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Die Leistungserbringer tragen das wirtschaftliche Risiko, so dass wiederum eine
Dienstleistungskonzession vorliegt860.
9. Zwischenergebnis
Der Bereich der Vorsorge ist nur in Teilbereichen offen für eine vergaberechtlich
relevante Beschaffung. Jedenfalls steht eine Leistungserbringung nach vergaberechtlichen Grundsätzen nicht § 69 SGB V entgegen, sondern überwiegend scheitert der
Abschluss öffentlicher Aufträge nach § 99 GWB an dem Recht des Versicherten auf
freie Arzt- bzw. Versorgungswahl. Damit ist im Bereich der Vorsorge die Dienstleistungskonzession die vorherrschende Form der Leistungserbringung. Diese werden allerdings außerhalb des klassischen Kartellvergaberechts vergeben. Nur wenn
der Sozialleistungsträger eigene Auswahlentscheidungen trifft und mit den Leistungserbringern entgeltliche Verträge abschließt, kann er den Versicherten steuern
und auf diese Weise vergaberechtlich relevante Beschaffungsvorgänge vornehmen.
Diese Konstellationen stellen also einen entgeltlichen Beschaffungsvorgang und
folglich einen öffentlichen Auftrag im Sinne des Vergaberechts dar.
IV. Soziale Dienstleistungen der Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen
Das Recht der Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen ist zwar im SGB
IX geregelt, vereinigt dabei aber zahlreiche Sozialleistungen beispielsweise medizinischer oder berufsfördernder Art. Dementsprechend kommen die Rehabilitationsträger aus verschiedenen sozialrechtlichen Bereichen. Grundsätzlich werden die
Leistungen im SGB IX gemäß § 9 Abs. 2 SGB IX als Sachleistungen erbracht. Nur,
wenn die Leistungen nicht in Rehabilitationseinrichtungen erbracht werden können,
erfolgt die Leistungserbringung durch Geldleistungen. Dabei können die Rehabilitationsträger die Sozialleistungen durch trägereigene Einrichtungen erbringen861.
Zwingend notwendig ist dies jedoch nicht. Die Rehabilitationsträger können vielmehr auch nach § 21 SGB IX entsprechende Verträge mit Leistungserbringern abschließen und im sozialrechtlichen Dreieck soziale Dienstleistungen erbringen.
1. Verträge mit Leistungserbringern nach § 21 SGB IX
§ 21 SGB IX regelt die Leistungsbeziehungen zwischen den Rehabilitationsdiensten
und -einrichtungen auf der einen und den Rehabilitationsträgern auf der anderen
Seite. Nach § 21 SGB IX werden also Versorgungsverträge abgeschlossen, die ins-
860 Siehe 4. Teil, C. III. 2. b) cc).
861 Sormani-Bastian, S. 217.
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besondere Regelungen über Qualitätsanforderungen, die Übernahme von Grundsätzen der Rehabilitationsträger zur Vereinbarung von Vergütungen, Rechte und
Pflichten, angemessene Mitwirkungsmöglichkeiten der Teilnehmer, die Geheimhaltung personenbezogener Daten sowie die Beschäftigung eines angemessenen Anteils
behinderter oder schwerbehinderter Frauen enthalten.
Verträge mit fachlich nicht geeigneten Diensten oder Einrichtungen werden gemäß § 21 Abs. 3 SGB IX gekündigt. Die fachliche Eignung von Diensten oder Einrichtungen ergibt sich aus den in § 20 SGB IX niedergelegten Qualitätsanforderungen. Bereits aus diesen Gesetzesvorgaben lässt sich ableiten, dass Versorgungsverträge mit allen Einrichtungen abgeschlossen werden müssen, welche die entsprechenden Qualitätsanforderungen erfüllen. Dass die Verträge nach § 21 SGB IX Zulassungscharakter besitzen, geht ebenfalls aus der Begründung des Regierungsentwurfs
hervor862. Danach stelle § 21 SGB IX sicher, dass nur solche Rehabilitationsdienste
und -einrichtungen in Anspruch genommen werden, die den sich aus § 20 SGB IX
ergebenden Qualitätsanforderungen genügen. Mit diesen seien Verträge abzuschlie-
ßen.
Im Rehabilitationsrecht bestimmt jedoch nicht der Versicherte die konkrete Inanspruchnahme eines frei gewählten Rehabilitationsdienstes oder einer Rehabilitationseinrichtung. Vielmehr kann der zuständige Rehabilitationsträger gemäß § 17
Abs. 1 SGB IX die Leistungen zur Teilhabe allein oder gemeinsam mit anderen
Leistungsträgern, durch andere Leistungsträger oder unter Inanspruchnahme von
geeignete, insbesondere auch freien und gemeinnützigen oder privaten Rehabilitationsdiensten und -einrichtungen ausführen. Er bleibt nach § 17 Abs. 1 Satz 2 SGB IX
für die Ausführung der Leistungen verantwortlich. Es ist also der Sozialleistungsträger, der über die konkreten Leistungen des Berechtigten entscheidet und diese entsprechend bei den Leistungserbringern beschafft. Da bereits die Leistungen sowie
die Vergütung bei Leistungserbringung im Vorfeld mit den Leistungserbringern
vereinbart werden, tragen diese kein erhebliches wirtschaftliches Risiko. Damit
scheidet eine Einordnung als Dienstleistungskonzession aus. Die allgemeinen Rehabilitationsversorgungsverträge nach § 21 SGB IX sind demnach als entgeltliche
öffentliche Aufträge im Sinne des Vergaberechts zu qualifizieren863.
2. Leistungen der Integrationsfachdienste und Werkstätten für behinderte Menschen
Unter die besonderen Regelungen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen fallen
die Leistungen der Integrationsfachdienste. Die Integrationsfachdienste haben zahlreiche Aufgaben, die § 110 SGB IX auflistet. Unter anderem können sie schwerbehinderte Menschen auf die vorgesehenen Arbeitsplätze vorbereiten oder eine Nachbetreuung, Krisenintervention oder psychosoziale Betreuung durchführen. Sie werden nach § 111 Abs. 1 SGB IX im Auftrag der Integrationsämter oder der
862 Vgl. Gesetzesbegründung zu § 21 SGB IX, BT-Drucks. 14/5074, S. 104 f.
863 Im Ergebnis auch Kunze/Kreikebohm, NZS 2003, 5 (9).
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Rehabilitationsträger tätig. Diese bleiben danach für die Ausführung der Leistung
verantwortlich.
In diesem Auftrag legt das Integrationsamt oder der Rehabilitationsträger nach
§ 111 Abs. 2 SGB IX mit dem Integrationsfachdienst Art, Umfang und Dauer des im
Einzelfall notwendigen Einsatzes des Integrationsfachdienstes sowie das Entgelt
fest. Dieser Vorschrift lässt sich also eindeutig entnehmen, dass bereits im Vorfeld
genaue Vereinbarungen über die Leistung und das dafür erforderliche Entgelt getroffen werden. Die Integrationsfachdienste tragen damit keinerlei wirtschaftliches Risiko, so dass wiederum ein entgeltlicher öffentlicher Auftrag im Sinne des § 99 GWB
vorliegt.
Bei den Werkstätten für behinderte Menschen sieht § 141 SGB IX vor, dass Aufträge der öffentlichen Hand, die von anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen ausgeführt werden können, bevorzugt diesen Werkstätten angeboten werden.
Werkstätten für behinderte Menschen, die eine solche Vergünstigung in Anspruch
nehmen wollen, bedürfen der Anerkennung nach § 142 SGB IX. Die Vorschriften
der §§ 140, 141 SGB XI sind gemäß § 143 SGB IX auch auf Blindenwerkstätten
anzuwenden. Obwohl § 141 SGB IX eine Bevorzugung der Werkstätten für behinderte Menschen begründet, mache diese Vorschrift eine öffentliche Ausschreibung
im Sinne des Vergaberechts nach Ansicht des BGH nicht überflüssig864. Dementsprechend steht die Regelung des § 141 SGB IX nicht im Widerspruch zu denn
allgemeinen vergaberechtlichen Grundsätzen des § 97 Abs. 4, 5 GWB.
Die öffentliche Hand sei auf Grund der Bestimmung des § 141 Satz 1 SGB IX
nicht genötigt, eine anerkannte Werkstatt auch dann zu bevorzugen, wenn sie einen
deutlich höheren Preis verlange als ein Unternehmen, das diese Anerkennung nicht
besitzt865. Erst nach Durchführung einer öffentlichen Ausschreibung kann ermittelt
werden, ob einer anerkannten Werkstätte für behinderte Menschen der Vorzug zu
geben ist, oder ob nicht vielmehr andere Anbieter ein weitaus besseres Preis-
Leistungs-Verhältnis anbieten können. Aus diesem Grund führt die Regelung des
§ 141 SGB IX nicht um jeden Preis zu einer Bevorzugung anerkannter Werkstätten
für behinderte Menschen. Das Merkmal der Bevorzugung ist in § 141 SGB IX also
eher restriktiv auszulegen.
Die vom Bundesminister für Wirtschaft und Technologie erlassenen Richtlinien
für die Berücksichtigung von Werkstätten für Behinderte und Blindenwerkstätten
bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vom 10.05.2001 sehen vor, dass anerkannte
Werkstätten immer dann der Zuschlag zu erteilen ist, wenn ihr Angebotspreis den
des wirtschaftlichen Bieters um nicht mehr als 15 % übersteigt866. Dementsprechend
setzen diese Richtlinien einen vergaberechtlichen öffentlichen Auftrag, der auszuschreiben ist, voraus. Dieser umfasst also auch die Teilnahme solcher Bieter, die
nicht zwingend als Werkstätten anerkannt sind. Vor diesem Hintergrund überzeugt
nicht, dass praktisch nur immer eine Werkstatt für behinderte Menschen Bieter im
864 BGH, NJW 2007, 2184 (2185).
865 BGH, NJW 2007, 2184 (2185).
866 Vgl. BAnz. Nr. 109 vom 16.06.2001, S. 11773.
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Sinne des § 141 SGB IX sein kann867. Insgesamt ist also mit dem BGH zu sagen,
dass eine Anwendung des § 141 SGB IX auf anerkannte Werkstätten eine öffentliche Ausschreibung nicht überflüssig macht, sondern eine öffentliche Ausschreibung
vielmehr erforderlich ist und den Wettbewerb stärkt. Die Verträge mit anerkannten
Werkstätten im Sinne des § 141 SGB IX sind also öffentliche Aufträge nach § 99
GWB, die dem Vergaberecht unterliegen.
3. Zwischenergebnis
Die allgemeinen rehabilitationsrechtlichen Versorgungsverträge nach § 21 SGB IX
unterliegen dem Vergaberecht, weil sie entgeltliche öffentliche Aufträge darstellen.
Sie gelten immer dann, wenn auf sie ausdrücklich verwiesen wird, wie dies beispielsweise in § 15 Abs. 2 SGB VI oder § 34 Abs. 8 SGB VII der Fall ist, oder wenn
keine spezielleren Regelungen in anderen Sozialleistungsbereichen getroffen werden. Keine andere Beurteilung ergibt sich für die Werkstätten für behinderte Menschen und die Verträge der Integrationsämter oder Rehabilitationsträger mit den
Integrationsfachdiensten, die ebenfalls als entgeltliche öffentliche Aufträge im Sinne
des Vergaberechts zu qualifizieren sind.
V. Zusammenfassung
Bei der Beschaffung von Leistungen im Sozialrechtsbereich ist insgesamt nur teilweise das Kartellvergaberecht zu beachten, so dass sich andere europarechtliche
Konsequenzen ergeben, als wenn das Kartellvergaberecht keine Anwendung findet.
Vor allem beschafft die Bundesagentur für Arbeit die sozialen Dienstleistungen im
Bereich der Arbeitssicherung im Wege förmlicher Vergabeverfahren. Im Gegensatz
dazu sind die sozialen Dienstleistungen im Kinder- und Jugendhilferecht und im
Sozialhilferecht als Dienstleistungskonzessionen ausgestaltet. Auch den Bereich der
Vorsorge prägen die Dienstleistungskonzessionen bei der Leistungserbringung. Nur
bei wenigen Sozialleistungen wie beispielsweise bei den Rabattverträgen oder den
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation liegt ein vergaberechtlich relevanter
Beschaffungsvorgang vor, der als öffentlicher Auftrag im Sinne des § 99 GWB
auszuschreiben ist. Schließlich müssen auch die rehabilitationsrechtlichen Versorgungsverträge und die Verträge mit Werkstätten für behinderte Menschen oder Integrationsfachdiensten als öffentliche Aufträge im Sinne des Kartellvergaberechts
ausgeschrieben werden.
867 So aber Grimm, ZfS 2007, 193 (219).
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Müssen soziale Dienstleistungen öffentlich ausgeschrieben werden? Die Frage wird dahingehend beantwortet, dass nicht alle sozialen Dienstleistungen unter das Vergaberecht fallen. Teilweise handelt es sich bei sozialen Dienstleistungen um vergaberechtsfreie Dienstleistungskonzessionen.
Die Autorin analysiert die Auftraggebereigenschaft der Sozialleistungsträger und untersucht ausführlich, welche sozialen Dienstleistungen dem Vergaberecht unterliegen und welche als Dienstleistungskonzessionen einzuordnen sind. Abschließend werden die Anforderungen an die konkrete Auftragsvergabe dargestellt.
Das Werk wendet sich nicht nur an wissenschaftlich interessierte Leser, sondern auch an Personen und Körperschaften, die praktisch mit der Beschaffung sozialer Dienstleistungen betraut sind. Mit der präzisen Herausarbeitung der einzelnen sozialen Dienstleistung und deren detailliert begründeten vergaberechtlichen Einordnung, leistet die Arbeit einen wichtigen Beitrag für die Beschaffung sozialer Dienstleistungen und ist damit für den Praktiker in besonderem Maße geeignet.