1. Kapitel: Einleitung
Die Produktion und Verteilung von Energie beeinträchtigt die Umwelt durch drei
Faktoren im hohen Maße: Dies sind die damit verbundenen Emissionen, das Gefahrenpotenzial und der Ressourcenverbrauch. Deshalb sind Umwelt- und Energiepolitik untrennbare Politikbereiche.1
Mit dem EnWG 98 wurde zusätzlich zu den klassischen Zielen Sicherheit und
Preisgünstigkeit die Umweltverträglichkeit der Energieversorgung als Gesetzesziel
aufgenommen. Zweifelsohne ist Umweltverträglichkeit ein Ziel, das in seiner Symbolik dem Zeitgeist entspricht. Gelingende Symbolisierung ist zumindest politisch
eine notwendige Voraussetzung für die Bearbeitung von Problemen.2 Damit hat die
symbolische Gesetzgebung zumindest soziologisch Auswirkungen auf das Recht.
Aber aus rechtlicher Sicht verändert symbolisches Recht nicht, es verursacht nur den
Eindruck, dass etwas geändert wird.3 Ist das Gesetzesziel Umweltverträglichkeit
noch mehr als das politische Symbol eines Umdenkens? Büdenbender waren 2005
noch keine behördlichen oder gerichtlichen Entscheidungen bekannt, die sich auf
das Umweltverträglichkeitsziel des § 1 EnWG stützen.4 Doch es sind bereits Urteile
zu finden, die bei der Auslegung Bezug auf die Gesetzesziele des § 1 EnWG nehmen.5 Und ohnehin ist mit dem aktuellen EnWG von 2005 die Grundlage für eine
Vielzahl neuer Behördenentscheidungen, vor allem Regulierungsentscheidungen,
gelegt worden. Die Chance, behördliche Entscheidungen zu finden, die sich mit dem
Gesetzeszweck des EnWG auseinandersetzen, steigt also.
So hat zum Beispiel die Bundesnetzagentur im Jahr 2006 damit begonnen, Netznutzungsentgelte zu genehmigen. Sie überprüft, ob die Kosten des Netzbetriebs denen eines effizienten und strukturell vergleichbaren Netzbetreibers entsprechen
(§ 21 Abs. 2 EnWG). Es ist vorstellbar, dass ein Netzbetreiber Netzausbau und -umbaumaßnahmen vornehmen möchte, die einer Integration von Strom aus umweltfreundlichen Energieanlagen dienen. Da sich eine solche Investition in den Netznutzungsentgelten niederschlägt, muss sie genehmigt werden. Die Kosten der Integration dürfen aber nicht beliebig hoch sein. Die Preiswertigkeit der Netzentgelte ist also
gegenüber Umweltverträglichkeitsgesichtspunkten abzuwägen, womit das Konfliktfeld der Ziele des § 1 EnWG widergespiegelt würde.
1 Tettinger, Ökologische Dimension der Elektrizitätswirtschaft, in: Dolde (Hg.), Umweltrecht im
Wandel, S. 950, S. 969 m.w.N.
2 Hansjürgens/Lübbe-Wolff, Symbolische Umweltpolitik, S. 11, 14.
3 Jarass, Systematik des Immissionsschutzrechts, in: Dolde (Hg.), Umweltrecht im Wandel, S.
381, 390.
4 Büdenbender, Umweltschutz in der Novelle des EnWG, DVBl 2005, S. 1161, 1166.
5 OLG Düsseldorf, Beschluss v. 9. 5. 2007 – Az.: VI-3 Kart 289/06 (V), Rn. 71; OLG München,
Urt. v. 3. 8. 2006 – U (K) 5768/05, Rn. 88 (in juris abrufbar).
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Hier rückt die Frage in den Vordergrund, welche Rechtsqualität Umweltverträglichkeit hat. Ist der Begriff nur ein „ökologischer Gemeinplatz“6, trifft also lediglich
eine politische Aussage, deren Auswirkungen damit auch auf den politischen Raum
begrenzt sind? Oder aber muss das Umweltverträglichkeitsziel in § 1 EnWG in behördlichen Entscheidungen und von privaten Akteuren zwingend beachtet werden?
A. Gegenstand und Ziel der Untersuchung
Der Energiebereich lässt sich -angelehnt an die Entflechtungsvorschriften des zweiten Teils des EnWG- in drei Bereiche unterteilen: Produktion, Netzbetrieb und Vertrieb.
Werden die Umweltauswirkungen der Energieversorgung betrachtet, wird meist
bei der Energieproduktion angesetzt. Das ist verständlich, entstehen hier doch die
meisten Schadstoffe. So entfallen rund 45 Prozent der in Deutschland emittierten
CO2 - Gesamtmenge auf den Energiesektor.7 Der Anteil am Schwefelausstoß liegt
bei etwa 54 Prozent.8 Wegen der Verwendung fossiler Brennstoffe werden Schwefel- oder Kohlenstoffverbindungen zusätzlich in die jeweiligen Kreisläufe eingespeist.
Im Vertriebsgeschäft wird Energie verkauft. Der Umweltverträglichkeit des Vertriebs dient zum Beispiel § 37 Abs. 1 S. 2 EnWG, wonach die Ausnahme von der
Grundversorgungspflicht bei Eigenversorgung nicht gilt, wenn die Eigenversorgung
mit EEG oder KWK-Anlagen erfolgt. Fragen des Vertriebs sollen im Rahmen dieser
Untersuchung aber gar nicht behandelt werden. Und auch die Energieproduktion
wird nur insoweit einbezogen, wie sie Auswirkungen auf die Netzstruktur und -steuerung hat.9
Gegenstand der Untersuchung soll die Umweltverträglichkeit von Energienetzen
sein. Denn auch Energienetze wirken sich auf die Umwelt aus. Unmittelbare Auswirkungen sind offensichtlich: Freileitungen prägen und beeinträchtigen das Landschaftsbild und beeinträchtigen aufgrund eines elektromagnetischen Feldes die Umwelt. Aber Energienetze haben auch mittelbare Auswirkungen. So kann die Kapazität und Steuerung eines Bereichs des Stromnetzes besonders geeignet sein, Strom
6 So Rebentisch, Umweltschutz im Energiewirtschaftsgesetz, UTR 2000, S. 191, 197.
7 BMU, Erneuerbare Energien in Zahlen, S. 21.
8 Für 1996: Obermeier, in: Guederian (Hg.), Handbuch der Umweltveränderungen und Ökotoxikologie, Band 1A, S. 71.
9 Insbesondere wird hinsichtlich der Stromerzeugung aus Atomkraft von der geltenden Rechtslage des Atomausstiegs aufgrund des Atomkonsenses vom 14. 6. 2000 ausgegangen. Da die vorhandene Netzstruktur Atomkraftwerke bereits ideal einbindet, besteht hier auch kein weiterer
Entwicklungsbedarf. Auch wenn die Produktion elektrischer Energie in Atomkraftwerken weitgehend CO2-neutral ist, ist somit wegen des Atomausstiegs nicht weiter auf das Verhältnis zwischen Netzstruktur, Netzsteuerung und Atomkraft einzugehen. Des Weiteren ist anzumerken,
dass trotz des niedrigen Treibhausgasausstoßes die Energieproduktion mittels Atomkraft die
Umwelt beeinträchtigt. Als herausragendes Beispiel sei der hoch-radioaktive Abfall genannt,
der hunderttausende von Jahren strahlt und für den zumindest in der EU kein Endlager existiert.
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aus umweltverträglichen Anlagen aufzunehmen. Oder eine Gasleitung kann einen
Durchschnitt haben, der die Einspeisung von Biomethan erleichtert. Des Weiteren
können Netze so gesteuert werden, dass die Lastprofile der angeschlossenen Anbieter und Abnehmer effizient in Einklang gebracht werden, womit Energie gespart
wird. Die Möglichkeit, umweltverträgliche Energieanlagen anzuschließen und Energieeffizienzmaßnahmen vornehmen zu können, kann die Umweltverträglichkeit von
Netzen bestimmen.
Ziel dieser Untersuchung ist es festzustellen, was unter dem Begriff Umweltverträglichkeit des EnWG zu verstehen ist, ob sich daraus konkrete Rechtsfolgen ergeben können und wenn ja, welche Auswirkungen auf die Struktur und Steuerung der
Energienetze denkbar sind.
B. Zentrale Fragestellungen
Die rechtliche Bedeutung des Umweltverträglichkeitsziels im EnWG wird herkömmlich vor allem aus zwei Gründen als eingeschränkt betrachtet. Einerseits sei es
zu konturenlos um es anwenden zu können, andererseits fänden sich kaum Anwendungsmöglichkeiten im Rahmen des Energiewirtschaftsrechts, weil Umweltverträglichkeitsaspekte durch spezielles Umweltrecht geregelt würden.
Hinsichtlich der Bestimmbarkeit des Ziels stellt sich zunächst die Frage, wie bestimmt ein Gesetzesziel sein muss, damit es Rechtswirkung entfalten kann. Damit
verbunden ist die Frage, in welchem Zusammenhang ein Gesetzesziel überhaupt Anwendung finden kann. In Betracht kommt vor allem die zwingende Beachtung des
Gesetzeszwecks im Rahmen der teleologischen Auslegung. Letztlich muss also festgestellt werden, ob das Umweltverträglichkeitsziel bestimmt genug ist, um bei der
Auslegung herangezogen werden zu können.
Des Weiteren muss untersucht werden, inwieweit spezielles Umweltrecht im
Rahmen der Netzstruktur und -steuerung zu beachten ist. Sind spezielle umweltrechtliche Normen anwendbar, könnte eine darüber hinausgehende Auslegung des
EnWG schwer zu vertreten sein. Dies könnte insbesondere für den Bereich der Planung und der Anlagenzulassung zutreffen.
Dagegen könnten sich Anwendungsmöglichkeiten in Bereichen ergeben in denen
Umweltauswirkungen zwar spürbar sind, diese aber nicht durch spezielle Normen
schon begrenzt werden. In Betracht kommt unter anderem die Beachtung von Umweltverträglichkeitsaspekten bei der Planung von Referenznetzen im Rahmen der
Anreizregulierung, der Nutzung energieeffizienter dezentraler Optionen und der Optimierung des Netzbetriebs. Würde das Umweltverträglichkeitsziel bei Entscheidungen in diesem Rahmen anwendbar sein und die Auslegung beeinflussen können,
wäre dessen rechtliche Bedeutung nachgewiesen.
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References
Zusammenfassung
Das Werk befasst sich mit dem Gesetzesziel „Umweltverträglichkeit“ des Energiewirtschaftsgesetzes. Der Autor reduziert das Gesetzesziel auf eine Definition mit wenigen Kriterien. Ferner wird die Rechtsqualität von Ziel- und Zweckbestimmungen untersucht. Umwelteinwirkungen der Energieversorgung werden aufgezeigt – insbesondere in welchem Umfang Netztechnik, Struktur und Steuerung der Netze Auswirkungen auf die Umwelt haben. Umweltverträglicher Netzbetrieb bedeutet so beispielsweise die möglichst weitgehende Einbindung dezentraler Erzeuger und eine effiziente Abstimmung von Angebot und Nachfrage. Schließlich werden Beispiele gebildet, um zu zeigen, inwieweit „Umweltverträglichkeit“ in Abwägung mit den anderen Zielbestimmungen des EnWG Auswirkung bei der Auslegung des Energiewirtschaftsrechts haben kann. So wird unter anderem deutlich, dass „Netzausbau“ unter Berücksichtigung der Umweltverträglichkeit nicht nur den Bau neuer Leitungen, sondern auch das Überwachen der Temperatur der bestehenden Leitung bedeuten kann.