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Kapitel 2: Die Einordnung von Schiffsbauverträgen
A) Einführung in die Problematik
Schiffe575 sind unzweifelhaft beweglich im natürlichen Sinne.576 Dennoch ist fraglich, ob ein Vertrag über die Herstellung und Lieferung eines Schiffes § 651 S. 1
zugeordnet werden kann: Gemäß § 648 Abs. 2 kann der Inhaber einer Schiffswerft
für den Bau von Schiffen die Einräumung einer Schiffshypothek an dem Schiff oder
Schiffsbauwerk verlangen, soweit die weiteren Voraussetzungen des § 76 Abs. 2
SchiffsG vorliegen. »Bau« ist zuvörderst die Herstellung von Schiffen577, so dass
hier ein ähnlicher Wortlautkonflikt wie bei § 647578 besteht. Auch in anderer Hinsicht sind auf Schiffe immobiliarsachenrechtliche oder dem Immobiliarsachenrecht
ähnelnde Vorschriften anzuwenden. So zählen eingetragene Schiffe und eingetragene bzw. eintragungsfähige Schiffsbauwerke im Zwangsvollstreckungsrecht zum
unbeweglichen Vermögen (§ 864 Abs. 1 ZPO), weiterhin erfordert z.B. der Eigentumsübergang bei Binnenschiffen, die im Schiffsregister stehen, die Eintragung in
das Schiffsregister (§ 3 SchiffsG579). Aus diesem Grunde wird die Anwendbarkeit
des § 651 S. 1 vielfach abgelehnt.580 Im Folgenden soll untersucht werden, ob dem
gefolgt werden kann und ob es Ansätze gibt, den Konflikt zwischen § 648 Abs. 1
und § 651 S. 1 auf andere Weise zu lösen.
B) Bei der Auslegung zu berücksichtigende Richtlinienvorgaben
Ausgangspunkt der Überlegungen muss die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie sein.
Soweit Schiffe nämlich als Verbrauchsgut einzuordnen sein sollten, müsste
§ 651 S. 1 bei Verbrauchergeschäften richtlinienkonform ausgelegt werden,
soweit dies ohne Überschreitung der Grenze zum Contra-Legem-Judizieren
575 Schiffe im Rechtssinn sind nur solche mit nicht ganz unbedeutender Größe; zu Einzelheiten der
Definition vgl. Erman9/Küchenhoff § 1 SchiffsG Rn. 1.
576 Zum Begriff der Beweglichkeit vgl. Kap. 1, B) III.
577 Staudinger/Peters § 648 Rn. 56.
578 Vgl. dazu Kap. 1, C) I. und IV. 2. b) cc) (2).
579 Gesetz über Rechte an eingetragenen Schiffen und Schiffsbauwerken vom 15. 11. 1940 (RGBl. I
1499).
580 Voit in Bamberger/Roth § 651 Rn. 2; MünchKomm4/Busche § 651 Rn. 3; Lapp in JurisPraxKomm
§ 651 Rn. 10; Hk-BGB/Ebert § 651 Rn. 2; offen lassend Kreft ZInsO 2003, 1120, 1121 f.
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möglich wäre.581 Bei Nichtverbrauchergeschäften bliebe nur zu prüfen, ob eine
gespaltene Auslegung möglich ist.582
Der Wortlaut der Richtlinie spricht dafür, dass Schiffe als Verbrauchsgüter einzuordnen sind, denn Schiffe sind im natürlichen Sinne beweglich.583 Die Tatsache,
dass Schiffe im deutschen Recht in vielerlei Hinsicht wie Immobilien behandelt
werden, muss bei der Auslegung der Richtlinie außer Betracht bleiben. Die Richtlinie ist autonom auszulegen.584 Insbesondere können die sachenrechtlichen Besonderheiten des deutschen Rechts keine Rolle spielen.
In den Materialien zur Richtlinie finden sich keine Hinweise. Für die Erfassung
von Schiffen spricht aber ein Vergleich mit dem UN-Kaufrecht: Der in Art. 2 lit. e)
CISG585 geregelte Anwendungsausschluss für Schiffe wurde in der Richtlinie nicht
übernommen. Das ist ein gewisses Indiz, denn es legt den Schluss nahe, dass der
sich in weiten Teilen am UN-Kaufrecht orientierende Richtliniengeber diesen
Anwendungsausschluss nicht übernehmen wollte.586
Für die Erfassung von Schiffsbauverträgen spricht auch der Grundsatz der Neutralität des Verbrauchsgutsbegriffs. Demnach wird die Einordnung eines Gegenstands als »Verbrauchsgut« alleine durch die Merkmale »körperliche Sache« und
»beweglich« bestimmt.587 Es kommt insbesondere nicht darauf an, ob ein Gegenstand typischerweise von Verbrauchern bestellt wird oder nicht.
Zuzugeben ist, dass es bei den meisten Schiffstypen annähernd ausgeschlossen
ist, dass diese jemals von Verbrauchern bestellt werden. Dies kann jedoch nach dem
Neutralitätsgrundsatz keine Rolle spielen. Dass die Richtlinie in diesen Fällen nicht
zur Anwendung kommt, liegt im rein Tatsächlichen begründet – es fehlt eben an der
Anwendungsvoraussetzung »Verbrauchergeschäft«. Damit erübrigt sich aus Sicht
der Richtlinie auch die Notwendigkeit einer teleologischen Reduktion.
Einige Schiffstypen werden aber durchaus hin und wieder von Verbrauchern
bestellt: So ist ein Vertrag über den Bau einer zu privaten Zwecken verwendeten
hochseetüchtigen Luxusyacht durchaus Verbrauchergeschäft. Dass der Richtliniengeber solche Schiffsbaufälle vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausnehmen
wollte, ist nicht ersichtlich.588
Schiffe sind daher Verbrauchsgüter, Schiffsbauverträge unterfallen mithin Art. 1
Abs. 4 VerbrGKRL.589
581 Zum Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung vgl. Teil 1, A).
582 Vgl. dazu Teil 1, B).
583 Vgl. Kap. 1, B) III. 2. a).
584 Vgl. Teil 1, D) I.
585 Convention on Contracts for the International Sale of Goods (Übereinkommen der Vereinten
Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf von 1980, UN-Kaufrecht).
586 Vgl. zur Indizwirkung solcher »Negativ-Orientierungen« am UN-Kaufrecht Teil 1, D) II.
587 Vgl. Kap. 1, B) I. 1. a).
588 So auch Faust in Bamberger/Roth § 452 Rn. 1.
589 So auch Faust in Bamberger/Roth § 452 Rn. 1.
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C) Anwendbarkeit des § 651 S. 1 BGB auf Schiffsbauverträge und Ansätze zur
Lösung des Konflikts mit § 648 Abs. 2 BGB
Schiffe sind auch aus der Perspektive des deutschen Rechts zunächst bewegliche
Sachen. Dies ergibt sich nicht nur aus der natürlichen Betrachtung, sondern wird
auch durch die Existenz der Sondernormen verdeutlicht, die für die Anwendung
sachenrechtlicher oder sachenrechtsähnlicher Vorschriften erforderlich sind.
Allerdings bleibt der Wortlautkonflikt mit § 648 Abs. 2. Es spricht alles dafür,
dass dem Gesetzgeber hier ein Versehen unterlaufen ist, denn eine plausible Erklärung dafür, dass § 648 Abs. 2 nicht an die Neufassung des § 651 angepasst wurde
oder umgekehrt, ist nicht ersichtlich. Könnte man den Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung außer Betracht lassen, dann ließe sich dieser Fehler auf den
ersten Blick einfach über eine teleologische Reduktion des § 651 S. 1 korrigieren.590
Folgt man der hier vertretenen Richtlinienauslegung, kann eine solche teleologische
Reduktion jedoch allenfalls »gespalten« sein, also auf Nichtverbrauchergeschäfte
beschränkt werden. Für diese gespaltene Reduktion müssten dann aber die entsprechenden methodischen Voraussetzungen vorliegen.591
Eine andere Möglichkeit zur Beseitigung des Konflikts wäre eine Rechtsfortbildung analog der hier bei Herstellungswerkverträgen vertretenen Pfandrechtslösung592, also die Anwendbarkeit des § 648 Abs. 2 auf Schiffsbauverträge trotz der
Verweisung des § 651 S. 1 auf das Kaufrecht.
Eine gespaltene Anwendung überschießend umsetzender Normen ist nur ausnahmsweise möglich. Nach hier vertretener Ansicht muss dazu zumindest ein
gesetzgeberischer Wille erkennbar sein, einen bestimmten Fall von der Anwendbarkeit der Umsetzungsnorm auszuschließen.593 Auf § 648 Abs. 2 könnte dabei
nicht abgestellt werden, denn dies ist eine Norm, die schon vor der Schuldrechtsmodernisierung existierte. Die Problematik wurde wie schon erwähnt offenbar
übersehen.
Allenfalls könnte hinsichtlich des gesetzgeberischen Willens auf § 452 abgestellt
werden. Diese kaufrechtliche Norm erklärt die Vorschriften über den Grundstückskauf in »diesem Untertitel«, also in den §§ 433 bis 453, bei Kaufverträgen über eingetragene Schiffe und Schiffsbauwerke für entsprechend anwendbar. Sie geht auf
die Schuldrechtsmodernisierung zurück und ersetzt entsprechende Normen des bisherigen Rechts. Dennoch ergibt sich hieraus kein Indiz für die Anwendung des
§ 651 S. 1: So erlaubt § 452 schon für das Kaufrecht nicht den Schluss, Schiffe als
unbewegliche Sachen anzusehen. Dies zeigt schon die Notwendigkeit der Vor-
590 So Voit in Bamberger/Roth § 651 Rn. 2; MünchKomm4/Busche § 651 Rn. 3; Lapp in JurisPrax-
Komm § 651 Rn. 10; Hk-BGB/Ebert § 651 Rn. 2.
591 Hierzu vgl. Teil 1, B).
592 Vgl. Kap. 1, C) IV. 3. e) bb).
593 Vgl. Teil 1, B) I. 2.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
§ 651 BGB ist durch die Schuldrechtsreform grundlegend verändert worden. Während zuvor für die Anwendbarkeit des Kaufrechts letztlich entscheidend war, ob der Vertrag im Schwerpunkt kauftypisch ist, scheint nunmehr nur maßgeblich zu sein, ob eine bewegliche Sache zu liefern ist, selbst wenn sie nach individuellen Vorgaben herzustellen ist. Diese Abgrenzung wird vielfach als unbefriedigend empfunden, gerade weil sie nicht typologisch, sondern nur anhand von (nur scheinbar einfach zu bestimmenden) Äußerlichkeiten erfolgt. Der Autor untersucht zum einen den Anwendungsbereich der neuen Norm. Die Probleme liegen hier u.a. im Baurecht, bei komplexen Maschinen (Anlagenbau) und bei der Abgrenzung zu geistigen Leistungen. Problematisch sind wegen Bezügen zum Sachenrecht auch Fälle, bei denen der maßgebliche Stoffanteil vom Besteller gestellt wird. Zum anderen untersucht der Autor die z.T. praktisch sehr gravierenden Rechtsfolgen und inwiefern vertragliche Abweichungen möglich sind. Dabei legt er vor dem europäischen Hintergrund (Verbrauchsgüterkaufrichtlinie) dar, welche methodischen Grenzen einer restriktiven Auslegung gesetzt sind. Das Werk ist damit zugleich ein wichtiger Beitrag zur Dogmatik der (überschießenden) Richtlinienumsetzung.