130
Damit kann die erste Annahme, dass die Polizeibeamten in Kiel, Lübeck und
Mannheim bestimmte Konflikte in vergleichbarer Weise wahrnehmen, da sie aufgrund einer vergleichbaren Aus- und Fortbildungssituation vergleichbare rechtliche
und soziale Kenntnisse und Fähigkeiten besitzen, als hinreichend geprüft und folglich als nicht falsifiziert angesehen werden. Die Ursachen für die abweichende
Registrierung von Widerstandshandlungen nach § 113 StGB liegen demzufolge mit
hoher Wahrscheinlichkeit nicht auf der Ebene der Wahrnehmung.
D. Einflüsse auf die Registrierungsentscheidung
Die Gründe für die regional abweichenden Tatzahlen liegen sehr wahrscheinlich
nicht auf der Ebene der polizeilichen Wahrnehmung. Daher widmen wir uns nun
den Entscheidungsstufen der Thematisierung und der Mobilisierung. Der Fragebogen enthielt 11 strittige Situationen, anhand derer das polizeiliche Entscheidungsverhalten geprüft wird, wobei zwischen regionalen und persönlichen Merkmalen zu
differenzieren ist.
Die zweite Annahme<"ãFkg"Fkxgtigp¦"rqnk¦gknkej"tgikuvtkgtvgt"Ykfgtuvcpfujcpdlungen nach § 113 StGB kann mit unterschiedlichen Entscheidungen der Beamten
über die Verrechtlichung von an sich vergleichbaren Konflikten erklärt werden. Die
Entscheidungsstufen Thematisierung und Mobilisierung werden in Kiel, Lübeck und
Mannheim aus taktischen Gründen unterschiedlich gehandhabt. Die Divergenz lässt
sich demnach durch unterschiedliche Entscheidungen auf der Stufe der
Vjgocvkukgtwpi" wpf" fgt" Oqdknkukgtwpi" gtmn“tgp0Ð" yktf" cpjcpf" fkgugt" ukvwcvkxgp"
Fragen geprüft. Das Entscheidungsverhalten wird nach regionalen Unterschieden
durchleuchtet.
Die dritte Annahme<" ãFkg" Hcmvqtgp" Iguejngejv" fgu" jcpfgnpfgp" Dgcovgp."
Dienstgrad und Diensterfahrung können sich auf das polizeiliche Entscheidungsverhalten auswirken. Eine regional unterschiedliche Vorgehensweise bei an sich
vergleichbaren Konflikten kann auch durch eine regional unterschiedliche
personalstrukturelle Verteilung erklärt werden. Ferner können auch prophylaktische
Cp¦gkigp"fkg"Hcnn¦cjngp"dggkphnwuugp0Ð"yktf"gdgphcnnu"cpjcpf"fgt"ukvwcvkxgp"Htcigp"
geprüft, wobei hier das Entscheidungsverhalten nach den genannten Merkmalen
aufgeschlüsselt und auf mögliche Unterschiede hin durchleuchtet wird. Dabei
werden auch prophylaktische Anzeigen berücksichtigt.
Die strittigen Situationen wurden so ausgewählt, dass sie einerseits eng an die alltägliche polizeiliche Routine angelehnt sind und andererseits inhaltlich eine umfassende Bandbreite abdecken. Für die vorliegende Untersuchung ist die unmittelbare Reaktion interessant. Daher war jeder Sachverhalt mit der Aufforderung versehen: Bitte versetzen Sie sich in die dargestellte Situation. Wie wäre Ihre unmittelbare Reaktion? Aus den vorgegebenen Reaktionsmöglichkeiten konnte jeweils nur
eine ausgewählt werden, sog. Einfachauswahl. Dabei war auszuklammern, dass die
131
Konflikte in der Realität noch weiterverlaufen wären, und sodann ein anderes
Aktions-Reaktionsgefüge vorliegen könnte.
I. Situation 1: alkoholisierter Kraftwagenführer
Die erste Situation beinhaltete die Kontrolle eines alkoholisierten Autofahrers und
yct" hqnigpfgtoc?gp" xqtigigdgp<" ãGkp" cnmqjqnkukgtvgt" Mtchvycigph¯jtgt" uqnn" ¦wt"
Blutprobe auf das nächste Revier gebracht werden. Dieser weigert sich jedoch aus
ugkpgo"Mh¦"cwu¦wuvgkigp."j“nv"ukej"mtcorhjchv"co"Ngpmtcf"hguv"wpf"uciv<"ãJcw"cd."
oder es passiert ycu#Ð
Die rechtliche Würdigung dieses Sachverhaltes kann auf die Erfüllung des Tatbestandes des § 113 StGB schließen lassen. Betrachten wir zunächst das krampfhafte Festhalten am Lenkrad. Die tatrichterliche Praxis, die bei der Annahme von
Gewalt im Sinne des Widerstandsparagrafen recht großzügig vorgeht400, sieht eine
tatbestandsmäßige Widerstandshandlung bereits darin, dass sich der Vollstreckungsadressat mit aller Kraft am Lenkrad festhält.401 Nach den vom Reichsgericht entwickelten402 und vom Bundesgerichtshof übernommenen403 Grundsätzen, die sich
damit beschäftigten, wann eine Widerstandshandlung vorliegt, ist es ausreichend,
dass der sich widersetzende Bürger eine auch nur mittelbar wirkende Kraftentfaltung
im Zeitpunkt der Diensthandlung gegen den Beamten einsetzt. Diese Kraftentfaltung
muss dergestalt wirken, dass der Beamte seine Amtshandlung nicht ausführen kann,
ohne seinerseits eine nicht ganz unerhebliche Kraft aufwenden zu müssen.404
Überträgt man diese Grundsätze auf den vorgegebenen Sachverhalt, so kann bereits
im krampfhaften Festhalten am Lenkrad ein tatbestandliches Widerstandleisten gesehen werden. In der Literatur wird eine solche Einschätzung teilweise als zweifelhaft eingestuft, da sie den Tatbestand zu weit ausdehne.405
Der zu kontrollierende Autqhcjtgt"m¯pfkivg" hgtpgt"cp<" ãJcw"cd."qfgt"gu"rcuukgtv"
ycu#Ð"Fkgug"‘w?gtwpi"mcpp"fgp"Vcvdguvcpf"fgu"¸ 113 StGB erfüllen, wenn sie eine
Drohung ist, die sich auf eine die Vollstreckungshandlung unmittelbar verhindernde
oder erschwerende Gewaltausübung406 bezieht. Notwendige Voraussetzung ist, dass
eine aktive Gewalthandlung gegen den Vollstreckungsbeamten angedroht wird.407
Cnngkpg"fkg"Cpm¯pfkiwpi"ãJcw"cd."qfgt"gu"rcuukgtv"ycu#Ð"dgkpjcnvgv"cnngtfkpiu"pqej"
keine Drohung mit Gewalt und erfüllt daher den Tatbestand des § 113 StGB aus
rechtlicher Sicht nicht.
400 Fischer (2008), § 113 Rn. 24.
401 VRS 56, S. 144.
402 RGSt 27, S. 405; RGSt 45, S. 156.
403 BGH VRS 4, S. 44.
404 BGHSt 18, S. 133 ff.
405 Etwa Fischer (2008), § 113 Rn. 24; kritisch auch NK-StGB/Paeffgen (2005) § 113 Rn. 29.
406 Fischer (2008), § 113 Rn. 26.
407 Schönke/Schröder-Eser (2006), § 113 Rn. 45.
132
1. Regionale Situationsbewertung
Zunächst werden die Antworten regional aufgeschlüsselt (Abbildung 24). Etwa ein
Drittel aller Befragten wählte als unmittelbare Reaktion eine Deeskalationstaktik
ohne die Situation anschließend zu verrechtlichen. Der Konflikt endete somit auf der
Stufe der Thematisierung. 5 Prozent entschieden sich für eine Durchsetzungsstrategie und eine prophylaktische Verrechtlichung. Die Widerstandsanzeige wurde
also schon deswegen veranlasst, um dienst- und strafrechtlichen Konsequenzen vorzubeugen. Die restlichen Antworten verteilen sich auf die übrigen zwei Reaktionsmöglichkeiten: Ein Viertel entschied sich für eine Durchsetzungsstrategie mit Verrechtlichung. Knapp 35 Prozent der Probanden aus Kiel würden den Konflikt zwar
thematisieren, eine Mobilisierung des § 113 StGB allerdings vermeiden.
Abbildung 24: Regiopcng"Dgygtvwpi"fgu"Mqphnkmvgu"ãclkoholisierter
Kraftycigph¯jtgtÐ
Bei der Reaktionsvariante Deeskalationstaktik gibt es keine wesentlichen Unterschiede zwischen den untersuchten Städten. In Kiel wurde diese Reaktion mit einer
Differenz von 4 Prozent etwas seltener gewählt als in Mannheim und Lübeck. Auch
die Durchsetzungsstrategie mit prophylaktischer Anzeige wurde in allen drei Städten
nur selten als Reaktion gewählt.
Aufschlussreicher gestaltet sich hingegen die Antwortverteilung bei der Durchsetzungsstrategie mit Verrechtlichung und bei der Durchsetzungsstrategie ohne Verrechtlichung. Hier zeigen sich regionale Unterschiede. Während in Mannheim mit
16 Prozent bei der Verrechtlichung und 40 Prozent bei der Nichtverrechtlichung
§ 113 StGB deutlich seltener mobilisiert wurde, war dies in Kiel mit einer Antwortverteilung von 27 Prozent zu 36 Prozent häufiger der Fall. Mit einem Anteil von 31
0 10 20 30 40 50
Durchsetzungsstrategie ohne Anzeige
Durchsetzungsstrategie und Anzeige
Durchsetzungsstrategie und
prophylaktische Anzeige
deeskalierende Strategie
Prozent
Mannheim (n = 100) Lübeck (n = 100) Kiel (n = 100)
133
Prozent wurde der Widerstandsparagraf in Lübeck am häufigsten mobilisiert. Nur 28
Prozent der Lübecker Befragten entschieden sich für eine Thematisierung ohne Verrechtlichung und rangieren damit an letzter Stelle mit einem deutlichen Abstand zu
Kiel und Mannheim. Addiert man die Ergebnisse der zwei Antwortvarianten, die
eine Verrechtlichung des Konflikts vorsahen unabhängig von prophylaktischen
Motiven, so zeigt sich, dass in Lübeck mit einem Anteil von 36 Prozent und in Kiel
mit einem Anteil von 32 Prozent deutlich häufiger die Mobilisierungsstufe beschritten wurde als in Mannheim, wo der Anteil bei lediglich 23 Prozent liegt.
2. Geschlechtsspezifische Situationsbewertung
Im folgenden Schritt werden die Angaben der Befragten auf geschlechtsspezifische
Unterschiede hin untersucht (Abbildung 25).
Abbildung 25: Geschlechtsspezifische Bewertung des Konfliktes
ãcnmqjqnkukgtvgt"Mtchvycigph¯jtgtÐ
Bei den zwei Antwortvarianten Durchsetzungsstrategie mit Anzeige bzw. mit
prophylaktischer Anzeige gibt es keine geschlechtsspezifischen Unterschiede.
Lediglich die prophylaktischen Motive dominieren bei den männlichen Probanden
leicht. Deutliche Abweichungen im Antwortverhalten bestehen bei der Deeskalationstaktik und bei der Durchsetzungsstrategie ohne Verrechtlichung.
Während sich knapp 37 Prozent der Polizeibeamtinnen für eine Durchsetzungsstrategie ohne Anzeige entschieden, taten ihnen dies lediglich etwa 28 Prozent ihrer
0 10 20 30 40 50
Durchsetzungsstrategie ohne Anzeige
Durchsetzungsstrategie und Anzeige
Durchsetzungsstrategie und
prophylaktische Anzeige
deeskalierende Strategie
Prozent
weiblich (n = 65) männlich (n = 235)
134
männlichen Kollegen gleich. Eine Deeskalationsstrategie wählten 32,6 Prozent der
männlichen und 45,3 Prozent der weiblichen Befragten.
Die Verteilung der Antworten macht deutlich, dass nahezu keine geschlechtsspezifischen Unterschiede im Anzeigeverhalten vorhanden sind. Abweichungen gibt
es allerdings bei der Thematisierung ohne Anzeige, für die sich die männlichen Befragten häufiger entschieden und der deeskalierenden Vorgehensweise, die von
weiblichen Befragten favorisiert wurde.
3. Dienstgradspezifische Situationsbewertung
Schließlich ist zu überprüfen, ob sich die Reaktionen der Beamten des mittleren und
des gehobenen Dienstes unterscheiden (Abbildung 26).
Abbildung 26: Dienstgradspezifische Bewertung des Konfliktes
„alkoholisierter Kraftwagenführer“
Bezüglich der Deeskalationstaktik und der Durchsetzungsstrategie mit prophylaktischer Anzeige unterscheidet sich die Antwortverteilung mit 35,1 Prozent zu
37,3 Prozent bzw. jeweils 6 Prozent nahezu nicht. Leicht abweichende Einschätzungen zeigen sich hingegen bei der Entscheidung darüber, ob der Konflikt
nach der Thematisierung verrechtlicht werden soll. Offenbar neigten die Beamten
des gehobenen Dienstes bei der vorgegebenen Situation mit einer Differenz von ca.
5 Prozent etwas häufiger als ihre Kollegen des mittleren Dienstes dazu, die Situation
nicht zu verrechtlichen.
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135
4. Dienstzeitspezifische Situationsbewertung
Fraglich ist, wie sich die Dauer der Dienstzeit auf die Vorgehensweise in der dargelegten Situation auswirkt (Abbildung 27). Es fällt zunächst die relativ konstante
Verteilung bei den Antwortmöglichkeiten der Durchsetzungsstrategie mit prophylaktischer Anzeige und bei der Durchsetzungsstrategie mit Anzeige auf. Dienstzeitspezifische Unterschiede gibt es bei der Deeskalationstaktik und bei der Durchsetzungsstrategie ohne Verrechtlichung.
Die treppenartige Abstufung legt nahe, dass Ersteres offenbar etwas häufiger von
Beamten mit einer mittleren und hohen Diensterfahrung und Letzteres vermehrt von
eher unerfahrenen Polizeibeamten als Reaktion gewählt wurde. Diese Angaben
deuten auf eine unterschiedliche Vorgehensweise bei der Wahl der Strategie hin. Erfahrene Beamte bevorzugten eine Deeskalationstaktik.
Abbildung 27: Dienstzeitspezifische Bewertung des Konfliktes
ãanmqjqnkukgtvgt"Mtchvycigph¯jtgtÐ
Befragte mit nur wenig Diensterfahrung tendierten eher zur Thematisierung, verzichteten jedoch tendenziell auf eine anschließende Mobilisierung. Insgesamt
scheint sich die Dauer der Dienstzeit jedoch nicht merklich auf die Entscheidung
über die Verrechtlichung auszuwirken. § 113 StGB wurde in der vorgegebenen
Situation unabhängig von der Diensterfahrung von den Beamten des mittleren und
des gehobenen Dienstes nahezu gleichermaßen mobilisiert.
0 10 20 30 40 50
Durchsetzungsstrategie ohne Anzeige
Durchsetzungsstrategie und Anzeige
Durchsetzungsstrategie und
prophylaktische Anzeige
deeskalierende Strategie
Prozent
16 .. 44 Jahre (n = 95) 6 .. 15 Jahre (n = 130) 1 .. 5 Jahre (n = 75)
136
5. Ergebnis
Die Antwortverteilung zeigt insgesamt, dass die Befragten in Lübeck auf die vorgegebene Situation deutlich häufiger mit einer Widerstandsanzeige reagierten als
ihre Kollegen in Mannheim und lediglich etwas häufiger als ihre Kollegen in Kiel.
Bei der geschlechtsspezifischen Auswertung der Antworten fällt auf, dass die weiblichen Befragten tendenziell häufiger eine Deeskalationstaktik und die männlichen
Befragten eher eine Durchsetzungsstrategie ohne Verrechtlichung wählten. Diese
unterschiedlichen Bewertungen wirken sich allerdings mit einem nur geringfügigen
Unterschied von 3,4 Prozent nahezu gar nicht auf das Anzeigeverhalten aus. Die
dienstgradbezogene Auswertung führt zu dem Ergebnis, dass die Beamten des
höheren Dienstes den Autofahrer im vorgegebenen Sachverhalt mit einem Unterschied von ca. 5 Prozent etwas seltener kriminalisierten als ihre Kollegen des
mittleren Dienstes. Diensterfahrene Befragte reagierten häufiger mit einer Deeskalationstaktik. Im Gegensatz hierzu thematisierten die dienstunerfahrenen
Polizeibeamten den Konflikt eher, entschieden sich allerdings gegen eine Mobilisierung des Widerstandsparagrafen.
II. Situation 2: häusliche Gewalt
Der zweite Sachverhalt beinhaltete das Phänomen der häuslichen Gewalt. Folgende
Situation war vorgegeben: „Ehestreit mit Körperverletzung zulasten der Frau: Sie
erteilen dem Mann X rechtmäßig eine Wegweisung. Dieser weigert sich. Nach
einem Handgemenge zwischen Ihnen und X, lässt X von Ihnen ab, verlässt die
Wohnung aber nicht.“
Die rechtliche Würdigung lässt je nach Auslegung des Begriffs Handgemenge auf
eine Erfüllung des Widerstandsparagrafen schließen. Da ein Handgemenge schon
einen körperlichen Kraftaufwand beinhaltet und dieser gegen die Person des Vollstreckenden gerichtet war, um die Durchsetzung der Diensthandlung zumindest zu
erschweren, kann hierin bereits ein tatbestandliches Widerstandleisten mit Gewalt
gesehen werden. Für die Annahme eines tätlichen Angriffs, der stets eine auf den
Körper des Beamten zielende feindselige Einwirkung voraussetzt408, fehlen weitere
Anhaltspunkte.
Dieser Konflikt zielte darauf ab, das Phänomen der häuslichen Gewalt näher zu
beleuchten, welches spätestens mit der Einführung des Gewaltschutzgesetzes und
dem Aktionsplan der Bundesregierung vom Dezember 1999 wieder in den Fokus
öffentlicher Debatten gerückt ist. Dabei wird das Gewaltschutzgesetz flankiert von
408 So schon RGSt. 7, S. 301; 59, S. 264; auch LK-StGB/Bubnoff (1994); § 113 Rn. 17; Fischer
(2008), § 113 Rn. 27; Lackner/Kühl (2007), § 113 Rn. 6; NK-StGB/Paeffgen (2005), Rn. 31;
§ 113 Rn. 19; Schönke/Schröder-Eser (2006), § 113 Rn. 46.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Arbeit knüpft an das irritierende Faktum an, dass in der Hansestadt Lübeck zumindest in den Jahren 1999 bis 2004, aber auch noch aktuell, deutlich mehr Delikte wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 StGB registriert worden sind als in Kiel. Dennoch ist die Zahl der Verurteilten nahezu gleich. Es liegt die Vermutung nahe, dass nur mehr Widerstände thematisiert werden als verurteilt.
Bisher vorhandene Studien zum Thema Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gehen zumeist ätiologisch vor. Sie liefern keine Erklärung für das unterschiedliche Registrierungsverhalten, aber wichtige Vorerkenntnisse über die zu erwartenden Konflikte und sozialen Besonderheiten der „widerständigen“ Personen.
Die Arbeit knüpft an diese Erkenntnisse an, überprüft sie bezüglich ihrer Aktualität und stellt einen eigenen vollständigen theoretischen Ansatz auf. Dieser kriminalsoziologische Ansatz unterscheidet zwischen Wahrnehmung eines Konfliktes, Thematisierung des Konfliktes und Mobilisierung des Widerstandsparagrafen. Die Datenerhebung erfolgte per schriftlicher Befragung mit Interviews bei 300 Polizeibeamtinnen und -beamten. Einbezogen wurden Kiel, Lübeck und – des regionalen Vergleichs wegen – die sozialstrukturell vergleichbare Stadt Mannheim. Abgefragt wurden zahlreiche Konfliktkonstellationen und Einflussfaktoren, solche wie Geschlecht, Diensterfahrung und Dienstgrad. Die Arbeit wertet die Daten umfangreich auf unterschiedliche Reaktionsmuster hin aus.