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C) Anwendbarkeit des § 651 S. 1 BGB auf Schiffsbauverträge und Ansätze zur
Lösung des Konflikts mit § 648 Abs. 2 BGB
Schiffe sind auch aus der Perspektive des deutschen Rechts zunächst bewegliche
Sachen. Dies ergibt sich nicht nur aus der natürlichen Betrachtung, sondern wird
auch durch die Existenz der Sondernormen verdeutlicht, die für die Anwendung
sachenrechtlicher oder sachenrechtsähnlicher Vorschriften erforderlich sind.
Allerdings bleibt der Wortlautkonflikt mit § 648 Abs. 2. Es spricht alles dafür,
dass dem Gesetzgeber hier ein Versehen unterlaufen ist, denn eine plausible Erklärung dafür, dass § 648 Abs. 2 nicht an die Neufassung des § 651 angepasst wurde
oder umgekehrt, ist nicht ersichtlich. Könnte man den Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung außer Betracht lassen, dann ließe sich dieser Fehler auf den
ersten Blick einfach über eine teleologische Reduktion des § 651 S. 1 korrigieren.590
Folgt man der hier vertretenen Richtlinienauslegung, kann eine solche teleologische
Reduktion jedoch allenfalls »gespalten« sein, also auf Nichtverbrauchergeschäfte
beschränkt werden. Für diese gespaltene Reduktion müssten dann aber die entsprechenden methodischen Voraussetzungen vorliegen.591
Eine andere Möglichkeit zur Beseitigung des Konflikts wäre eine Rechtsfortbildung analog der hier bei Herstellungswerkverträgen vertretenen Pfandrechtslösung592, also die Anwendbarkeit des § 648 Abs. 2 auf Schiffsbauverträge trotz der
Verweisung des § 651 S. 1 auf das Kaufrecht.
Eine gespaltene Anwendung überschießend umsetzender Normen ist nur ausnahmsweise möglich. Nach hier vertretener Ansicht muss dazu zumindest ein
gesetzgeberischer Wille erkennbar sein, einen bestimmten Fall von der Anwendbarkeit der Umsetzungsnorm auszuschließen.593 Auf § 648 Abs. 2 könnte dabei
nicht abgestellt werden, denn dies ist eine Norm, die schon vor der Schuldrechtsmodernisierung existierte. Die Problematik wurde wie schon erwähnt offenbar
übersehen.
Allenfalls könnte hinsichtlich des gesetzgeberischen Willens auf § 452 abgestellt
werden. Diese kaufrechtliche Norm erklärt die Vorschriften über den Grundstückskauf in »diesem Untertitel«, also in den §§ 433 bis 453, bei Kaufverträgen über eingetragene Schiffe und Schiffsbauwerke für entsprechend anwendbar. Sie geht auf
die Schuldrechtsmodernisierung zurück und ersetzt entsprechende Normen des bisherigen Rechts. Dennoch ergibt sich hieraus kein Indiz für die Anwendung des
§ 651 S. 1: So erlaubt § 452 schon für das Kaufrecht nicht den Schluss, Schiffe als
unbewegliche Sachen anzusehen. Dies zeigt schon die Notwendigkeit der Vor-
590 So Voit in Bamberger/Roth § 651 Rn. 2; MünchKomm4/Busche § 651 Rn. 3; Lapp in JurisPrax-
Komm § 651 Rn. 10; Hk-BGB/Ebert § 651 Rn. 2.
591 Hierzu vgl. Teil 1, B).
592 Vgl. Kap. 1, C) IV. 3. e) bb).
593 Vgl. Teil 1, B) I. 2.
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schrift. Außerdem beschränkt sich die Vorschrift nur auf eingetragene Schiffe, lässt
also noch nicht eingetragene und nicht eintragbare Schiffe außer Betracht. Schließlich – und das ist ausschlaggebend – beschränkt sie sich nach ihrem Wortlaut nur auf
die §§ 433-453, lässt also andere Vorschriften unberührt.594 Insbesondere bleibt das
Verbrauchsgüterkaufrecht595 und § 651 S. 1 unberührt. Die Notwendigkeit, in § 452
einen auf das gesamte Kauf- und Werkvertragsrecht auszuweitenden »Rechtsgedanken« zu erblicken, besteht ebenfalls nicht. Erforderlich wäre dies allenfalls, wenn es
Anwendungsprobleme gäbe. Das ist jedoch nicht der Fall: Ordnet man einen
Schiffsbauvertrag z.B. unter § 651 S. 1 ein, dann erstreckt sich die Anwendbarkeit
des Kaufrechts auch auf § 452, es finden also die kaufrechtlichen Besonderheiten
für eingetragene Schiffsbauwerke ohne Weiteres Anwendung. Erst recht bestehen
keine Anwendungsprobleme hinsichtlich der sonstigen Sondervorschriften für
Schiffe wie z.B. im Sachen- oder Zwangsvollstreckungsrecht.
Gegen eine gespaltene Reduktion des § 651 S. 1 sprechen auch noch andere
Gesichtspunkte. Zunächst wäre nicht einzusehen, warum eine solche auf Schiffe
beschränkt werden sollte, während andere Großfahrnis (z.B. Flugzeuge, Schaufelradbagger und Muldenkipper für den Tagebau, Baukräne, Lokomotiven und Waggons, Tunnelbohrmaschinen596) ausgenommen bliebe. Begründen ließe sich dies
nur mit der sachenrechtlichen Sonderbehandlung von Schiffen. Aber abgesehen
davon, dass die Berücksichtigung sachenrechtlicher Besonderheiten bei der Auslegung des § 651 S. 1 schon an sich problematisch ist, wären die heranzuziehenden
Kriterien unscharf: Maßgeblich dürfte dann nur die Eintragbarkeit des Schiffs sein,
denn ansonsten sind Schiffe auch sachenrechtlich als normale Fahrnis einzustufen.597 Nur: Wären dann alleine die Mindestgrößen für fertige Schiffe598 oder die
strengeren Mindestgrößen für die Eintragung einer Schiffshypothek für Schiffsbauwerke (§ 76 Abs. 2 SchiffsG) maßgeblich? Müssen darüber hinaus die weiteren
Voraussetzungen der Eintragungsfähigkeit gegeben sein, insbesondere das bei Seeschiffen erforderliche Führendürfen der Bundesflagge?599
Alles in allem lässt sich eine gespaltene Reduktion des § 651 S. 1 bei Schiffsbauverträgen nicht überzeugend begründen. Mithin muss von der Anwendbarkeit des
§ 651 S. 1 ausgegangen werden.
594 So auch Doehner S. 115; Faust in Bamberger/Roth § 452 Rn. 1; AnwKommSchR/Büdenbender
vor §§ 433 ff. Rn. 21 (Fn. 29).
595 So auch Faust in Bamberger/Roth § 452 Rn. 1; Schmidt in Prütting/Wegen/Weinreich § 474
Rdn. 7; a.A. Jauernig/Berger § 474 Rn. 4; MünchKomm/H.P. Westermann § 452 Rn. 1.
596 Gerade Tunnelbohrmaschinen sind in aller Regel Einzelanfertigungen für den konkreten Tunnelbau und daher typologisch betrachtet werktypischer als so mancher Schiffsbau. So wird z.B. der
Bohrkopf der Bohrmaschine für die vierte Röhre des Elbtunnels (die »Trude«) heute als technisches Denkmal in Hamburg-Barmbek am Museum der Arbeit ausgestellt. »Trude« wurde speziell
für sehr unterschiedliche Bodenverhältnisse unter dem Grundwasserspiegel gebaut, vgl. (Stand
02.07.2007) http://de.wikipedia.org/wiki/TRUDE.
597 Vgl. Staudinger/Peters § 648 Rn. 54.
598 Vgl. dazu Erman9/Küchenhoff § 1 SchiffsG Rn. 2 ff.
599 Vgl. Erman9/Küchenhoff § 1 SchiffsG Rn. 2.
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Folgt man der hier vertretenen Richtlinienauslegung nicht, so ist das Ergebnis nicht anders: Einen allgemeinen Rechtsgedanken, Schiffe schuldrechtlich wie Immobilien zu behandeln, gibt es nicht; und die Erwähnung des Schiffsbaus in der nicht modernisierten
Vorschrift des § 648 Abs. 2 erscheint als zu schwaches Indiz, um für einen (objektivierten) Willen des Gesetzgebers zu argumentieren, dass beschränkt auf den Großfahrnistyp
»Schiff« andere Normen gelten sollen als bei sonstiger Großfahrnis. Schließlich bleibt zu
wiederholen, dass mit Normen außerhalb des Kauf- und Werkvertragsrecht keine Konflikte entstehen, wenn § 651 S. 1 zur Anwendung kommt.
Es fragt sich daher, ob § 648 Abs. 2 trotz des Verweises in § 651 S. 1 angewendet
werden kann. Da der Gesetzgeber die Problematik offenbar übersehen hat, ist die
erste Voraussetzung für eine dahingehende Rechtsfortbildung gegeben. Auch hat
sich die Interessenlage gegenüber dem bisherigen Recht nicht verändert. Sofern die
weiteren Voraussetzungen des § 648 Abs. 2 vorliegen, besteht das gleiche Sicherungsbedürfnis wie im bisherigen Recht; die Tatsache, dass nunmehr Kaufrecht
Anwendung findet, ändert daran nichts. Außer der ohne Blick auf § 648 Abs. 2
ergangenen Neufassung des § 651 S. 1 gibt es also keinen nachvollziehbaren Grund
für eine Änderung der bisherigen Rechtslage. Die Problematik weist viele Parallelen
mit der Frage der Absicherung des Vergütungsanspruchs bei Herstellungswerkverträgen auf.600 Der dort entwickelte Hauptgedanke ist deshalb im Wesentlichen übertragbar: Hat der Gesetzgeber durch eine Normänderung versehentlich ein Anwendungsproblem bei einer anderen Norm ausgelöst, so ist eine rechtsfortbildende Aufrechterhaltung der bisherigen Rechtslage vorzugswürdiger. Sie respektiert nämlich
das Schweigen des Gesetzgebers zum eigentlichen Problem, während eine andere
Lösung dem legislatorischen Akt eine Bedeutung zumisst, die dieser gar nicht haben
sollte.
§ 648 Abs. 2 kann daher wie bisher auf Schiffsbauverträge angewendet werden,
soweit die weiteren Voraussetzungen vorliegen.
D) Zusammenfassung
§ 651 S. 1 ist auf Schiffsbauverträge anwendbar. Dabei kommt es nicht darauf an,
ob der Besteller/Käufer ein Verbraucher ist oder nicht. Um den Wortlautkonflikt mit
§ 648 Abs. 2 zu lösen, wird dessen entsprechende Anwendung auf Schiffsbauverträge vorgeschlagen, so dass der bisherige Anwendungsbereich unberührt bleibt.
600 Vgl. Kap. 1, C) IV. 3. e).
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
§ 651 BGB ist durch die Schuldrechtsreform grundlegend verändert worden. Während zuvor für die Anwendbarkeit des Kaufrechts letztlich entscheidend war, ob der Vertrag im Schwerpunkt kauftypisch ist, scheint nunmehr nur maßgeblich zu sein, ob eine bewegliche Sache zu liefern ist, selbst wenn sie nach individuellen Vorgaben herzustellen ist. Diese Abgrenzung wird vielfach als unbefriedigend empfunden, gerade weil sie nicht typologisch, sondern nur anhand von (nur scheinbar einfach zu bestimmenden) Äußerlichkeiten erfolgt. Der Autor untersucht zum einen den Anwendungsbereich der neuen Norm. Die Probleme liegen hier u.a. im Baurecht, bei komplexen Maschinen (Anlagenbau) und bei der Abgrenzung zu geistigen Leistungen. Problematisch sind wegen Bezügen zum Sachenrecht auch Fälle, bei denen der maßgebliche Stoffanteil vom Besteller gestellt wird. Zum anderen untersucht der Autor die z.T. praktisch sehr gravierenden Rechtsfolgen und inwiefern vertragliche Abweichungen möglich sind. Dabei legt er vor dem europäischen Hintergrund (Verbrauchsgüterkaufrichtlinie) dar, welche methodischen Grenzen einer restriktiven Auslegung gesetzt sind. Das Werk ist damit zugleich ein wichtiger Beitrag zur Dogmatik der (überschießenden) Richtlinienumsetzung.