III. (n-1)-Kriterium
Versorgungs- und Übertragungsnetze werden nach dem Prinzip der (n-1) - Sicherheit15 betrieben. Das Prinzip gibt vor, dass ein beliebiges Netzbetriebsmittel ausfallen kann, ohne dass es zu einer Versorgungsunterbrechung kommt und ohne dass die
verbleibenden Betriebsmittel überlastet werden.16 Sind diese Voraussetzungen gesichert, kann sich ein Netzfehler nicht aufgrund überlasteter Bauteile kaskadenartig
ausbreiten, indem ein Ausfall von einem Betriebsmittel die Überlastung eines weiteren bedingt.
IV. Regelzonen und Regelleistung
Die deutsche Übertragungsnetzebene ist in vier Regelzonen17 unterteilt. Jede Regelzone unterliegt dem Verantwortungsbereich eines der vier Übertragungsnetzbetreiber (E.ON Netz GmbH, RWE Net AG, Vattenfall Europe Transmission AG und
EnBW Transportnetze AG).
Wesentliches Element der Netzsteuerung ist es, die Netzfrequenz von 50 Hz und
die in der jeweiligen Netzebene gewünschte Spannung konstant zu halten. Da das
Stromnetz weder Spannung noch Frequenz „speichern“ kann, müssen Erzeuger immer so viel elektrische Energie einspeisen, wie gerade entnommen wird. Weichen
prognostizierte Einspeisung oder Entnahme voneinander ab, führt dies zu einem Ungleichgewicht bei der Leistungsbilanz und Frequenz. Um das Ungleichgewicht der
Leistungsbilanz wieder auszugleichen und die Frequenz wieder auf 50 Hz zurückzuführen, muss Regelleistung eingesetzt werden. Entweder wird überschüssige Energie
sofort abgeführt (negative Regelleistung), oder fehlende Energie wird in das Netz
eingespeist (positive Regelleistung). Der Einsatz erfolgt in drei Schritten:
Primärregelleistung wird innerhalb weniger Sekunden nach einer Störung eingesetzt und dient der Begrenzung und schnellen Reduzierung der Frequenzabweichung. Sobald ein Kraftwerksausfall oder eine nicht prognostizierte Entnahme die
Netzfrequenz absinken lässt, erhöhen die am Netz befindlichen Kraftwerke automatisch ihre Leistung. Im umgekehrten Fall eines plötzlichen Überangebots an elektrischer Energie senken die fraglichen Kraftwerke ihre Einspeiseleistung. Nach 30 Sekunden muss die Primärregelleistung vollständig aktiviert sein und für 15 Minuten
15 Sprich „n minus eins Sicherheit“.
16 Schwarz, Anwendung des Netzsicherheitsmanagements in Brandenburg, S. 17; VDN, TransmissionCode 2007, S. 70 (9.2).
17 Folgende Darstellung beruht im Wesentlichen auf diesen Quellen: BBH/BET, R-A-N Gutachten, S. 6 f.; Brückl/Neubarth/Wagner, Regel- und Reserveleistungsbedarf eines ÜNB, ET
1-2/2006, S. 50 ff.; DENA, Netzstudie, S. 252; Engelsing, in: Säcker (Hg.), Berliner Kommentar EnR, GWB § 19, Rn. 167; Meier, in: Bartsch/Salje/Röhling/Scholz (Hg.), Stromwirtschaft,
S. 357 f.; Oeding/Oswald, Elektrische Kraftwerke und Netze, S. 180 ff.; Wawer, Förderung erneuerbarer Energien im liberalisierten deutschen Strommarkt, S. 56 ff.; VDN, Transmission-
Code 2007.
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zur Verfügung stehen können. Im europäischen UTCE-Verbund werden dafür 3.000
MW zurückgehalten. Diese Größe orientiert sich am gleichzeitigen Ausfall von zwei
großen thermischen Kraftwerksblöcken (z.B. Kohle- oder Atomkraftwerke).
Sekundärregelleistung ersetzt die Primärregelleistung automatisch, wenn die
Störung länger als 30 Sekunden anhält. Sie soll die gewünschte Leistungsverteilung
wieder herstellen und verbliebene Frequenzabweichungen zurückführen. Innerhalb
von 5 Minuten muss die Sekundärregelleistung in vollem Umfang zur Verfügung
stehen und für 15 Minuten vorgehalten werden können. Spätestens mithilfe der Sekundärregelleistung wird die Frequenz wieder auf ihren Sollwert von 50 Hz und die
Übergabeleistung zwischen den Regelzonen wieder auf den vereinbarten Wert gehoben.
Die Tertiärregelleistung (auch Minutenreserve) wird zur vollen Viertelstunde,
also spätestens nach 15 Minuten, manuell eingesetzt. Der Übertragungsnetzbetreiber
ist verantwortlich für vier Viertelstunden, inklusive der Viertelstunde, in der der
Fehler auftrat. Danach wird die Verantwortung an den Bilanzkreisverantwortlichen18
abgegeben.
Wie gezeigt, ist der Einsatz der Regelleistungen hierarchisch organisiert. Die
schnell zur Verfügung stehende Leistung wird durch die (günstigere) langsamer abrufbare Leistung ersetzt. So wird gewährleistet, dass die jeweils schneller bereitzustellende Leistung wieder verfügbar ist, um weitere Ungleichgewichte ausgleichen
zu können.
Gemäß § 6 Abs. 1 StromNZV muss Regelleistung grundsätzlich regelzonenübergreifend ausgeschrieben werden. § 6 Abs. 2 StromNZV erlaubt es allerdings, einen
Kernanteil innerhalb der Regelzone auszuschreiben.19 Die Modalitäten regeln Beschlüsse20 der Bundesnetzagentur.
V. Bilanzkreise, Ausgleichsenergie
Von der Regelenergie ist die Ausgleichsenergie zu unterscheiden. Ausgleichsenergie
sind Austauschvorgänge zwischen einem Bilanzkreisverantwortlichen und dem
Übertragungsnetzbetreiber.21
§ 20 Abs. 1a S. 5 EnWG schreibt als Voraussetzung des Netzzugangs die Schaffung eines Bilanzkreises durch einen Bilanzkreisvertrag vor.22 Korrespondierend ist
gemäß § 4 Abs. 3 StromNZV jede Einspeise- oder Entnahmestelle einem Bilanz-
18 Siehe unter Nr. V.
19 Für die Primärregelung ist allerdings kein Kernanteil erforderlich, Primärreglung: BNetzA, Beschl. Vom 17. 11. 2006, Az. BK6-06-065, S. 18.
20 Primärreglung: BNetzA, Beschl. vom 17. 11. 2006, Az. BK6-06-065; Sekundärreglung: BNetzA, Beschl. vom 17. 11. 2006, Az. BK6-06-066; Minutenreserve: BNetzA, Beschl. vom 17. 11.
2006, Az. BK6-06-012.
21 BBH/BET, R-A-N Gutachten, S. 9 Fn. 5.
22 Zur Notwendigkeit eines darüber hinausgehenden Einspeisvertrags: Herzmann, Zur Gestaltung
des Netznutzungsvertrages nach § 20 Abs. 1a EnWG, RdE 2007, S. 76 ff.
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References
Zusammenfassung
Das Werk befasst sich mit dem Gesetzesziel „Umweltverträglichkeit“ des Energiewirtschaftsgesetzes. Der Autor reduziert das Gesetzesziel auf eine Definition mit wenigen Kriterien. Ferner wird die Rechtsqualität von Ziel- und Zweckbestimmungen untersucht. Umwelteinwirkungen der Energieversorgung werden aufgezeigt – insbesondere in welchem Umfang Netztechnik, Struktur und Steuerung der Netze Auswirkungen auf die Umwelt haben. Umweltverträglicher Netzbetrieb bedeutet so beispielsweise die möglichst weitgehende Einbindung dezentraler Erzeuger und eine effiziente Abstimmung von Angebot und Nachfrage. Schließlich werden Beispiele gebildet, um zu zeigen, inwieweit „Umweltverträglichkeit“ in Abwägung mit den anderen Zielbestimmungen des EnWG Auswirkung bei der Auslegung des Energiewirtschaftsrechts haben kann. So wird unter anderem deutlich, dass „Netzausbau“ unter Berücksichtigung der Umweltverträglichkeit nicht nur den Bau neuer Leitungen, sondern auch das Überwachen der Temperatur der bestehenden Leitung bedeuten kann.