220
Demnach gibt es keine erheblichen regionalen Einschätzungsunterschiede, sodass
die Tatstruktur bezüglich der Orte auch als vergleichbar anzusehen ist.
Die vorhandenen polizeilichen Studien widmen sich auch den Tatmitteln der
Widerstandsübenden. Dabei konnte herausgefunden werden, dass häufig nur körperliche Mittel verwendet werden. Nur selten werden Messer, sonstige gefährliche
Werkzeuge, die geeignet sind, erhebliche Verletzungen hervorzurufen oder gar
Schusswaffen eingesetzt. Auch dieser Aspekt wurde in der Befragung berücksichtigt
und es konnte herausgefunden werden, dass alle Beamten einstimmig die körperlichen Tatmittel mit sehr häufig als wichtigstes Widerstandsmittel angaben.
Messer wurden nur selten, Schreckschusspistolen selten bis sehr selten und scharfe
Schusswaffen sehr selten bis nie genannt, ebenso wie sonstige gefährliche Gegenstände. Diese Ergebnisse deuten insgesamt darauf dahin, dass Konflikte zwischen
Bürger und Polizeibeamten in den meisten Fällen spontane und zuvor nicht geplante
Handlungen sind, da in der Regel nur ein planender Angreifer Waffen oder sonstige
gefährliche Werkzeuge für seinen Angriff bereithält. Es ist festzuhalten, dass bezüglich der Tatmittel keinerlei regionale Einschätzungsunterschiede bestehen,
sodass die Tatstruktur insoweit auch als vergleichbar anzusehen ist. Die Befunde zu den Tatmodalitäten zeigen keine wesentlichen Abweichungen zwischen
Kiel, Lübeck und Mannheim, sodass ein vergleichbares Konfliktpotenzial unterstellt werden kann.
C. Zusammenfassung und Bewertung der wichtigsten Erkenntnisse
Die vorliegende Arbeit betrachtet hauptsächlich die polizeiliche Situationsbewertung. Der Fragebogen enthielt dazu elf Konfliktbeispiele, die anhand vorgegebener Reaktionsmöglichkeiten zu bewerten waren. Die Gesamtschau der situativen Fragen (Mittelwerte der Antwortverteilung) zeigt, dass es nur geringe Unterschiede bei der Thematisierung von Konflikten sowie im Anzeigeverhalten gibt.
Bezogen auf die untersuchten Merkmale Stadt, Geschlecht, Dienstgrad und Diensterfahrung gibt es nachfolgende Erkenntnisse.
Regional differieren die Ergebnisse nur geringfügig (Abbildung 68). Für
Mannheim zeigt sich die Tendenz, Konflikte ohne Anzeige zu thematisieren, in den
zwei anderen Städten wurde etwas häufiger eine Thematisierung mit Anzeige genannt. Bei der geschlechtsspezifischen Unterteilung bestehen ebenfalls nur leichte
Abweichungen mit der Tendenz, dass die weiblichen Befragten eher eine Konflikt
schlichtende, deeskalierende Vorgehensweise und die männlichen Befragten eher
eine Thematisierung des Konflikts mit Anzeige wählten (Abbildung 69). Die
Merkmale Dienstgrad und Diensterfahrung wirken sich nicht messbar auf das Entscheidungsverhalten aus (Abbildungen 70 und 71). Diese Erkenntnisse sprechen
insgesamt dafür, dass die untersuchten Merkmale Geschlecht, Dienstgrad und
221
Diensterfahrung das Verrechtlichungsverhalten nicht wesentlich beeinflussen.
Weiterhin deuten die Befunde auf nur geringfügige regionale Bewertungsunterschiede hin. So wurden in Lübeck die vorgegebenen Konfliktsituationen eher verrechtlicht als in Kiel und Mannheim. Eklatante Unterschiede gibt es allerdings
auch hier nicht. Demzufolge können die Gründe für die regional unterschiedlichen
Hellfeldzahlen nicht durch eine grundsätzlich andere Konfliktbewältigungsstrategie,
sondern nur situationsbezogen erklärt werden. Um diese Vermutung zu prüfen, gilt
es, den Blick auf die Ergebnisse der einzelnen Situationen zu richten und die diesbezüglichen Erkenntnisse zunächst zusammenzufassen.
Die Antwortverteilung zu Situation 1 *ãGkp"cnmqjqnkukgtvgt"Mtchvycigph¯jtgt"uqnn"
zur Blutprobe auf das nächste Revier gebracht werden. Dieser weigert sich jedoch
cwu"ugkpgo"Mh¦"cwu¦wuvgkigp."j“nv"ukej"mtcorhjchv"co"Ngpmtcf"hguv"wpf"uciv<"ãJcw"
cd."qfgt"gu"rcuukgtv"ycu#Ð+"¦gkiv."fcuu"fkg"Dghtcivgp"kp"N¯dgem"cwh"fkg"xqtigigdgpg"
Situation deutlich häufiger mit einer Widerstandsanzeige reagierten als ihre
Kollegen in Mannheim und lediglich etwas häufiger als ihre Kollegen in Kiel. Bei
der geschlechtsspezifischen Auswertung der Antworten fällt auf, dass die weiblichen
Befragten tendenziell häufiger eine Deeskalationstaktik und die männlichen Befragten eher eine Durchsetzungsstrategie ohne Verrechtlichung wählten. Diese
unterschiedlichen Bewertungen wirken sich nicht auf das Anzeigeverhalten aus. Die
dienstgradbezogene Auswertung führt zu dem Ergebnis, dass die Beamten des
höheren Dienstes den Autofahrer im vorgegebenen Sachverhalt mit einem Unterschied von ca. 5 Prozent etwas seltener kriminalisierten als ihre Kollegen des
mittleren Dienstes. Diensterfahrene Befragte reagierten häufiger mit einer Deeskalationstaktik. Im Gegensatz hierzu thematisierten die dienstunerfahrenen
Polizeibeamten den Konflikt eher, entschieden sich allerdings gegen eine Anzeige.
Bei der Situation 2 *ãGjguvtgkv"okv"M…trgtxgtngv¦wpi" ¦wncuvgp"fgt"Htcw<" Ukg" grteilen dem Mann X rechtmäßig eine Wegweisung. Dieser weigert sich. Nach einem
Handgemenge zwischen Ihnen und X, lässt X von Ihnen ab, verlässt die Wohnung
cdgt"pkejv0Ð+"ywtfg" ugjt" j“whki" gkpg" Cp¦gkig" igpcppv0"Fcdgk" gpvuejkgfgp" ukej" fkg"
Befragten aus Lübeck mit einem deutlichen Abstand zu den Kieler und einem
großen Abstand zu den Mannheimer Probanden für eine Verrechtlichung. Die
Polizeibeamtinnen nannten häufig eine Deeskalationstaktik und die männlichen Befragten entschieden sich zu 10 Prozent häufiger für eine Mobilisierung. Sofern sie
eine Anzeige wählten, war diese öfter als bei den männlichen Befragten prophylaktisch. Mehr Probanden des gehobenen Dienstes tendierten im Gegensatz zu
denen des mittleren Dienstes zu einer Verrechtlichung der Situation. Leichte dienstzeitspezifische Unterschiede zeigen sich bei den prophylaktischen Anzeigen, deren
Anzahl mit steigender Diensterfahrung abnimmt.
222
Die Auswertung der Situation 3 („Auf einem Volksfest kommt es zu einer
Schlägerei zwischen zwei Jugendgruppen à drei Personen. Während der Sachverhaltsaufnahme entfacht die Schlägerei erneut. Bei der Trennung beider Parteien tritt
Ihnen Jugendlicher X absichtlich gegen Ihr Schienbein.“) ergibt, dass die Befragten
in Kiel und Lübeck häufiger als in Mannheim eine Anzeige nannten. Geschlechtsspezifische Unterschiede existieren nahezu nicht. Mehr Befragte des gehobenen
Dienstes entschieden sich für eine Mobilisierung. Die Dauer der Dienstzeit wirkt
sich nur geringfügig auf die Situationsbewertung aus. So wählten dienstjüngere
Beamte lediglich etwas häufiger eine Deeskalationstaktik und ihre dienstälteren
Kollegen etwas öfter eine Durchsetzungsstrategie, ohne sich für eine anschließende
Verrechtlichung zu entscheiden.
Die Antwortverteilung bei der Situation 4 („Sie wollen aus einer Gruppe von
Migranten eine einzelne Person X festnehmen. Hierbei drängen sich einige Mitglieder dieser Gruppe aggressiv zwischen Sie und X, um dessen Festnahme zu verhindern.“) zeigt, dass in Lübeck seltener eine Deeskalationstaktik gewählt wurde als
in Kiel und Mannheim. Die Lübecker nannten vielfach den Weg der Anzeige, teilweise auch prophylaktische Anzeigen. Viele männliche Polizeibeamte votierten für
eine Durchsetzungsstrategie mit Anzeige, anders als die Beamtinnen, die mehrheitlich eine Nichtverrechtlichung favorisierten. Die Befragten des mittleren Dienstes
entschieden sich viel häufiger für eine Verrechtlichung, wobei verhältnismäßig oft
auch prophylaktische Anzeigen genannt wurden. Besonders signifikante Differenzen
gibt es bei der dienstzeitbezogenen Unterteilung. Die Beamten mit einer hohen
Diensterfahrung von mindestens 16 Dienstjahren wählten doppelt so häufig wie die
übrigen Befragten eine Anzeige.
Die Situation 5 (Haftbefehlserledigung: „Als die Person X erkennt, dass Sie
Polizeibeamter sind, schlägt er die Wohnungstür 3-mal heftig zu, obwohl Sie Ihren
Fuß dazwischen gestellt haben. Danach lässt X sich ohne Gegenwehr festnehmen.“)
wurde von einer Vielzahl der Probanden lediglich als nicht zu verrechtlichender
Konflikt eingestuft, wobei die Lübecker diese Ansicht etwas seltener teilen als die
übrigen Beamten. In Kiel und Lübeck wurde gleichermaßen eine Anzeige als Reaktion angegeben, wobei sich in Lübeck mehr Beamte als in Kiel und Mannheim
von prophylaktischen Motiven leiten ließen. Bei der Situationsbewertung gibt es
deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede. Die männlichen Befragten bewerteten die Situation viel häufiger als Widerstand und entschieden sich für eine
Anzeige. Der Dienstgrad zeigt keinerlei Auswirkungen. Bei der dienstzeitspezifischen Auswertung ist festzustellen, dass dienstunerfahrene Beamte den Sachverhalt eher lediglich als Konflikt ansahen, während ihre diensterfahrenen Kollegen
eher den Weg der Verrechtlichung wählten.
223
Die Antwortverteilung bei der Situation 6 *ãGkpg" Rgtuqpgpitwrrg." kp" fgt" ukej"
auch X befindet, beleidigt eine Gruppe ausländischer Mitbürger aus offensichtlich
fremdenfeindlichen Gründen. Als Sie einschreiten, erhalten sie von X einen Faustjkgd"igigp"fgp"Qdgtcto0Ð+"n“uuv"gkpg"jqjg"Dgtgkvuejchv"gtmgppgp."fcu"Xgtjcnvgp"fgu"
widerständigen Bürgers zu kriminalisieren. Mehr als zwei Drittel der Befragten
wählten die Durchsetzungsstrategie mit Anzeige. Die geschlechtsspezifische Aufschlüsselung zeigt, dass die weiblichen Befragten häufiger eine Deeskalationstaktik
nannten, wobei diese Reaktion verhältnismäßig gesehen selten gewählt wurde. Die
Befragten des mittleren Dienstes entschieden sich öfter für eine Verrechtlichung,
wobei auch prophylaktische Anzeigen eine Rolle spielen. Bezogen auf die Dauer der
Dienstzeit fällt auf, dass die wenig diensterfahrenen Beamten seltener den Konflikt
thematisierten ohne diesen zu verrechtlichen.
Der in Situation 7 iguejknfgtvg" Mqphnkmv" *ãUkg" yqnngp" fkg" Owukmcpncig" xqp"
Person X in dessen Wohnung sicherstellen. Als Sie die Anlage nehmen, stürzt sich
X auf Sie, entreißt Ihnen die Anlage, legt sich auf den Bauch, begräbt die Anlage
wpvgt" ukej" wpf" tgcikgtv" cwh" mgkpg" Cpqtfpwpi"ogjt0Ð+" ywtfg" kp" cnngp" ftgk" Uv“fvgp"
vergleichbar bewertet. Etwa 30 Prozent aller Befragten entschieden sich für eine deeskalierende Vorgehensweise oder aber für eine Thematisierung mit Anzeige, ca. 40
Prozent nannten die Variante der Thematisierung ohne Anzeige. Die weiblichen Befragten wählten viel häufiger eine deeskalierende Vorgehensweise, anders als die
männlichen, die sich öfter für eine Durchsetzungsstrategie ohne Anzeige entschieden. Bei der Verteilung nach Dienstgraden konnte herausgefunden werden,
dass die Angehörigen des mittleren Dienstes vermehrt eine Durchsetzungsstrategie
mit einer anschließenden Verrechtlichung wählten, wobei auch teilweise prophylaktische Anzeigen eine Rolle spielten. Im Gegensatz dazu wählten die Probanden des gehobenen Dienstes häufiger eine Thematisierung ohne § 113 StGB zu
mobilisieren. Die Beamten mit viel Diensterfahrung entschieden sich häufiger für
eine Deeskalationsstrategie.
Bei der Situation 8 *ãFkg"Fwtejh¯jtwpi"gkpgt" tgejvo“?kigp"Dnwvgpvpcjog"yktf"
durch den gewaltbereiten Beschuldigten mittels kräftigen Verschränkens der Arme
cwh" fgo" T¯emgp" xgtjkpfgtvÐ0+" ikdv" gu" fgwvnkejg" tgikqpcng" Wpvgtuejkgfg" dgko" Cnzeigeverhalten. In Kiel wurde vermehrt und in Mannheim deutlich häufiger als in
Lübeck der Weg der Nichtverrechtlichung beschritten. Die übrigen Merkmale
wirken sich nur leicht aus. So entschieden sich die weiblichen Befragten öfter für
eine Deeskalationsstrategie, anders als die männlichen, die eher eine Durchsetzungsstrategie mit bzw. ohne Anzeige favorisierten. Die Befragten mit einer geringen und
mittleren Diensterfahrung neigten mehrheitlich und häufiger als ihre sehr diensterfahrenen Kollegen zu einer Durchsetzungsstrategie ohne Verrechtlichung. Die
Dienstunerfahrenen wählten nur relativ selten eine Deeskalationsstrategie.
224
Das Antwortverhalten zu Situation 9 *ãKp" gkpgt" Fkumqvjgm" pgjogp" Ukg" fkg"
Personalien von X auf, als sich zwei stark angetrunkene männliche Personen
zwischen Sie und X stellen. Diese versuchen die Maßnahme zu stören, indem sie Sie
ciitguukx"uejwdugp"wpf"Ukg"cdft“pigp0Ð+"n“uuv"cwh"fgwvnkejg"Dgygtvwpiuwpvgtuejkgfg"
schließen. Die Probanden in Kiel und Lübeck nannten weitaus häufiger den Weg der
Widerstandsanzeige. Die Mannheimer Probanden entschieden sich öfter für eine
Thematisierung ohne Anzeige. Auch die Antworten der Geschlechter unterschieden
sich. Die Polizeibeamtinnen wählten etwas häufiger den Weg der Thematisierung
ohne Anzeige, wobei auch prophylaktische Anzeigen genannt wurden. Bezüglich
des Dienstgrades zeigen sich keine Unterschiede. Mehr Befragte mit einer mittleren
Diensterfahrung wählten die Durchsetzungsstrategie ohne Verrechtlichung, votierten
jedoch seltener für eine Deeskalationstaktik.
Bei der Situation 10 *ãUkg" uvgnngp"Z"cwh" htkucher Tat, beim Versuch einen Pkw
aufzubrechen. Um sich der Festnahme zu entziehen, sticht X mit einem Schraubenftgjgt" kp"Kjtg"Tkejvwpi"wpf"xgtuwejv"uqfcpp."Ukg"okv"fgo"Hw?"¦w" vtgvgp0Ð+"ikdv"gu"
mit einem Mindestanteil von 90 Prozent eine signifikant hohe Mobilisierungsbereitschaft, was aufgrund der Tathandlung auch naheliegend ist. Die geschlechtsspezifische Verteilung der Antworten zeigt nur geringfügig Abweichungen, ebenso verhält es sich bei den Merkmalen Dienstgrad und Dienstzeit.
Das Verhalten in Situation 11 *ãCwh"fgo"Dcjpjqhuxqtrncv¦"Kjtgt"Uvcfv"o…ejvgp"
Ukg"fkg"Rgtuqpcnkgp"gkpgt"Rgtuqp"cwhpgjogp."fkg"qhhgpukejvnkej"fgt"ãRwpmu¦gpgÐ"¦uigj…tki"kuv0"Fcdgk"ft“pigp"ukej"¦ygk"ygkvgtg"ãRwpmuÐ"ciitguukv dazwischen, um die
Oc?pcjog"¦w"xgtjkpfgtp0Ð+"ywtfg"xqp"fgt"Ogjtjgkv"fgt"Dghtcivgp"pkejv"¯dgt"gkpg"
Anzeige kriminalisiert, sondern eine Deeskalationstaktik oder eine Thematisierung
ohne Anzeige genannt. Es konnte herausgefunden werden, dass sich in Lübeck mehr
Beamte für eine Verrechtlichung entschieden als in Kiel und Mannheim. Die weiblichen Befragten wählten häufiger eine Deeskalationsstrategie, anders als die männlichen, die bevorzugt eine Durchsetzungstaktik mit bzw. ohne Anzeige nannten. Der
Dienstgrad hat keinen wesentlichen Einfluss auf das Kriminalisierungsverhalten der
Befragten. Jedoch fällt auf, dass die Probanden des mittleren Dienstes eher eine Deeskalationstaktik wählten und die Probanden des gehobenen Dienstes sich eher für
eine Durchsetzungsstrategie ohne eine Anzeige entschieden. Die dienstzeitbezogene
Auswertung ergibt, dass Befragte mit einer hohen Diensterfahrung leicht häufiger
eine Deeskalationstaktik wählten, während diejenigen mit einer mittleren und
geringen Dienstzeit eher zu einer Durchsetzungsstrategie ohne Anzeige tendierten.
225
I. Regionale Besonderheiten bei einzelnen Konflikten
Die Gesamtschau (Abbildung 68) macht deutlich, dass es regional betrachtet kein
grundsätzlich unterschiedliches Antwortverhalten gibt. Daher gilt der Blick
regionalen Auffälligkeiten bei einzelnen Konflikten. Abweichungen von 10 Prozent und mehr haben sich wie folgt ergeben.
Der Mqphnkmv" ãAlkoholisierter Kraftwagen-H¯jtgtÐ" *Ukvwcvkqp" 3+" wurde
regional unterschiedlich bewertet: In Kiel und Lübeck gaben je etwa 32 Prozent
bzw. 36 Prozent der Befragten eine Anzeige als Reaktion an, in Mannheim waren es
nur 23 Prozent. Für eine Thematisierung ohne Mobilisierung entschieden sich in
Kiel 36 Prozent, in Lübeck 28 Prozent und in Mannheim 40 Prozent (Abbildung 24).
Beim Konflikt ãJ“wunkejg" IgycnvÐ (Situation 2) wurde in allen drei Städten
verhältnismäßig oft eine Mobilisierung genannt (Abbildung 28), wobei die Lübecker
diese Reaktion mit 90 Prozent häufiger wählten als die Kieler (81 Prozent) und die
Mannheimer (74 Prozent). Auch bei den Einsatzanlässen, bei denen es nach Einschätzung der Probanden häufig zu Widerstandshandlungen kommt, liegt häusliche
Gewalt an der Spitze (Abbildung 18). Die Gründe für dieses Antwortverhalten
können vielfältig sein. Zum einen besteht beim Eintreffen der Beamten oft ein hohes
Konfliktpotenzial wegen vorherigen oder noch andauernden körperlichen Auseinandersetzungen zwischen den Eheleuten. Dem Ehemann436 droht mit dem Eintreffen der Beamten eine Wegweisung im Sinne der jeweiligen Ländergesetze,
Gesetzesgrundlage in Schleswig-Holstein ist § 201a LVwG und in Baden-Württemberg die allgemeinen landesrechtlichen Regeln zur Gefahrenabwehr. Es drohen ihm
erhebliche Konsequenzen. Er kann von der Polizei bzw. in Baden-Württemberg
nach einer Anordnung des Ordnungsamtes für einen bestimmten Zeitraum aus der
Wohnung verwiesen werden, wobei es belanglos ist, ob er oder die Frau Mieter oder
sogar Eigentümer ist. Insofern siedelt der Gesetzgeber zu Recht Opferschutz höher
an als die uneingeschränkte Ausübung dinglicher Rechte durch den Berechtigten. Es
kann, sofern sich der Ehemann über diese Konsequenzen im Klaren ist, zu einer Zunahme der Abwehrbereitschaft kommen.
Die hohe Anzeigebereitschaft bei den Befragten kann auch dem Untersuchungsgegenstand entsprechend mit dem polizeilichen Etikettierungsverhalten erklärt
werden, das offenbar auch von der Situation beeinflusst wird. Die Befragten entschieden sich häufiger als bei anderen Konflikten dafür, den Widerstandsparagrafen
436 In der Regel gibt es einen signifikanten Männeranteil auf der Täterseite und einen signifikanten Frauenanteil auf der Opferseite. Vgl. etwa: Frommel *4226c+." 503040" U0" 6<" ãBei
schweren Misshandlungen innerhalb der Familie, die etwa mit einer Wegweisung beantwortet werden, sind Frauen und Kinder die Opfer, nicht aber die TäterinnenÐ0" Gdenso
eine Online-Veröffentlichung des niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Frauen,
Familie und Gesundheit unter URL: http://www.ms.niedersachsen.de/master/C739040_
P968285aN42aF2aK8960jvon" *¦wngv¦v" cwhigtwhgp" co" 4803304229+<" ãIn 90 Prozent bis 95
Prozent der Fälle häuslicher Gewalt sind Frauen die Opfer und Männer Täter0Ð"
226
gegen den gewalttätigen Ehemann zu mobilisieren. Dies deutet insgesamt auf eine
taktisch kluge Vorgehensweise in Fällen der häuslichen Gewalt hin. Durch die
polizeiliche Verrechtlichung des Konfliktes über eine Mobilisierung des Widerstandsparagrafen können sich die betroffenen Ehefrauen (und ihre Kinder), die
häufig437 selbst keine Anzeige wegen Körperverletzung gegen den Ehemann (bzw.
Vater) stellen wollen, auf einen polizeilich festgestellten Sachverhalt berufen.438 Der
anzeigende Polizeibeamte kann als Zeuge vor Gericht aussagen.
Das Antwortverhalten der befragten Polizeibeamten kann ferner damit erklärt
werden, dass häusliche Gewalt vermehrt wahrgenommen wird, seit es hierfür
deutschlandweit einige Vernetzungsprojekte gibt. Frommel konnte die erhöhte
polizeiliche Registrierung von Fällen der häuslichen Gewalt, insbesondere auch bei
leichteren Fällen, für Kiel anhand statistischer Daten nachweisen.439 Demnach wird
tatsächlich intensiver reagiert, allerdings zunächst ausschließlich polizeilich.440
Deutliche regionale Unterschiede zeigen sich auch beim Mqphnkmv"ãDnwvrtqdgÐ"
(Situation 8). Hier nannten die Befragten mehrheitlich eine Durchsetzungsstrategie,
wobei es klare Unterschiede bei der Verrechtlichungsentscheidung gibt (Abbildung
52). In Kiel und Mannheim entschieden sich die Polizeibeamten mit je etwa 60 Prozent der Nennungen häufiger gegen eine Mobilisierung als in Lübeck (44 Prozent).
Die Befragten aus Lübeck hingegen nannten vielfach eine Anzeige (41 Prozent).
Regionale Bewertungsunterschiede existieren auch beim Mqphnkmv" ãFkumqvjgmÐ"
(Situation 9). In Kiel und Lübeck wurde mit 51 Prozent bzw. 48 Prozent viel
häufiger eine Anzeige als Reaktion genannt als in Mannheim. Dort beträgt der Anteil lediglich 21 Prozent (Abbildung 56). Für eine Thematisierung ohne
Mobilisierung entschieden sich in Kiel 32 Prozent, in Lübeck 31 Prozent und in
Mannheim 51 Prozent. Dabei fällt auf, dass das Bewertungsverhalten in den zwei
norddeutschen Städten einheitlich ist.
437 Siehe unter URL: http://www.kik-sh.uni-kiel.de/ (zuletzt aufgerufen am 26.11.2007).
438 Siehe auch zum polizeilichen Reaktionsmuster auf häusliche Gewalt an Frauen unter URL:
http://www.kik-sh.uni-mkgn0fg1" s" Fkg" uvtchtgejvnkejgp" Tgcmvkqpgp" s" Rqnk¦gknkejg" Teaktionsmuster (zuletzt aufgerufen am 26.11.2007). Die Bereitschaft, Fälle der häuslichen
Gewalt über eine Strafanzeige zu verrechtlichen, ist seit 2001 deutlich angestiegen (siehe
hierzu unter URL: http://www.kik-sh.uni-mkgn0fg1"s"Yktmwpiuygkugp"fgu"MKM."U06." ¦wngv¦v"
aufgerufen am 19.11.2007). Diese Tendenz kann sich auch auf die Anzahl der registrierten
Widerstände auswirken, da - wie wir gesehen haben - der Weg einer Verrechtlichung eines
derartigen Konfliktes offenbar auch über § 113 StGB für gangbar gehalten wird.
439 Frommel (2004b), S. 316, 324 f. Allerdings geht es hier insgesamt um die polizeiliche
Registrierung von Fällen der häuslichen Gewalt. Ein unmittelbarer Kontext zum Widerstandsparagraf ist insofern nicht behandelt worden.
440 Frommel (2004b), S. 316, 324 f. Dass sich die polizeiliche Einstellung bezogen auf
Familienstreitigkeiten noch vor einigen Jahren nahezu gegenteilig darstellte, zeigte eine
Untersuchung von Steffen/Polz (1991, S. 33), die in Gesprächen mit Polizeibeamten herausfanden, dass sich aus Sicht der Beamten die Erstattung von Strafanzeigen als allgemein nutzlos darstelle. Demnach erwarteten die misshandelten Frauen alles andere als die Aufnahme
einer Strafanzeige und die Staatsanwaltschaft würde ohne die Anzeigen mangels öffentlichen
Interesses einstellen.
227
Die Darlegung der regionalen Besonderheiten mit einer Abweichung von
mindestens 10 Prozent zeigt, dass es Konflikte gibt, die von den Polizeibeamten
der untersuchten Städte unterschiedlich bewertet wurden, sodass sich die Art
des Konfliktes sowie die Stadt, in der er stattfindet, offenbar auf die Registrierungsentscheidung und somit auf die Anzeigenhäufigkeit auswirken.
II. Geschlechtsspezifische Besonderheiten bei einzelnen Konflikten
Die Auswertung der Situationen hat auch personenbezogene Merkmale der Polizeibeamten einbezogen und überprüft, ob diese Auswirkungen auf das polizeiliche Anzeigeverhalten haben. Die Zahlen zur Antwortverteilung bezogen auf alle situativen
Fragen sowie die abstrakten Einschätzungsfragen ergeben eine leichte Tendenz der
weiblichen Befragten, Konflikte mit einer Deeskalationstechnik zu lösen. Die männlichen Polizeibeamten entschieden sich hingegen etwas häufiger für eine Durchsetzungsstrategie mit einer anschließenden Mobilisierung des Widerstandsparagrafen (Abbildung 69). Im Folgenden werden die Situationen betrachtet, auf die sich
die Variable Geschlecht mit einer Abweichung von mindestens 10 Prozent auswirkt.
Beim Konflikt „Alkoholisierter Kraftwagen-Führer“ (Situation 1) gibt es zwar
keinerlei geschlechtsspezifische Unterschiede beim Anzeigeverhalten, jedoch entschieden sich die weiblichen Befragten mit 44,6 Prozent deutlich häufiger als die
männlichen (31,9 Prozent) für eine deeskalierende Vorgehensweise (Abbildung 25).
Die männlichen Beamten nannten häufiger eine Durchsetzungsstrategie ohne Anzeige und tendierten häufiger zu einer Thematisierung, lehnten allerdings eine Verrechtlichung ab. Somit wirkt sich die Variable Geschlecht nahezu gar nicht auf die
Häufigkeit der Mobilisierung aus, jedoch variiert die Wahl der Taktik geschlechtsspezifisch. Diese Situation lässt sich insoweit verallgemeinern, als hier zumindest
die Möglichkeit noch offen ist, den Konflikt mit guten Erfolgsaussichten verbal zu
lösen. Sofern sich eine derartige Möglichkeit bietet, scheinen die Beamtinnen
häufiger deeskalierend vorzugehen. Diese Aussage wird auch durch deren eigene
Einschätzung des Verrechtlichungsverhaltens bestätigt. Die weiblichen Befragten
nannten häufiger als ihre männlichen Kollegen eine Verrechtlichung von Konflikten,
wenn sich der Widerstandsübende massiv zur Wehr setzt und eine deeskalierende
Vorgehensweise keine Wirkung zeigt (Abbildung 77). Ebenso gaben sie häufiger an,
bei konfliktartigen Situationen im Zweifel keine Widerstandsanzeige zu veranlassen
(Abbildung 81).
Auch bei der Bewertung des Konfliktes „Häusliche Gewalt“ (Situation 2) gibt
es Unterschiede (Abbildung 29). Die männlichen Befragten wählten mit 83,9 Prozent zu 10 Prozent häufiger als die weiblichen Probanden eine Durchsetzungsstrategie mit Anzeige. Die Polizeibeamtinnen entschieden sich etwas häufiger für
eine deeskalierende Vorgehensweise oder eine Durchsetzungsstrategie ohne An-
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Arbeit knüpft an das irritierende Faktum an, dass in der Hansestadt Lübeck zumindest in den Jahren 1999 bis 2004, aber auch noch aktuell, deutlich mehr Delikte wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 StGB registriert worden sind als in Kiel. Dennoch ist die Zahl der Verurteilten nahezu gleich. Es liegt die Vermutung nahe, dass nur mehr Widerstände thematisiert werden als verurteilt.
Bisher vorhandene Studien zum Thema Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gehen zumeist ätiologisch vor. Sie liefern keine Erklärung für das unterschiedliche Registrierungsverhalten, aber wichtige Vorerkenntnisse über die zu erwartenden Konflikte und sozialen Besonderheiten der „widerständigen“ Personen.
Die Arbeit knüpft an diese Erkenntnisse an, überprüft sie bezüglich ihrer Aktualität und stellt einen eigenen vollständigen theoretischen Ansatz auf. Dieser kriminalsoziologische Ansatz unterscheidet zwischen Wahrnehmung eines Konfliktes, Thematisierung des Konfliktes und Mobilisierung des Widerstandsparagrafen. Die Datenerhebung erfolgte per schriftlicher Befragung mit Interviews bei 300 Polizeibeamtinnen und -beamten. Einbezogen wurden Kiel, Lübeck und – des regionalen Vergleichs wegen – die sozialstrukturell vergleichbare Stadt Mannheim. Abgefragt wurden zahlreiche Konfliktkonstellationen und Einflussfaktoren, solche wie Geschlecht, Diensterfahrung und Dienstgrad. Die Arbeit wertet die Daten umfangreich auf unterschiedliche Reaktionsmuster hin aus.