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des Arbeitsentgelts vorrangig zu gewähren. Damit genießen zwar soziale Dienstleistungen Vorrang vor den entsprechenden Geldleistungen des SGB III. Sie beeinflussen aber weder den Wettbewerb, noch die Transparenz, Gleichbehandlung oder die
Wirtschaftlichkeit. Damit stehen die Vorrangregelungen des SGB III unabhängig
neben den vergaberechtlichen Grundsätzen. Sie widersprechen sich also nicht und
schließen sich nicht gegenseitig aus.
Der Grundsatz vom persönlichen Budget hingegen stellt eine besondere Ausformung des Wunsch- und Wahlrechts dar, weil sich der Sozialleistungsberechtigte
selbständig aus seinem persönlichen Budget die Leistungen beschafft, die er für sich
als notwendig erachtet und damit seinen Wünschen entspricht. Der Sozialleistungsberechtigte setzt seine vom Sozialleistungsträger erhaltenen Finanzmittel direkt bei
dem Sozialleistungserbringer seiner Wahl ein. Dabei trägt der Sozialleistungsberechtigte das Risiko, Sozialleistungen zu teuer oder nicht zufrieden stellende Leistungen einzukaufen. Der Grundsatz vom persönlichen Budget betrifft also im Wesentlichen das Verhältnis des Sozialleistungsberechtigten zum Sozialleistungserbringer. Es besteht keinerlei Vertrag oder Vereinbarung zwischen dem Sozialleistungserbringer und dem Sozialleistungsträger. Damit besteht auch keine Leistungsvereinbarung, die unter Umständen dem Vergaberecht unterliegt. Der Grundsatz
vom persönlichen Budget kann also nicht den vergaberechtlichen Grundsätzen entgegenstehen, weil das Vergaberecht nicht auf die Erbringung sozialer Dienstleistungen, die im Rahmen des persönlichen Budgets gewährt werden, anwendbar ist.
Insgesamt stehen damit die Grundsätze der Arbeitssicherung nicht im Widerspruch zu den vergaberechtlichen Grundsätzen. Daher ist die Anwendung des Vergaberechts auf die Erbringung sozialer Dienstleistungen nach den Vorschriften der
Arbeitssicherung nicht schon aufgrund unterschiedlicher Grundsätze ausgeschlossen.
III. Grundsätze der sozialen Hilfe und Förderung und Vergaberecht
Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen im Rahmen des SGB VIII, die Vielfalt der Sozialleistungsträger, das Wunsch- und Wahlrecht, das persönliche Budget
und der Grundsatz von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sind die Grundsätze des
SGB VIII680. Der Grundsatz des Forderns, der Nachranggrundsatz, die Ausgestaltung von Rechten und Pflichten, der Bedarfsdeckungsgrundsatz, das persönliche
Budget und der Grundsatz von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sind die Grundsätze des SGB XII681. Gemeinsam stellen diese Grundsätze diejenigen der sozialen
Hilfe und Förderung dar.
Der Grundsatz über die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen verpflichtet
die Sozialleistungsträger dazu, Kinder und Jugendliche an Entscheidungen im Jugendhilfeverfahren zu beteiligen und sie auf ihre Verfahrensrechte hinzuweisen.
680 Siehe 1. Teil, B. III. 1.
681 Siehe 1. Teil, B. III. 2.
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Dieser Grundsatz gilt für alle Kinder und Jugendlichen gleichermaßen, so dass er
der Gleichbehandlung im Jugendhilfeverfahren dient. Zudem fördert die Beteiligung
der Kinder und Jugendlichen die Transparenz im Jugendhilfeverfahren, weil die
Sozialleistungsberechtigten von Beginn an mit in das Verfahren eingebunden sind.
Der Grundsatz über die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen trifft somit Aussagen über das Verhältnis von Sozialleistungsträgern und Sozialleistungsberechtigten im Rahmen des Kinder- und Jugendhilferechts. Dieser Grundsatz steht also nicht
im Widerspruch zu den vergaberechtlichen Grundsätzen, weil er diese nicht einschränkt. Umgekehrt beeinflussen die vergaberechtlichen Grundsätze von Wettbewerb, Transparenz, Gleichbehandlung und Wirtschaftlichkeit nicht den Grundsatz
über die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, weil sie das Verhältnis zwischen Sozialleistungsträgern und Sozialleistungsberechtigten unberührt lassen.
Nach dem Grundsatz über die Vielfalt der Sozialleistungsträger werden die Sozialleistungen der Jugendhilfe durch Träger der freien Jugendhilfe und von Trägern
der öffentlichen Jugendhilfe erbracht. Dieser Grundsatz fördert den Wettbewerb
zwischen den Trägern der freien und denen der öffentlichen Jugendhilfe. Der vergaberechtliche Wettbewerbsgrundsatz bindet sowohl die öffentlichen Auftraggeber als
auch die Bieter und damit Sozialleistungsträger und Sozialleistungserbringer. Der
Grundsatz über die Vielfalt der Sozialleistungsträger im SGB VIII eröffnet den
Wettbewerb zwar nur unter den Sozialleistungsträgern und schreibt deren Vielfalt
vor. Dennoch schließt dieser Grundsatz nicht die vergaberechtlichen Grundsätze
aus, denn er berührt über dieses Wettbewerbselement zwischen den Sozialleistungsträgern die vergaberechtlichen Grundsätze nicht.
Sowohl im SGB VIII als auch im SGB XII ist der Grundsatz vom Wunsch- und
Wahlrecht geregelt. Dieser Grundsatz ist zwar etwas stärker ausgeformt als der allgemeine Grundsatz vom Wunsch- und Wahlrecht des SGB I. Dennoch ist dieser
Grundsatz auf angemessene Wünsche beschränkt. Es muss wiederum eine vergaberechtskonforme Auslegung der „angemessenen“ Wünsche erfolgen. Außerdem kann
der etwas stärker ausgeformte Grundsatz vom Wunsch- und Wahlrecht im Vergabeverfahren berücksichtigt werden, so dass die vergaberechtlichen Grundsätze, insbesondere der Wettbewerbs- und Wirtschaftlichkeitsgrundsatz, das Wunsch- und
Wahlrecht des Sozialleistungsberechtigten nicht ausschließen682.
Die Erbringung sozialer Dienstleistungen, die im Rahmen eines persönlichen
Budgets nach SGB VIII oder SGB XII gewährt werden, erfolgt ausschließlich zwischen Sozialleistungsberechtigtem und Sozialleistungserbringer. Der Sozialleistungsträger ist nicht in die Leistungsgewährung miteinbezogen. Aus diesem Grund
ist das Vergaberecht nicht auf die Leistungsgewährung im Rahmen des persönlichen
Budgets anwendbar683.
Auch im SGB VIII und im SGB XII ist der Grundsatz von Wirtschaftlichkeit und
Sparsamkeit niedergelegt. Damit findet ein wesentlicher Grundsatz des Vergaberechts im Sozialrecht Erwähnung. Beide Grundsätze sind miteinander vereinbar,
682 Siehe 4. Teil, B. I.
683 Siehe 4. Teil, B. II.
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weil der vergaberechtliche Grundsatz sozialrechtskonform ausgelegt werden kann
und der sozialrechtliche vergaberechtskonform. Der sozialrechtliche Grundsatz von
Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit und der vergaberechtliche Grundsatz vom Wettbewerb und der Wirtschaftlichkeit schließen sich also nicht aus684.
Darüber hinaus befindet sich im SGB XII der Grundsatz des Forderns, der Nachrang- und der Bedarfsdeckungsgrundsatz. Der Grundsatz des Forderns verpflichtet
alle Leistungsberechtigten des SGB XII, seine Kräfte einzusetzen um unabhängig
von Sozialhilfe leben zu können. Er richtet sich an alle Leistungsberechtigten des
SGB XII und dient damit der Gleichbehandlung aller Leistungsberechtigten des
SGB XII durch die Sozialleistungsträger. Der Grundsatz des Forderns steht nicht im
Widerspruch zu den vergaberechtlichen Grundsätzen, weil der Grundsatz des Forderns lediglich zwischen Sozialleistungsträger und Sozialleistungsberechtigtem und
nicht zwischen Sozialleistungsträger und Sozialleistungserbringer besteht685.
Die Gewährung von Sozialhilfe ist nachrangig gegenüber Möglichkeiten der
Selbsthilfe, tatsächlichen Leistungen Dritter und Leistungsverpflichtungen Dritter.
Dies besagt der Nachranggrundsatz des SGB XII. Damit ähnelt er dem Nachranggrundsatz des SGB II. Die vergaberechtlichen Grundsätze stehen grundsätzlich unabhängig neben dem Nachranggrundsatz des SGB XII, auch wenn dieser Grundsatz
dazu führt, dass die vergaberechtlichen Grundsätze erst nach anderer vorrangiger
Leistungsgewährung Anwendung finden686.
Nach dem Bedarfsdeckungsgrundsatz ist es die Aufgabe der Sozialhilfe, den individuellen tatsächlichen Bedarf an Sozialleistungen zur Überwindung einer besonderen Notlage zu decken. Die Sozialleistungen des SGB XII gewähren also den individuellen Bedarf des Leistungsberechtigten und keine darüber hinaus gehenden
Leistungen. Damit stellt der individuelle Bedarf die Obergrenze der Leistungsgewährung dar. Die Beschränkung der Leistungsgewährung anhand des individuellen Bedarfs dient folglich mittelbar einer wirtschaftlichen Leistungsgewährung
durch den Sozialleistungsträger. Der Bedarfsdeckungsgrundsatz fördert insofern den
Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und steht den vergaberechtlichen Grundsätzen
nicht entgegen.
Die Grundsätze der sozialen Hilfe und Förderung und die vergaberechtlichen
Grundsätze schließen sich nicht aus, so dass das Vergaberecht grundsätzlich angewendet werden kann.
IV. Grundsätze der Vorsorge und Vergaberecht
Die Grundsätze der Bücher IV, V, VI, VII und XI des SGB bilden die Grundsätze
der Vorsorge. Anerkannt sind im SGB IV die Grundsätze vom Umfang der Versicherung, von den Meldepflichten des Arbeitgebers, von den Auskunfts- und Vorla-
684 Siehe 4. Teil, B. II.
685 Siehe 4. Teil, B. II.
686 Siehe 4. Teil, B. II.
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References
Zusammenfassung
Müssen soziale Dienstleistungen öffentlich ausgeschrieben werden? Die Frage wird dahingehend beantwortet, dass nicht alle sozialen Dienstleistungen unter das Vergaberecht fallen. Teilweise handelt es sich bei sozialen Dienstleistungen um vergaberechtsfreie Dienstleistungskonzessionen.
Die Autorin analysiert die Auftraggebereigenschaft der Sozialleistungsträger und untersucht ausführlich, welche sozialen Dienstleistungen dem Vergaberecht unterliegen und welche als Dienstleistungskonzessionen einzuordnen sind. Abschließend werden die Anforderungen an die konkrete Auftragsvergabe dargestellt.
Das Werk wendet sich nicht nur an wissenschaftlich interessierte Leser, sondern auch an Personen und Körperschaften, die praktisch mit der Beschaffung sozialer Dienstleistungen betraut sind. Mit der präzisen Herausarbeitung der einzelnen sozialen Dienstleistung und deren detailliert begründeten vergaberechtlichen Einordnung, leistet die Arbeit einen wichtigen Beitrag für die Beschaffung sozialer Dienstleistungen und ist damit für den Praktiker in besonderem Maße geeignet.