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Kapitel 4: Verträge über die Erstellung und Überlassung
geistiger Werke
A) Einführung in die Problematik
§ 651 S. 1 erfasst nur Verträge über körperliche Gegenstände.776 Immaterielle
Gegenstände sind damit nicht erfasst.
Als geradezu typisches Beispiel eines immateriellen Gegenstands gilt das geistige Werk.777 Sofern der geschuldete Erfolg in einer rein unkörperlichen Form
darzubieten ist (z.B. Theateraufführungen, Vorträge), unterfallen geistige Werke
eindeutig nicht unter § 651 S. 1. Geistige Leistungen spielen im rechtsgeschäftlichen Leben aber vor allem dann eine Rolle, wenn sie sich auf einem materiellen
Träger befinden. Dies wirft die Frage auf, ob und gegebenenfalls wann bei Verträgen über die Erstellung und Überlassung geistiger Werke § 651 S. 1 Anwendung
findet.
In der Literatur ist man sich annähernd einig, dass geistige Werke nicht § 651
S. 1 unterfallen, soweit es um kopierbare Werke geht.778 Das sind solche Werke, die
nicht auf einen ganz bestimmten materiellen Träger angewiesen sind. Das heißt,
dass sie auf einen anderen materiellen Träger kopiert werden können oder sogar
ganz ohne materiellen Träger (z.B. per Datenfernübertragung) übertragen werden
776 Vgl. Kap. 1, B) II. 1.
777 »Geistiges Werk« im Sinne der folgenden Ausführungen sind alle Formen von geistigen Leistungen gleich welcher Art oder Erscheinung, vgl. zur Orientierung § 2 UrhG.
778 Zu Art. 1 Abs. 4 VerbrGKRL: AnwKommSchR/Pfeiffer Art. 1 Kauf-RL Rn. 13; Höffe S. 18;
Metzger AcP 204 (2004), 231, 254; a.A. Luna Serrano in Grundmann/Bianca Art. 1 Rn. 32. Zu
§ 651 S. 1: Palandt/Sprau § 651 Rn. 5; Voit in Bamberger/Roth § 651 Rn. 4; ders. BauR 2002,
145, 146; Staudinger/Peters § 651 Rn. 14; Erman/Schwenker § 651 Rn. 6; MünchKomm4/Busche
§ 651 Rn. 12; Lapp in JurisPraxKomm § 651 Rn. 12; Englert in Wirth/Sienz/Englert Teil II § 651
Rn. 3; Langenecker in Englert/Motzke/Wirth § 651 Rn. 16; AnwK-BGB/Raab § 651 Rn. 10; Leupertz in Prütting/Wegen/Weinreich § 651 Rn. 10; Kniffka, Bauvertragsrecht, § 651 Rn. 15; P.
Huber in Huber/Faust Kap. 18 Rn. 4; Raab in Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring § 9 Rn. 8; Tiedtke in
Reinicke/Tiedtke Rn. 1136; Zänker S. 147 f.; Vorwerk BauR 2002, 165 (Fn. 8); Kraus BauR 2002,
524, 526; K. Diedrich CR 2002, 473, 476; Müller-Hengstenberg/Krcmar CR 2002, 549, 555;
Thode NZBau 2002, 360, 361; Ott MDR 2002, 361, 363; Schmeißer/Zirkel MDR 2003, 849; Mankowski MDR 2003, 854, 856; Konopka/Acker BauR 2004, 251, 253; Metzger AcP 204 (2004), 231,
247, 252, 254, 263; Leistner JA 2007, 81, 83; a. A. Manz/Ventroni/Schneider ZUM 2002, 409, 417;
dem folgend Krauß S. 44; offenbar auch Schellhammer SchR Rn. 431; Meub DB 2002, 131, 134;
vgl. auch die auf die Relevanz eines materiellen Träger hinweisende Tendenz in einem obiter dictum des OLG Düsseldorf in K&R 2004, 591, 592; a.A. zum Webdesignvertrag Steins in Bettinger/
Leistner Teil 3 E Rn. 105, 110 ff.; Härting ITRB 2002, 218, 219; Klett/Pohle DRiZ 2007, 198, 201;
unzutreffend (Analogie zu § 651 S. 1 beim Online-Versand von Kopien fertiger Werke) Wandtke/
Grassmann in ZUM 2006, 889, 890 [übersehend, dass es hierzu keines Rückgriffs auf § 651
bedarf, weil über § 453 auch »sonstige Gegenstände« kaufbar sind und es sich folglich um einen
»normalen« Kauf handelt, vgl. dazu unten C) III. 2. b) aa)].
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können, ohne dass ihr wirtschaftlicher Wert herabgesetzt wird. Dazu zählen Schriftwerke, Filme, Tonaufnahmen, Fotografien, Pläne, Datenbanken und sonstige – auch
digitalisierte – Informationen aller Art.
Obwohl es bei Verträgen über die Erstellung kopierbarer Werke den Parteien
sicherlich hauptsächlich um das geistige Werk als solches geht, genauer um die
Erlangung eines konkreten Werkexemplars der geistigen Leistung, ist es nur auf
den ersten Blick einfach, hier die Nichtanwendbarkeit des § 651 S. 1 zu begründen.
Dies liegt vordergründig daran, dass die Verbringung des Werkexemplars in den
Herrschaftsbereich des Käufers/Bestellers auch in der heutigen Zeit nur möglich ist,
wenn der Käufer/Besteller entweder das Exemplar bereits in verkörperter Form
erhält (Buch, CD, DVD usw.) oder die Möglichkeit hat, das Werkexemplar auf
einem körperlichen Träger in seinem Machtbereich zu speichern (z.B. auf seinem
Rechner). Besondere Probleme ergeben sich aber nicht alleine aus diesem
Umstand, sondern vor allem aus thematischen und systematischen Verknüpfungen
der hier zu entscheidenden Frage mit den Normen des Kaufrechts. Auch dort stellt
sich wegen der §§ 474 ff. (Sondernormen für Verbrauchsgüterkäufe) und des § 453
Abs. 1 ein analoges Problem. Es wird zwar jeder ohne zu Zögern der Behauptung
zustimmen, der Kauf einer Musik-CD sei ein Kauf einer beweglichen Sache und
unterfalle damit den §§ 474 ff. Damit ist jedoch vor dem Hintergrund der im
Grundlagenkapitel dargelegten Grundsätze die Frage, warum denn ein Vertrag über
die Erstellung einer geistigen Leistung, die auf einer CD zu überlassen ist, nicht
dem Kaufrecht unterfalle, nicht mehr so einfach zu beantworten. Insbesondere die
Grundsätze der Irrelevanz der Unvertretbarkeit und der Irrelevanz der Geschichte
eines übereignungsbedürftigen mobilienkauftauglichen Gegenstands spielen hier
eine Rolle.779
Bei Werken der Bildenden Künste (Skulpturen, Portraits usw.) ist das Meinungsbild schon deutlich gespaltener, obwohl auch hier die wohl herrschende Meinung
eine Anwendbarkeit des § 651 S. 1 ablehnt.780 Der Hintergrund für dieses Meinungsbild dürfte darin liegen, dass Bildende Kunst der Kategorie der nicht kopierbaren Werke angehört. Das sind solche geistigen Werke, die untrennbar mit einem
ganz bestimmten materiellen Träger verbunden sind, d.h. sie haben nur als Original
ihren vollen wirtschaftlichen Wert. Die Erbringung der geistigen Leistungen ist hier
notwendig mit der Entstehung einer konkreten neuen Sache verbunden. Deshalb
lässt sich hier nicht einfach behaupten, die Erstellung einer geistigen Leistung stehe
im Vordergrund. Dem Käufer/Besteller geht es (auch) darum, eine konkrete Sache
mit bestimmten Eigenschaften (nämlich denjenigen, welche die Sache zum Kunstwerk machen) zu erhalten.
779 Vgl. dazu Kap. 1, B) IV. und C) V) 3.
780 Gegen die Anwendbarkeit des § 651 S. 1: Voit in Bamberger/Roth § 651 Rn. 4; Palandt/Sprau
§ 651 Rn. 5; Staudinger/Peters § 651 Rn. 14; MünchKomm4/Busche § 651 Rn. 12; Fikentscher/
Heinemann Rn. 1226; Vorwerk BauR 2002, 165. Für die Anwendbarkeit des § 651 S. 1: Oetker/
Maultzsch § 8 Rn. 18; Kropholler § 651 Rn. 3; Zänker S. 147 f.; Metzger AcP 204 (2004), 231,
248 f., 254 f., 263.
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Dieses Kapitel befasst sich zunächst mit Verträgen über kopierbare Werke und
sodann mit Verträgen über nicht kopierbare Werke. Ein Teil der Literatur und
Rechtsprechung rückt schließlich Verträge über die Lieferung herzustellender
beweglicher Sachen, hinter denen eine zunächst erforderliche aufwendige Entwicklungsleistung steht (z.B. Spezialmaschinen), in die Nähe von geistigen Werken.781
Auch dazu wird am Ende des Kapitels Stellung zu nehmen sein.
Ausgespart werden in diesem Kapitel Softwarelieferungsverträge, diesen ist ein
eigenes Kapitel gewidmet.782 Der Grund für diese Aufteilung liegt vor allem darin,
dass Softwareexemplare zwar auch digitalisierte Informationen darstellen, sich aber
von sonstigen Informationen durch ihre funktionale Nähe zu Werkzeugen unterscheiden.783 Keine Software in diesem Sinne sind allerdings die Daten eines Internetauftritts, wenn die Vermittlung von menschlich wahrnehmbaren Informationen
gegenüber evtl. enthaltenen Programmelementen im Vordergrund steht.784
B) Definitionen hier verwendeter Begriffe: »Kopierbare Werke«, »nicht kopierbare Werke«, »Werkexemplar«, »materieller Träger«, »verkörpert/unverkörpert«, »unverkörperte Übertragung«
Zur Erleichterung des Verständnisses werden in diesem Kapitel die folgenden
Begriffe verwendet. Dabei geht es wie bei allen Begriffsbestimmungen in dieser
Arbeit nicht um die Vorwegnahme von rechtlichen Einordnungen, sondern nur um
die Vermeidung von Missverständnissen.
Kopierbare Werke sind wie bereits erwähnt solche, die nicht von einem konkreten materiellen Träger abhängig sind, um ihren wirtschaftlichen Wert zu erhalten.
Nicht kopierbare Werke sind solche, die mit einem ganz bestimmten materiellen Träger verbunden sind, d.h. sie haben nur als Original ihren vollen wirtschaftlichen Wert. Zu dieser Kategorie zählen insbesondere Werke der Bildenden
Künste.
781 Metzger AcP 204 (2004), 231, 246, 252 f., 263; wohl auch Palandt/Sprau § 651 Rn. 4 und im
Ergebnis auch Leistner JA 2007, 81, 88 f.; vgl. dem im Ergebnis folgend OLG Nürnberg, Urt. v.
17.06.2008 – 1 U 148/08 (Lieferung eines planerisch aufwendigen Lagersystems).
782 Vgl. Kap. 5.
783 Vgl. dazu ausführlich Kap. 5 C) II. 1.
784 Ebenso Redeker ITRB 2003, 82, 85; a.A. Steins in Bettinger/Leistner Teil 3e Rn. 105, 110 ff.; Härting ITRB 2002, 218, 219; Klett/Pohle DRiZ 2007, 198, 201 (diese ordnen Software als Sache ein,
verstehen Websites ebenfalls als Software und nehmen daher für den Webdesignvertrag die
Anwendbarkeit des § 651 S. 1 an); tendenziell a.A. auch F. Koch ITRB 2003, 281, 283. Bei Internetauftritten mit aufwendigen Programmelementen (z.B. eBay) stehen hingegen häufig bestimmte
Funktionen im Vordergrund, während das Erscheinungsbild nur den Rahmen (Benutzeroberfläche)
bildet; in solchen Fällen können die Daten eines Internetauftritts als Software(paket) aufgefasst
werden.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
§ 651 BGB ist durch die Schuldrechtsreform grundlegend verändert worden. Während zuvor für die Anwendbarkeit des Kaufrechts letztlich entscheidend war, ob der Vertrag im Schwerpunkt kauftypisch ist, scheint nunmehr nur maßgeblich zu sein, ob eine bewegliche Sache zu liefern ist, selbst wenn sie nach individuellen Vorgaben herzustellen ist. Diese Abgrenzung wird vielfach als unbefriedigend empfunden, gerade weil sie nicht typologisch, sondern nur anhand von (nur scheinbar einfach zu bestimmenden) Äußerlichkeiten erfolgt. Der Autor untersucht zum einen den Anwendungsbereich der neuen Norm. Die Probleme liegen hier u.a. im Baurecht, bei komplexen Maschinen (Anlagenbau) und bei der Abgrenzung zu geistigen Leistungen. Problematisch sind wegen Bezügen zum Sachenrecht auch Fälle, bei denen der maßgebliche Stoffanteil vom Besteller gestellt wird. Zum anderen untersucht der Autor die z.T. praktisch sehr gravierenden Rechtsfolgen und inwiefern vertragliche Abweichungen möglich sind. Dabei legt er vor dem europäischen Hintergrund (Verbrauchsgüterkaufrichtlinie) dar, welche methodischen Grenzen einer restriktiven Auslegung gesetzt sind. Das Werk ist damit zugleich ein wichtiger Beitrag zur Dogmatik der (überschießenden) Richtlinienumsetzung.