Eine Fiktion ist die gewollte Gleichsetzung eines als ungleich Erkannten.70 Wesentliche Eigenart einer Fiktion ist also die normative Gleichbewertung verschiedener Tatbestände im Sinne einer „als ob“-Formel.71 Von Bedeutung sein spricht diesen alternativen Energiequellen große Wichtigkeit zu – damit scheint die Umweltverträglichkeit in der Wertung des Gesetzgebers gegeben zu sein. Allerdings besteht
ein wesentlicher Unterschied zwischen der Wertung von Bedeutung sein und dem
Gleichsetzen im Sinne der Formulierung, die alternativen Energiequellen seien umweltverträglich. Nur eine Formulierung im letzteren Sinne ließe sich als Fiktion werten. Eine Fiktion liegt hier somit nicht vor.72
2. Regelvermutung
Es könnte eine Regelvermutung vorliegen. Regelvermutungen finden sich zum Beispiel in § 11 Abs. 3 S. 3 BauNVO, § 891 Abs. 1 BGB oder Art. 28 Abs. 2 EGBGB.
Beim Vorliegen eines bestimmten Tatbestands wird eine Rechtsfolge angenommen.
Dies wird auch durch den Wortlaut deutlich: Die Rechtsfolge wird vermutet (§ 891
Abs. 1 BGB, Art. 28 Abs. 2 EGBGB) oder ist in der Regel anzunehmen (§ 11 Abs. 3
S. 3 BauNVO). Der Gesetzgeber macht damit deutlich, dass die Regelvermutung
grundsätzlich zutreffen soll.
Mit der Formulierung wesentliche Bedeutung wird deutlich, dass der Gesetzgeber
davon ausgeht, Kraft-Wärme-Kopplung und erneuerbare Energien seien wichtig für
die Umweltverträglichkeit der Energieversorgung. Beide Formen der Energieproduktion sind also grundsätzlich oder weitgehend umweltverträglich. Zwar können
beide Formen der Energiegewinnung die Umwelt auch beeinträchtigen. Es besteht
aber die grundsätzliche Vermutung, dass beide Energieproduktionsformen das Umweltverträglichkeitsziel besonders wirksam erfüllen können.73
Damit formuliert das Gesetz also eine Regelvermutung hinsichtlich der Umweltverträglichkeit der Nutzung von Kraft-Wärme-Kopplung und erneuerbarer Energien.
Kann grundsätzlich eine Beeinträchtigung der Umwelt durch die Energieproduktion
angenommen werden, ist die besondere Schädlichkeit von KWK und erneuerbaren
Energien also zu begründen.
V. Ergebnis der Bestimmung des § 3 Nr. 33 EnWG
Nach dem Einsparungsgrundsatz ist eine Maßnahme umweltverträglich, wenn sie im
Vergleich zu anderen Handlungsmöglichkeiten Energie einspart. Dies führt zu gerin-
70 Fikentscher, Methoden des Rechts, Band IV, S. 285; Larenz, Methodenlehre, S. 262 m.w.N.
71 Esser, Wert und Bedeutung der Rechtsfiktionen, S. 29 f.
72 So auch Rebentisch, Umweltschutz im Energiewirtschaftsgesetz, UTR 2000, S. 191, 197.
73 Dagegen siehe Rebentisch, Umweltschutz im Energiewirtschaftsgesetz, UTR 2000, S. 191,
197.
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geren Emissionen bei der Energiegewinnung und ist Mittel, um ein Ziel des Grundsatzes des Ressourcenerhalts zu erreichen: die Schonung endlicher und regenerierbarer Ressourcen. Nach dem Belastungsminimierungsgrundsatz ist eine Maßnahme
umso umweltverträglicher, je weniger sie die Umwelt beeinträchtigt. Hinsichtlich
der ressourcenschonenden und emissionsarmen erneuerbaren Energien wie auch der
energieeffizienten KWK wird die Regelvermutung aufgestellt, sie seien umweltverträglich im Sinne des EnWG.
Die einzelnen Elemente der Definition sind nicht scharf voneinander zu trennen.
Rebentisch ist somit rechtzugeben, dass die Definition als solche nicht konturenscharf ist.74 Im Rahmen der erfolgten Gesamtbetrachtung lassen sich jedoch redundante Ziele streichen, um zum Kern der Definition vorzudringen. Der Umweltverträglichkeitsbegriff des EnWG zielt letztlich darauf ab, Ressourcen zu schonen und
Beeinträchtigungen der Umwelt zu vermeiden. Zwar differenziert die Definition
zwischen dem sparsamen Umgang mit Elektrizität, Gas und Ressourcen. Auch wird
das Phänomen der Emissionen aus Sicht der Energieverwendung thematisiert (Einsparungsgrundsatz) und einmal aus Sicht des Produzenten (Belastungsminimierungsgrundsatz). Aber letztlich führen alle weit gefassten Bestandteile der Definition
zu den Zielen Ressourcenschonung und Vermeidung von Beeinträchtigungen der
Umwelt. Diese Kriterien sind bestimmt genug, um einzelne Maßnahmen daraufhin
zu untersuchen, ob sie umweltverträglicher als andere sind. Damit ist der Umweltverträglichkeitsbegriff rechtlich handhabbar.
C. Verankerung im deutschen Verfassungsrecht
Der Umweltverträglichkeitsbegriff des EnWG könnte im deutschen Verfassungsrecht verankert sein. Hier ist insbesondere Art. 20a GG zu untersuchen. Art. 20a GG
ist eine Staatszielbestimmung, nach der der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen durch den Staat angeordnet wird. Der Begriff natürliche Lebensgrundlagen ist
dem Umweltbegriff im Wesentlichen gleichzusetzen.75 Staatszielbestimmung bedeutet, dass Art. 20a GG einen Grundsatz normiert, der bei staatlichem Handeln zu berücksichtigen ist. Verpflichtet ist somit der Staat und nicht Private.76 Staatliche Organe wie Gesetzgeber, Verwaltung und Gerichte sind bei Vollzug und Anwendung
des geltenden (auch einfachgesetzlichen) Rechts verpflichtet, das Staatsziel zu beachten.77 Für den Gesetzgeber folgt daraus die objektive Gesetzgebungspflicht, ge-
74 Rebentisch, Umweltschutz im Energiewirtschaftsgesetz, UTR 2000, S. 191, 197 f.
75 Epiney, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 20a, Rn. 15; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG,
Art. 20a, Rn. 36; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hg.), GG, Bd. 2, Art. 20a, Rn. 32. Zum Meinungsstand siehe Kloepfer, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, Bonner Kommentar, Art. 20a, Rn. 63. Siehe
auch S. 58 unter Nr. 5.
76 Kloepfer, in: Dolzer/Vogel/Graßhof, Bonner Kommentar, Art. 20a, Rn. 29; Scholz, in: Maunz/
Dürig, GG, Art. 20a GG, Rn. 44 ff; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hg.), GG, Bd. 2, Art. 20a, Rn.
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References
Zusammenfassung
Das Werk befasst sich mit dem Gesetzesziel „Umweltverträglichkeit“ des Energiewirtschaftsgesetzes. Der Autor reduziert das Gesetzesziel auf eine Definition mit wenigen Kriterien. Ferner wird die Rechtsqualität von Ziel- und Zweckbestimmungen untersucht. Umwelteinwirkungen der Energieversorgung werden aufgezeigt – insbesondere in welchem Umfang Netztechnik, Struktur und Steuerung der Netze Auswirkungen auf die Umwelt haben. Umweltverträglicher Netzbetrieb bedeutet so beispielsweise die möglichst weitgehende Einbindung dezentraler Erzeuger und eine effiziente Abstimmung von Angebot und Nachfrage. Schließlich werden Beispiele gebildet, um zu zeigen, inwieweit „Umweltverträglichkeit“ in Abwägung mit den anderen Zielbestimmungen des EnWG Auswirkung bei der Auslegung des Energiewirtschaftsrechts haben kann. So wird unter anderem deutlich, dass „Netzausbau“ unter Berücksichtigung der Umweltverträglichkeit nicht nur den Bau neuer Leitungen, sondern auch das Überwachen der Temperatur der bestehenden Leitung bedeuten kann.