262
Auslegungsmitteilung zu Vergaben, die nicht oder nur teilweise unter die Vergaberichtlinien fallen, an880. Das hat zur Folge, dass die Grundsätze des Vergabeprimärrechts auf nicht-prioritäre Dienstleistungen erstreckt werden, obwohl diese bereits
unter die Vergaberichtlinien fallen. Der Wortlaut der Richtlinie ist jedoch eindeutig
formuliert, in dem er bestimmt, dass nicht-prioritäre Dienstleistungen „nur“ Art. 23,
35 Abs. 4 VKR „unterliegen“. Bereits dieser Wortlaut verdeutlicht, dass die Vorgaben für nicht-prioritäre Dienstleistungen abschließend den Vergaberichtlinien zu
entnehmen sind. Eine darüber hinaus gehende Anwendung des Vergabeprimärrechts
auf nicht-prioritäre Dienstleistungen unterläuft den Sinn der Vergaberichtlinien.
Auch wenn die Vorgaben an nicht-prioritäre Dienstleistungen nicht sehr ausgeprägt
sind, hat der Gemeinschaftsgesetzgeber dennoch von seiner Gestaltungsbefugnis
Gebrauch gemacht und sie ausgeschöpft881. Für eine weitergehende Anwendung des
Vergabeprimärrechts auf nicht-prioritäre Dienstleistungen bleibt im Ergebnis kein
Raum. Daher ist gegen den EuGH festzustellen, dass die Vorgaben des Vergabeprimärrechts nicht auf nicht-prioritäre Dienstleistungen anzuwenden sind882. Die Vergabekoordinierungsrichtlinie entfaltet diesbezüglich eine Sperrwirkung.
C. Dienstleistungskonzessionen
Viele Konstellationen im Rahmen der Leistungsbeschaffung durch Dritte fallen aus
dem Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts heraus, weil sie im Ergebnis als
Dienstleistungskonzessionen zu beurteilen sind. Dennoch sind bei der Vergabe von
Dienstleistungskonzessionen die gemeinschaftsrechtlichen Grundanforderungen des
Vergabeprimärrechts zu beachten. Die Kommission hat gegen Deutschland bereits
mehrere Vertragsverletzungsverfahren wegen der Verletzung des Primärrechts bei
der Konzessionsvergabe eingeleitet, so dass Dienstleistungskonzessionen nicht im
„rechtsfreien Raum“ vergeben werden dürfen883. Die konkreten Anforderungen, die
bei der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen beachtet werden müssen, hat der
EuGH im Laufe der Zeit aus einschlägigen Bestimmungen des EG-Vertrages herausgearbeitet. In erster Linie zieht er dabei die EG-Grundfreiheiten und die ungeschriebenen Grundrechte des Unionsrechts heran. Die Kommission hat sich dieser
Rechtsprechung angeschlossen und hat sie ihrer Aufsichtstätigkeit zugrunde gelegt.
880 Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht, das
für die Vergabe öffentlicher Aufträge gilt, die nicht oder nur teilweise unter die Vergaberichtlinien fallen, ABlEU 2006 Nr. C 179, S. 2, Einleitung.
881 Dreher/Motzke-Dörr, Einleitung: Vergaberecht in Deutschland – Das Recht der öffentlichen
Auftragsvergabe im Stufenbau der Rechtsordnung, Rn. 120 i.E.
882 So auch Dreher/Motzke-Dörr, Einleitung: Vergaberecht in Deutschland – Das Recht der
öffentlichen Auftragsvergabe im Stufenbau der Rechtsordnung, Rn. 120 i.E.
883 Ein Verfahren zur Vergabe von Konzessionen für den Buslinienverkehr im Rheinisch-
Bergischen Kreis stellte die Kommission am 27.6.2007 beispielsweise erst ein, nachdem die
zuständige Bezirksregierung Köln Verfahrensänderungen zugesagt hatte, vgl. EuZW 2007,
451 (451).
263
Diese Anforderungen summieren sich zu dem Vergabeprimärrecht884 und umfassen:
- einen allgemeinen Grundsatz der Gleichbehandlung
- die Pflicht zur Transparenz
- den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und
- einen effektiven Rechtsschutz.
Auch in den Fällen, in den das Kartellvergaberecht nicht zur Anwendung kommt,
müssen die Sozialleistungsträger jedenfalls die Bestimmungen des für sie einschlägigen Haushaltsrechts und die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben über die Konzessionsvergabe beachten.
884 Siehe 3. Teil, B. I. 2. d).
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Müssen soziale Dienstleistungen öffentlich ausgeschrieben werden? Die Frage wird dahingehend beantwortet, dass nicht alle sozialen Dienstleistungen unter das Vergaberecht fallen. Teilweise handelt es sich bei sozialen Dienstleistungen um vergaberechtsfreie Dienstleistungskonzessionen.
Die Autorin analysiert die Auftraggebereigenschaft der Sozialleistungsträger und untersucht ausführlich, welche sozialen Dienstleistungen dem Vergaberecht unterliegen und welche als Dienstleistungskonzessionen einzuordnen sind. Abschließend werden die Anforderungen an die konkrete Auftragsvergabe dargestellt.
Das Werk wendet sich nicht nur an wissenschaftlich interessierte Leser, sondern auch an Personen und Körperschaften, die praktisch mit der Beschaffung sozialer Dienstleistungen betraut sind. Mit der präzisen Herausarbeitung der einzelnen sozialen Dienstleistung und deren detailliert begründeten vergaberechtlichen Einordnung, leistet die Arbeit einen wichtigen Beitrag für die Beschaffung sozialer Dienstleistungen und ist damit für den Praktiker in besonderem Maße geeignet.