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Annahme 3: Die Faktoren Geschlecht des handelnden Beamten, Dienstgrad und
Diensterfahrung können sich auf das polizeiliche Entscheidungsverhalten auswirken.
Eine regional unterschiedliche Vorgehensweise bei an sich vergleichbaren Konflikten kann auch durch eine regional unterschiedliche personalstrukturelle Verteilung
erklärt werden. Ferner können auch prophylaktische Anzeigen die Fallzahlen beeinflussen.
Sollten diese Annahmen zutreffend sein, dann könnten die Registrierungsunterschiede einerseits mit einer regional unterschiedlichen Vorgehensweise und andererseits mit einer regional abweichenden Personalstruktur (z. B. Geschlechteranteil, anteiliges Verhältnis der Dienstgrade, anteiliges Verhältnis dienstjunger zu dienst-
älteren Beamten) erklärt werden. Die aufgestellten Annahmen sollen anhand der Befragungsergebnisse verifiziert bzw. falsifiziert werden.
II. Untersuchungstechnik
Um die aufgestellten Annahmen überprüfen zu können, wurde das Erhebungsinstrument der schriftlichen Befragung gewählt, bei der es im Kernbereich um
Situationsbewertungen geht. Der Methodenwahl liegen die Erwägungen zugrunde,
dass die Technik der empirischen Datenermittlung auf die drei Methoden Beobachtung, Inhaltsanalyse und Befragung beschränkt ist.354 Die Entscheidung für die
richtige Methode/n hängt wesentlich vom Untersuchungsgegenstand ab. Untersuchungsgegenstand ist hier die polizeiliche Situationsbewertung. Die Daten
könnten anhand einer schriftlichen Befragung oder in Form eines Interviews erhoben werden. Dabei spricht für die Untersuchungstechnik des Fragebogens im
Gegensatz zum persönlichen Interview, dass dieser über fest vorgegebene Fragestellungen und Antwortmöglichkeiten verfügt und daher standardisiert ist. Gewollte
und ungewollte Beeinflussung durch eine Interviewperson sowie Interviewfehler
sind damit ausgeschlossen. Dem steht der Nachteil gegenüber, dass bei standardisierten Frage- und Antwortmöglichkeiten keine Spontanantworten berücksichtigt
werden können, welcher hier allerdings durch die Einbeziehung freiwilliger Gespräche im Anschluss an die Befragung ausgeglichen wurde. Dies kann sich verzerrend auswirken, da ein nur geringer Anteil der Befragten freiwillig an solchen
Gesprächen teilnahm und damit die Inhalte zwar nicht repräsentativ sein müssen,
jedoch Anhaltspunkte für weitere Erkenntnisse liefern können. Insbesondere im
Hinblick auf den hier notwendigen Aspekt der Vergleichbarkeit aller Antworten fiel
die Wahl auf das Erhebungsinstrument einer schriftlichen Befragung.
354 Rehbinder (2003), Rn. 62; Göppinger (1997), S.73.
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References
Zusammenfassung
Die Arbeit knüpft an das irritierende Faktum an, dass in der Hansestadt Lübeck zumindest in den Jahren 1999 bis 2004, aber auch noch aktuell, deutlich mehr Delikte wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 StGB registriert worden sind als in Kiel. Dennoch ist die Zahl der Verurteilten nahezu gleich. Es liegt die Vermutung nahe, dass nur mehr Widerstände thematisiert werden als verurteilt.
Bisher vorhandene Studien zum Thema Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gehen zumeist ätiologisch vor. Sie liefern keine Erklärung für das unterschiedliche Registrierungsverhalten, aber wichtige Vorerkenntnisse über die zu erwartenden Konflikte und sozialen Besonderheiten der „widerständigen“ Personen.
Die Arbeit knüpft an diese Erkenntnisse an, überprüft sie bezüglich ihrer Aktualität und stellt einen eigenen vollständigen theoretischen Ansatz auf. Dieser kriminalsoziologische Ansatz unterscheidet zwischen Wahrnehmung eines Konfliktes, Thematisierung des Konfliktes und Mobilisierung des Widerstandsparagrafen. Die Datenerhebung erfolgte per schriftlicher Befragung mit Interviews bei 300 Polizeibeamtinnen und -beamten. Einbezogen wurden Kiel, Lübeck und – des regionalen Vergleichs wegen – die sozialstrukturell vergleichbare Stadt Mannheim. Abgefragt wurden zahlreiche Konfliktkonstellationen und Einflussfaktoren, solche wie Geschlecht, Diensterfahrung und Dienstgrad. Die Arbeit wertet die Daten umfangreich auf unterschiedliche Reaktionsmuster hin aus.