eignete Vorschriften zu erlassen.78 Speziell wegen der „überragenden Bedeutung der
Energiewirtschaft“ sind dabei weitergehende Interventionen gerechtfertigt als in anderen Wirtschaftsgebieten.79 Im Zusammspiel mit dem Sozialstaatsprinzip aus
Art. 20 GG und dem objektiven Schutzgehalt der Grundrechte trifft den Staat für die
Energiewirtschaft deshalb die Pflicht, durch einen geeigneten gesetzlichen Rahmen
für eine flächendeckende, preisgünstige und umweltverträgliche Versorgung mit
Strom und Gas Sorge zu tragen (Infrastruktursicherungspflicht).80
Die Staatszielbestimmung ist zur verfassungskonformen Auslegung unbestimmter
Rechtsbegriffe in solchen Gesetzen hinzuzuziehen, die keine Umwelt- oder Tierschutzgesetze sind. Art. 20a GG wirkt somit als integrative Querschnittsklausel.81
Das Staatsziel ist mit Hilfe der praktischen Konkordanz mit anderen Prinzipien des
Grundgesetzes in Einklang zu bringen. Im Verhältnis zu den Grundrechten ist
grundsätzlich von Gleichrangigkeit auszugehen.82 Art. 20a GG ordnet allerdings keine konkreten Maßnahmen an. Insofern ist der Umsetzungsspielraum groß.
Als einfachgesetzliche Norm bindet das Umweltverträglichkeitsziel des § 1 Abs. 1
EnWG grundsätzlich nicht nur den Staat, sondern auch diejenigen Privaten, auf die
die Norm beziehungsweise das EnWG Anwendung findet. Der Umfang möglicher
Rechtspflichten, die sich aus § 1 Abs. 1 EnWG ergeben können, soll hier noch nicht
bestimmt werden. Festzuhalten ist aber, dass § 1 EnWG potenziell Private verpflichten kann, was durch Art. 20a GG nicht möglich ist. Wegen der besonderen Stellung
der Netzbetreiber tragen sie aber trotzdem eine besondere Verantwortung für eine
umweltverträgliche Stromversorgung.83 Somit ist das Umweltverträglichkeitsziel des
§ 1 EnWG als Konkretisierung der Rechtspflichten des Art. 20a GG für Private im
Energiewirtschaftsrecht zu verstehen.
D. Verankerung im europäischen Recht
Das deutsche Energierecht wird wesentlich durch das Europarecht geprägt. Um den
Rechtsbegriff Umweltverträglichkeit im europäischen Energierecht zu verorten, wird
im Folgenden ein Überblick über die relevanten Normen unter Berücksichtigung
wesentlicher Urteile gegeben.
77 Epiney, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG II, Art 20a, Rn. 43; Kloepfer, in:
Dolzer/Vogel/Graßhof, Bonner Kommentar, Art. 20a, Rn. 33 ff.
78 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hg.), GG, Art. 20a, Rn. 69. Weitergehend Kuxenko, Umweltverträgliche Energieversorgung, der vertritt, für die Annahme einer bestimmten Pflicht müsse der
allgemeine Handlungsauftrag des Art. 20a GG noch auf den Energiebereich „zugeschnitten
werden“, S. 183 ff.
79 BVerfG, NJW 29/1971, 1255, 1258.
80 Pielow, Anreizregulierung, S. 9 f; Säcker, Regulierungsrecht zwischen öffentlichem und privatem Recht, AöR 130, S. 180, 187.
81 Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hg.), GG, Art. 20a, Rn. 77.
82 Salzwedel, in: Isensee/Kirchhof (Hg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, § 7 Rn. 26.
83 BGH, Az. VIII ZR 322/02, Urt. v. 11. 6. 2003, S. 11 f.
72
I. Primärrecht
Im EG-Vertrag gibt es keine generelle „Energiekompetenz“ der Europäischen Gemeinschaft, die gesondert auf Umweltbestimmungen hin untersucht werden könnte.84 Aus Art. 3 lit. u) EG ergibt sich aber, dass der Energiebereich zum Regelungsbereich des EG-Vertrags gehört.85 Deshalb gelten die allgemeinen Vorschriften des
Vertrags, zahlreiche Sekundärrechtregelungen und die einschlägige europäische
Rechtsprechung.
1. Umweltschutz als Ziel europäischer Umweltpolitik
Die Ziele der Umweltpolitik der Europäischen Gemeinschaft sind in Art. 2 EG und
in Art. 174 Abs. 1 EG niedergelegt. Art. 2 EG bestimmt, dass die Mechanismen des
EG-Vertrags unter anderem dem Ziel dienen sollen, eine nachhaltige Entwicklung
des Wirtschaftslebens und ein hohes Maß an Umweltschutz sowie die Verbesserung
der Umweltqualität zu fördern. Der Umweltbegriff entspricht dem des deutschen
Rechts und umfasst die natürlichen Lebensgrundlagen und, insoweit sie im engen
Bezug zu diesen steht, die menschlich gestaltete Natur.86 Mit der Nennung in Art. 2
EG wird klargestellt, dass Umweltschutz ein eigenständiges Ziel des Vertrags ist.87
Neben die Ziele des Art. 2 EG treten die des Art. 174 Abs. 1 EG.88 Dabei sind die
ersten drei Zielsetzungen des Art. 174 Abs. 1 EG wegen Interdependenzen nicht
scharf voneinander abgrenzbar.89
Ausdrücklich erwähnt Art. 174 Abs. 1 EG den Schutz der natürlichen Ressourcen
als Ziel. Für den Energiebereich hat die Kommission den Begriff natürliche Ressourcen als erneuerbare Energiequellen, Erdöl, Erdgas und feste Brennstoffe definiert.90 Art. 174 Abs. 1 EG muss im Zusammenhang mit Art. 175 Abs. 2 lit. c) gesehen werden, wonach gemeinschaftliche Maßnahmen, die die Wahl zwischen Energiequellen und die allgemeine Struktur der Energieversorgung erheblich berühren,
einen einstimmigen Ratsbeschluss voraussetzen. Hier wird grundsätzlich deutlich,
dass gemeinschaftliche Umweltpolitik nationale Energie- und Ressourcenpolitik be-
84 Zur Energiekompetenz vgl. Schmidt-Preuß, Gemeinschaftskompetenz oder nationale Gestaltungsautonomie, in: FS Baur, S. 309.
85 Ohnehin kennt der EG-Vertrag keine Ausnahmen für einzelne Wirtschaftsbereiche, EuGH, Rs.
167/73, Slg. 1974, 359, 370 – Kommission/Frankreich; Rs. 45/85, Slg. 1987, 405, 451 – Verband der Sachversicherer/Kommission; verb. Rs. 209-213/84, Slg. 1986, 1425 ff. – Ministère
Public/Asjes.
86 Siehe oben, S. 61.
87 Scherer/Heselhaus, in: Dauses (Hg.), Hdb. EU-WirtschaftsR, Bd. 2 O Rn. 13.
88 Krämer, in: von der Groeben/Schwarze (Hg.), Kommentar zum EG-/EU-Vertrag, vor Art. 174 -
176 Rn. 104 f.
89 Krämer, in: von der Groeben/Schwarze (Hg.), Kommentar zum EG-/EU-Vertrag, Art. 174 Rn.
12; Schröder, in: Rengeling (Hg.), EUDUR, Bd. I, § 9 Rn. 16.
90 Erster Erwägungsgrund der Entscheidung des Europäischen Parlaments und des Rates vom
26. 6. 2003 - „Intelligente Energie“, ABl. 2003 L 176, S. 29.
73
einflussen kann.91 Damit wird der in der Schlussakte der EEA zu Art. 130 lit. r)
EWG erklärte Vorbehalt der Mitgliedstaaten relativiert, dass sich die gemeinschaftliche Umweltpolitik nicht störend auf die nationale Energiepolitik auswirken darf.92
Ohnehin wurde bei Neuregelung der Vorbehalt nicht wiederholt, so dass bei der Interpretation der aktuellen Fassung nicht auf den Vorbehalt zurückgegriffen werden
kann.93 Allerdings ist erst bei einer erheblichen94 Auswirkung Einstimmigkeit gefordert – also erst dann, wenn die nationale Energieversorgung in ihrem Kern betroffen
ist.95 Umweltschutzmaßnahmen können also sogar spürbare Auswirkungen auf die
nationale Energieversorgung haben, ohne dass Einstimmigkeit im Rat vorausgesetzt
wird.
Letztlich wird also die Wahl zwischen Energiequellen und die Struktur der nationalen Energieversorgung zwar von Art. 175 Abs. 2 lit. b) geschützt.96 Allerdings
müssen die Voraussetzungen kumulativ vorliegen, weshalb der geschützte Kernbereich sehr eng gefasst ist.97
2. Umweltschutz als Querschnittsaufgabe
Art. 6 EG normiert, dass die Erfordernisse des Umweltschutzes zur Förderung einer
nachhaltigen Entwicklung bei der Verwirklichung der Gemeinschaftspolitiken beachtet werden müssen. Alle Vorschriften des primären wie sekundären Gemeinschaftsrechts sind deshalb unter der Berücksichtigung von Umweltbelangen auszulegen. Die Norm ist als Querschnittsklausel zu verstehen.98 Das gilt auch für Maßnahmen im Bereich der Energie nach Art. 3 lit. u) EG.
Niederschlag fand die in Art. 6 EG normierte Wertigkeit des Umweltschutzzieles
unter anderem bei der Auslegung des Art. 28 EG durch den EuGH. In der Rechtssache PreussenElektra/Schleswag stellte das Gericht unter anderem deshalb keinen
Verstoß durch das StrEG gegen die Warenverkehrsfreiheit fest, weil die Erfordernisse des Umweltschutzes gemäß Art. 6 EG bei der Festlegung und Durchführung aller
Gemeinschaftspolitiken beachtet werden müssen.99
Die im Rahmen von Art. 6 EG einzubeziehenden Umwelterfordernisse sind jedenfalls die in Art. 174 Abs. 2 EG genannten Prinzipien Vorsorge-, Vorbeuge-, Ur-
91 Jarass, Europäisches Energierecht, S. 85; Krämer, in: von der Groeben/Schwarze (Hg.), Kommentar zum EG-/EU-Vertrag, Art. 174 Rn. 30.
92 Breier, in: Rengeling (Hg.), EUDUR, Bd. I, § 13 Rn. 27.
93 Jarass, Europäisches Energierecht, S. 126
94 Art. 175 Abs. 2 lit. b) verlangt im Gegensatz dazu keine Erheblichkeit der Auswirkungen. Eine
Reduzierung des Anwendungsbereichs ist also gewollt.
95 Scherer/Heselhaus, in: Dauses (Hg.), Hdb. EU-WirtschaftsR, Bd. 2 O Rn. 70.
96 Schneider, in: Schneider/Theobald (Hg.), Hdb EnWR, § 2 Rn. 8.
97 Breier, in: Rengeling (Hg.), EUDUR, Bd. I, § 13 Rn. 27.
98 Krämer, in: von der Groeben/Schwarze (Hg.), Kommentar zum EG-/EU-Vertrag, Art. 6 Rn. 34;
Krämer/Winter, in: Schulze/Zuleeg (Hg.), Europarecht, § 26 Rn. 50 f.; Schröder, in: Rengeling
(Hg.), EUDUR, Bd. I, § 9 Rn. 23.
99 EuGH, Rs. C-379/98, Slg. 2001, I-2159, Rn. 76 - PreussenElektra/Schleswag.
74
sprungs- und Verursachergrundsatz.100 Auch die Ziele des Art. 174 Abs. 1 EG dürften einzubeziehen sein.101 Keine Umwelterfordernisse im Rahmen des Art. 6 EG
dürften die Umstände des Art. 174 Abs. 3 EG sein, die nur „zur berücksichtigen“
sind.102
Art. 6 EG (wie auch Art. 2 EG) nennt den Begriff der nachhaltigen Entwicklung.
Auch hier stellt sich hier die Frage, was unter dem Begriff zu verstehen ist.103 Speziell in Bezug auf Art. 2 EG wird vertreten, dass die nachhaltige Entwicklung des
Wirtschaftslebens sich ausschließlich auf eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung
und nicht auf den Umweltschutz bezieht.104 Damit würde in Art. 2 EG der Umweltschutz vom Nachhaltigkeitsgrundsatz getrennt.105 Diese Auffassung ist problematisch, weil Art. 6 EG die Berücksichtigung von Umweltschutzerfordernissen als zentralen Bestandteil einer nachhaltigen Entwicklung definiert. Der Begriff der Nachhaltigkeit müsste demnach im EG-Vertrag unterschiedlich verstanden werden können.106 Eine Mehrdeutigkeit machte es jedoch noch schwieriger, den Begriff Nachhaltigkeit zu fassen und ist deshalb zu vermeiden. Ohnehin kommen wegen Art. 6
EG beide Meinungen zum gleichen Ergebnis. Denn die verbindliche Vorschrift des
Art. 6 EG zwingt die Organe der Gemeinschaft, umweltpolitische Erfordernisse mit
einzubeziehen.107 Umweltaspekte sind also wenigstens wegen Art. 6 EG dauerhaft
mit einzubeziehen. Ein nachhaltiges Wirtschaften im Sinne des Art. 2 EG führt somit in jedem Fall zu einem nachhaltigen Umgang mit der Umwelt. Ob der Begriff
nachhaltige Entwicklung von der Wirtschaft ausgeht und sich auf den Umweltschutz
auswirkt,108 oder dem Wirtschaften unter Umweltgesichtspunkten Grenzen setzt, ist
in Bezug auf die Umwelteinwirkungen gleichbedeutend.
3. Ziel des hohen Schutzniveaus
Gemäß Art. 174 Abs. 2 EG zielt die Umweltpolitik der Gemeinschaft auf ein hohes
Schutzniveau ab, das in seinem Umfang aber nicht normiert wird. Laut EuGH ist es
100EuGH, Rs C-157/96, Slg. 1998, I-2211, Rn. 63 f. - Regina/Ministry of Agriculture; Rs.
C-180/96, Slg. 1998, I-2265, Rn. 99 f. - Vereinigtes Königreich/Kommission; EuG verb. Rs.
T-74/00, T-76/00 u. a., Slg. 2002, II-4945, Rn. 184 – Artegodan u. a./Kommission; Jarass, Europäisches Energierecht, S. 124; Krämer/Winter, in: Schulze/Zuleeg (Hg.), Europarecht, § 26
Rn. 52.
101Krämer, in: von der Groeben/Schwarze (Hg.), Kommentar zum EG-/EU-Vertrag, Art. 6 EG,
Rn. 6 f.
102Krämer, in: von der Groeben/Schwarze (Hg.), Kommentar zum EG-/EU-Vertrag, Art. 6 EG,
Rn. 9.
103 Siehe dazu schon den Argumentationsaufriss oben, S. 62 unter Nr. 2 lit. a).
104Zuleeg, in: von der Groeben/Schwarze (Hg.), Kommentar zum EG-/EU-Vertrag, Art. 2 Rn. 9;
Schröder, in: Rengeling (Hg.), EUDUR, Bd. I, § 9 Rn. 15.
105 Schröder, in: Rengeling (Hg.), EUDUR, Bd. I, § 9 Rn. 15.
106Kritisch: Krämer/Winter, in: Schulze/Zuleeg (Hg.), Europarecht, § 26 Rn. 45.
107 Scherer/Heselhaus, in: Dauses (Hg.), Hdb. EU-WirtschaftsR, Bd. 2, O Rn. 39; Krämer, in: von
der Groeben/Schwarze (Hg.), Kommentar zum EG-/EU-Vertrag, Art. 6 Rn. 25.
108Winter, Umweltrechtliche Prinzipien des Gemeinschaftsrechts, ZUR 2003, S. 137, 144.
75
nicht das höchste erreichbare Schutzniveau, wie sich aus Art. 176 EG und Art. 95
Abs. 4 und 5 ergibt.109 Da die Umweltpolitik auf die Verbesserung des gegenwärtigen Zustands abzielt (Art. 174 Abs. 1 EG), muss das angestrebte Schutzniveau aber
eine Verbesserung des gegenwärtigen Zustands sein.110 Es ist somit als Optimierungsgebot zu verstehen.111 Das Ziel des hohen Schutzniveaus wird dadurch relativiert, dass es sich auf die Umweltpolitik insgesamt und nicht auf einzelne Regelungen bezieht.112 Jedenfalls dann, wenn die gesamte Umweltpolitik nicht eine stetige
Verbesserung des gegenwärtigen Umweltschutzsniveaus bewirkt, liegt ein Verstoß
gegen das Ziel des hohen Schutzniveaus vor.
4. Transeuropäische Netze
Auch beim Ausbau transeuropäischer Energienetze (Art. 154 – 156 EG) spielen Gesichtspunkte der Umweltverträglichkeit eine Rolle. So soll aus Gründen der Nachhaltigkeit und der Diversifizierung der Energiequellen die Verwendung erneuerbarer
Energien mit dem Ausbau transeuropäischer Netze verstärkt werden. Dies wird bereits im zweiten Erwägungsgrund und insbesondere in den Zielen in Art. 3 lit. a) der
Leitlinienentscheidung festgelegt. Für den Bereich der Elektrizitätsnetze wird die Integration erneuerbarer Energiequellen in Art. 4 Nr. 2 lit a) der Leitlinienentscheidung als Priorität festgelegt. Folgerichtig sind unter den in den Anhängen aufgeführten Projekten auch solche, die der besseren Einbindung von erneuerbaren Energien
dienen (Anhang II, Nr. 1, 3 und 5). Zwei der in Anhang III genannten Projekte dienen dem Wortlaut nach sogar ausschließlich der Integration erneuerbarer Energien
(Nr. 3.16 und 3.50).
5. Heterogene Ziele des EG Vertrags
Der EG-Vertrag normiert in Art. 2 EG die unterschiedlichen Ziele der EG-Politik.
Darunter finden sich zum Beispiel, neben der nachhaltigen Entwicklung des Wirtschaftslebens, ein hohes Maß an Umweltschutz wie auch die Verbesserung der Umweltqualität. Einige der Ziele werden im Rahmen des EG-Vertrags konkretisiert. So
ist wesentlicher Bestandteil des EG-Vertrags die Errichtung eines gemeinsamen
Marktes. Auch Umweltschutzregelungen sind vorhanden. Dem Ziel der Hebung der
Umweltqualität dienen dagegen keine konkreten Normen, sondern es ist nur erhoffte
Folge anderer Regeln des Vertrags, wie zum Beispiel den Regeln gegen Wettbewerbsbeschränkungen und zur Beschäftigungspolitik. Es stellt sich somit die Frage,
109 EuGH, Rs. C-284/95, Slg. 1998, I-4301, Rn. 49 – Safety Hi-Tech/S&T.
110Krämer, in: von der Groeben/Schwarze (Hg.), Kommentar zum EG-/EU-Vertrag, Art. 174 Rn.
18.
111 Schröder, in: Dauses (Hg.), Hdb. EU-WirtschaftsR, Bd. 2, O Rn. 60.
112Krämer, in: von der Groeben/Schwarze (Hg.), Kommentar zum EG-/EU-Vertrag, Art. 174 Rn.
18.
76
inwieweit die Ziele Rechtswirksamkeit entfalten können und wie bei einer Kollision
zu verfahren ist.
Die Ziele des Art. 2 EG sind keine Kompetenznormen, wenn man wie im deutschen Recht davon ausgeht, dass von der Aufgabe eines Hoheitsträgers nicht auf
dessen Befugnisse geschlossen werden darf. Demnach können die Ziele keine Ermächtigungsgrundlage für eine Maßnahme gegenüber Einzelnen sein.113 Auch sind
die in Art. 2 EG genannten Ziele wenig konkret und damit nicht einklagbar. Den gemeinschaftlichen Institutionen steht also ein weites Ermessen zu, wie sie das Erreichen der Ziele fördern wollen.114
Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist eine Kollision zwischen den Zielen
im Einzelfall durch Abwägung aufzulösen, indem einem Ziel zeitweiliger Vorrang
eingeräumt wird.115 Daraus folgt die Frage, ob den Zielen des EG grundsätzlich unterschiedliches Gewicht eingeräumt werden kann. Die Formulierung des EuGH, einzelnen Zielen könne „zeitweilig Vorrang eingeräumt“ werden, deutet darauf hin,
dass der EuGH die Ziele als gleichrangig versteht. Auch dem Wortlaut ist nicht anderes zu entnehmen. Andererseits könnte anzunehmen sein, dass marktintegrative
Ziele Vorrang vor den nichtwirtschaftlichen Zielen haben, da im EG-Vertrag insbesondere die wettbewerbsfördernden Mittel geregelt werden. Allerdings ist festzustellen, dass sich die zunächst primär wirtschaftsliberale ausgerichtete EG zu einer supranationalen Integrationsgemeinschafts gewandelt hat, indem andere, nichtwirtschaftliche Ziele in die Verträge mit aufgenommen wurden. Damit wurden die wirtschaftsliberalen Ziele relativiert.116 Damit sind die marktintegrativen Mittel nicht
mehr Selbstzweck, sondern Mittel, um die verschiedenen Ziele des EG-Vertrags zu
erreichen. Die Bedeutung marktwirtschaftlicher Mittel ist insoweit nicht beschränkt,
als diese das vorrangige Mittel der Zweckerreichung sind.117 Dem Primärrecht aber
eine Wertordnung entnehmen zu wollen, die Einzelfälle schon im Voraus normativ
bindend zu lösen versucht, wäre „hochgradig spekulativ“.118 Somit sind die Ziele des
Art. 2 EG als gleichrangig zu bewerten.
6. Art. 176a des Vertrags von Lissabon
Nach dem Scheitern des Vertrags über eine Verfassung für Europa119 wurde am
12. Dezember 2007 in Lissabon der Vertrag zur Änderung des Vertrags über die Eu-
113GA Reischl, Schlussanträge zu EuGH, Rs. 27/74 – Slg. 1974, 1049 (1057) – Demag/Finanzamt
Duisburg-Süd.
114Krämer/Winter, in: Schulze/Zuleeg (Hg.), Europarecht, § 26 Rn. 49.
115EuGH, Rs. C-9/56, Slg. 1958, 9, 43 – Meroni; Rs. C-139/79, Slg. 1980, 3393, Rn. 23 - Maizena/Rat; EuGH, Rs. C-44/94, Slg. 1995, I-3115, Rn. 37 – Queen/Fisherman's Organisations
u.a.
116Nettesheim, in: Säcker (Hg.), Berliner Kommentar zum TKG, Einl. III, Rn. 8.
117Hatje, in: von Bogdandy (Hg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 724; Nettesheim, in: Säcker
(Hg.), Berliner Kommentar EnR Einl. III Rn. 8.
118Hatje, in: von Bogdandy (Hg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 724.
119ABl. 2004 C 310, S. 1.
77
ropäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft120
von den Staats- und Regierungschefs der EU unterzeichnet. Gemäß Art. 2 dieses
Vertrags wird der EG-Vertrag umgenannt in Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEU). Art. 176a AEU übernimmt fast wortgetreu die den Energiebereich betreffenenden Regelung der Verfassung (insbesondere Art. III-256) und
sieht damit erstmals eine eigene Energiekompetenz der Gemeinschaft vor. Die Ziele
europäischer Energiepolitik umfassen laut Abs. 1 das Sicherstellen und Funktionieren des Energiemarktes, die Gewährleistung der Energieversorgungssicherheit, die
Förderung von Energieeffizienz und Energieeinsparungen, die Entwicklung neuer
und erneuerbarer Energiequellen sowie das schon bisher bestehende Ziel der Förderung der Interkonnektion von Energienetzen. Der Energiebereich ist gemäß Art. 2 c
lit. i) AEU ein Bereich geteilter Zuständigkeit. Gemäß Art. 2a Abs. 2 AEU können
die Mitgliedstaaten also nur dann gesetzgeberisch tätig werden, sofern und soweit
die Union in diesem Bereich ihre Zuständigkeit nicht ausgeübt hat.
Der AEU schafft für den Energiebereich einen weiten Anwendungsbereich. Als einzige bereits genutzte Energiequelle werden erneuerbare Energien genannt – was die
Wichtigkeit eines weiteren Ausbaus unterstreicht.
II. Sekundärrecht
Das Sekundärrecht umfasst zahlreiche umwelt- und energierechtliche Regelungen.
Die folgende Darstellung beschränkt sich auf die Verankerung von Umweltverträglichkeitsaspekten im Energie-Sekundärrecht.
1. Beschleunigungsrichtlinien für Strom und Gas
Bis zum 1. Juli 2004 waren die sogenannten Beschleunigungsrichtlinien für Strom
(EltRL)121 und Gas (GasRL)122 in nationales Recht umzusetzen. Die Kommission
verfolgte damit quantitative und qualitative Verbesserungen.123 Quantitativ bedeutet,
dass allmählich alle Elektrizitäts- und Gaskunden ihren Lieferanten frei wählen können sollen.124 Eine qualitative Verbesserung steht für den erleichterten Netzzugang
Dritter und damit für die Verbesserung des Wettbewerbs insbesondere durch verstärkte Regulierung und die sogenannte Entflechtung (Unbundling).125
120ABl. 2007 C 306, S. 1.
121Richtlinie 2003/54/EG, ABl. 2003 L 176, S. 37.
122Richtlinie 2005/55/EG, ABl. 2003 L 176, S. 57.
123Mitteilung der Kommission vom 13. 3. 2001- „Vollendung des Energiebinnenmarktes“, KOM
(2001) 125 endg, S. 37 f.
124Mitteilung der Kommission - „Vollendung des Energiebinnenmarktes“, KOM (2001) 125 endg,
S. 39 f.
125Mitteilung der Kommission - „Vollendung des Energiebinnenmarktes“, KOM (2001) 125 endg,
S. 40 ff.
78
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Das Werk befasst sich mit dem Gesetzesziel „Umweltverträglichkeit“ des Energiewirtschaftsgesetzes. Der Autor reduziert das Gesetzesziel auf eine Definition mit wenigen Kriterien. Ferner wird die Rechtsqualität von Ziel- und Zweckbestimmungen untersucht. Umwelteinwirkungen der Energieversorgung werden aufgezeigt – insbesondere in welchem Umfang Netztechnik, Struktur und Steuerung der Netze Auswirkungen auf die Umwelt haben. Umweltverträglicher Netzbetrieb bedeutet so beispielsweise die möglichst weitgehende Einbindung dezentraler Erzeuger und eine effiziente Abstimmung von Angebot und Nachfrage. Schließlich werden Beispiele gebildet, um zu zeigen, inwieweit „Umweltverträglichkeit“ in Abwägung mit den anderen Zielbestimmungen des EnWG Auswirkung bei der Auslegung des Energiewirtschaftsrechts haben kann. So wird unter anderem deutlich, dass „Netzausbau“ unter Berücksichtigung der Umweltverträglichkeit nicht nur den Bau neuer Leitungen, sondern auch das Überwachen der Temperatur der bestehenden Leitung bedeuten kann.