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Ob sich ein solcher Wille mit hinreichender Sicherheit feststellen lässt, ist allerdings sehr fraglich. Der Wortlaut des § 651 S. 1 hilft hier nicht weiter, denn ob geistige Werke auf materiellen Trägern als Sachen aufgefasst werden müssen, ist ja
gerade die Frage. Ein Indiz im Wortlaut ist allenfalls die Verjährungsvorschrift des
§ 634a Abs. 1 Nr. 2, dort werden Planungsleistungen erwähnt. Diese Vorschrift
wäre zum großen Teil obsolet, falls Werkvertragsrecht nicht auf geistige Werke auf
materiellen Trägern anwendbar wäre. Doch können Normen des Werkvertragsrechts nicht über dessen Anwendungsbereich bestimmen, da diese Funktion von
den Typennormen (§§ 631, 651) übernommen wird. Außerdem wäre § 634a Abs. 1
Nr. 2 nicht die einzige Norm, die aufgrund § 651 S. 1 gegenstandslos werden
würde.
In der Begründung zu § 651 S. 1 erwähnt der Gesetzgeber zwar die Planung eines
Architekten und die Erstellung eines Gutachtens als Beispiel für Verträge über die
Herstellung unkörperlicher Werke.838 Doch findet sich keine ausdrückliche Erklärung, Verträge über die Erstellung geistiger Werke auf materiellen Trägern seien
von § 651 S. 1 auszunehmen. Insbesondere findet sich kein Indiz dafür, dies generell auch für den Fall zu wollen, dass die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie insoweit
Anwendung findet. Der Architektenplan und das Gutachten erscheinen mit anderen
Worten eher als Beispiel für den seitens des Gesetzgebers gewünschten und erwarteten Anwendungsbereich, aber weniger als Beispiel für den beabsichtigten Anwendungsbereich.
Insgesamt sind die Indizien für eine gespaltene Auslegung damit zu schwach.
Sollte der EuGH auch Verträge über die Erstellung geistiger Werke auf materiellen
Trägern der Richtlinie zuordnen, müsste dies bei § 651 S. 1 folglich auch für Nichtverbrauchergeschäfte nachvollzogen werden.
D) Nicht kopierbare Werke, insbesondere: Bildende Kunst
Wie oben schon dargestellt wurde, weisen nicht kopierbare Werke, insbesondere
solche der Bildenden Kunst (Skulptur, Gemälde usw.) gegenüber kopierbaren geistigen Leistungen die Besonderheit auf, dass sie nur mit einem konkreten materiellen Träger existieren können. Die konkrete Sache, die das Kunstwerk repräsentiert,
ist nicht von der geistigen Leistung trennbar. Eine Kopie ist ohne Wertverlust nicht
möglich, es sei denn, die Kopie ist wie beim Kunstdruck oder der Kunstfotografie
ein Originalabzug des Künstlers.
Die Erstellung nicht kopierbarer Werke führt also notwenig zur Herstellung einer
konkreten beweglichen Sache (bewegliche Skulptur, bewegliches Gemälde), zur
838 Begr. RegE BT-Drucks. 14/6040 S. 268.
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Herstellung einer konkreten unbeweglichen Sache (z.B. Kunst am Bau, soweit dabei
eine neue unbewegliche Sache entsteht839) oder zur Veränderung einer konkreten
beweglichen/unbeweglichen Sache (z.B. Oberflächenbearbeitungen, die nicht zur
Herstellung einer neuen Sache führen840, etwa Wandmalerei oder Verzierungen von
Gebrauchsgegenständen).
Soweit bei der Erstellung des Kunstwerks eine unbewegliche Sache entsteht, ist
unproblematisch Werkvertragsrecht anwendbar.841 Gleiches gilt, wenn eine bewegliche oder unbewegliche Sache aus der Sphäre des Bestellers/Käufers bei der Erstellung eines Kunstwerks lediglich verändert wird (z.B. Verzierungen an einem
Möbelstück oder Lüftlmalerei an der Hausfassade des Bestellers/Käufers), denn
dann handelt es sich um einen Änderungswerkvertrag.842
Soweit bei der Erstellung des Kunstwerks eine neue bewegliche Sache entsteht
oder eine anschließend noch zu übereignende Sache verändert wird, wirft die notwendige Verknüpfung der geistigen Leistung mit einer konkreten Sache jedoch die
Frage nach der Anwendbarkeit des § 651 S. 1 (analog) auf. Denn grundsätzlich gilt
bei der Herstellung neuer beweglicher Sachen – insoweit ungeachtet der Stoffherkunft843 – § 651 S. 1, und beim Lieferungsvertrag mit Änderungsverpflichtung (Lieferung einer noch zu verändernden, noch übereignungsbedürftigen Sache) findet
§ 651 S. 1 analoge Anwendung844.
Dennoch lehnt die wohl herrschende Meinung die Anwendung des § 651 S. 1
ab.845 Für diese Auffassung spricht, dass hier ebenso wie bei verkörperten kopierbaren Werken eine geistige Leistung durch eine Sache repräsentiert wird, und dass
letztlich diese geistige Leistung in ihrer Manifestation als Kunstgegenstand den
maßgeblichen wertbildenden Faktor bildet. Aus der Sicht des Künstlers erscheint
die Grenzziehung zwischen kopierbaren und nicht kopierbaren Werken zudem willkürlich, denn die Anwendbarkeit des Kaufrechts ist sozusagen von dem »Zufall«
abhängig, dass man sich für den Beruf eines Auftragsmalers anstatt den eines Auftragskomponisten entschieden hat.
Gegen diese Ansicht und für die Anwendbarkeit des § 651 S. 1 (analog) spricht
jedoch die untrennbare Einheit von geistiger Leistung und materiellem Träger, die
839 Vgl. dazu Kap. 3 C) II. und Kap. 1 B) III. 3. und 5.
840 Orientieren kann man sich hierbei vorsichtig an den zu § 950 Abs. 1 S. 2 entwickelten Grundsätzen; demnach führt nicht jede Oberflächenbearbeitung zu einer Neuherstellung, denn die Grundsätze zu § 950 Abs. 1 S. 1 (insbes. Verkehrsanschauung) gelten auch insoweit, vgl. Kap. 1, C) VI.
3. b).
841 Vgl. Kap. 3 C) II.
842 Vgl. Kap. 1, C) II., zum Begriff des Änderungswerkvertrags vgl. Kap. 1, C) I.
843 Vgl. Kap. 1, C) IV. 2.
844 Vgl. Kap. 1, C) V., zum Begriff des Lieferungsvertrags mit Änderungsverpflichtung vgl. Kap. 1,
C) I.
845 Gegen die Anwendbarkeit des § 651 S. 1: Voit in Bamberger/Roth § 651 Rn. 4; Palandt/Sprau
§ 651 Rn. 5; Staudinger/Peters § 651 Rn. 14; MünchKomm4/Busche § 651 Rn. 12; AnwK-BGB/
Raab § 651 Rn. 31; Fikentscher/Heinemann Rn. 1226; Vorwerk BauR 2002, 165. Für die Anwendbarkeit des § 651 S. 1: Oetker/Maultzsch § 8 Rn. 18; Kropholler § 651 Rn. 3; Zänker S. 147 f. (mit
der Ausnahme von Fällen, in denen das Werk seinerseits dem Besteller als Modell für die Herstellung eines weiteren geistigen Werks dienen soll); Metzger AcP 204 (2004), 231, 248 f., 254 f., 263.
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für Bildende Kunst charakteristisch ist. Anders als bei kopierbaren geistigen Leistungen ist es nicht möglich, beide Aspekte getrennt voneinander zu betrachten,
sondern sie verschmelzen zu einer Identität. Damit würde es gegen die allgemeinen
Grundsätze über die Anwendbarkeit des § 651 S. 1 verstoßen, wenn Werkvertragsrecht zur Anwendung käme:
Fertige mobile Kunstwerke (z.B. die Mona Lisa) sind taugliche Gegenstände
eines Kaufs über eine bewegliche Sache.846 Damit findet grundsätzlich der Grundsatz der Irrelevanz der Geschichte einer übereignungsbedürftigen beweglichen
Sache847 Anwendung. Anders als bei kopierbaren Werken auf materiellen Trägern
lässt sich nun hier nicht damit argumentieren, man könne zwischen der Geschichte
des Herstellungsgegenstands (geistiges Werk) und der Geschichte der zu liefernden
Sache unterscheiden848: Bei der Erstellung des geistigen Werks entsteht gleichzeitig
die Sache. Es gibt keine benutzbare Vorleistung, die einfach auf die Sache zu übertragen ist; erst mit der Bearbeitung der Sache tritt die geistige Leistung (so wie sie
sein soll849) nach außen. Das Ergebnis der geistigen Leistung ist eine neue Sache,
das Ergebnis der Sachherstellung ist die geistige Leistung. Eine Ausnahme vom
Grundsatz der Irrelevanz der Geschichte ist damit hier nicht möglich. Entsprechendes gilt für den Fall, dass eine noch zu übereignende bewegliche Sache künstlerisch
verändert wird: Die künstlerischen Veränderungen sind nicht übertragbare Veränderungen der konkreten Sache; dieser veränderte Gegenstand wäre im fertigen
Zustand auch tauglicher Gegenstand eines Mobilienkaufs.
Auch der Grundsatz der Irrelevanz der Unvertretbarkeit850 spricht für diese Einordnung. Die geistige Leistung manifestiert sich letztlich »nur« darin, dass das
Kunstwerk eine unvertretbare Sache ist, sie kann aber nicht den Sachcharakter des
geschuldeten Ergebnisses verhindern und stellt auch keinen über die Sachlieferung
hinausgehenden Erfolg dar. Der in der künstlerischen Darbietung liegende individuelle Charakter der Sache ist dasjenige, was die Sache unvertretbar macht. Andere
Eigenschaften außer »beweglich« und »körperlich« sind bei der Frage der Zuordnung zum Kauf- und Werkvertragsrecht außer Betracht zu lassen.851
§ 651 S. 1 ist daher bei Verträgen über die Herstellung und Lieferung von Werken der Bildenden Künste oder bei der Herstellung sonstiger nicht kopierbarer gei-
846 Vgl. nur Palandt/Weidenkaff § 434 Rn. 92; MünchKomm/H.P. Westermann § 434 Rn. 62.
847 Vgl. Kap. 1, C) V. und B) I. 2.
848 Vgl. oben C) III. 3.
849 Natürlich gibt es häufig Skizzen, diese entsprechen aber nicht der Leistung, die in das endgültige
Kunstwerk einfließt, sondern sie dienen nur der Vorbereitung.
850 Vgl. Kap. 1, B) IV.
851 Vgl. Kap. 1, B) I. 1. (Neutralitätsgrundsatz). Unzutreffend ist es daher auch, bei Kunstgegenständen die Anwendbarkeit des § 651 S. 1 davon abhängig zu machen, ob es sich um ein »standardmä-
ßig gefertigtes Gut« handelt oder nicht (Verstoß gegen die Irrelevanz der Unvertretbarkeit); a.A.
offenbar AnwK-BGB/Raab § 651 Rn. 10; nicht überzeugen kann auch die Abgrenzung danach, ob
das nicht kopierbare Werk als Vorlage für die Verwendung zur Herstellung eines weiteren geistigen Werks des Bestellers dienen soll wie z.B. ein speziell hergestelltes körperliches Requisit für
einen Werbefilm, denn auch dann geht es lediglich um den in der Unvertretbarkeit aufgehenden
besonderen Verwendungszweck des Werks (a.A. Zänker S. 148).
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stiger Werke anwendbar, soweit bei der Herstellung eine neue bewegliche Sache
entsteht.852 Entsprechend findet § 651 S. 1 analoge Anwendung, wenn eine noch zu
übereignende bewegliche Sache künstlerisch zu verändern ist (Lieferungsvertrag
mit Änderungsverpflichtung). Die Einzigartigkeit des Werks sowie das Einfließen
eventueller Wünsche des Bestellers/Käufers wird nur dadurch berücksichtigt, dass
§ 651 S. 3 (analog) Anwendung findet.
E) Herstellung komplizierter Sachen mit vorhergehender Entwicklungsleistung /
Abgrenzung zu Prototypen und Modellen
In der Literatur und Rechtsprechung wird zum Teil vertreten, § 651 S. 1 finde keine
Anwendung, wenn im Vorfeld der Herstellung von beweglichen Sachen aufwendige
Entwicklungsleistungen erforderlich sind, wie dies z.B. bei individuell entwickelten
und angefertigten Maschinen der Fall ist.853
Für diese Ansicht spricht, dass das Werkvertragsrecht gerade in solchen Fällen
regelmäßig die sachgerechteren Antworten bereithält. Außerdem erscheint die Differenzierung zwischen beweglichen und unbeweglichen Sachen gerade in solchen
Fällen als willkürlich, denn ein Vertrag über die Herstellung und Lieferung einer
komplizierten Maschine kann durchaus strukturelle Ähnlichkeiten zu einem Bauvertrag aufweisen.
Folgt man jedoch den hier vertretenen Grundsätzen, kann ein Unterschied zu sonstigen Verträgen über die Herstellung und Lieferung beweglicher Sachen nicht
gemacht werden. Trotz der für die Entstehung der Sache nicht unerheblichen Entwicklungsleistung besteht der geschuldete Erfolg eben darin, eine bewegliche Sache
mit den geschuldeten Funktionen herzustellen und zu liefern. Die geistige Leistung
ist gerade nicht der Schwerpunkt des Vertrags854, sondern sie dient »lediglich«
dazu, die Sachherstellung vorzubereiten. Die geistige Leistung ist damit bei Licht
betrachtet sogar schon gar nicht Vertragsgegenstand, da sie nicht geschuldet ist –
geschuldet ist »nur« die Lieferung der fertigen Maschine. Zudem erfordert der
Grundsatz der Irrelevanz der Unvertretbarkeit855 die Anwendung des § 651 S. 1.
Wenn eine den individuellen Bestellerwünschen entsprechende Maschine herzustellen und zu liefern ist, dann manifestieren sich diese Wünsche in der Unvertretbarkeit
der herzustellenden Sache. Es lässt sich aber nicht sagen, dass ein über die Sachlie-
852 So i. Erg. auch Oetker/Maultzsch § 8 Rn. 18; Kropholler § 651 Rn. 3; Metzger AcP 204 (2004),
231, 248 f., 254 f., 263.
853 Metzger AcP 204 (2004), 231, 246, 252 f., 263; Leistner JA 2007, 81, 88 ff.; wohl auch Palandt/
Sprau § 651 Rn. 4; dem im Ergebnis folgend OLG Nürnberg, Urt. v. 17.06.2008 – 1 U 148/08 (Lieferung eines planerisch aufwendigen Lagersystems).
854 Entgegen Leistner JA 2007, 81, 89 und OLG Nürnberg, Urt. v. 17.06.2008 – 1 U 148/08.
855 Vgl. Kap. 1, B) IV.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
§ 651 BGB ist durch die Schuldrechtsreform grundlegend verändert worden. Während zuvor für die Anwendbarkeit des Kaufrechts letztlich entscheidend war, ob der Vertrag im Schwerpunkt kauftypisch ist, scheint nunmehr nur maßgeblich zu sein, ob eine bewegliche Sache zu liefern ist, selbst wenn sie nach individuellen Vorgaben herzustellen ist. Diese Abgrenzung wird vielfach als unbefriedigend empfunden, gerade weil sie nicht typologisch, sondern nur anhand von (nur scheinbar einfach zu bestimmenden) Äußerlichkeiten erfolgt. Der Autor untersucht zum einen den Anwendungsbereich der neuen Norm. Die Probleme liegen hier u.a. im Baurecht, bei komplexen Maschinen (Anlagenbau) und bei der Abgrenzung zu geistigen Leistungen. Problematisch sind wegen Bezügen zum Sachenrecht auch Fälle, bei denen der maßgebliche Stoffanteil vom Besteller gestellt wird. Zum anderen untersucht der Autor die z.T. praktisch sehr gravierenden Rechtsfolgen und inwiefern vertragliche Abweichungen möglich sind. Dabei legt er vor dem europäischen Hintergrund (Verbrauchsgüterkaufrichtlinie) dar, welche methodischen Grenzen einer restriktiven Auslegung gesetzt sind. Das Werk ist damit zugleich ein wichtiger Beitrag zur Dogmatik der (überschießenden) Richtlinienumsetzung.