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GWB werden öffentliche Aufträge an fachkundige, leistungsfähige und zuverlässige
Unternehmen vergeben. Es können nach § 97 Abs. 4 2. HS GWB jedoch weitergehende Anforderungen an Auftragnehmer gestellt werden, wenn dies durch Bundesoder Landesgesetz vorgesehen ist. Welche vergabefremden sozialen Zwecke konkret
von § 97 GWB erfasst sind, ist zwar äußerst umstritten671. Das Wahlrecht des Sozialleistungsberechtigten bezieht sich jedoch auch auf die konkrete Person des Leistungserbringers, so dass das sozialrechtliche Wunsch- und Wahlrecht im Rahmen
der vergaberechtlichen Eignungsprüfung ebenfalls berücksichtigt und vergaberechtskonform angewendet werden muss. Das Wunsch- und Wahlrecht ist außerdem
in der Tradition des deutschen Sozialrechts so fest verwurzelt, dass es einen zulässigen vergabefremden Zweck darstellt672.
Der EuGH hatte bislang allerdings noch nicht über die Berücksichtigung des
Wunsch- und Wahlrechts als sozialen vergabefremden Zweck zu entscheiden. Er
könnte das sozialrechtliche Wunsch- und Wahlrecht jedoch als besondere Ausführungsbedingung des Vertrages nach Art. 26 VKR interpretieren und zulassen. Diese
Vorschrift wurde bislang noch nicht in deutsches Recht umgesetzt. Insgesamt
schließt damit das Wunsch- und Wahlrecht nicht die Anwendbarkeit des Vergaberechts aus, sondern ist vielmehr in das Vergabeverfahren angemessen zu integrieren.
Die verfahrensrechtlichen Grundsätze des SGB X gelten für alle Beteiligten des
Sozialverwaltungsverfahrens und dienen dementsprechend der Transparenz und
Gleichbehandlung. Daher werden bereits im Sozialrecht des SGB X vergaberechtliche Grundsätze umgesetzt. Sie schließen demnach nicht die Anwendung des Vergaberechts auf die Erbringung sozialer Dienstleistungen aus.
Insgesamt ist daher die Anwendung des Vergaberechts auf die Erbringung sozialer Dienstleistungen nach den allgemeinen sozialrechtlichen Vorschriften nicht
schon aufgrund unterschiedlicher Grundsätze ausgeschlossen.
II. Grundsätze der Arbeitssicherung und Vergaberecht
Den Bereich der Arbeitssicherung kennzeichnen vor allem laut SGB II der Grundsatz vom Fördern und Fordern, der Nachranggrundsatz, die Mitwirkungspflichten
und der Grundsatz von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit673. Im SGB III hingegen
sind ebenfalls Mitwirkungspflichten und der Grundsatz von Wirtschaftlichkeit und
Sparsamkeit niedergelegt674. Zudem sind im SGB III konkrete Vorrangregelungen
und der Grundsatz vom persönlichen Budget niedergelegt675.
671 Vgl. dazu mit zahlreichen weiteren Nachweisen Frenz, Band 3, Rn. 2947 ff.
672 Mrozynski, ZFSH/SGB 2004, 451 (455); Rixen, Archiv für Wissenschaft und Praxis der
sozialen Arbeit 3/2005, 106 (122); Rixen, VSSR 2005, 225 (249 f.).Vgl. zur Zulässigkeit sozialer Kriterien als Vergabekriterien: Giesen, in: Die Zukunft der sozialen Dienste vor der Europäischen Herausforderung (Hrsg.: Linzbach/Lübking/Scholz/Schulte), 425 (456 ff.).
673 Siehe 1. Teil, B. II. 1.
674 Siehe 1. Teil, B. II. 2.
675 Siehe 1. Teil, B. II. 2.
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Der Grundsatz vom Fördern und Fordern betrifft die Sozialleistungsberechtigten
und die Sozialleistungsträger. Die Sozialleistungsträger fördern Sozialleistungsberechtigte durch eine möglichst umfassende Unterstützung. Dabei sind die Sozialleistungsberechtigten zur Eigenaktivität verpflichtet. Der Grundsatz vom Fördern und
Fordern richtet sich an alle Sozialleistungsberechtigten des SGB II und die entsprechenden Sozialleistungsträger. Weil sich dieser Grundsatz an alle gleichermaßen
richtet, dient er vor allem der Gleichbehandlung der Sozialleistungsberechtigten
durch die Sozialleistungsträger. Damit ist ein Sozialleistungsträger bereits im SGB
II zur Gleichbehandlung der Sozialleistungsberechtigten verpflichtet, so dass er dem
vergaberechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zwischen den Teilnehmern an
einem Vergabeverfahren, also den Sozialleistungsträgern und den -erbringern, nicht
entgegensteht. Auch die übrigen vergaberechtlichen Grundsätze schränken den sozialrechtlichen Grundsatz vom Fördern und Fordern nicht ein, weil das vergaberechtliche Transparenzgebot, der Wettbewerbs- und Wirtschaftlichkeitsgrundsatz den
sozialrechtlichen Grundsatz von Fördern und Fordern unberührt lässt und lediglich
das Verhältnis von Sozialleistungsträger zu Sozialleistungserbringer charakterisiert.
Der Nachranggrundsatz des SGB II trifft lediglich die Aussage, dass die Leistungen des SGB II grundsätzlich nachrangig gegenüber Leistungen und Verpflichtungen anderer sind. Damit beschreibt der Nachranggrundsatz lediglich die Reihenfolge
der Leistungsgewährung. Unmittelbare Wirkungen haben also die vergaberechtlichen Grundsätze von Wettbewerb, Transparenz, Gleichbehandlung und Wirtschaftlichkeit nicht auf den Nachranggrundsatz des SGB II. Allerdings lassen sich mittelbare Wirkungen feststellen. Je nachdem, ob das Vergaberecht mit seinen spezifischen Grundsätzen auf die Erbringung sozialer Dienstleistungen Anwendung findet,
wirken sich die vergaberechtlichen Grundsätze wegen des Nachranggrundsatzes erst
spät auf die Leistungsgewährung des SGB II aus. Die Leistungsgewährung erfolgt
nach dem Nachranggrundsatz des SGB II schließlich erst, wenn andere Leistungen
nicht ausreichend sind. Erst dann greifen die Leistungen des SGB II ein. Erst dann
wirken auch die vergaberechtlichen Grundsätze auf die Leistungserbringung im
Rahmen des SGB II. Die vergaberechtlichen Grundsätze und der Nachranggrundsatz
des SGB II schließen sich also nicht von vornherein aus, so dass das Vergaberecht
auf die Leistungsgewährung des SGB II grundsätzlich angewendet werden kann,
wenn seine entsprechenden Anwendungsvoraussetzungen vorliegen.
Die Mitwirkungspflichten des SGB II und des SGB III stellen lediglich bereichsspezifische Ausformungen der allgemeinen Mitwirkungspflichten des SGB I dar. Sie
beziehen sich auf das Verhältnis von Sozialleistungsträger und Sozialleistungsberechtigten und stehen damit nicht im Widerspruch zu den vergaberechtlichen
Grundsätzen, sondern dienen teilweise deren Umsetzung. Zumindest lassen sie die
vergaberechtlichen Grundsätze unberührt.
Der Grundsatz von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit ist sowohl im SGB II als
auch im SGB III geregelt. Danach muss die Leistungserbringung wirtschaftlich und
sparsam erfolgen und die entsprechenden Leistungsvereinbarungen zwischen Sozialleistungsträger und Sozialleistungserbringer ebenfalls wirtschaftlich, sparsam und
leistungsfähig abgeschlossen werden. Der Abschluss einer Leistungsvereinbarung
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erfolgt aus diesem Grund mit dem Leistungserbringer, der das beste Preis-Leistungs-
Verhältnis anbieten kann, weil sich die Wirtschaftlichkeit anhand der günstigsten
Zweck-Mittel-Relation bestimmt676. Auch das Vergaberecht schreibt insbesondere
mit seinem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit vor, dass die Auftragserteilung an denjenigen Bewerber vergeben werden soll, der das beste Preis-Leistungsverhältnis und
damit das wirtschaftlichste Angebot anbietet. Dieser wesentliche vergaberechtliche
Grundsatz findet sich also auch im Sozialrecht wieder.
Damit stehen sich die vergaberechtlichen Grundsätze und der Grundsatz von
Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der SGB II und III nicht entgegen. Im Gegenteil,
der sozialrechtliche Grundsatz von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit findet sich
mit fast identischem Inhalt im vergaberechtlichen Grundsatz der Wirtschaftlichkeit
wieder. Der vergaberechtliche Wirtschaftlichkeitsgrundsatz ist jedoch grundsätzlich
offen für vergabefremde Zwecke. Er kann damit im Wege der Berücksichtigung
vergabefremder Zwecke sozialrechtskonform ausgestaltet werden. Im Sozialrecht
hingegen findet eine Abwägung der betroffenen Interessen von Sozialleistungsträger
und Sozialleistungserbringer statt, um eine wirtschaftliche Leistungserbringung zu
ermöglichen. In diese Abwägung können umgekehrt also auch vergaberechtliche
Zwecke einfließen. Insgesamt kommt es also durch eine entsprechende vergaberechtskonforme Auslegung des sozialrechtlichen Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes
beziehungsweise durch eine sozialrechtskonforme Auslegung des vergaberechtlichen Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes zu einer Verschränkung beider Rechtsmaterien.
Beide Rechtsmaterien lassen sich auf diese Weise optimal in Einklang bringen.
Ähnlich entschied die Vergabekammer Bund am 07.02.2008 über die Beschaffung von aufsaugenden Inkontinenzartikeln677. Im Rahmen dieser Entscheidung
stellte sie fest, dass die Mittelstandsförderung nach § 97 Abs. 3 GWB in einem
Spannungsverhältnis zu den sozialrechtlichen Vorgaben stehe. Daher sei eine „praktische Konkordanz“ zu bilden, um diese Grundsätze miteinander in Einklang zu
bringen678. Zwar betraf diese Entscheidung lediglich die Mittelstandsförderung,
dennoch führte die Vergabekammer Bund auf diese Weise die Grundsätze von Vergabe- und Sozialrecht angemessen zusammen, so dass beide Rechtsmaterien zu
einer optimalen Wirksamkeit gelangen.
Der sozialrechtliche Grundsatz von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit steht auch
nicht den weiteren vergaberechtlichen Grundsätzen entgegen, weil die vergaberechtlichen Grundsätze von Wettbewerb, Transparenz und Gleichbehandlung eng mit
dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit verbunden sind679.
Im SGB III sind schließlich noch Vorrangregelungen und der Grundsatz vom persönlichen Budget niedergelegt. Die Vorrangregelungen des SGB III treffen Aussagen über das Verhältnis einzelner Leistungen des Arbeitsförderungsrechts zueinander. Leistungen der aktiven Arbeitsförderung sind vor den Leistungen zum Ersatz
676 Siehe 1. Teil, B. II. 1. d).
677 VK Bund, Beschl. vom 07.02.2008, VK 3 169/07.
678 VK Bund, Beschl. vom 07.02.2008, VK 3 169/07.
679 Siehe 3. Teil, B. III. 3.
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des Arbeitsentgelts vorrangig zu gewähren. Damit genießen zwar soziale Dienstleistungen Vorrang vor den entsprechenden Geldleistungen des SGB III. Sie beeinflussen aber weder den Wettbewerb, noch die Transparenz, Gleichbehandlung oder die
Wirtschaftlichkeit. Damit stehen die Vorrangregelungen des SGB III unabhängig
neben den vergaberechtlichen Grundsätzen. Sie widersprechen sich also nicht und
schließen sich nicht gegenseitig aus.
Der Grundsatz vom persönlichen Budget hingegen stellt eine besondere Ausformung des Wunsch- und Wahlrechts dar, weil sich der Sozialleistungsberechtigte
selbständig aus seinem persönlichen Budget die Leistungen beschafft, die er für sich
als notwendig erachtet und damit seinen Wünschen entspricht. Der Sozialleistungsberechtigte setzt seine vom Sozialleistungsträger erhaltenen Finanzmittel direkt bei
dem Sozialleistungserbringer seiner Wahl ein. Dabei trägt der Sozialleistungsberechtigte das Risiko, Sozialleistungen zu teuer oder nicht zufrieden stellende Leistungen einzukaufen. Der Grundsatz vom persönlichen Budget betrifft also im Wesentlichen das Verhältnis des Sozialleistungsberechtigten zum Sozialleistungserbringer. Es besteht keinerlei Vertrag oder Vereinbarung zwischen dem Sozialleistungserbringer und dem Sozialleistungsträger. Damit besteht auch keine Leistungsvereinbarung, die unter Umständen dem Vergaberecht unterliegt. Der Grundsatz
vom persönlichen Budget kann also nicht den vergaberechtlichen Grundsätzen entgegenstehen, weil das Vergaberecht nicht auf die Erbringung sozialer Dienstleistungen, die im Rahmen des persönlichen Budgets gewährt werden, anwendbar ist.
Insgesamt stehen damit die Grundsätze der Arbeitssicherung nicht im Widerspruch zu den vergaberechtlichen Grundsätzen. Daher ist die Anwendung des Vergaberechts auf die Erbringung sozialer Dienstleistungen nach den Vorschriften der
Arbeitssicherung nicht schon aufgrund unterschiedlicher Grundsätze ausgeschlossen.
III. Grundsätze der sozialen Hilfe und Förderung und Vergaberecht
Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen im Rahmen des SGB VIII, die Vielfalt der Sozialleistungsträger, das Wunsch- und Wahlrecht, das persönliche Budget
und der Grundsatz von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sind die Grundsätze des
SGB VIII680. Der Grundsatz des Forderns, der Nachranggrundsatz, die Ausgestaltung von Rechten und Pflichten, der Bedarfsdeckungsgrundsatz, das persönliche
Budget und der Grundsatz von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sind die Grundsätze des SGB XII681. Gemeinsam stellen diese Grundsätze diejenigen der sozialen
Hilfe und Förderung dar.
Der Grundsatz über die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen verpflichtet
die Sozialleistungsträger dazu, Kinder und Jugendliche an Entscheidungen im Jugendhilfeverfahren zu beteiligen und sie auf ihre Verfahrensrechte hinzuweisen.
680 Siehe 1. Teil, B. III. 1.
681 Siehe 1. Teil, B. III. 2.
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References
Zusammenfassung
Müssen soziale Dienstleistungen öffentlich ausgeschrieben werden? Die Frage wird dahingehend beantwortet, dass nicht alle sozialen Dienstleistungen unter das Vergaberecht fallen. Teilweise handelt es sich bei sozialen Dienstleistungen um vergaberechtsfreie Dienstleistungskonzessionen.
Die Autorin analysiert die Auftraggebereigenschaft der Sozialleistungsträger und untersucht ausführlich, welche sozialen Dienstleistungen dem Vergaberecht unterliegen und welche als Dienstleistungskonzessionen einzuordnen sind. Abschließend werden die Anforderungen an die konkrete Auftragsvergabe dargestellt.
Das Werk wendet sich nicht nur an wissenschaftlich interessierte Leser, sondern auch an Personen und Körperschaften, die praktisch mit der Beschaffung sozialer Dienstleistungen betraut sind. Mit der präzisen Herausarbeitung der einzelnen sozialen Dienstleistung und deren detailliert begründeten vergaberechtlichen Einordnung, leistet die Arbeit einen wichtigen Beitrag für die Beschaffung sozialer Dienstleistungen und ist damit für den Praktiker in besonderem Maße geeignet.