B. Berücksichtigung dezentraler Erzeugungsoptionen
Im Rahmen der Anreizregulierung bezweckt § 13 Abs. 3 Nr. 6 ARegV, für den
Netzbetreiber ungünstige Effekte der Einbindung dezentraler Strukturen abzuschwächen.12 Allerdings führt das noch zu keiner Motivation des Verteilernetzbetreibers,
sich als aktiver Netzbetreiber um die Einbindung dezentraler Erzeugungs- und Verbrauchsoptionen und deren effziente Steuerung zu bemühen. Anderes könnte sich
nach einer Verordnung ergeben, die aufgrund von § 14 Abs. 2 S. 2 EnWG erlassen
wird. Die Norm ermächtigt die Bunderegierung zum Erlass einer Verordnung, mit
der die Berücksichtigung von Energieeffizienz- und Nachfragesteuerungsmaßnahmen und dezentralen Energieerzeugungsanlagen (dezentrale Optionen) bei der Planung festgelegt wird. Fraglich ist allerdings, wie die Voraussetzung zu verstehen ist,
dezentrale Optionen seien zu „berücksichtigen.“ Art und Weise der Berücksichtigung können interessengelenkt sein und so zu keinem unter den Netzbetreibern vergleichbaren Ergebnis führen. Der Festlegung der Modalitäten einer Berücksichtigungspflicht kommt deshalb große Bedeutung zu.
Für die wichtigsten dezentralen Erzeugungsanlagen, nämlich die nach dem EEG
und dem KWK-G geförderten, besteht eine Anschlusspflicht.13 Nur für die verbleibenden Anlagen wie Kundenanlagen für das Lastmanagement und Speicher gilt die
gesetzliche Berücksichtigungspflicht gemäß § 14 Abs. 2 S. 1 EnWG.
Als Verordnung, die auf Grundlage des EnWG erlassen wird, müsste sie den jeweiligen Normzweck verwirklichen. Gegenstand des Normzwecks sind wenigstens
auch die Gesetzesziele, die abzuwägen und optimal zu verwirklichen sind. Fraglich
ist dann, inwieweit die Gesetzesziele bei der Festlegung des Berücksichtigungsbegriffs beachtet werden müssen. Der Wortlaut von „berücksichtigen“ setzt keinen
Schwerpunkt hinsichtlich einzelner Gesetzesziele. Auch die europarechtliche Grundlage der Norm, Art. 14 Abs. 7 EltRL, beschränkt die Berücksichtigung dezentraler
Optionen nicht auf besondere Fälle. Somit müssen bei der Berücksichtigung des
Ausbaus dezentraler Optionen als Alternative zum Netzausbau alle energierechtlichen Grundsätze des § 1 Abs. 1 EnWG beachtet werden. Wird die Berücksichtigungspflicht dezentraler Optionen als Maßgabe der Regulierung verstanden, muss
gemäß § 1 Abs. 2 EnWG auch der Wettbewerb als Ziel verfolgt werden. Eine Verordnung müsste also die verschiedenen Ziele in Einklang bringen und möglichst optimal verwirklichen.
Um das Preiswertigkeitsziel zu berücksichtigen, müssen die Kosten der Einbindung dezentralen Strukturen mit denen des herkömmlichen Netzausbaus verglichen
werden. Die Preisgünstigkeit und auch die Kosteneffizienz der verschiedenen Optionen sind somit nicht unwesentlich. Eine auf § 14 Abs. 2 S. 2 EnWG gestützte Verordnung müsste somit festlegen, dass im Rahmen der „Berücksichtigung“ die Kosten der dezentralen Strukturen ihren Niederschlag finden.
12 Siehe oben, S. 123 unter Nr. II.
13 Ein Gegenbeispiel ist die Einbindung umweltverträglicher Offshore-Windkraftanlagen. Solche
großen Windparks entsprechen der herkömmlichen zentralen Energieproduktion.
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Der Wettbewerb könnte durch die stärkere Einbindung von Produzenten gestärkt
werden, weil sich eine größere Anzahl von Anbietern positiv auf den Wettbewerb
auswirkt. Die Eröffnung von Energieeinsparungsoptionen und Nachfragesteuerungsmaßnahmen führt zu einem größeren Angebot auf dem Regelenergiemarkt. Eine Betrachtung im Einzelfall ist allerdings notwendig, weil das Unterlassen einer Netzausbaumaßnahme (zugunsten der Stärkung dezentraler Optionen) gegebenenfalls zu geringe Kapazitäten zur Folge hat und damit den Handel einschränken kann. Grundsätzlich ist aber davon auszugehen, dass der Ausbau dezentraler Optionen zu einer
Stärkung des Wettbewerbs führt.
Auch Versorgungssicherheit und Umweltverträglichkeit werden mithilfe dezentraler Strukturen erhöht. Denn einerseits dienen die dezentrale Erzeugung von Strom
aus erneuerbarer Energien und Kraft-Wärme-Kopplung regelmäßig der Umweltverträglichkeit.14 Und außerdem lässt sich durch die effiziente Verknüpfung von Verbraucher und Erzeuger Energie einsparen.15
Bei der Nutzung dezentraler Optionen könnten sich Umweltverträglichkeit und
Versorgungssicherheit widersprechen, wenn der verstärkte Einsatz stochastisch einspeisender Anlagen (Nutzung von Wind- und solare Strahlungsenergie) die gleichmäßige Versorgung bedroht. Eine konstante Versorgung kann aber mit dem Einsatz
von speicherbaren regenerativen Primärenergieträgern erfolgen, wie etwa Wasser
oder Biogas. Da sich im im Verbund betriebene Anlagen mit speicherbaren und
nicht-speicherbaren Einsatzstoffen ergänzen, kann der Zielkonflikt von Umweltverträglichkeit und Versorgungssicherheit aufgelöst werden: Speisen die stochastischen
Anlagen zuviel Leistung in das Netz ein als verbraucht wird, speichern die anderen
Anlagen Primärenergie. Geht die Leistung der stochastischen Einspeiser zurück,
produzieren stattdessen die Anlagen Strom aus dem gespeicherten Primärenergieträger. Die Anlagen zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien stellen dann
insgesamt eine konstante Leistung zur Verfügung; der negative Effekt auf die Versorgungssicherheit mildert sich deutlich ab.16 Diese Nutzung dezentraler Optionen
hat auch Auswirkungen auf die Preisgünstigkeit, da geringere Mengen an Regelleistung zentral vorzuhalten sind. Die niedrigeren Kosten einer solchen abgestimmten
dezentralen Struktur müssten im Rahmen einer Verordnung beachtet werden. Denn
so würden die Gesamtkosten der dezentralen Lösung sinken und sie im Vergleich
zum Netzausbau attraktiver machen.
Eine auf § 14 Abs. 2 S. 2 EnWG gestützte Verordnung muss somit im Wesentlichen den Zielkonflikt der Gesetzesziele Umweltverträglichkeit gegenüber den Zielen Versorgungssicherheit, Preiswertigkeit und Kosteneffizienz auflösen. Insbesondere diese energiewirtschaftlichen Grundsätze müssen also Beachtung finden. Denn
würden lediglich die Kosten dezentraler Strukturen als Bestandteil der Berücksichti-
14 Dazu oben, S.70 unter Nr. 2.
15 Siehe dazu die Energieeffizienzvorteile der Nutzung dezentraler Optionen, wie oben beschrieben, Strom: S. 104 ff. unter Nr. IV. Gas: S. 108 unter Nr. I.
16 So ließ sich zum Beispiel beim virtuellen Kraftwerk Uckermark durch den Einsatz von 20 MW
Biomassekraftwerken und 20 MW Speicher die Volllaststunden von 100 MW Windkraftwerken von 2.300 pro Jahr auf 4.000 steigern, Wagner, Integration Erneuerbarer Energie, S. 7.
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gungspflicht festgelegt, entspräche die Verordnung nicht der Vorgabe einer möglichst weitgehenden Verwirklichung aller Gesetzesziele. Mindestens muss die Verordnung also gewährleisten, dass auch die Umwelt- und Versorgungssicherheitsaspekte einer dezentralen Lösung zu berücksichtigen sind. Dabei müssen auch die kostensenkenden und die Versorgungssicherheit erhöhenden Aspekte der Nutzung dezentraler Optionen in die Berücksichtigung einfließen, um die Verwirklichung umweltverträglicher Maßnahmen optimal zu ermöglichen.
C. Entwurf des Referenznetzes für Übertragungsnetzbetreiber
Die Beachtung des Umweltverträglichkeitsziels könnte auch bei der Referenznetzanalyse gemäß § 22 Abs. 2 ARegV Auswirkungen haben. Bei der dreistufigen Referenznetzanalyse ergeben sich der zweite und der dritte Schritt nur noch als vergleichende Operationen aus dem ersten.17 Umweltverträglichkeitsaspekte können hier
nicht mehr berücksichtigt werden. Somit kommt für eine Beachtung der Gesetzesziele nur die Erstellung des Referenznetzes im ersten Schritt in Frage.
Das Referenznetz zeichnet ein optimales Verhältnis zwischen Kosten und netzwirtschaftlicher Leistung aus. Indem bei der Planung auf optimale Kosten abgestellt
wird, finden das Preisgünstigkeitsziel in seiner Konkretisierung als Kosteneffizienz
Beachtung. Aber auch die anderen Gesetzesziele könnten im Rahmen der Planung
Gewicht entfalten. Ein Anwendungsbereich eröffnet sich bei der Bestimmung der
„netzwirtschaftlichen Leistung“ die definiert und möglichst kosteneffizient verwirklicht werden muss. Laut § 22 Abs. 2 ARegV muss das Referenznetz insbesondere
ein technisch sicheres Netz sein. Die netzwirtschaftlich zu erbringende Leistung ist
somit in erster Linie Anlagensicherheit als Bestandteil des Sicherheitsbegriffs des
§ 1 Abs. 1 EnWG. Telos des § 22 Abs. 2 ARegV ist es also insbesondere, dass die
Sicherheit des Netzbetriebs durch die Planung des kostenoptimalen Referenznetzes
nicht eingeschränkt wird.
Im Wege der Abwägung sind die Gesetzesziele folglich so weit wie möglich zu
verwirklichen, solange die Sicherheit des Netzbetriebs nicht unverhältnismäßig eingeschränkt wird. Dem Umweltverträglichkeitsziel könnte zum Beispiel Rechnung
getragen werden, indem bei Transportnetzen im Strombereich Netzverluste durch
die Verplanung von Kabeln oder gasisolierten Rohrleitern (GIL) reduziert werden.
Hinzu kommt, dass die Genehmigungsverfahren bei einem Erdkabel kürzer sind als
bei einer Freileitung, neue (umweltverträgliche) Anlagen, daher schneller angeschlossen werden können. Auch Netzengpässe deretwegen Erzeugungsmanagement
zur Reduzierung von Strom aus EEG-Anlagen betrieben werden muss, lassen sich
auf diese Weise schneller überwinden. Darüber hinaus kann der Flächenverbrauch
sowie Eingriffe in das Landschaftsbild gemindert werden. Bei einem Transport über
größere Strecken ist also der Einsatz von Gleichstromverbindungen zu erwägen.18
Dem gegenüber sind die Kosten für die Verwendung von Kabeln oder Gleichstrom-
17 Siehe dazu S. 54 unter Nr. 2.
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References
Zusammenfassung
Das Werk befasst sich mit dem Gesetzesziel „Umweltverträglichkeit“ des Energiewirtschaftsgesetzes. Der Autor reduziert das Gesetzesziel auf eine Definition mit wenigen Kriterien. Ferner wird die Rechtsqualität von Ziel- und Zweckbestimmungen untersucht. Umwelteinwirkungen der Energieversorgung werden aufgezeigt – insbesondere in welchem Umfang Netztechnik, Struktur und Steuerung der Netze Auswirkungen auf die Umwelt haben. Umweltverträglicher Netzbetrieb bedeutet so beispielsweise die möglichst weitgehende Einbindung dezentraler Erzeuger und eine effiziente Abstimmung von Angebot und Nachfrage. Schließlich werden Beispiele gebildet, um zu zeigen, inwieweit „Umweltverträglichkeit“ in Abwägung mit den anderen Zielbestimmungen des EnWG Auswirkung bei der Auslegung des Energiewirtschaftsrechts haben kann. So wird unter anderem deutlich, dass „Netzausbau“ unter Berücksichtigung der Umweltverträglichkeit nicht nur den Bau neuer Leitungen, sondern auch das Überwachen der Temperatur der bestehenden Leitung bedeuten kann.