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1997 beschreibt die NATO auch als ein Instrument zur gemeinsamen Interessenformulierung und Interessendurchsetzung gegenüber dritten Akteuren.471
Im Deutschen Bundestag gab es einen parteiübergreifenden Konsens, dass die
Osterweiterung ein primär politischer Prozess sei und nicht einfach die „Expansion
einer Militärmaschine“ bedeute. 472 Nach Auffassung von Christian Schmidt
(CDU/CSU) habe das Bündnis „neue Aufgaben dazu gewonnen, die weitaus mehr
im politischen als im militärischen Bereich liegen“.473 Dementsprechend standen in
beiden Bundestagsdebatten die politisch-ökonomischen und nicht die militärischen
Kriterien für den Beitritt der östlichen Reformstaaten zur Diskussion. Allein die
Kritiker der Erweiterungspolitik der NATO sahen eine Prioritätenverschiebung vom
Zivilen zum Militärischen474 sowie einen weiteren Ausbau der NATO als „Weltpolizist Nummer eins“475 und forderten angesichts der bereits beschlossenen Erweiterung
den Verzicht Deutschlands und anderer europäischer NATO-Partner auf „global
interventionsfähige Krisenreaktionskräfte“.476
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Debatten im Deutschen Bundestag im Wesentlichen den Argumentationslinien der Bundesregierung folgten. Darin
kam ein minimalistisches Kostenkonzept zum Ausdruck, das keine signifikanten
Rüstungsmaßnahmen in den alten wie in den neuen Mitgliedstaaten vorsah. Es ging
Bonn in erster Linie darum, das politische Projekt der Osterweiterung nicht mit
finanziellen Aspekten zu belasten, weder in der Bundesrepublik noch in den USA.
Nach vorherrschender Meinung der relevanten sicherheitspolitischen Akteure würde
die Aufnahme der östlichen Anwärter weitgehend kostenneutral vonstatten gehen.
Das deutsche Verständnis der Osterweiterung räumte den nach innen und außen
gerichteten politischen Funktionen der Sicherheitsinstitution NATO den absoluten
Vorrang ein.
4.2.6 Zwischenfazit zur ersten Erweiterungsrunde
4.2.6.1 Gestaltungswille der deutschen Politik
Die Bundesregierung übernahm eine Führungsrolle im Prozess der politischen Öffnung der euro-atlantischen Institutionen gegenüber den Staaten des ehemaligen
Warschauer Pakts. Ein besonderes Merkmal der deutschen Politik lag darin, die
Öffnung der NATO von Anfang an in einem gesamteuropäischen Kontext zu konzi-
471 Vgl. Deutscher Bundestag, Antrag der CDU/CSU und FDP (25.6.1997), S.2.
472 Pflüger in: Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll (26.6.1997), S.16623. Vgl. ähnlich auch
Schmidt in: Ebd., S.16638; Verheugen in: Ebd., S.16625 und Irmer in: Ebd., S.16630.
473 Schmidt in: Ebd., S.16639; Poppe in: Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll (26.3.1998),
S.20442.
474 Beer in: Ebd., S.20453.
475 Andrea Gysi in: Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll (26.6.1997), S.16631.
476 Vollmer in: Ebd., S.16629; Deutscher Bundestag, Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN (25.6.1997), S.3.
133
pieren und umzusetzen. Gemeinsam mit der ersten Bush-Administration initiierte
Außenminister Genscher das Liaison-Konzept, das schließlich in die Gründung des
Nordatlantischen Kooperationsrates mündete. Darüber hinaus forcierte Bonn die
Öffnung der Europäischen Gemeinschaft und der Westeuropäischen Union – zunächst durch Assoziierung – sowie die Stärkung der KSZE/OSZE.
Der deutsche Verteidigungsminister Volker Rühe betrieb als erster hochrangiger
westlicher Regierungsvertreter offen die Ausweitung der NATO-Mitgliedschaft
nach Osten. Gemeinsam mit den zunächst wenigen Erweiterungsbefürwortern in den
USA trug er damit wesentlich zur Grundsatzentscheidung zugunsten dieses Prozesses bei. Für die anderen Regierungsakteure überwog zunächst die Sorge über die
Auswirkungen der Osterweiterung auf die gesamteuropäische Lage und insbesondere auf das Verhältnis zu Russland. Vor dem Hintergrund dieses Dilemmas trat die
deutsche Diplomatie als passiver Akteur oder sogar als Bremser bei der Beantwortung der Fragen nach dem Wann und Wie, also nach den Beitrittskandidaten und
zeitlichen Abläufen, auf, nachdem die Frage nach dem Ob positiv entschieden worden war. Bundeskanzleramt und Außenministerium drängten die Bündnispartner zu
einer möglichst engen zeitlichen und politischen Verflechtung zwischen den Erweiterungsprozessen von NATO und EU, was angesichts der Erfordernisse des Acquis
Communautaire eine zeitliche Verzögerung bedeutete.
Um dem Dilemma zwischen der Integration einiger Reformstaaten und Ausgrenzungsbefürchtungen gegenüber den anderen Reformstaaten zu entgehen, entwickelte
die Bundesregierung in enger Abstimmung mit Washington einen doppelgleisigen
Ansatz der Kooperation und Integration, der insbesondere Russland und die Ukraine
einschloss. Der Anstoß für die institutionelle Formalisierung der russisch-westlichen
Sicherheitspartnerschaft ging von der Clinton-Administration aus, die erstmals ein
konkretes NATO-Russland-Arrangement vorschlug. Dem schloss sich die Bundesregierung frühzeitig an.
Als es in Madrid um die Entscheidung über den Kreis der einzuladenden Länder
ging, setzte sich Bonn dem Vorwurf der Unentschlossenheit und Passivität aus. Die
Bundesregierung ließ keine klare Präferenz zugunsten von drei, vier oder fünf Einladungen erkennen. Diese Unbestimmtheit eröffnete der deutschen Diplomatie in
Madrid jedoch den nötigen Handlungsspielraum, um einen tragfähigen Kompromiss
im Sinne der weiteren Öffnung der NATO zu erreichen.
Zusammenfassend stellt sich das Handlungsmuster der deutschen Politik gegen-
über der ersten Erweiterungsrunde der Allianz so dar, dass sie in der Beantwortung
der Frage nach dem Ob sowie in der flankierenden Gestaltung der Beziehungen
zwischen dem Bündnis und Russland eine aktive Politik verfolgte. Verteidigungsminister Rühe reagierte als einer der ersten westlichen Politiker auf die internationalen Veränderungen und die daraus resultierenden Forderungen der Mittelosteuropäer. Die Rücksichtnahme auf russische Interessen führte in der Folge jedoch dazu,
dass Bonn bei der Suche nach Antworten auf das Wie und Wann als Bremser auftrat. Als es 1997 in Madrid um die Auswahl der Kandidaten ging, trug die Bundesregierung unter Führung Helmut Kohls als Vermittlerin wesentlich zu dem am Ende
erreichten Kompromiss bei. Während des gesamten Prozesses entwickelte Bonn
134
einen differenzierten Ansatz, der das gesamte Spektrum von Kooperation über Partnerschaft bis hin zur Integration abdeckte.
4.2.6.2 Funktionsverständnis: Institutionelle Sicherheits- und Einflussinteressen
Aus deutscher Sicht nahmen während der gesamten Debatte die spezifischmilitärischen Funktionen der NATO-Osterweiterung gegenüber äußeren Risiken und
Bedrohungen einen untergeordneten Stellenwert ein. Sicherheitsinteressen im engeren Sinne, verstanden als der unmittelbare Schutz der territorialen Integrität und
politischen Unabhängigkeit, spielten in der deutschen Politik keine wesentliche
Rolle. Weder die Armeen der mittelost- und osteuropäischen Länder noch die weitaus größeren Militärpotentiale in Russland wurden nach dem Abzug der russischen
Truppen aus dem geographischen Zentralbereich als unmittelbare Bedrohung betrachtet. Dies zeigte sich auch in der militärisch-minimalistischen Betrachtungsweise von Bundesregierung und Bundestag gegenüber der Kostenfrage der Erweiterungspolitik. Die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten folgte aus Bonner Sicht politischen und nicht militärischen Zielsetzungen. Die Auswirkungen der Osterweiterung
auf die militärischen Funktionen der kollektiven Verteidigung und des militärischen
Krisenmanagements wurden in der Bundesrepublik – anders als beispielsweise in
den USA – kaum thematisiert. Stattdessen betrachteten die relevanten sicherheitspolitischen Akteure das Militär im Allgemeinen und die Bundeswehr im Besonderen
als ein Integrationsinstrument zur Intensivierung der politischen Beziehungen mit
den östlichen Nachbarn.
Einflussinteressen im Sinne einer unmittelbaren Steigerung der deutschen Dominanz in der NATO, in den bündnisinternen Entscheidungsprozessen (Kontrolle über
Ressourcen) oder in den Beziehungen zu den östlichen Nachbarstaaten spielten in
der deutschen Sicherheitspolitik ebenfalls keine Rolle. Das ergibt sich auch daraus,
dass die Aufnahme neuer Mitglieder bei gleichzeitiger Verschlankung der Kommandostrukturen die Konkurrenz um einflussreiche Dienstposten und politische
Entscheidungskompetenzen unter den Mitgliedstaaten erhöhte.477 Einflussinteressen
wurden auch von keinem relevanten Akteur öffentlich geltend gemacht, um beispielsweise die Begrenzung des Erweiterungsprozesses auf wenige Staaten zu begründen.
Das primäre Ziel der deutschen Politik lag in der Unterstützung und Stabilisierung der politischen und ökonomischen Transformationsprozesse – im Sinne der
Festigung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und sozial verträglicher Marktwirtschaft – in allen östlichen Reformstaaten, einschließlich Russlands. Die NATO-
Beitritte Westdeutschlands und Spaniens 1955 bzw. 1982 waren hier die entsprechenden Präzedenzfälle. Es ging Bonn also um Einflussnahme auf den politischen
und wirtschaftlichen Kurs dieser Länder mittels Informationsaustausch, Konsultati-
477 Vgl. Weisser, Sicherheit für ganz Europa, S.168.
135
onen und kollektiven Entscheidungsregeln im institutionellen Rahmen (Kontrolle
über Politikergebnisse und Akteure).
Während sich die Mittelosteuropäer bereitwillig dieser Form der Einflussnahme
zum eigenen Vorteil öffneten, waren die Möglichkeiten direkter Einflussnahme auf
Russland sehr viel begrenzter. Da in Moskau gegensätzliche Denkschulen um die
Vorherrschaft konkurrierten, kam den euro-atlantischen Institutionen aus westlicher
Sicht die entscheidende Funktion zu, bestehenden Ängsten bzw. Einkreisungsphobien durch entsprechende Kooperationsangebote und vertrauensbildende Maßnahmen die Grundlage zu entziehen bzw. den Kurs der Reformer politisch und ökonomisch abzustützen.
Aus Bonner Sicht gab es dabei weder die Notwendigkeit noch die Möglichkeit
einer Alternative zur multilateralen Einbindung der deutschen Ostpolitik. Die Notwendigkeit bestand deshalb nicht, weil die Politik der euro-atlantischen Institutionen
gegenüber dem östlichen Europa weitgehend den deutschen Vorstellungen entsprach. Auch kamen bilaterale Alternativen aus materiellen wie aus ideellen Gründen nicht in Frage. Zum einen wiesen Rühe und andere sicherheitspolitische Entscheidungsträger wiederholt auf die hohen finanziellen Belastungen für die Bundesrepublik durch die Wirtschaftshilfe für Ostdeutschland sowie Mittelost- und
Osteuropa hin. Somit war die internationale Lastenteilung im Rahmen der europäischen und internationalen Institutionen ein wesentliches deutsches Interesse. Dar-
über hinaus befürchtete man in Bonn und anderswo eine Renationalisierung der
Außen- und Verteidigungspolitiken in diesen Ländern, die möglicherweise eine
unheilvolle deutsch-russische Konkurrenz um Einfluss ausgelöst und bestehende
Ungleichgewichte festgeschrieben hätte.478 Schließlich wirkte auch die historische
Erfahrung fort, nach der einseitige deutsche Einflussversuche in Ost oder West sowie jeder deutsche Sonderweg zu Misstrauen, Hegemoniebefürchtungen und letztlich zur Isolierung Deutschlands führen würde. Die multilaterale Einbindung bot vor
diesem Hintergrund einen Puffer für das gestiegene politische und ökonomische
Gewicht der Bundesrepublik nach der Vereinigung.479
Für die Bundesregierung stellte die Osterweiterung des Bündnisses einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur umfassenden Integration der östlichen Reformstaaten
in die europäischen Strukturen dar, während die Hauptaufgabe der politischen und
wirtschaftlichen Stabilisierung längerfristig der Europäischen Union zufiel. Der
komparative Vorteil der NATO bestand darin, dass sie erstens den Erweiterungsprozess aufgrund der weniger aufwendigen Kriterien schneller vorantreiben konnte,
dass sie zweitens den aus Sicht der Beitrittsanwärter notwendigen sicherheitspolitischen Rahmen für die politisch-ökonomischen Reformprozesse bot und dass sie
schließlich drittens durch ihre integrierten Militärstrukturen über einen einzigartigen
478 Vgl. Forndran, Herausforderungen und Chancen europäischer Sicherheit nach der Auflösung der Sowjetunion, S.48.
479 Vgl. Kastl, Europas Sicherheit auch ohne Rußland? S.34; Staack, Michael (2000), Handelsstaat Deutschland. Deutsche Außenpolitik in einem neuen internationalen System, Paderborn u.a., Ferdinand Schöningh, S.513.
136
Rahmen „freiwilliger, gegenseitiger Abhängigkeit und gemeinsamer Verantwortung“ verfügte.480 Darüber hinaus blieb die Allianz die einzige euro-atlantische Institution, welche sowohl den deutschen Militärbeitrag als auch die Interessen der USA
fest in Europa einbinden konnte.
Die Osterweiterung der NATO war aus deutscher Sicht vor allem eine Funktion
der europäischen Integration.481 Dies zeigte sich nicht zuletzt daran, dass die langfristige Erweiterungspolitik des Bündnisses nach verbreiteter Auffassung alle EU-
Beitrittskandidaten einschließen sollte.482 Dieses spezifische Funktionsverständnis ist
somit ein wesentlicher Grund dafür, warum die Bundesregierung den Beginn des
Erweiterungsprozesses der NATO zwar unterstützte, ihn in der Folge aber mit Blick
auf die Entwicklungen in Gesamteuropa abbremsen wollte. Aus dieser Perspektive
wird schließlich auch verständlich, warum die Kostenfrage in der Bundesrepublik
noch weniger kontrovers diskutiert wurde, als in den USA oder möglicherweise
auch in anderen NATO-Staaten.
4.2.6.3 Analyse der bürokratischen Politik
Im Zusammenhang mit den Entscheidungen zur ersten NATO-Osterweiterung gab
es zwischen den relevanten Regierungsakteuren in Deutschland systematische, wenn
auch nicht grundsätzliche Positionsunterschiede. Neben den persönlichen Ambitionen und Verbindungen von Verteidigungsminister Rühe verfolgte das BMVg einen
„NATO first“-Ansatz, der dem Ministerium ein umfangreiches legitimes Mitspracherecht eröffnete, das in anderen institutionellen Kontexten nicht in gleichem Maße
zur Verfügung stand. Damit ging einher, dass der Faktor Russland als wesentliches
Hindernis für ein zügigeres Vorgehen des NATO-Erweiterungsprozesses einen geringeren Rang einnahm, als dies für das Bundeskanzleramt oder das Auswärtige
Amt zutraf. Die Politik Bundeskanzler Kohls und Außenminister Kinkels war dagegen stärker von dem Bestreben gekennzeichnet, unterschiedliche Interessen in Ost
und West auszubalancieren und die bestehenden Zielkonflikte schrittweise und tastend abzubauen. Beide Politiker standen damit in der Tradition des „Sowohl-alsauch“ der Außenpolitik Hans-Dietrich Genschers. Dies spiegelte sich auch in den
Lebensläufen Kinkels und des Kanzlerberaters Bitterlich wider, die beide einst zum
engsten Mitarbeiterstab Genschers gehörten. Im Auswärtigen Amt herrschte eine
Perspektive vor, die gesamteuropäischen Fragen und damit der KSZE/OSZE besonderes Augenmerk schenkte. Ein hoher Beamter des Auswärtigen Amts nannte dies
480 Rühe in: Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll (26.3.1998), S.20449.
481 Dies deutet sich auch im SPD-Antrag zum Madrider NATO-Gipfel an, in dem die Erweiterung der Allianz „als eine weitere Stufe des europäischen Integrationsprozesses“ bezeichnet
wurde. Deutscher Bundestag (24.6.1997), Antrag der Fraktion der SPD. NATO-
Osterweiterung, Grundakte NATO-Rußland und die Zukunft der europäischen Sicherheit,
Drucksache 13/8033, Bonn, S.1.
482 Vgl. hierzu den Abschnitt 4.3.1.
137
im persönlichen Gespräch mit dem Autor einen „kulturellen Faktor“, da die persönliche Laufbahn vieler Diplomaten mit der KSZE eng verknüpft gewesen sei.483
Auch wenn Rühe sich selbst nicht nur als „Bundeswehrminister“, sondern als au-
ßenpolitisch denkender und handelnder Politiker sah, so vertraten Kohl und Kinkel
dennoch eine globalere Sichtweise der Möglichkeiten und Zwänge deutscher Au-
ßenpolitik. Dies entsprach den Kompetenzen und institutionellen Zusammenhängen
ihrer jeweiligen Ämter.
4.3 Die zweite Osterweiterung (1998-2004)
4.3.1 Die Politik der offenen Tür
Bereits in ihrer Erweiterungsstudie vom September 1995 hatte die Allianz in Einklang mit Artikel 10 des Washingtoner Vertrages festgelegt, dass grundsätzlich jeder
europäische Staat die Möglichkeit haben müsse, dem Bündnis beizutreten. In der
Folge proklamierten insbesondere die USA die Politik der „offenen Tür“. Als Präsident Clinton im Oktober 1996 in Detroit den zeitlichen Fahrplan für die erste Erweiterung bekannt gab, erklärte er, dass die NATO ihre Pforte nicht nach der ersten
Runde schließen werde und gab damit die politische Leitlinie der nächsten Jahre
vor: „NATO should remain open to all of Europe’s emerging democracies who are
ready to shoulder the responsibilities of membership. No nation will be automatically excluded. No country outside of NATO will have a veto.“484 In diesem Zusammenhang setzte sich die Clinton-Administration in der Folgezeit insbesondere
für die Beitrittsperspektive der drei baltischen Staaten ein. Bereits seit Ende 1995
hatten die USA eine Politik der bi- und multinationalen Einbindung dieser Länder in
die westlichen Strukturen betrieben, die im Januar 1998 in die „Baltic Charter of
Partnership“ mündete.485
In Madrid hatte die deutsche Bundesregierung maßgeblich zur Einigung auf die
Kompromissformel beigetragen, die Slowenien, Rumänien sowie das Baltikum
ausdrücklich in künftige Erweiterungsrunden einschloss. Angesichts der divergierenden Positionen der Bündnispartner vor dem Gipfel verfolgte die Bundesregierung
damit das Ziel, ein Scheitern des Gipfels durch einen tragfähigen Kompromiss zu
verhindern. Das bedeutete allerdings nicht, dass Bonn die baldige Aufnahme der
genannten Staaten auch tatsächlich forcierte. So berichtete beispielsweise der Nach-
483 Persönliches Interview.
484 United States Information Agency (22.10.1996), Transcript of the Remarks by President
W.J.Clinton to People of Detroit.
485 Vgl. Asmus, Opening NATO's Door, S.160. Zur Politik der Clinton-Administration gegen-
über den baltischen Staaten vgl. auch Vershbow, Alexander R. (2000), „NATO and the
Baltic States: Implications of Enlargement Policies,“ in: Arnswald, Sven und Wenig,
Marcus (Hrsg.), German and American Policies towards the Baltic States: The Perspectives
of EU and NATO Enlargement, Baden-Baden, Nomos, S.21-25.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Seit dem Ende des Kalten Krieges haben alle Bundesregierungen den weiterhin zentralen Stellenwert der Nordatlantischen Vertragsorganisation (NATO) sowie ihren Anspruch bekräftigt, den Transformationsprozess der Allianz aktiv mitzugestalten. Gleichzeitig sah sich die deutsche Sicherheitspolitik dem Vorwurf politischer und wissenschaftlicher Beobachter ausgesetzt, häufig passiv und inkonsequent zu handeln. So gilt Deutschland im Bereich des militärischen Krisenmanagements oder bei der Umsetzung militärischer Verpflichtungen seit langer Zeit als Bremser.
Vor diesem Hintergrund untersucht die vorliegende Monographie den Gestaltungswillen der deutschen NATO-Politik und die dieser Politik zugrunde liegenden Sicherheits- und Einflussinteressen in den Bereichen der Osterweiterungen, des militärischen Krisenmanagements und des Kampfes gegen den Terrorismus nach dem 11. September 2001. Sie bedient sich dabei eines institutionalistischen Analyserahmens, nach dem mehrere Funktionen von Sicherheitsinstitutionen – allgemeine und spezifische, politische und militärische – unterschieden werden können. Ein zentrales Ergebnis der Studie ist, dass sich die scheinbaren Widersprüche der deutschen Sicherheitspolitik damit erklären lassen, dass sie stets die politisch-integrativen Funktionen der NATO in den Mittelpunkt stellte.