240
C) Die Einordnung von Softwareerstellungsverträgen ohne hardwarebezogene
Zusatzleistungen
I. Einführung: Die Frage nach der Sachqualität des Softwareexemplars als solchem als entscheidendes Kriterium
1. Allgemeines: Die Übertragbarkeit der allgemeinen Prinzipien für die Anwendbarkeit des Sachkaufrechts auf Softwareüberlassungen oder die grundsätzliche
Unzulässigkeit einer Differenzierung zwischen Standard- und Individualsoftware hinsichtlich der Beurteilung der Sacheigenschaft
Für die Frage der Anwendbarkeit des § 651 S. 1 auf Softwareerstellungsverträge
gibt es im Prinzip drei Antworten: (1) Die Norm ist anwendbar; (2) die Norm ist
generell unanwendbar; (3) die Anwendbarkeit der Norm beschränkt sich auf die
Erstellung von Software, die mittels eines mobilen Datenträgers zu überlassen
ist.
Die wohl herrschende Ansicht lehnt die Anwendbarkeit des § 651 S. 1 bei Softwareerstellungsverträgen generell ab.884 Regelmäßig wird dies damit begründet,
dass sich der Vertrag nicht auf die Herstellung und Lieferung einer beweglichen
Sache, sondern auf die Herstellung und Lieferung eines geistigen, jedenfalls
unkörperlichen Werks beziehe.885 Daneben gibt es auch einige Autoren, die bei
Standardsoftware gegen die generelle Einordnung als Sache nichts einzuwenden
884 Palandt/Weidenkaff § 433 Rn. 9 u. -/Sprau Einf. v. § 631 Rn. 22; Erman/B. Grunewald vor § 433
Rn. 24; Erman/Schwenker vor §§ 631-651 Rn. 22; Faust in Bamberger/Roth § 474 Rn. 9; Staudinger/Peters § 651 Rn. 14; MünchKomm/H.P. Westermann vor § 433 Rn. 22 f.; MünchKomm4/
Busche § 651 Rn. 12; Voit in Bamberger/Roth § 651 Rn. 4; ders. BauR 2002, 145, 156; Lapp in
JurisPraxKomm § 651 Rn. 25 ff.; Leupertz in Prütting/Wegen/Weinreich § 651 Rn. 10; AnwK-
BGB/Raab § 651 Rn. 11; Junker/Benecke, Computerrecht, Rn. 155 ff.; Moritz in Kilian/Heussen
OrdNr. 31 Rn. 55 f.; Oechsler SchR BT Rn. 663; Oetker/Maultzsch § 8 Rn. 11; Schlechtriem SchR
BT Rn. 28; Benning/Oberrath S. 41; Thewalt S. 96; Zänker S. 131 ff., 147 f.; Hoeren in Dauner-
Lieb/Konzen/Schmidt S. 515, 518 f.; Maifeld in Westermann SchR 2002, 276; Warnke Rn. 33 f.;
Lenhard S. 168 ff.; Lejeune in Ullrich/Lejeune, Kap. 2 § 1 Rn. 295; Bartsch CR 2001, 649, 655;
Müller-Hengstenberg/Krcmar CR 2002, 549, 555 f.; K. Diedrich CR 2002, 473, 475 ff.; Spindler/
Klöhn CR 2003, 81, 83; Stichtenoth K&R 2003, 105, 108 ff.; D. Ulmer ITRB 2003, 162, 163;
Wüstenberg JA 2003, 424, 425; Derleder/Zänker NJW 2003, 2777, 2781 (Fn. 45); Junker NJW
2003, 2792, 2797; Heussen CR 2004, 1, 7; Müller-Hengstenberg CR 2004, 161, 165 f.; R. Schulze/
Ebers JuS 2004, 462, 467; Metzger AcP 204 (2004), 231, 247 f., 251 f., 254, 263; Schmidl MMR
2004, 590, 592 f.; Lapp ITRB 2006, 166, 167; Witzel/Stern ITRB 2007, 167, 168; widersprüchlich
Tiedtke in Reinicke/Tiedtke Rn. 722 (keine Anwendung), Rn 1136 (Anwendung); am Gesetzestext
vorbei und daher unzutreffend (§ 651 finde zwar Anwendung, habe aber nur zur Folge, dass der
werkvertragsrechtliche Gefahrübergang durch die §§ 446, 447 ersetzt werde, im übrigen sei vollumfänglich Werkvertragsrecht anwendbar, vgl. dagegen § 651 S. 3) Kilian in Kilian/Heussen
OrdNr. 20 Rn. 48 f. Zu Art. 1 Abs. 4 VerbrGKRL: Doehner S. 124; K. Diedrich CR 2002, 473,
476; Lippert CR 2002, 458, 464; Heussen CR 2004, 1, 7; Metzger AcP 204 (2004), 231, 254; wohl
auch Junker NJW 2003, 2792, 2797.
885 Exemplarisch Voit in Bamberger/Roth § 651 Rn. 4; Lenhard S. 168 ff.; K. Diedrich CR 2002, 473,
476; Heussen CR 2004, 1, 7; Metzger AcP 204 (2004), 231, 248.
241
haben, die Anwendbarkeit des § 651 S. 1 bei Individualsoftware aber dennoch
ablehnen.886
Ein nicht unbeachtlicher Teil der Literatur möchte § 651 S. 1 jedoch anwenden887, wobei einige davon deutlich darauf hinweisen, dass die Anwendbarkeit ihrer
Auffassung nach nicht davon abhängen könne, ob das Softwareexemplar mittels
eines mobilen materiellen Trägers oder auf unverkörperte Weise überlassen wird888.
Regelmäßig verweisen diese Autoren entweder auf die bisherige Rechtsprechung,
die so zu interpretieren sei, dass der BGH Software als Sache eingeordnet habe889,
oder es wird ausdrücklich ein weiter Sachbegriff vertreten, der die Einordnung von
Softwareexemplaren unter diesen Begriff erlaubt890. Zum Teil wird auch die Sachqualität von Softwareexemplaren abgelehnt, aber für eine analoge Anwendung des
§ 651 S. 1 plädiert.891
Ferner gibt es auch einige Autoren, welche die Anwendbarkeit des § 651 S. 1 bei
Softwareerstellungsverträgen davon abhängig machen wollen, ob das Softwareexemplar mittels eines mobilen Datenträgers zu überlassen ist.892
Da der BGH die Frage nach der Sachnatur gerade nicht entschieden hat, kann die
Frage nach der Anwendbarkeit des § 651 S. 1 jedenfalls nicht mit einem bloßen
Hinweis auf die bisherige Rechtsprechung beantwortet werden, und zwar weder
positiv noch negativ.893 Die Einordnungsfrage stellt sich wie eingangs erwähnt
886 Z.B. Faust in Bamberger/Roth § 474 Rn. 9; Lapp in JurisPraxKomm § 651 Rn. 25 ff.; Naus
S. 78 ff.; i. Erg. auch (teleol. Reduktion des § 651 S. 1) Bräutigam/Rücker CR 2006, 361, 367 f.
887 MünchKomm/Lorenz § 474 Rn. 10; Rösch in JurisPraxKomm § 631 Rn. 76; Steins in Bettinger/
Leistner Rn. 114 ff.; Haas in Haas/Medicus/Rolland/Schäfer/Wendtland Kap. 6 Rn. 70; Eckert
SchR BT Rn. 948; Lapp in Gounalakis § 43 Rn. 6; Schneider, Handbuch, S. 1464 f. i.V.m. S. 822
ff.; ders./Bischof ITRB 2002, 273; Krauß S. 41 ff.; Witzel in Schneider/Gr. v. Westphalen, Teil F
Rn. 86 ff; Schweinoch/Roas CR 2004, 326, 327, 330 f.; Raiser AnwBl 2001, 402, 403; Meub DB
2002, 131, 134; Hassemer ZGS 2002, 95, 102; Kotthoff K&R 2002, 105; Plath ITRB 2002, 98,
100; Härting ITRB 2002, 218, 219; Springer Anwalt 5/2002, 8, 9; Bauer/Witzel ITRB 2003, 62,
63; Hoene/Zeifang ITRB 2003, 228, 229 f.; Mankowski MDR 2003, 854, 857; Redeker CR 2004,
88, 90; Seffer/Horten ITRB 2005, 169, 170; Klett/Pohle DRiZ 2007, 198, 201. Zu Art. 1 Abs. 4
VerbrGKRL: Redeker CR 2004, 88, 90.
888 MünchKomm/Lorenz § 474 Rn. 10; Steins in Bettinger/Leistner Rn. 114 ff.; Schneider, Handbuch,
S. 1464 f. i.V.m. S. 822 ff.; ders./Bischof ITRB 2002, 273; Krauß S. 41 ff.; Schweinoch/Roas CR
2004, 326, 327, 330 f.
889 Z.B. Rösch in JurisPraxKomm § 631 Rn. 76; Plath ITRB 2002, 98, 100; Redeker ITRB 2002,
119 f.
890 Z.B. Krauß S. 41 ff.
891 So (allerdings beschränkt auf Fälle, bei denen dem Besteller/Käufer nur ein einfaches statt ein ausschließliches Nutzungsrecht überlassen wird) Redeker in Schneider/Gr. v. Westphalen, Teil D Rn.
71 ff., 86 f.
892 Thewalt CR 2002, 1, 4 (mit rechtspolitischer Kritik, in der Monographie dess. wird diese Ansicht
nicht aufrechterhalten und die Anwendbarkeit des § 651 S. 1 vollständig abgelehnt, vgl. dort
S. 96 f.); Preussner BauR 2002, 231, 241; Zu Art. 1 Abs. 4 VerbrGKRL: Luna Serrano in Grundmann/Bianca Art. 1 Rn. 33; offen lassend Vorsmann S. 28.
893 Insoweit zutreffend auch Thewalt S. 41; vgl. auch Zänker S. 131 ff. Auch ein einen Fall aus dem
Jahre 2000 betreffendes neueres Urteil des XII. Senats des BGH zum Application Service Providing (Einordnung als Sachmiete, CR 2007, 75 f.) wird man kaum als Hinweis darauf werten können, Software sei nunmehr als Sache i.S.d. § 651 S. 1 anzusehen (a.A. Klett/Pohle DRiZ 2007, 198,
201), da das Urteil erstens zum bisherigen Recht erging, zweitens mit den sich hier stellenden Fragen nicht in Berührung steht (das Mietrecht hat sich insoweit sachlich nicht geändert) und drittens
242
anders als im bisherigen Recht894 und ihre Beantwortung hat andere Folgen als bisher. Daher kann z.B. auch nicht einfach auf die »zumindest entsprechende Anwendung« des Sachkaufrechts verwiesen werden, denn dass die bisherige Einordnung
des Standardsoftwarekaufs in das Sachkaufrecht eine interessengerechte Lösung
war, sagt noch nichts darüber aus, ob nunmehr auch die Einordnung von Individualsoftware in das Sachkaufrecht eine interessengerechte Lösung ist.
Zu richten hat sich die Einordnung vielmehr nach den allgemeinen Prinzipien für
die Einordnung von Verträgen in das (Sach-)Kauf- und Werkvertragsrecht, denn es
gibt keinen Grund, für Software eine Ausnahme zu machen. Folgt man den hier im
Grundlagenkapitel vertretenen Prinzipien, so richtet sich die Einordnungsfrage mithin nach diesen. Vertritt man andere Grundprinzipien, so gelten konsequent diese
anderen.
Ausgegangen wird in der folgenden Erörterung von den hier vertretenen Grundprinzipien. Demnach kann die Frage der Einordnung von Softwareerstellungsverträgen nicht isoliert für § 651 S. 1 beantwortet werden, sondern es sind vor allem die
folgenden beiden Grundsätze zu beachten:
(1) Wenn ein Gegenstand als bewegliche Sache anzusehen ist, dann hängt die
Einordnung eines Vertrags über diesen Gegenstand nicht davon ab, ob der Gegenstand vertretbar ist oder nicht.895 Ob der Gegenstand individuellen Wünschen des
Bestellers/Käufers entspricht, ist demnach unbeachtlich. Nur wenn der Gegenstand
keine bewegliche Sache ist, kann die Unvertretbarkeit oder besser Individualität ein
Kriterium dafür sein, den Vertrag in das Werkvertragsrecht einzuordnen.
(2) Die Geschichte einer übereignungsbedürftigen beweglichen Sache ist irrelevant. Das heißt: soweit ein Gegenstand im fertigen Zustand Gegenstand eines klassischen Mobilienkaufs sein kann, unterfällt ein Vertrag § 651 S. 1, wenn er darauf
gerichtet ist, dass ein solcher Gegenstand herzustellen und zu liefern ist.896 Nur
wenn das Herstellungsergebnis im fertigen Zustand nicht tauglicher Gegenstand
eines Sachkaufs ist, kann aufgrund der Geschichte des Gegenstands Werkvertragsrecht angewendet werden.
Hält man sich diese beiden Prinzipien vor Augen, dann wird klar, dass es bei der
Beurteilung der Sachqualität von Software grundsätzlich keine Unterscheidung zwischen Standard- und Individualsoftware geben kann. Denn wenn Standardsoftware
tauglicher Gegenstand eines Sachkaufs sein sollte, wäre § 651 S. 1 auf Individualsoftware gemäß beiden Prinzipien anzuwenden.897 Sollte Standardsoftware kein
893
der Senat mit der Formel der »zumindest analogen Anwendung« mindestens genauso gut zu dieser
Einordnung hätte kommen können, vgl. ähnlich zurückhaltend Lejeune CR 2007, 77, 78. Von den
für das Kauf- und das Werkvertragsrecht zuständigen Senaten des BGH fehlt bisher Rechtsprechung.
894 Vgl. oben A).
895 Vgl. Kap. 1, B) IV.
896 Vgl. Kap. 1, insbes. B) I. 2. und C) V. 3.
897 Zutreffend Krauß S. 41 ff.; Härting ITRB 2002, 218, 219; Hassemer ZGS 2002, 95, 102; Kotthoff
K&R 2002, 105.
243
tauglicher Gegenstand eines Sachkauf sein, dann fände § 651 S. 1 keine Anwendung. Ein Spezialfall wäre es, wenn nur Standardsoftware auf mobilen Trägern
tauglicher Gegenstand eines Sachkaufs wäre; auf dieses Szenario ist im Anschluss
einzugehen.
Folgt man diesen Grundgedanken, so müssen viele der für die Nichtanwendbarkeit des § 651 S. 1 in der Literatur angeführten Argumente bereits an dieser Stelle
verworfen werden: Es kann nicht damit argumentiert werden, bei Individualsoftware stünde anders als bei Standardsoftware eine geistige Leistung im Vordergrund898, denn ordnete man Softwareexemplare als Sachen ein, so wäre die geistige
Leistung wie bei komplizierten Maschinen »lediglich« als notwendige Vorleistung
der Erstellung eines körperlichen Gegenstands anzusehen.899 Erst recht unzulässig
wäre es, die Anwendbarkeit des § 651 S. 1 lediglich unter Hinweis auf die Werktypik des Softwareerstellungsvertrags abzulehnen900, denn wenn ein Gegenstand als
bewegliche Sache zu gelten hat, ist es gerade das Entscheidende an § 651 S. 1, dass
die Werktypik bei einem Vertrag über die Herstellung und Lieferung dieses Gegenstands für die Einordnung keine Rolle spielen soll.901 Ebenso unzulässig wäre es,
auf die besonderen Wünsche des Bestellers/Käufers abzustellen902, denn dies stünde
bei der Einordnung von Softwareexemplaren als Sache im Widerspruch zum Grundsatz der Irrelevanz der Unvertretbarkeit.903 Keine Rolle kann schließlich die Frage
spielen, mit welcher Häufigkeit Verbraucher Softwareerstellungsverträge abschlie-
ßen904, denn der Begriff der beweglichen Sache ist im Kontext des Kauf- und Werkvertragsrechts hinsichtlich dieser Frage neutral.905
898 Entgegen Faust in Bamberger/Roth § 474 Rn. 9; Warnke Rn. 33 f.; Thewalt S. 33 ff.; Naus S. 78 ff.
(insbesondere letztere beiden sind der Auffassung, dass es auf die Frage der Sachnatur von Software überhaupt nicht ankäme, da jedenfalls eine geistige Leistung im Vordergrund stünde).
899 Vgl. Kap. 4 E): Die dortigen Erwägungen gelten bei diesem Szenario analog. Vgl. auch Kap. 1, B)
I. 1. (Neutralitätsgrundsatz) und B) IV. (Irrelevanz der Unvertretbarkeit).
900 So aber offenbar Erman/Schwenker vor §§ 631 – 651 Rn. 22; vgl. auch Müller-Hengstenberg/
Krcmar CR 2002, 549, 555; Müller-Hengstenberg CR 2004, 161, 166 (die aber nur unterstützend
auf dieses Argument zurückgreifen, da sie bereits die Sachqualität von Software verneinen).
901 Zutreffend Hassemer ZGS 2002, 95, 102; Krauß S. 43; Schweinoch/Roas CR 2004, 326, 330.
902 In diese Richtung aber Hoeren in Dauner-Lieb/Konzen/Schmidt S. 515, 518 f.; tendenziell auch
Erman/B. Grunewald vor § 433 Rn. 24.
903 Vgl. Kap. 1, B) IV.
904 In diese Richtung aber K. Diedrich CR 2002, 473, 474, 476 (für die Einordnung von Softwareerstellungsverträgen sei vom Handelsverkehr auszugehen, da solche Verträge praktisch nur dort vorkämen; Diedrich verwendet dies aber nicht als Hauptargument, weil er die Sachqualität von Software generell verneint); Lippert CR 2002, 458, 464 (Richtlinie erfasse nur typischerweise von Verbrauchern zu erwerbende Massengüter); Schmidl MMR 2004, 590, 592 (Softwareerstellungsverträge müssten nicht berücksichtigt werden, da Verbraucher praktisch keine solchen Verträge
abschließen); i.Erg. auch Bräutigam/Rücker CR 2006, 361, 366 f. (teleol. Reduktion des § 651
S. 1, weil Verbraucher praktisch keine Individualsoftware bestellen; Bräutigam/Rücker wollen
überdies sogar dann § 651 S. 1 teleologisch reduzieren, falls die Richtlinie doch Individualsoftwareverträge erfasse, weil das Werkvertragsrecht für den Verbraucher als Auftraggeber günstiger
als das Kaufrecht sei – hier übersehen sie aber den zwingenden Charakter der Richtlinienregeln
und der diese umsetzenden Kaufrechtsregeln, die im Werkvertragsrecht eben gerade nicht vorhanden sind, mag dieses auch in anderer Hinsicht für Verbraucher teilweise günstiger sein).
905 Vgl. Kap. 1, B) I. 1.
244
Strebt man argumentativ die Nichtanwendbarkeit des § 651 S. 1 an, bleibt letztlich nur eine Möglichkeit, nämlich Softwareexemplare als unkörperlich zu qualifizieren. Die Sachqualität von Softwareexemplaren wird mithin zum allein entscheidenden Kriterium.
2. Keine andere Beurteilung bei der Unterstellung, dass nur der Kauf von Standardsoftware auf mobilen Trägern im Gegensatz zum Kauf unverkörperter
Standsoftware Sachkauf ist
Ähnlich wie bei kopierbaren geistigen Werken auf mobilen materiellen Trägern
stellt sich aufgrund der Wirklichkeit des Wirtschaftslebens das Problem, dass Standardsoftware sehr oft auf mobilen Datenträgern zum Verkauf steht und dabei gerade
auch für Verbraucher gedacht ist. Unterstellte man zunächst, dass Standardsoftwareexemplare an sich unkörperlich seien (dass also z.B. bei einer Onlineübertragung keine bewegliche Sache übergeben wird), dass aber Standardsoftware auf
mobilen Datenträgern (zusammen mit dem Datenträger) als eine Sache anzusehen
seien, dann entstünde folgender Wertungskonflikt:
Ordnete man solche Fälle nicht als Sachkauf ein, so fände das Verbrauchsgüterkaufrecht keine Anwendung, denn § 474 Abs. 1 erfasst nur den Kauf beweglicher
Sachen und § 453 Abs. 1 verweist nicht auf die §§ 474 ff.906 Das wäre im Hinblick
auf das äußere Erscheinungsbild des Erfüllungsvorgangs (Übergabe und Übereignung einer beweglichen Sache mit den aufgespielten Daten) und die Häufigkeit solcher Geschäfte »merkwürdig«. Damit ist gemeint, dass sich dieses Ergebnis im Vergleich zum Kauf »normaler« beweglicher Sachen nur schwer als vernünftige legislatorische Entscheidung erklären ließe und mithin auch eine dahingehende Interpretation des § 474 Abs. 1 oder der in § 474 Abs. 1 umgesetzten Verbrauchsgüterkaufrichtlinie – isoliert betrachtet – keine wirklich überzeugende Wertung darstellt.
Andererseits wäre auch auf der Ebene des Kaufs nicht einsichtig, wenn zwischen unverkörperter Überlassung und verkörperter Überlassung von Softwareexemplaren unterschieden würde. Viele Programme können heutzutage sowohl per Download als auch auf
mobilen Trägern erworben werden. Dabei spielt der mobile Träger in der Regel eine noch
geringere Rolle als bei kopierbaren geistigen Werken. Er übernimmt beim Verkauf an den
User regelmäßig nur eine Transport- und Sicherungsfunktion, weil der User das Programm regelmäßig auf seinem Rechner installiert und den mobilen Datenträger mit dem
Programm sodann »in der Schublade« verwahrt, um es ggf. noch einmal installieren zu
können. Beide Funktionen kann der User bei Softwaredownload auch erreichen, indem er
eine Sicherungskopie der heruntergeladenen Software erstellt. Um diesem Problem gerecht zu werden und gleichzeitig die §§ 474 ff anzuwenden, bieten sich – falls Softwareexemplare an sich nicht als Sachen eingeordnet werden könnten – eventuell die folgenden
zwei Lösungen an: (1) Man wendet die §§ 474 ff. generell auf Standardsoftware analog
an; (2) falls nur Standardsoftware auf mobilen Trägern als Sache anzusehen ist, wendet
906 Vgl. zum Parallelproblem bei geistigen Werken Kap. 4, C) III. 2. b) aa).
245
man die §§ 474 ff. auf unverkörpert übertragene Standardsoftware analog an.907 Diese
Lösung(en) wären im Prinzip »nur« eine auf das Kaufrecht beschränkte und auf die neue
Systematik des Kaufrechts (Differenzierung zwischen allgemeinem Kaufrecht und sachbezogenen Verbrauchsgüterkaufrecht) zugeschnittene Fortsetzung der bisherigen Rechtsprechungsformel der »zumindest entsprechenden Anwendung« sachbezogener Vorschriften. Eine planwidrige Regelungslücke kann möglicherweise darin gesehen werden,
dass § 453 Abs. 1 an systematisch falscher Stelle steht, weil sein eigentlicher Zweck ist,
sachbezogene Kaufvorschriften auf sonstige Gegenstände zu erstrecken, soweit diese
»passen« (also soweit die sachbezogenen Vorschriften nicht derart auf Sachen zugeschnitten sind, dass sie nicht auf den sonstigen Gegenstand angewendet werden können).908 Dem stünde nur auf den ersten Blick entgegen, dass der Gesetzgeber in der Begründung zum Anwendungsbereich des § 453 Abs. 1 Software erwähnt.909 Argumentiert
man nämlich wie vorgeschlagen, dann bezieht sich diese Erwägung auf § 453 Abs. 1 in
seiner Eigenschaft als systematisch falsch platzierte Norm. Außerdem ist der Erwähnung
von Software ohnehin allenfalls geringe Bedeutung zuzumessen, denn es handelt sich
hierbei um eine wortwörtliche Übernahme aus dem Abschlussbericht der Schuldrechtskommission von 1992910. In der Literatur wird zu recht bezweifelt, ob die Autoren der
Gesetzesbegründung sich hier neue Gedanken gemacht haben.911 Ob eine (teilweise)
Analogie zu den §§ 474 ff. tatsächlich eine sachgerechte Lösung ist, soll hier nicht weiter
vertieft werden.
Ordnete man den Kauf von Standardsoftware auf mobilen Trägern jedoch als
Sachkauf ein, dann entstünde aufgrund der hier vertretenen912 allgemeinen Prinzipien der Anwendbarkeit des § 651 S. 1 das Problem, dass dessen Anwendbarkeit
ebenfalls davon abzuhängen schiene, ob das zu erstellende Softwareexemplar auf
einem mobilen Träger zu überlassen ist. Eine solche Differenzierung kann auf der
Ebene der Softwareerstellungsverträge erst recht nicht überzeugen und sollte vermieden werden.
Um dies zu erreichen, gäbe es bei diesem Szenario aber ebenso wie bei kopierbaren geistigen Werken einen argumentativen Ausweg, ohne die hier vertretenen allgemeinen Prinzipien zu verletzen.913 Der Grundsatz der Irrelevanz der Geschichte
eines übereignungsbedürftigen Gegenstands bliebe unverletzt, weil zwischen der
Geschichte des Herstellungsgegenstands (das ohne weiteres kopierbare »Ur«-Softwareexemplar) und des Liefergegenstands (das nicht notwendig mit dem »Ur«-
Exemplar identische Exemplar auf dem für die Lieferung verwendeten mobilen Träger) differenziert werden könnte.914 Der Grundsatz der Irrelevanz der Unvertretbarkeit bliebe unverletzt, weil der Gegenstand, der in die Kategorien unvertretbar/vertretbar oder besser individuell/nicht individuell eingeteilt werden könnte, an sich ja
907 Für solche Analogie(n) Spindler/Klöhn CR 2003, 81, 84 f; i.Erg. auch Bartsch CR 2005, 1, 6.
908 Vgl. Begr. RegE BT-Drucks. 14/6040 S. 242; vgl. auch Palandt/Weidenkaff § 453 Rn. 1.
909 Vgl. Begr. RegE BT-Drucks. 14/6040 S. 242.
910 Abschlussbericht SchRKomm S. 239.
911 Vgl. Krauß S. 28 ff.; Schweinoch/Roas CR 2004, 326, 327.
912 Vgl. Kap. 1, B) IV. (Irrelevanz der Unvertretbarkeit), B I. 2. und C) V. 3. (Irrelevanz der
Geschichte einer übereignungsbedürftigen beweglichen Sache).
913 Vgl. Kap. 4, C) III. 3.
914 Vgl. hierzu das entsprechende Argument für geistige Leistungen bei Kap. 4, C) III. 3.
246
nicht körperlich wäre (das Softwareexemplar als solches) und daher der Irrelevanz
der Unvertretbarkeit nicht unterworfen ist.915
Damit kann – soweit man dem folgen möchte – Software auf mobilen Trägern
von der weiteren Untersuchung (einstweilen916) ausgeschlossen werden. Software
stellt in dieser Darbietung für § 651 S. 1 keinen zu berücksichtigenden Sonderfall
dar: Ist Software in keiner Darbietung Sache, dann ist § 651 S. 1 nicht anwendbar.
Ist Software nur auf mobilen Trägern eine Sache, dann gilt nach hier vertretener
Ansicht das Gleiche. Ist Software in jeder Darbietung Sache, dann findet § 651 S. 1
Anwendung. Es bleibt mithin dabei, dass die Sachqualität von Softwareexemplaren
als solchen entscheidendes Kriterium ist.
II. Softwareexemplare = bewegliche Sachen?
Die Meinungen zur Sachqualität von Software und die verschiedenen Begründungen hatten schon im bisherigen Recht eine kaum überschaubare Vielfalt. Ein Hintergrund hierfür liegt sicher auch darin, dass Software rechtlich betrachtet noch ein
recht junges Geschäftsobjekt ist und einige frühere Meinungen deshalb aufgrund der
Weiterentwicklung der Technik zurückhaltend bewertet werden müssen. So haben
sich z.B. die z.T. früher vertretenen Meinungen, Software sei als Geschäftsgegenstand notwendigerweise deshalb als Sache einzuordnen, weil sie nur auf mobilen
Datenträgern überlassen werden könne917, durch die Entwicklung der Datenfern-
übertragung erledigt. Aus diesen Hintergründen berücksichtigen die folgenden
Überlegungen im Wesentlichen nur den jüngeren Meinungsstand.
1. Die funktionale Sachqualität von Softwareexemplaren
Softwareexemplare weisen im Gegensatz zu anderen kopierbaren Informationen
eine Besonderheit auf, die man als »funktionale Sachqualität« bezeichnen kann.
Zwar können andere kopierbare Informationen auch wie Sachen übergeben und
verwahrt werden, d.h. es kann ein Werkexemplar eines Informationspakets so verschafft werden, dass es beim Empfänger physisch vorhanden ist. Andere Informationen sind aber nicht in der Lage, wie Software (im Zusammenhang mit einer
Maschine) bestimmte Funktionen bereitzustellen, um damit ein bestimmtes Ergebnis (den Output) zu erzielen. Ein Softwareexemplar ähnelt einer klassischen
Maschine: So wie eine Maschine das gewünschte Produkt erzeugt, wenn man sie
entsprechend bedient, erzeugt das Softwareexemplar (zusammen mit dem Rechner)
915 Vgl. hierzu das entsprechende Argument für geistige Leistungen bei Kap. 4, C) III. 3.
916 Vgl. aber zu einer Alternativlösung für den Fall einer der hier vertretenen Ansicht entgegenstehenden Richtlinieninterpretation unten III. 1.
917 In diese Richtung (zur Produkthaftung) z.B. Koutses/Lutterbach RDV 1989, 5, 7 f.
247
ein bestimmtes Ergebnis, wenn man es entsprechend bedient.918 Ein Softwareexemplar ist unter diesem Blickwinkel auch nicht einfach nur eine geistige Leistung,
denn eine geistige Leistung an sich ist hierzu nicht in der Lage. So wie eine komplizierte Maschine nicht selbst die dahinterstehende Entwicklungsleistung darstellt919,
ist auch ein Softwareexemplar »nur« ein Abbild der dahinterstehenden Softwareentwicklung.920 Der User ist nicht an der Entwicklung als solcher interessiert, sondern an deren Umsetzung in eine auf seinem Rechner nutzbare, in Form von
Ladungszuständen oder sonstigen Speicherungsformen physisch existente Datensammlung.
Obwohl Softwareexemplare funktional betrachtet »wie Sachen sind«, folgt daraus aber noch nicht, dass sie Sachen sind. Dazu muss der funktionale Sachbegriff
mit dem Sachbegriff des Kauf- und Werkvertragsrechts vereinbar sein.
2. Der Sachbegriff des deutschen Kauf- und Werkvertragsrechts: funktional oder
materiell?
Sachen i.S.d. § 651 S. 1 und des § 474 Abs. 1 sind nur körperliche Gegenstände.
Entsprechendes gilt auch für den in diesen Normen umgesetzten Verbrauchsgüterbegriff, Art. 1 Abs. 2 lit. b) VerbrGKRL erfasst nur körperliche Gegenstände.921
Geht man nun von dem bisherigen Körperlichkeitsbegriff aus, so gerät man bei
Softwareexemplaren in Schwierigkeiten: Körperlich sind demnach nur Gegenstände, die selbst aus Materie bestehen (hier sog. materieller Körperlichkeitsbegriff).922 Das lässt sich bei Software trotz der funktionalen Sachqualität nicht bejahen, denn das Softwareexemplar besteht als solches nicht aus Materie, es manifestiert sich lediglich in bestimmten Zuständen von Materie.923 Dies lässt sich auch
nicht dadurch überwinden, dass ein Softwareexemplar nur dauerhaft überlassen
und genutzt werden kann, wenn der User die Möglichkeit hat, das Exemplar in
dauerhaft verkörperter Form aufzubewahren (auf dem überlassenen mobilen Träger oder durch eine selbst angefertigte Verkörperung, etwa auf der Festplatte)924,
denn an der Immaterialität des Softwareexemplars an sich ändert sich dadurch
nichts.925
918 Zu diesem sehr häufig herangezogenen Vergleich vgl. z.B. BGHZ 102, 135, 144; Bartsch CR
1992, 393, 395; Henssler MDR 1993, 489, 490; Krauß S. 16; vgl. auch (zur Produkthaftung) Foerste NJW 1991, 1433, 1438; Günther CR 1993, 544, 546; Mansel FS Schütze S. 485, 499; (zum
Steuerrecht) König DB Beil. 13/1989, 26, 27.
919 Vgl. in anderem Zusammenhang schon Kap. 4 E).
920 Ebenso Henssler MDR 1992, 489, 491; Bartsch CR 1992, 393, 395.
921 Vgl. Kap. 1, B) II. 1.
922 Vgl. Kap. 1, B) II. 2.
923 K. Diedrich CR 2002, 473, 475; Junker/Benecke, Computerrecht, Rn. 156; ausführlich Schröder
S. 121 ff.
924 So aber z.B. Soergel/Marly § 90 Rn. 3; Taeger CR 1996, 257, 261; Kardasiadou S. 116; Krauß
S. 18 ff.
925 Zutreffend K. Diedrich CR 2002, 473, 475; Thewalt S. 45 f.
248
Alternativ hierzu wird in der Literatur in letzter Zeit aber auch ein vom Materieerfordernis losgelöster Körperlichkeitsbegriff vorgeschlagen.926 Diese Ansicht vertritt also – wobei es in den Details zum Teil Abweichungen gibt – einen eher funktionalen Körperlichkeitsbegriff, der im Wesentlichen die funktionale Sachqualität
als Körperlichkeitsmerkmal ausreichen lässt. Mit einem solchen Körperlichkeitsbegriff wären Softwareexemplare ohne weiteres in Einklang zu bringen. Es erscheint
jedoch fraglich, ob sich der herkömmliche Körperlichkeitsbegriff einfach durch
diese funktionale Betrachtung ersetzen lässt. Sowohl im natürlichen Sprachgebrauch als auch im physikalischen Sinne sind jedenfalls nach herkömmlichem Verständnis eben nur Materieanhäufungen Körper. Physikalisch betrachtet ist Software
Information927, nach der Verkehrsanschauung ist Software im Gegensatz zu Hardware – wie der Name zeigt – das »was man nicht anfassen kann«. Zwar ist Sprache
nicht statisch, d.h. es ist durchaus denkbar, dass sich der funktionale Körperlichkeitsbegriff noch in Zukunft durchsetzen wird. Derzeit ist dies aber noch nicht der
Fall, wie gerade die Kontroverse zeigt.928 Folglich kann der Interpret der fraglichen
Normen noch nicht einfach seinen eigenen Körperlichkeitsbegriff zur Auslegungsmaxime erheben, er muss stattdessen vom derzeitigen Sprachgebrauch ausgehen.
Derzeit liegt der funktionale Körperlichkeitsbegriff mithin außerhalb der Wortlautgrenzen.
3. Die für eine dauerhafte Überlassung notwendige Verkörperung als Vermittler
der Körperlichkeit?
Folgt man dem hier vertretenen materiellen Körperlichkeitsbegriff, so lässt sich die
Immaterialität des Softwareexemplars an sich allenfalls dadurch überwinden, dass
man auf den für die Funktion und die Aufbewahrung des Softwareexemplars notwendigen materiellen Träger abstellt und diesen quasi zum Vermittler der Körperlichkeit erhebt.
Auch bei unverkörperter Übertragung ist eine dauerhafte Übertragung nur möglich, wenn der Empfänger zumindest die Möglichkeit hat, das Softwareexemplar auf
einem materiellen Träger (z.B. die Festplatte) zu speichern. Teilweise wird in der
Literatur deshalb angenommen, Software sei körperlich.929 Diese Argumentation
umgeht aber die Tatsache, dass Software an sich eben nicht aus Materie besteht.
Außerdem – und das ist im Kontext des § 651 S. 1 entscheidend – fehlt es an einer
Lieferung eines materiellen Gegenstands. Unter Lieferung ist die dauerhafte Über-
926 Kardasiadou S. 108 ff.; Bydlinski AcP 198 (1998), 286, 303 ff.
927 Information ist physikalisch betrachtet sogar abstrakt von Materie und Energie. D.h. sie bedarf
zwar einer der Medien, um gespeichert und/oder übertragen zu werden. Der Informationsgehalt
eines Systems ist jedoch eine Größe, die angegeben werden kann, ohne den Energie- oder Materiegehalt des Systems mitangeben zu müssen, und auch der Inhalt der Information (d.h. das relevante
Wissen) kann verstanden werden, ohne dass der Empfänger wissen muss, ob die Information dem
Übertragenden in materieller Verkörperung vorlag oder nicht.
928 So auch Müller-Hengstenberg CR 2004, 161, 164.
929 Z.B. Soergel/Marly § 90 Rn. 3; Taeger CR 1996, 257, 261; Kardasiadou S. 116; Krauß S. 18 ff.
249
lassung eines Gegenstands zu verstehen, der sich vorher noch nicht im Machtbereich des Bestellers/Käufers befand.930 Der nach dieser Ansicht die Körperlichkeit
der Software herbeiführende »Vermittler« der Körperlichkeit, also der für die Speicherung verwendete materielle Träger, befindet sich aber bei unverkörperter Übertragung bereits im Machtbereich des Empfängers (z.B. die Festplatte des Empfängerrechners) und wird im Zuge der Softwareübertragung allenfalls verändert.
Sachen, die sich bereits im Machtbereich des Empfängers befinden, können ihm
jedoch nicht geliefert werden. »Geliefert« wird nur ein unkörperlicher Gegenstand.
Damit kann mit der für eine erfolgreiche dauerhafte Übertragung notwendigen Verkörperung nicht die Körperlichkeit eines Softwareexemplars als Lieferungsgegenstand begründet werden.
4. Vergleich mit anderen Normenkomplexen
Die Einordnung von Softwareexemplaren ist auch in vielen anderen Normenkomplexen ein Problem. Ein Blick auf die hierzu geführten Diskussionen könnte im
Prinzip als Auslegungshilfe nützlich sein, da sich die zu lösenden Probleme zumindest ähneln. Insbesondere könnte wegen der Tatsache, dass die Änderungen des
deutschen Kauf- und Werkvertragsrechts wesentlich auf der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie beruhen, für deren Auslegung und damit für die Auslegung des § 651 S. 1
ein Vergleich mit dem UN-Kaufrecht und anderen Normen des EG-Rechts nützlich
sein. Bei genauerer Betrachtung hilft der »Blick über den Tellerrand« aber nicht
wirklich:
So besteht zwar beim UN-Kaufrecht die überwiegende Auffassung, dass Softwareexemplare als »Waren« i.S.d. Art. 1 Abs. 1 CISG931 einzuordnen sind.932 Dies
liegt aber nicht zuletzt daran, dass der Warenbegriff nicht näher legaldefiniert ist
und deshalb einen größeren Interpretationsspielraum lässt als der Begriff des körperlichen Gegenstands.933 Schon alleine deshalb kann man hier nicht einfach auf das
UN-Kaufrecht verweisen.934 Auch unter den Interpreten des UN-Kaufrechts gibt es
aber viele, welche den Warenbegriff mit dem Begriff des körperlichen Gegenstands
gleichsetzen. Unter diesen Ansichten ist das Meinungsbild zu Software schon deutlich gespaltener.935
930 Vgl. Kap. 1, C) VII.
931 Convention on Contracts for the International Sale of Goods (Übereinkommen der Vereinten
Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf von 1980, UN-Kaufrecht).
932 Vgl. statt vieler Staudinger/Magnus Art. 1 CISG Rn. 44; Höß S. 123 ff.; Endler/Daub CR 1993,
601, 603 ff.; F. Diedrich RIW 1993, 441, 451 f.; Schmitt CR 2001, 145, 147 ff.
933 Vgl. Staudinger/Magnus Art. 1 CISG Rn. 44.
934 Zu weitgehend daher Doehner S. 108; Faust in Bamberger/Roth § 474 Rn. 9; AnwKommSchR/
Pfeiffer Art. 1 Kauf-RL Rn. 9.
935 Generell ablehnend zur Erfassung von Software Moritz CR 1994, 257, 263; Ivanochok S. 16; einschränkend auf verkörperte Übertragung Ferrari in Schlechtriem/Schwenzer Art. 1 Rn. 38 ff.; Langenecker S. 35 f.; Bettinger in Bettinger/Leistner Teil 3 C Rn. 25; Heilmann S. 76 f.; offenbar auch
Honnold Art. 2 Rn. 56; Neumayer/Ming Art. 1 Anm. 3.
250
Bei der Produkthaftungsrichtlinie936 und dem auf ihr basierenden Produkthaftungsgesetz ist man wohl überwiegend der Auffassung, dass »bewegliche Sachen«
i.S.d. Art. 2 ProdHRL bzw. § 2 ProdHaftG nur körperliche Gegenstände sind.937
Auch hier kann nicht davon gesprochen werden, dass sich eine Tendenz abzeichne,
Softwareexemplare als körperliche Gegenstände anzusehen, denn neben den Befürwortern einer solchen Betrachtung938 gibt es nicht wenige Autoren, die eine
Anwendbarkeit der Produkthaftungsvorschriften auf Computerprogramme ganz
ablehnen939 oder nur dann annehmen wollen, wenn das Programm auf einem mobilen Träger überlassen wird940.
Entgegen einiger Literaturstimmen941 ist auch ein Blick auf die Fernabsatzrichtlinie942 hier nicht hilfreich. Diese Richtlinie erfasst gemäß Art. 2 Abs. 1 Waren und
Dienstleistungen, ihre Anwendbarkeit auf Softwareüberlassungen jeglicher Art ist
daher – soweit das Geschäft auf Fernabsatz beruht – kein Problem. Soweit es bei der
Anwendung der einzelnen Normen auf die Differenzierung zwischen Waren und
Dienstleistungen ankommt, stellt sich hier wie im UN-Kaufrecht und der Produkthaftungsrichtlinie das Problem, dass der Begriff »Ware« nicht näher definiert ist,
also nicht notwendig auf körperliche Gegenstände beschränkt sein muss. Auch aus
Art. 6 Abs. 3 der Fernabsatzrichtlinie ergeben sich keine Indizien943: Es ist zwar
zutreffend, dass diese Norm, die den Ausschluss des Widerrufsrechts erlaubt, wenn
die Software vom Kunden entsiegelt wurde, nur auf Software auf mobilen Datenträgern anwendbar sein kann, denn nur solche Software kann entsiegelt werden. Über
die Eigenschaft als Ware oder Dienstleistung sagt diese Norm jedoch nichts aus, und
erst recht nichts über die Eigenschaft als körperlicher Gegenstand.
Schließlich wird in der Literatur auf eine Entscheidung des EuGH zur Zollwertverordnung (VO 1224/80944) verwiesen.945 Diese Entscheidung ist in der Tat inter-
936 Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985; Abl. EG Nr. L 210/29 ff.
937 Staudinger/Oechsler § 2 ProdHaftG Rn. 11 ff., 67; Erman/Schiemann § 2 ProdHaftG Rn. 2; Belz
S. 68; Bauer PHI 1989, 98, 101; Gaul RDV 1991, 223 f.; Beckmann/Müller MMR 1999, 14, 16;
Bartsch, Jahr 2000, S. 162 f.; Spindler MMR 1998, 119, 120 ff.
938 Z.B. MünchKomm4/Wagner § 2 ProdHG Rn. 15 f.; Gmilkowsky S. 88 ff.; Taeger CR 1996, 257,
262; Cahn NJW 1996, 2899, 2904; Spindler MMR 1998, 119, 121 f.; Lehmann NJW 1992, 1723 f.;
Kardasiadou S. 108 ff.
939 Zur ProdHRL: Taschner in Taschner/Frietsch Richtl. Art. 6 Rn. 28; Schmidt-Salzer, Bd. III/1,
Rn. 4.471. Zum ProdHaftG: Moritz/Tybusseck Rn. 920; wohl auch Bauer PHI 1989, 98, 100 f.;
Honsell JuS 1995, 211, 212; Bartl § 2 ProdHaftG Rn. 9 f.; vgl. auch zum Consumer Protection Act
(UK) Smith/Hamill PHI 1988, 82, 84 f.; zu Zweifeln in Österreich vgl. Posch in Gr. v. Westphalen,
Produkthaftung Bd. 2, § 141 Rn. 70; zu Zweifeln in Schweden Bloth aaO § 143 Rn. 28; zu Zweifeln in Norwegen Bloth aaO § 145 Rn. 26.
940 Staudinger/Oechsler § 2 ProdHaftG Rn. 65, 69a; Frietsch in Taschner/Frietsch § 2 ProdHaftG
Rn. 22; Bartsch, Jahr 2000, S. 162 f.; Bauer PHI 1989, 98, 100 f.; Gaul RDV 1991, 213, 224;
Beckmann/Müller MMR 1999, 14, 16 ff.
941 Doehner S. 108; F. Koch ITRB 2001, 185, 186 ff.
942 Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz; Abl. EG 1997 Nr. L 144/19.
943 Entgegen Doehner S. 108.
944 Abl. EG 1980 Nr. L 134/1.
945 Doehner S. 108.
251
essant, denn hier hat der EuGH trotz des in der Verordnung verwendeten »weichen«
Warenbegriffs nur Software auf mobilen Datenträgern als Ware im Sinne der Verordnung angesehen.946 Wenn dem schon bei diesem »weichen« Begriff so ist, so
kann dies vorsichtig als ein Indiz dafür angesehen werden, dass bei dem »harten«
Begriff des körperlichen Gegenstands die unverkörperte Übertragung jedenfalls
nicht erfasst ist.947 Ob man aus dieser Entscheidung aber etwas für die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie schließen kann, ist schon wegen des Regelungsgegenstands
(Bemessungsgrundlagen für die Verzollung) und des Entscheidungszeitpunkts
(Anfang der 90’er des letzten Jahrhunderts) fraglich.
5. Zwischenergebnis
Insgesamt spricht mehr dafür, Softwareerstellungsverträge als nicht vom Wortlaut
des § 651 S. 1 erfasst anzusehen. Softwareexemplare sind an sich unkörperlich, und
ihre Verkörperung auf einem materiellen Träger führt selbst dann, wenn die Übertragung des Exemplars mittels eines solchen Trägers geschehen soll, nicht zur
Anwendung des § 651 S. 1, da der maßgebliche Gegenstand das an sich unkörperliche Softwareexemplar bleibt.
6. Keine analoge Anwendung des § 651 S. 1 BGB bei Softwareerstellungsverträgen / Ergebnis
Softwareexemplare sind zwar wie dargestellt unabhängig von ihrer Darbietungsform nach hier vertretener Auffassung nicht körperlich. Damit ist § 651 S. 1 auf
Softwareerstellungsverträge zumindest nicht direkt anwendbar. Aufgrund der bisherigen Rechtsprechungsformel der »zumindest entsprechenden Anwendung« sachkaufrechtlicher Vorschriften auf den Kauf von Standardsoftware948 liegt aber die
Frage nach einer analogen Anwendung des § 651 S. 1 auf Softwareerstellungsverträge nahe.
In der Literatur wird eine solche Analogie bisher nur selten vorgeschlagen.949
Gegenstand der Diskussion ist bei fast allen Autoren im Wesentlichen nur die Einordnung von Software in die Kategorien Sache/sonstige Gegenstände.
Eine Analogie setzt bekanntlich eine planwidrige Regelungslücke und eine vergleichbare Interessenlage voraus. Die erste Voraussetzung wird man als gegeben
ansehen müssen, denn jedenfalls im Kontext des Kauf- und Werkvertragsrecht fehlt
eine legislatorische Kategorisierung von Softwareexemplaren nach wie vor. Die
946 EuGH, Rs. C-79/89 (»Brown Boveri«), Slg. 1991, S. I-1853, 1890.
947 In diese Richtung auch Doehner S. 109.
948 Vgl. oben A).
949 Soweit ersichtlich (allerdings beschränkt auf Fälle, in denen dem Besteller/Käufer nur ein einfaches Nutzungsrecht statt einem ausschließlichen Nutzungsrecht eingeräumt wird) nur Redeker in
Schneider/Gr. v. Westphalen, Teil D Rn. 86 f.
252
Erwähnung von Software in der Begründung zu § 453 Abs. 1 hat wie bereits erläutert950 allenfalls geringe Aussagekraft über den gesetzgeberischen Willen.
Ob Softwareerstellungsverträge im Sinne eines hypothetischen »fortgesetzten«
Gesetzesgedankens ebenso zu behandeln sind wie Verträge über die Herstellung
beweglicher Sachen, ist aber sehr fraglich. Im bisherigen Kaufrecht ging es bei der
»zumindest entsprechenden Anwendung« darum, dass andere Vorschriften außer
dem Sachmängelgewährleistungsrecht des Kaufs nicht zur Verfügung standen und
deshalb wegen der funktionalen Sachqualität von Software praktisch nur die Zuordnung des Standardsoftwarekaufs zum Sachkaufrecht als angemessene Lösung in
Betracht kam. Um eine solche »Schwarz-Weiß-Alternativität« geht es hier aber
nicht. Es steht mit dem Gewährleistungsrecht des Werkvertragsrechts ein Normenregime zur Verfügung, welches auf Softwareerstellungsverträge mindestens so gut
passt wie das kaufrechtliche Sachmängelgewährleistungsrecht. Daher besteht kein
Anlass, die Formel von der »zumindest entsprechenden Anwendung« sachbezogener Vorschriften auf § 651 S. 1 auszudehnen. Allenfalls könnte der Gleichbehandlungsgrundsatz herangezogen werden. Diesen hat der Gesetzgeber aber durch die
Spaltung der werktypischen Verträge in »normale« Fälle (§ 631) und dem Kaufrecht unterfallende Fälle (§ 651 S. 1) selbst relativiert.
Damit scheidet auch eine analoge Anwendung des § 651 S. 1 auf Softwareerstellungsverträge aus. Kaufrecht ist mithin nach hier vertretener Auffassung auf Softwareerstellungsverträge nicht anwendbar.
III. Alternativlösungen für den Fall der (teilweisen) Erfassung von Softwareerstellungsverträgen durch Art. 1 Abs. 4 VerbrGKRL
1. Allgemeines
Obwohl für den Anwendungsbereich der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie letztlich die
gleichen Prinzipien gelten wie für den Anwendungsbereich des deutschen Sachkaufrechts und damit nach hier vertretener Auffassung Softwareerstellungsverträge
vom Anwendungsbereich ausgeschlossen sein sollten951, kann nicht ausgeschlossen
werden, dass der EuGH den hier vertretenen Thesen nicht folgen wird und Softwareerstellungsverträge generell oder insoweit Art. 1 Abs. 4 VerbrGKRL zuordnen
wird, als das Exemplar auf einem mobilen Träger zu überlassen ist. Ein solches Szenario ist nicht alleine deshalb undenkbar, weil Softwareerstellungsverträge mit Verbrauchern eher selten sind, denn der Begriff des Verbrauchsguts ist neutral und
hängt nicht von der Häufigkeit ab, mit der bestimmte Gegenstandstypen von Verbrauchern bestellt werden.952 Auch für den wahrscheinlich tatsächlich sehr seltenen
950 Vgl. oben 2.
951 Vgl. oben I. und II.
952 Vgl. dazu bereits in diesem Kapitel I. 1. und allgemein Kap. 1, B I. 1.
253
Fall einer Individualsoftwarebestellung durch einen Verbraucher müsste der EuGH
eine Entscheidung treffen. Wie bei allen Rechtsnormen gibt es auch bei Richtlinien
nur zwei Möglichkeiten: Entweder ein Fall wird erfasst oder er wird nicht erfasst.
Eine dritte Möglichkeit des Enthaltens einer Norm zu einer bestimmten Frage gibt
es nicht, dann bestehen »lediglich« Auslegungsprobleme, die der Rechtsanwender
zu entscheiden hat.
Soweit der EuGH Softwareerstellungsverträge unter Art. 1 Abs. 4 VerbrGKRL
subsumieren sollte, wäre dies für § 651 S. 1 zumindest bei Verbrauchergeschäften
verbindlich.953 Dabei müsste nicht einmal auf eine »richtlinienkonforme Rechtsfortbildung« zurückgegriffen werden. Dies liegt daran, dass der Sachbegriff des § 651
S. 1 eine Umsetzung des Art. 1 Abs. 2 lit. b) VerbrGKRL darstellt und damit anders
als der allgemeine Sachbegriff des § 90 nicht (mehr) im Sinne des herkömmlichen
Körperlichkeitsbegriffs verstanden werden müsste, sondern als »reine« Rezeption
des Verbrauchsgutsbegriffs.954 Für diesen Fall wären also die Grundsätze der richtlinienkonformen Auslegung ohne weiteres anzuwenden.
Bei Nichtverbrauchergeschäften gälten prinzipiell aufgrund der überschießenden
Umsetzung die Grundsätze der einheitlichen Auslegung, soweit kein Platz für eine
gespaltene Auslegung ist, d.h. auch insoweit wären die Auslegungsergebnisse des
EuGH grundsätzlich zu übertragen.955 Für eine gespaltene Auslegung gibt es jedoch
keine hinreichenden Indizien. Der Gesetzgeber hat nicht zu erkennen gegeben, er
wolle keine Zuordnung von Softwareerstellungsverträgen zu § 651 S. 1. Das wäre
jedoch die Mindestvoraussetzung für eine gespaltene Auslegung.956 Auch aus der
Erwähnung von Software in der Begründung zu § 453 Abs. 1957 ergibt sich nichts
anderes. Wie bereits ausgeführt wurde, kann daraus nicht einmal für den Kauf von
Standardsoftware zwingend auf einen bestimmten gesetzgeberischen Willen
geschlossen werden, weil diese Begründung fast wortwörtlich aus dem Bericht der
Schuldrechtskommission aus dem Jahre 1992 übernommen wurde.958 Letztlich
folgt daraus, dass § 651 S. 1 ohne Rücksicht auf die persönlichen Eigenschaften der
Beteiligten mindestens insoweit anwendbar ist, als Softwareerstellungsverträge von
der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie erfasst werden.
Ein besonderes Problem stellt sich aber für den Fall, dass die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie Softwareerstellungsverträge nur insoweit erfassen sollte, als das Softwareexemplar auf einem mobilen Träger zu überlassen ist. Auch dieses Szenario ist
nicht ganz undenkbar, obwohl es an sich nicht sachgerecht ist, bei Softwareerstellungsverträgen nach der Art der Übertragung zu differenzieren. Bei der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie spielt die Sachgerechtigkeit von Differenzierungen aber eine
953 Vgl. Teil 1, A).
954 Vgl. zum Parallelproblem bei geistigen Leistungen Kap. 4, C) 4.; vgl. auch Kap. 1, B) II. 3.; zur
Relativität der Rechtsbegriffe vgl. Schmalz Methodenlehre Rn. 241.
955 Vgl. Teil 1, B).
956 Vgl. Teil 1, B) I. 2. und 3.
957 Begr. RegE BT-Drucks. 14/6040 S. 242.
958 Vgl. oben II. 2.
254
geringere Rolle, weil der Regelungsbereich von Richtlinien von Natur aus fragmentarisch ist und Gleichbehandlungsprobleme auch noch durch den nationalen Gesetzgeber in seinen Umsetzungsgesetzen gelöst werden können.959 Problematisch wäre
bei diesem Szenario aber eine »Eins-Zu-Eins-Umsetzung«. Sie hätte zur Konsequenz, dass im Rahmen des § 651 S. 1 ebenfalls auf die Art der Übertragung abgestellt werden müsste. Dies wäre auch im Vergleich zum bisherigen Recht ein
Novum, die Zuordnungsfrage hing im bisherigen Recht nie von der Übermittlungsart ab.960 Es ist kaum davon auszugehen, dass eine solche Differenzierung dem
gesetzgeberischen Willen entspräche.
Daher stellt sich für dieses Szenario die Frage nach einer autonomen Erweiterung
des § 651 S. 1 auf alle Softwareerstellungsverträge, sei es durch eine entsprechende
Interpretation des Sachbegriffs, sei es durch eine Analogie. Die Voraussetzungen
wären gegeben: Da der Gesetzgeber sich nicht dazu geäußert hat, wie er Softwareerstellungsverträge einordnen möchte, besteht zumindest die für eine Analogie
erforderliche Regelungslücke. Die Vergleichbarkeit der Interessenlage zu Softwareexemplaren auf mobilen Trägern besteht gerade darin, dass es nicht den Parteiinteressen entspricht, die Anwendung eines Normenprogramms davon abhängig zu
machen, auf welche Weise der sie eigentlich interessierende Gegenstand (das Softwareexemplar) in ihren Machtbereich gelangt.
Zusammenfassend kann also festgehalten werden:
Sollte der EuGH zur Auffassung gelangen, Softwareerstellungsverträge unterfielen generell Art. 1 Abs. 4 VerbrGKRL, so wäre dies vollständig auf § 651 S. 1 zu
übertragen.
Sollte der EuGH zur Auffassung gelangen, Softwareerstellungsverträge unterfielen Art. 1 Abs. 4 VerbrGKRL nur dann, wenn das Softwareexemplar auf einem
mobilen Träger zu überlassen ist, dann wäre zunächst dies auf § 651 S. 1 zu übertragen (richtlinienkonforme und einheitliche Auslegung) und auf sonstige Softwareerstellungsverträge autonom (zumindest durch eine Analogie) zu erstrecken.
Die Individualität der geschuldeten Software würde durch § 651 S. 3 Berücksichtigung finden.
2. Sonderfall: Softwareerstellungsvertrag zwischen Softwareersteller und Softwarevertreiber
Von der Anwendbarkeit des § 651 S. 1 würde es jedoch selbst bei diesen Szenarien
dann eine Ausnahme geben, wenn der Vertrag nicht mit einem Anwender der Software, sondern mit einer Person geschlossen wird, welche die zu erstellende Software vervielfältigen und vertreiben möchte. Der Vertrag würde sich in einem sol-
959 Vgl. dazu bereits in anderem Zusammenhang Teil 1, D) I. (autonome Auslegung) und V.
(Beschränkung von Analogien auf interne Lücken) sowie Kap. 1 C) IV. 2. a) dd) (2) (systematische
Unabhängigkeit der Richtlinie von Zivilrechtskodifikationen).
960 Vgl. oben A).
255
chen Fall nicht auf die Herstellung und Lieferung einer Sache, sondern auf die
Erbringung der hinter der Sache stehenden Entwicklungsleistung richten. Das gelieferte Softwareexemplar dient dann alleine dazu, die Entwicklungsleistung zu
gewerblichen Kopiezwecken ausnutzen zu können. Der Vertrag wäre daher nicht
anders zu bewerten als jeder andere Entwicklungsvertrag, bei dem körperliches
Material zur Ausnutzung der geschuldeten Erfindung (Pläne, Muster usw.) zu überlassen ist. Es würde daher Werkvertragsrecht Anwendung finden.961
3. Differenzierung nach der Qualität des einzuräumenden Nutzungsrechts?
Keine Ausnahme wäre hingegen einer vereinzelt vertretenen Auffassung für den
Fall zu machen, dass sich ein Anwender bei einem Softwareerstellungsvertrag ein
ausschließliches Nutzungsrecht (§ 69a Abs. 4 i.V.m. § 31 Abs. 3 UrhG) einräumen
lässt.962 Dem Anwender geht es auch in einem solchen Fall primär um die Nutzung
des Softwareexemplars an sich. Die Einräumung eines ausschließlichen Nutzungsrechts dient in einem solchen Fall regelmäßig nur dazu, andere von der Nutzung
auszuschließen, sie stellt aber nicht den maßgeblichen Vertragszweck dar. Die
(angebliche) Vergleichbarkeit der Überlassung eines einfachen Nutzungsrechts mit
einem Standardsoftwarevertrag kann ebenfalls keine Rolle spielen963, da dieses Kriterium (höhere Vergleichbarkeit des einen Sachherstellungsvertrags gegenüber dem
anderen Sacherstellungsvertrag mit einem »normalen« Kauf) allgemein für die Einordnung oder Nichteinordnung unter § 651 S. 1 irrelevant ist: Maßgeblich ist allein
die Frage, ob sich der Vertrag auf die Lieferung einer herzustellenden Sache richtet
oder nicht.
IV. Fazit
Nach hier vertretener Auffassung ist § 651 S. 1 bei Softwareerstellungsverträgen
nicht anwendbar. Sollte jedoch der EuGH der Auffassung sein, Softwareerstellungsverträge seien von Art. 1 Abs. 4 VerbrGKRL erfasst, dann wäre § 651 S. 1 entsprechend auszulegen, wobei eine Differenzierung zwischen Verbraucher- und Nichtverbrauchergeschäften abzulehnen wäre. Für den Fall, dass der EuGH nur Software
auf mobilen Datenträgern unter Art. 1 Abs. 4 VerbrGKRL subsumiert, wäre dies auf
§ 651 S. 1 zu übertragen und darüber hinaus § 651 S. 1 bei unverkörperter Übertragung analog anzuwenden. Auch dann wäre nicht zwischen Verbrauchern und Nichtverbrauchern zu differenzieren. Dass sich der Vertrag auf die Erstellung individuel-
961 Insoweit wie hier Redeker CR 2004, 88, 89 f.; gegen eine solche Differenzierung Schweinoch/Roas
CR 2004, 326, 328 f.
962 A.A. Redeker CR 2004, 88, 90 f.; ders. in Schneider/Gr. v. Westphalen, Teil D Rn. 86 f. (nunmehr
allerdings über eine Analogie zu § 651 S. 1); Lapp in JurisPraxKomm § 651 Rn. 31.
963 So aber Redeker in Schneider/Gr. v. Westphalen, Teil D Rn. 86 f.
256
ler Software richtet, würde im Falle der Anwendbarkeit des § 651 S. 1 durch § 651
S. 3 berücksichtigt werden.
Eine Ausnahme gilt für Softwareerstellungsverträge mit Softwarevertreibern, da
es sich hierbei um reine Entwicklungsverträge handelt. Folglich gilt Werkvertragsrecht.
D) Verträge über die Überlassung von Standardsoftware mit individuellen Anpassungen
Sieht man von der Frage der Sachqualität ab, dann entspricht ein Vertrag über die
Lieferung von Standardsoftware mit individuellen Anpassungen einem Lieferungsvertrag mit Änderungsverpflichtung.964 Nach den Kriterien des bisherigen Rechts
wäre also entscheidend, ob der Schwerpunkt der geschuldeten Leistung auf den
Anpassungsleistungen liegt.965 Da ein Lieferungsvertrag mit Änderungsverpflichtung nach hier vertretener Auffassung § 651 S. 1 analog unterfällt, wenn eine
bewegliche Sache zu liefern ist966, hängt die Einordnung eines Vertrags über die
Lieferung anzupassender Standardsoftware im neuen Recht letztlich davon ab, wie
Softwareerstellungsverträge eingeordnet werden. Demnach gilt folgendes:
Folgt man dem hier vertretenen Ausgangspunkt und lehnt man die Körperlichkeit
von Softwareexemplaren generell ab, so ist wie im bisherigen Recht entscheidend,
welches Gewicht die Anpassungsleistungen haben. Sind sie nur von untergeordneter
Bedeutung (z.B. bloße Parametrisierung), so findet (über § 453 Abs. 1) Kaufrecht
Anwendung; sind sie von größerer Bedeutung, so findet Werkvertragsrecht Anwendung.967
Müssten Softwareexemplare hingegen generell als körperliche Gegenstände
betrachtet werden, so fänden die hier entwickelten Regeln für Lieferungsverträge
mit Änderungsverpflichtung Anwendung.968 Es wäre also gemäß § 651 S. 1 analog
Kaufrecht anzuwenden, die Anpassungen würden, sofern sie zur Unvertretbarkeit
des Softwareexemplars führen, über § 651 S. 3 berücksichtigt werden.969
964 Zum Begriff des Lieferungsvertrags mit Änderungsverpflichtung vgl. Kap. 1, C) I.
965 Vgl. Kap. 1, C) V.
966 Vgl. Kap. 1, C) V. 1.
967 Ebenso K. Diedrich CR 2002, 473, 478; Bartsch CR 2001, 649, 655; Junker NJW 2005, 2829,
2831 f.; Thewalt S. 98 ff. (allerdings mit einer etwas zu schematischen Einstufung nach dem Anteil
der Vergütung: Kaufrecht, wenn der Anpassungsanteil unter 50 % liegt); Lenhard S. 186 ff.; konsequent auch Hoeren in Dauner-Lieb/Konzen/Schmidt S. 515, 517 ff.; Erman/B. Grunewald vor
§ 433 Rn. 24; Erman/Schwenker vor §§ 631 – 651 Rn. 22; Warnke Rn. 35.
968 Vgl. Kap. 1, C) V. 1. und 2.
969 Ebenso Schneider, Handbuch, S. 1465; Krauß S. 42; Plath ITRB 2002, 98, 100; Bauer/Witzel
ITRB 2003, 62, 63; Witzel in Schneider/Gr. v. Westphalen, Teil F Rn. 86 ff.; a.A. (keine Anwendbarkeit des Kaufrechts bei Lieferung von angepasster Software trotz der Anwendbarkeit des § 651
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Zusammenfassung
§ 651 BGB ist durch die Schuldrechtsreform grundlegend verändert worden. Während zuvor für die Anwendbarkeit des Kaufrechts letztlich entscheidend war, ob der Vertrag im Schwerpunkt kauftypisch ist, scheint nunmehr nur maßgeblich zu sein, ob eine bewegliche Sache zu liefern ist, selbst wenn sie nach individuellen Vorgaben herzustellen ist. Diese Abgrenzung wird vielfach als unbefriedigend empfunden, gerade weil sie nicht typologisch, sondern nur anhand von (nur scheinbar einfach zu bestimmenden) Äußerlichkeiten erfolgt. Der Autor untersucht zum einen den Anwendungsbereich der neuen Norm. Die Probleme liegen hier u.a. im Baurecht, bei komplexen Maschinen (Anlagenbau) und bei der Abgrenzung zu geistigen Leistungen. Problematisch sind wegen Bezügen zum Sachenrecht auch Fälle, bei denen der maßgebliche Stoffanteil vom Besteller gestellt wird. Zum anderen untersucht der Autor die z.T. praktisch sehr gravierenden Rechtsfolgen und inwiefern vertragliche Abweichungen möglich sind. Dabei legt er vor dem europäischen Hintergrund (Verbrauchsgüterkaufrichtlinie) dar, welche methodischen Grenzen einer restriktiven Auslegung gesetzt sind. Das Werk ist damit zugleich ein wichtiger Beitrag zur Dogmatik der (überschießenden) Richtlinienumsetzung.