen Anzeigen aus zweierlei
Gründen. Zum einen gibt es, wie erwähnt, aktuelle Hinweise aus der polizeilichen
Praxis über das mögliche Vorhandensein solcher Anzeigen. Zum anderen hat sich
die Wissenschaft diesem Phänomen bisher noch nicht oder nur unzureichend
empirisch genähert. Jäger und Falk kommen zu gegensätzlichen Einschätzungen,
können diese allerdings nur auf Vermutungen stützen. Die vorliegende Arbeit überprüft, ob und wie häufig prophylaktische Anzeigen bei der Bewertung der vorgegebenen Konflikte genannt wurden. Es wird davon ausgegangen, dass bei der
durchgeführten Befragung wegen der Anonymität eine hohe Antwortehrlichkeit erzielt wurde und daher die nachfolgenden Ergebnisse die Realität widerspiegeln.
Betrachten wir zunächst, welchen Anteil die prophylaktischen Anzeigen erreicht
haben und welche regionalen Unterschiede es gibt (Abbildung 91).
Abbildung 91: Gesamtschau der Antwortverteilung zu allen Konflikten I.447
Gegenüberstellung von Anzeigen und prophylaktischen Anzeigen, regionale Antwortverteilung.
Durchschnittlich 52,9 Prozent der Kieler Befragten gaben an, auf die vorgegebenen Konflikte mit einer Anzeige zu reagieren. 3,5 Prozent der Befragten
nannten prophylaktische Anzeigen. In Lübeck liegt der Anteil, der sich für eine
Mobilisierung entschied, bei insgesamt 55,9 Prozent, wovon 5,2 Prozent aller Probanden eine prophylaktische Anzeige nannten. In Mannheim beträgt dieses Verhältnis 47,5 Prozent zu 4,6 Prozent. Es bleibt festzuhalten, dass die Befragten aus
Lübeck bei der Konfliktbewertung nicht nur etwas häufiger eine Anzeige nannten,
447 Mittelwerte.
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233
sondern auch prophylaktische Anzeigen eine etwas größere Rolle spielen. Die
Unterschiede sind allerdings nicht erheblich.
Als Nächstes gilt der Blick der Frage, wie häufig prophylaktische Anzeigen von
männlichen und weiblichen Beamten genannt wurden (Abbildung 92). Die Gesamtschau zu den Konflikten zeigt, dass sich die weiblichen Befragten zu 48,9 Prozent
für eine Verrechtlichung entschieden hatten. Bei den männlichen Befragten waren es
52 Prozent. 5,2 Prozent der weiblichen und 4,2 Prozent der männlichen Probanden
nannten eine prophylaktische Anzeige. Es zeigt sich, dass mit einer Differenz von
nur 1 Prozent keine geschlechtsspezifischen Unterschiede erkennbar sind.
Abbildung 92: Gesamtschau der Antwortverteilung zu allen Konflikten II.448
Gegenüberstellung von Anzeigen und prophylaktischen Anzeigen, geschlechtsspezifische
Antwortverteilung.
Das Augenmerk ist darauf zu richten, wie sich der Dienstgrad auf die Nennung
prophylaktischer Anzeigen auswirkt. Auch hier werden wiederum die Gesamtergebnisse zu den situativen Fragen dargelegt (Abbildung 93).
Die Befragten des mittleren Dienstes entschieden sich mit 6,3 Prozent häufiger
für eine prophylaktische Anzeige als die des gehobenen Dienstes. Hier liegt der
Anteil lediglich bei 2,3 Prozent (Abbildung 93). Diese Unterschiede sind zwar nur
gering, jedoch ist zu beachten, dass die Anzahl der Nennungen von prophylaktischen Anzeigen auch absolut betrachtet sehr gering ist, so dass kleine
Abweichnungen zumindest Anhaltspunkte bieten können.
448 Mittelwerte.
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Abbildung 93: Gesamtschau der Antwortverteilung zu allen Konflikten III.449
Gegenüberstellung von Anzeigen und prophylaktischen Anzeigen, dienstgradspezifische
Antwortverteilung.
Hier deuten sich Unterschiede an, die ggf. mit der unterschiedlichen Ausbildung
zum mittleren und gehobenen Dienst in Verbindung gebracht werden könnten, was
jedoch in einer weiteren Untersuchung zu klären wäre.
449 Mittelwerte.
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235
Auch die Dauer der Dienstzeit und damit die Erfahrung des Beamten kann sich
auf die Anzahl der Nennungen prophylaktischer Anzeigen auswirken (Abbildung
94).
Abbildung 94: Gesamtschau der Antwortverteilung zu allen Konflikten IV.450
Gegenüberstellung von Anzeigen und prophylaktischen Anzeigen, dienstzeitspezifische
Antwortverteilung.
Bei der Unterteilung nach Diensterfahrung sind auch keine wesentlichen Abweichungen erkennbar, sondern lediglich Anhaltspunkte für Tendenzen. Bei den Befragten mit einer Dienstzeit von 1 bis 5 Dienstjahren liegt die Verrechtlichungsquote
insgesamt bei 52,1 Prozent und 6,4 Prozent nannten eine prophylaktische Anzeige,
bei den Befragten mit einer Dienstzeit von 6 bis 15 Jahren beträgt dieses Verhältnis
51,2 Prozent zu 4,1 Prozent und bei den sehr diensterfahrenen Befragten bei 53,5
Prozent zu 3,4 Prozent. Die Antwortverteilung bei den prophylaktischen Anzeigen
lässt eine leichte treppenartige Abstufung erkennen, aus der sich nachfolgende
Tendenz ableiten lässt. Die Befragten mit einer geringen Diensterfahrung wählten
doppelt so häufig wie die diensterfahrenen Beamten eine prophylaktische Anzeige.
Die Anzahl der Nennungen nimmt mit steigender Dauer der Dienstzeit ab. Dies
kann zweierlei Gründe haben. Zum einen ist es möglich, dass Widerstandsübende
tatsächlich nur sehr selten eine sog. Gegenanzeige veranlassen. Dies steht auch im
Einklang mit den Erkenntnissen von Falk, der nachweisen konnte, dass die Anzahl
der Anzeigen wegen Körperverletzung im Amt, die in wechselseitiger Verbindung
mit einer Widerstandsanzeige stehen, sehr niedrig ist.451 Daraus lässt sich ableiten,
450 Mittelwerte.
451 Falk (2000), S. 44 f.
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
1 .. 5 Jahre (n = 75)
6 .. 15 Jahre (n = 130)
16 .. 44 Jahre (n = 95)
Prozent
Anzeige prophylaktische Anzeige
236
dass diensterfahrene Polizeibeamte aufgrund ihrer langjährigen Diensterfahrung um
die geringe Häufigkeit von Gegenanzeigen wissen und daher seltener prophylaktische Anzeigen veranlassen. Zum anderen kann vermutet werden, dass mit
zunehmender Berufserfahrung die Fähigkeit steigt, Konflikte zielsicher rechtlich
einzuordnen. Die Beamten können zutreffend einschätzen, ob ihre eigene Reaktion
gesetzlich legitim ist und somit eine Gegenanzeige erfolglos bleiben würde.
Es soll zusammengefasst werden, bei welchen Konflikten besonders häufig prophylaktische Anzeigen genannt wurden und welche Abweichungen es dabei
zwischen den untersuchten Merkmalen gibt. Da prophylaktische Anzeigen insgesamt relativ selten genannt wurden, werden als relevante Mindestabweichung 5
Prozent zugrunde gelegt. Abweichungen von 5 Prozent und mehr ergaben sich
wie folgt.
1. Prophylaktische Anzeigen bei einzelnen Konflikten - regionale Besonderheiten
Deutliche Unterschiede zeigen sich beim Konflikt „Migranten“ (Sachverhalt 4).
In Lübeck wurde mit einem Verhältnis von 9 Prozent zu 4 Prozent mehr als doppelt
so häufig wie in Kiel eine prophylaktische Anzeige genannt, in Mannheim waren es
6 Prozent (Abbildung 36). Die Antwortverteilung beim Konflikt „Blutprobe“
(Situation 8) ergibt, dass die Befragten aus Lübeck mit 7 Prozent am häufigsten
eine prophylaktische Anzeige wählten. In Kiel und Mannheim liegt dieser Anteil bei
4 bzw. 1 Prozent (Abbildung 52). Damit steht fest, dass es regionale Abweichungen
bei prophylaktischen Anzeigen gibt, die mit der Art des Konfliktes in Zusammenhang gebracht werden können.
2. Prophylaktische Anzeigen bei einzelnen Konflikten geschlechtsspezifische Besonderheiten
Der Blick gilt nun den geschlechtsspezifischen Unterschieden bei der Nennung prophylaktischer Anzeigen. In den meisten der elf vorgegebenen Situationen gibt es mit
einer maximalen Abweichung von 3 Prozent nahezu keine Unterschiede im
Antwortverhalten der männlichen und weiblichen Befragten. Die einzige Ausnahme
bildete der Konflikt „Häusliche Gewalt“ (Situation 2). Hier nannte mit 12,3 Prozent ein beachtlicher Anteil der weiblichen Befragten eine prophylaktische Anzeige.
Bei den männlichen Beamten waren es mit nur 4,3 Prozent deutlich weniger (Abbildung 95).
Das Schaubild gibt deutlich zu erkennen, dass die Frauen insgesamt weniger
häufig eine Mobilisierung angaben. Sofern Sie sich jedoch für eine Verrechtlichung
entschieden hatten, spielten prophylaktische Anzeigen deutlich häufiger als bei den
männlichen Probanden eine Rolle. Hier kann die Vermutung aufgestellt werden,
237
dass die weiblichen Befragten anscheinend eher eine Gegenanzeige wegen einer
vom Ehemann gemutmaßten weiblichen Solidarisierung mit der Ehefrau befürchten.
Ferner könnte der hohe Anteil prophylaktischer Anzeigen wie folgt erklärt werden:
Die Ehemänner neutralisieren die Gewaltanwendung gegenüber ihren Frauen. Falls
es zu einem Konflikt zwischen einer Beamtin und einem gewaltbereiten Ehemann
kommt, liegt die Vermutung nahe, dass der Ehemann das Vorgehen der Beamtin nur
widerwillig duldet, es in Frage stellt oder gar unmittelbar mit einer Anzeige wegen
Nötigung oder Körperverletzung im Amt droht. Ob mehr Anzeigen gegen
Polizeibeamtinnen bei Konflikten im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt
gefertigt werden, oder ob es lediglich bei einer ausdrücklichen oder konkludenten
Drohung bleibt, bedarf einer gesonderten Untersuchung.
Abbildung 95: Prophylaktische Motive bei der Verrechtlichungsentscheidung
Bezogen auf den Konflikt „häusliche Gewalt“, geschlechtsspezifische Antwortverteilung.
3. Prophylaktische Anzeigen bei einzelnen Konflikten dienstgradspezifische Besonderheiten
Auch der Dienstgrad wirkt sich situationsspezifisch auf die Anzahl der Nennungen
prophylaktischer Anzeigen aus. Ganz deutliche Unterschiede zeigen sich beim
Konflikt „Migranten“ (Situation 4). Hier liegt der Anteil prophylaktischer Anzeigen bei den Beamten des mittleren Dienstes bei 9,7 Prozent (Abbildung 38). Beim
gehobenen Dienst sind es nur 1,6 Prozent. Auch hier könnte ein Zusammenhang
zum unterschiedlichen Ausbildungsweg dieser zwei Dienstgruppen bestehen. Dies
bedarf jedoch einer eigenständigen Untersuchung. Abweichende Situationsbewertungen gibt es auch beim Konflikt „Fremdenfeindlichkeit“ (Sachverhalt 6). Die
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238
Beamten des mittleren Dienstes nannten hier mit einem Anteil von 6,9 Prozent zu
1,6 Prozent mehr als viermal so häufig wie ihre Kollegen des gehobenen Dienstes
eine prophylaktische Anzeige (Abbildung 46).
Damit steht fest, dass die Variablen Dienstgrad, situativer Kontext des Konfliktes
und die Entscheidung über eine prophylaktische Anzeige zumindest teilweise
miteinander korrelieren.
4. Prophylaktische Anzeigen bei einzelnen Konflikten dienstzeitspezifische Besonderheiten
Auch die Diensterfahrung der befragten Beamten wirkt sich auf die Verrechtlichungsentscheidung aus. So gibt es beim Konflikt „häusliche Gewalt“
(Situation 2) deutliche Bewertungsunterschiede (Abbildung 31). Dort nannten 2,1
Prozent der sehr diensterfahrenen, 6,9 Prozent der mittleren diensterfahrenen und
9,3 Prozent der nur wenig diensterfahrenen Beamten prophylaktische Anzeigen.
Demnach scheint die Befürchtung der dienstjüngeren Beamten, bei einem Konflikt
mit häuslicher Gewalt vom Tatverdächtigen angezeigt zu werden, höher als bei denjenigen, die eine Diensterfahrung von mindestens 16 Jahren haben. Dies könnte
damit zusammenhängen, dass bei häuslicher Gewalt öfter als bei anderen Konflikten
die Drohung einer Anzeige wegen Körperverletzung im Amt oder ähnlicher Delikte
ausgesprochen wird, die erfahreneren Beamten jedoch wissen, dass eine solche tatsächlich nur selten gestellt wird oder diese aber eine rechtlich fundierte Einschätzung ob ihrer eigenen Verhaltensweise treffen können. Dies lässt sich
allerdings nur vermuten.
5. Ergebnis zu prophylaktischen Anzeigen
Es konnte gezeigt werden, dass sich die Merkmale Stadt, Geschlecht des Polizeibeamten, Dienstgrad und Dauer der Dienstzeit auf die Entscheidung über eine prophylaktische Anzeige konfliktspezifisch auswirken können. Allerdings ist auch festzuhalten, dass derartige Anzeigen in der Praxis offenbar eine sehr untergeordnete
Rolle spielen. Die zunächst nicht weiter belegte Vermutung von Falk452, prophylaktische Anzeigen spielen in der Praxis eine nur untergeordnete Rolle, kann mit
den in der vorliegenden Arbeit gewonnenen Erkenntnissen bestätigt werden.
Gleichzeitig ist Jägers Ansicht, mehr als 50 Prozent453 der veranlassten Widerstandsanzeigen seien prophylaktisch, als widerlegt anzusehen.
452 Falk (2000), S. 44 f.
453 Jäger (1988), S. 316, 326.
239
Es kann empirisch belegt werden, dass prophylaktische Motive insgesamt
keine tragende Rolle bei der Verrechtlichungsentscheidung einnehmen. In
einzelnen Situationen treten regional abweichend und mit unterschiedlicher
Häufigkeit derartige Motive in Erscheinung. Mit einem Unterschied von nur 1
Prozent gibt es nahezu keine geschlechtsspezifischen Unterschiede. Eine deutlich erkennbare Ausnahme bildet jedoch die Situation 2, bei der es um häusliche Gewalt ging. Hier nannten die weiblichen Befragten deutlich häufiger eine
prophylaktische Anzeige.
Die Befragten des mittleren Dienstes entschieden sich häufiger als die
Beamten des gehobenen Dienstes für eine prophylaktische Anzeige. Auch die
Dauer der Dienstzeit wirkt sich auf die Anzahl prophylaktischer Anzeigen aus.
Den Zahlen bezogen auf alle situativen Fragen ist zu entnehmen, dass diese mit
zunehmender Diensterfahrung leicht sinken. Insbesondere die Beamten mit
einer maximalen Dienstdauer von fünf Jahren gaben bei ihrer Verrechtlichungsentscheidung öfter prophylakitsche Anzeigen an als die sehr diensterfahrenen Probanden.
VI. Endergebnis
Nachdem alle für den Untersuchungsgegenstand relevanten Ergebnisse ausgewertet
wurden, ist in einem letzten Schritt der Erkenntnisgewinn zu betrachten, um damit
die oben aufgestellten Annahmen zu überprüfen.
Wahrnehmung: Die erste Annahme geht davon aus, dass die Polizeibeamten in
Kiel, Lübeck und Mannheim bestimmte Konflikte in vergleichbarer Weise wahrnehmen, da sie aufgrund einer ähnlichen Aus- und Fortbildung äquivalente rechtliche und soziale Kenntnisse und Fähigkeiten besitzen. Demnach würde der Grund
für die unterschiedliche polizeistatistische Registrierung von Widerstandshandlungen nicht auf der Ebene der Wahrnehmung liegen. Diese Annahme kann als
nicht falsifiziert und damit als plausibel eingestuft werden.454 Dies zeigt zum
einen die Tatsache, dass die polizeiliche Aus- und Fortbildung nach objektiven Erkenntnissen in allen drei Städten keine wesentlichen Unterschiede aufweisen. Zum
anderen sind die diesbezüglichen Einschätzungen der befragten Beamten eindeutig.
Zwischen den Städten gibt es auf der fünfstelligen Likert-Skala mit einer Maximalabweichung von 0,5 Bewertungspunkten nahezu keine regionalen Unterschiede. Der
Grund für die unterschiedliche Hellfeldregistrierung liegt demzufolge mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht auf der Ebene der Wahrnehmung.
Thematisierung und Mobilisierung: Die zweite Annahme „Die Divergenz
polizeilich registrierter Widerstandshandlungen nach § 113 StGB kann mit unterschiedlichen Entscheidungen der Beamten über die Verrechtlichung von an sich
454 Siehe bereits oben im 3. Kapitel unter C.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Arbeit knüpft an das irritierende Faktum an, dass in der Hansestadt Lübeck zumindest in den Jahren 1999 bis 2004, aber auch noch aktuell, deutlich mehr Delikte wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 StGB registriert worden sind als in Kiel. Dennoch ist die Zahl der Verurteilten nahezu gleich. Es liegt die Vermutung nahe, dass nur mehr Widerstände thematisiert werden als verurteilt.
Bisher vorhandene Studien zum Thema Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gehen zumeist ätiologisch vor. Sie liefern keine Erklärung für das unterschiedliche Registrierungsverhalten, aber wichtige Vorerkenntnisse über die zu erwartenden Konflikte und sozialen Besonderheiten der „widerständigen“ Personen.
Die Arbeit knüpft an diese Erkenntnisse an, überprüft sie bezüglich ihrer Aktualität und stellt einen eigenen vollständigen theoretischen Ansatz auf. Dieser kriminalsoziologische Ansatz unterscheidet zwischen Wahrnehmung eines Konfliktes, Thematisierung des Konfliktes und Mobilisierung des Widerstandsparagrafen. Die Datenerhebung erfolgte per schriftlicher Befragung mit Interviews bei 300 Polizeibeamtinnen und -beamten. Einbezogen wurden Kiel, Lübeck und – des regionalen Vergleichs wegen – die sozialstrukturell vergleichbare Stadt Mannheim. Abgefragt wurden zahlreiche Konfliktkonstellationen und Einflussfaktoren, solche wie Geschlecht, Diensterfahrung und Dienstgrad. Die Arbeit wertet die Daten umfangreich auf unterschiedliche Reaktionsmuster hin aus.