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anderen Lebenslagen unterscheidet das SGB XII noch Eingliederungshilfen und eine
Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung.
Sozialrecht ist national also im Wesentlichen in den zwölf Büchern des Sozialgesetzbuches niedergelegt. Daher finden sich in nahezu jedem dieser Bücher des Sozialgesetzbuches Regelungen über soziale Dienstleistungen. Landesgesetzliche Bestimmungen über Sozialrecht sind demgegenüber kaum von Bedeutung. Dies beruht
darauf, dass der Bund bei der Gesetzgebung praktisch für alle im SGB genannten
Bereiche über die konkurrierende Zuständigkeit verfügt. Obwohl die entsprechenden
Kompetenztitel des Art. 74 Abs. 1 GG in der Regel weit ausgelegt werden, wird
zwar nicht von einer sozialpolitischen Allgemeinzuständigkeit des Bundes gesprochen95. De facto verbleiben den Bundesländern aber nur wenige sozialrechtliche
Materien zur Regelung96.
III. Zwischenergebnis
Die Sozialleistungsgewährung erfolgt auch innerhalb der EG im nationalen Rahmen
durch den jeweiligen Mitgliedstaat. Innerstaatlich ist die Erbringung sozialer Dienstleistungen im Wesentlichen in den zwölf Sozialgesetzbüchern geregelt. Diese bundesgesetzliche Verankerung ist Ausfluss des in Art. 20 Abs. 1 GG geregelten Sozialstaatsprinzips. Sozialrecht ist zwar ganz überwiegend Bundesrecht nach Art. 74 Abs.
1 GG, dennoch ist die Art der Ausführung der sozialrechtlichen Regelungen teilweise landesgesetzlich geregelt. Weil jedoch die Voraussetzungen einzelner sozialer
Dienstleistungen in den Büchern des Sozialgesetzbuches niedergelegt sind, ist der
Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit auf diese Bücher beschränkt.
B. Grundsätze bei der Erbringung sozialer Dienstleistungen
Das deutsche Sozialrecht ist durch eine Vielzahl unterschiedlicher Grundsätze gekennzeichnet, die auch bei der Erbringung sozialer Dienstleistungen beachtet werden müssen. Diese Grundsätze wirken sich unter Umständen auf das Verhältnis von
Sozialrecht und Vergaberecht aus, indem sie die Anwendbarkeit des Vergaberechts
ermöglichen oder unmöglich machen. Im Folgenden werden daher vor allem die für
das Verhältnis von Sozial- und Vergaberecht in Drei-Personen-Konstellationen
entscheidenden Grundsätze dargestellt.
95 Igl/Welti, § 3 Rn. 14.
96 Im Wesentlichen sind nur noch Versorgungseinrichtungen für eine berufsständische Alterssicherung sowie der Bereich der Blindenhilfe landesgesetzlich geregelt. Vgl. dazu Fuchs/Preis-
Preis, § 6 I. 1.; Igl/Welti, § 3 Rn. 14; Gitter/Schmitt, § 3 Rn. 15; Krause, JuS 1986, 349 (351).
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I. Grundsätze der allgemeinen Vorschriften
1. SGB I (Allgemeiner Teil)
Die materiellrechtlichen allgemeinen Grundsätze sind im SGB I verankert. Diese
Grundsätze umfassen alle Beteiligten eines Sozialrechtsverhältnisses, weil der Gesetzgeber allen Beteiligten bestimmte im SGB I niedergelegte Rechte und Pflichten
auferlegt hat.
a) Betreuungs- und Informationspflichten der Sozialleistungsträger
Sozialleistungsträger haben umfangreiche Betreuungs- und Informationspflichten
einem Sozialleistungsberechtigten und der Bevölkerung gegenüber. Im Einzelnen
handelt es sich dabei um die Aufklärung nach § 13 SGB I, die Beratung nach § 14
SGB I, die Auskunft nach § 15 SGB I und um Pflichten im Zusammenhang mit der
Ausführung der Sozialleistungen nach § 17 SGB I.
Die Aufklärung ist in § 13 SGB I geregelt. Unter Aufklärung im Sinne des § 13
SGB I versteht man die allgemeine und abstrakte Unterrichtung der Bevölkerung
über soziale Rechte und Pflichten97. Sozialleistungsträger erfüllen diese Pflicht oftmals durch das Verteilen von Merkblättern oder Broschüren sowie Anzeigen in
Zeitungen. Die Aufklärung beinhaltet also eine umfassende Information der Bevölkerung über die wichtigen Bestimmungen des Leistungsrechts, die Voraussetzungen
für die Erlangung von Sozialleistungen und ihren Umfang.
In § 14 SGB I ist die Beratung niedergelegt. Eine Beratung gemäß § 14 SGB I ist
die auf den konkreten Einzelfall bezogene Unterrichtung über die Rechtslage und
bestimmte Tatbestände sowie Ratschläge und Hinweise auf Gestaltungsmöglichkeiten und deren Auswirkungen auf das Versicherungsleben98. Durchgeführt wird die
Beratung durch die Mitarbeiter der Sozialleistungsträger, die aufgrund ihrer Sachkenntnis am besten hierfür geeignet sind. Eine Beratung ist gegenüber der in § 15
SGB I normierten Auskunft der weitergehende Anspruch, der den Sozialleistungsträger verpflichtet, erschöpfend aufzuklären99.
Die Auskunft nach § 15 SGB I ist wie die Beratung auf den konkreten Einzelfall
bezogen100. Sie ist allerdings nicht so umfassend wie die Beratung, weil nach dem
97 KK-Seewald, SGB I, § 13 Rn. 4; SGB-SozVers-GesKomm-Lilge, Band 1, § 13 Rn. 7 ff.;
Hauck-SGB I-Klattenhoff, § 13 Rn. 9; Kunze, S. 16; von Maydell, ZfSH/SGB 1986, 361
(368).
98 KK-Seewald, SGB I, § 14 Rn. 2; SGB-SozVers-GesKomm-Lilge, Band 1, § 14 Rn. 2 ff.;
Hauck-SGB I-Klattenhoff, § 14 Rn. 20 f.; Kunze, S. 26 f.; von Maydell, ZfSH/SGB 1986,
361 (369 f.).
99 Mrozynski, SGB I, § 14 Rn. 3; von Maydell, ZfSH/SGB 1986, 361 (370); Schulin/Gebler,
VSSR 1992, 33 (45).
100 SGB-SozVers-GesKomm-Bley, Band 1, § 15 Rn. 1 d).
43
Wortlaut des Gesetzes nicht jeder Sozialleistungsträger zur Auskunft verpflichtet ist.
Darüber hinaus erstreckt sich die Auskunft auf die Benennung der für die Sozialleistungen zuständigen Leistungsträger sowie auf alle Sach- und Rechtsfragen, die für
die Auskunftssuchenden von Bedeutung sein können und zu deren Beantwortung die
Auskunftsstelle imstande ist101. Die Auskunftspflicht hat neben der Benennung des
für die Sozialleistungserfüllung zuständigen Leistungsträgers keine besondere praktische Bedeutung102.
§§ 16 und 17 SGB I normieren weitere Betreuungspflichten gegenüber den Sozialleistungsberechtigten. Nach § 16 Abs. 3 SGB I sind die Sozialleistungsträger
verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass unverzüglich klare und sachdienliche Anträge
gestellt und unvollständige Angaben ergänzt werden. Das Bundessozialgericht hat
diese Regelung, die ihrem Wortlaut nach nur für Anträge auf Sozialleistungen gilt,
auf alle Anträge erweitert, die für die Stellung als Versicherter Bedeutung haben103.
Durch die in § 17 SGB I normierten Pflichten der Sozialleistungsträger bei der Ausführung der Sozialleistungen werden diese im Rahmen ihrer Zuständigkeit verpflichtet, von sich aus Initiativen zu entwickeln, um die Leitvorstellungen des SGB
möglichst weitgehend zu verwirklichen. Sie sind insbesondere verpflichtet, darauf
hinzuwirken, dass der Sozialleistungsberechtigte seine Leistungen zügig und umfassend erhält und dass der Zugang zu den Sozialleistungen möglichst einfach ist. Nach
§ 17 Abs. 3 SGB I wirken die Leistungsträger darauf hin, dass sich ihre Tätigkeit in
der Zusammenarbeit mit gemeinnützigen und freien Einrichtungen und Organisationen zum Wohle der Leistungsempfänger wirksam ergänzt. Leistungsträger und Leistungserbringer sollen also nicht gegeneinander tätig werden, sondern nur miteinander zum Wohle des Sozialleistungsberechtigten.
Aus einer Verletzung der Pflichten aus §§ 14 ff. SGB I resultieren bestimmte
Rechtsfolgen. Bei einer schuldhaften Verletzung der Betreuungs- und Informationspflichten hat der Sozialleistungsträger dem Sozialleistungsberechtigten im Rahmen
der Amtshaftung den daraus entstandenen Schaden zu ersetzen104. Da der Amtshaftungsanspruch jedoch immer ein Verschulden voraussetzt, hat das Bundessozialgericht einen vom Verschulden unabhängigen Anspruch entwickelt. Dieser Anspruch
wird sozialrechtlicher Herstellungsanspruch genannt105. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist gegeben, wenn die Behörde durch ihr eigenes rechtswidriges Verhalten den Sozialleistungsberechtigten an der rechtzeitigen und ordnungsgemäßen
Wahrnehmung seiner Rechte gehindert hat. Er ist also auf die Herstellung des gesetzlich gebotenen Rechtszustandes gerichtet. Der Sozialleistungsberechtigte ist
demnach so zu stellen, wie er gestanden hätte, wenn er richtig beraten worden wäre.
101 SGB-SozVers-GesKomm-Bley, Band 1, § 15 Rn. 6; Hauck-SGB I-Hauck, § 15 Rn. 7; Kunze,
S. 21; von Maydell, ZfSH/SGB 1986, 361 (369).
102 Mrozynski, SGB I, § 15 Rn. 1.
103 BSGE 59, 190 (190 ff.); BSG SozR 3-2200, § 543 Nr. 1; BSG SozR 3-1200, § 16 Nr. 2.
104 Vgl. Art. 34 GG in Verbindung mit § 839 BGB.
105 Zur Dogmatik dieses Anspruchs vgl. Olbertz, Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch im
Verwaltungsrecht, 1995; Adolf, Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch, 1991; Ladage,
Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch, 1990; SRH-Kreikebohm/von Koch, § 6 Rn. 65 ff.
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b) Mitwirkungspflichten des Sozialleistungsberechtigten
Den Betreuungs- und Informationspflichten der Sozialleistungsträger stehen die
Mitwirkungspflichten des Sozialleistungsberechtigten gegenüber. Diese ergeben
sich aus den §§ 60 ff. SGB I.
aa) Möglichkeiten der Mitwirkung
Wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, muss gemäß § 60 SGB I bestimmte
Tatsachen angeben. § 60 Abs. 1 SGB I verpflichtet den Sozialleistungsberechtigten,
im Rahmen der Beantragung von Sozialleistungen bei der Ermittlung des Sachverhalts teilzuhaben. Auch wenn das Gesetz von einer Verpflichtung spricht, ist keine
Verpflichtung im rechtsdogmatischen Sinne gemeint. Vielmehr sind Mitwirkungspflichten im Sozialrecht lediglich Obliegenheiten106. Die Sozialleistungsberechtigten
müssen nach § 60 Abs. 1 SGB I alle Tatsachen angeben, die für die Erteilung der
Leistung erheblich sind und wenn Änderungen eintreten, müssen diese den zuständigen Behörden angegeben werden. Beweise, welche die behaupteten Tatsachen
stützen, sind auf Verlangen der Behörde vorzulegen.
Unter bestimmten Umständen soll ein Sozialleistungsberechtigter nach § 61 SGB
I persönlich erscheinen. Ein Grund für diese Vorschrift ist die Tatsache, dass sich
Sozialleistungsberechtigte bei einer schriftlichen Antragsstellung oftmals nur unklar
ausdrücken können oder falsche Vorstellungen über den Leistungsumfang der begehrten Sozialleistung haben107. § 61 SGB I sieht daher vor, dass der Sozialleistungsträger befugt ist, den Sozialleistungsberechtigten zur mündlichen Erörterung
des Antrags oder zur Vornahme anderer Maßnahmen vorzuladen. Der Sozialleistungsberechtigte ist dann zum persönlichen Erscheinen verpflichtet108. Die Vornahme anderer Maßnahmen umfasst im Wesentlichen eine Inaugenscheinnahme des
Betroffenen hinsichtlich des Gesundheitszustandes, soweit nicht eine medizinische
oder psychologische Untersuchung nach § 62 SGB I erforderlich ist109.
In § 62 SGB I ist als weitere Mitwirkungspflicht die Unterziehung ärztlicher oder
psychologischer Untersuchungen niedergelegt. Sozialleistungen werden oftmals nur
gewährt, wenn der Sozialleistungsberechtigte zeitweilig oder dauerhaft gesundheitlich beeinträchtigt ist110. Vor allem Krankheit oder Behinderung sind Anlass für die
Gewährung von Sozialleistungen. Daher ist die Ermittlung der ärztlichen oder psy-
106 Eicher/Spellbrink-Blüggel, § 56 Rn. 5; KK-Seewald, SGB I, Vorbemerkungen zu §§ 60-67
Rn. 19 f.
107 SRH-Kreikebohm/von Koch, § 6 Rn. 159.
108 „Die Formulierung „soll“ enthält zwar eine Verpflichtung, will aber – ähnlich wie in §§ 62
bis 64 – deutlich machen, daß das persönliche Erscheinen nicht erzwungen werden kann.“ So
die Gesetzesbegründung zum Inkrafttreten der Vorschrift am 01.01.1976, BT-Drucks. 7/868,
S. 33.
109 Hauck-SGB I-Freischmidt, § 61 Rn. 6; SRH-Kreikebohm/von Koch, § 6 Rn. 160.
110 SRH-Kreikebohm/von Koch, § 6 Rn. 161.
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chologischen Lage des Sozialleistungsberechtigten häufig unerlässlich für die Gewährung der entsprechenden Sozialleistung. Eine Mitwirkungspflicht an solchen
Untersuchungen besteht nach § 62 SGB I allerdings nur, wenn durch die in Aussicht
genommene Untersuchung Klarheit über die tatbestandlichen Voraussetzungen der
Sozialleistung gewonnen wird111. Andernfalls sind solche Maßnahmen nicht verhältnismäßig und daher nicht erforderlich nach § 62 SGB I. Zudem sind diese Maßnahmen nur erforderlich im Sinne des § 62 SGB I, wenn sich ein Sozialleistungsträger nicht auf andere Art und Weise über den Gesundheits- und Leistungszustand des
Sozialleistungsberechtigten informieren kann112. Daher müssen Sozialleistungsträger
vorrangig vor der Anordnung solcher Untersuchungen eventuelle Gutachten oder
Röntgenaufnahmen von entsprechenden Ärzten des Sozialleistungsberechtigten
anfordern.
Durch § 63 SGB I wird ein wegen Krankheit oder Behinderung Sozialleistungsberechtigter verpflichtet, sich einer Heilbehandlung zu unterziehen. Heilbehandlung
umfasst alle Maßnahmen, die geeignet sind zu heilen, das heißt die vorhandenen
oder drohenden Beeinträchtigungen der Gesundheit zu beheben, zu mildern oder zu
verhindern113. Ein Sozialleistungsberechtigter ist nach § 63 SGB I allerdings nur
verpflichtet, wenn zu erwarten ist, dass sich durch die Heilbehandlung der Gesundheitszustand verbessert oder zumindest eine Verschlechterung verhindert wird. Dadurch soll die Motivation des Sozialleistungsberechtigten zur Wiederherstellung
seiner Leistungsfähigkeit geweckt werden114. Gerade weil ein Sozialleistungsberechtigter an der Minderung der entstehenden Sozialleistungskosten mitwirken muss, ist
die Regelung des § 63 SGB I Ausdruck der in § 254 BGB geregelten allgemeinen
Schadensminderungspflicht.
Gemäß § 64 SGB I werden Personen zur Teilnahme an Leistungen zur Teilhabe
am Arbeitsleben verpflichtet, die wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit oder wegen Arbeitslosigkeit Sozialleistungen beantragen oder beziehen. Genau wie für den
Tatbestand des § 63 SGB I ist damit auch für den des § 64 SGB I charakteristisch,
dass eine beantragte Sozialleistung zum Anlass genommen wird, auf die Inanspruchnahme einer weiteren Sozialleistung hinzuwirken, damit die Kosten der beantragten Sozialleistung verringert werden. Unter Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben fallen insbesondere Fortbildungs- und Umschulungskurse sowie sonstige
Maßnahmen, welche die berufliche Grundlage des Leistungsberechtigten zu verbessern in der Lage sind115. Bei der Prognose, ob entsprechende Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben Erfolg versprechen, ist gemäß § 64 SGB I die berufliche Neigung und die Leistungsfähigkeit des Sozialleistungsberechtigten angemessen zu
berücksichtigen. Unter diese angemessene Berücksichtigung fallen seine persönli-
111 Hauck-SGB I-Freischmidt, § 62 Rn. 7.
112 SGB-SozVers-GesKomm-Lilge, Band 1, § 62 Rn. 7.2.
113 Hauck-SGB I-Freischmidt, § 63 Rn. 7; SGB-SozVers-GesKomm-Lilge, Band 1, § 63 Rn. 8.1.
114 SGB-SozVers-GesKomm-Lilge, Band 1, § 63 Rn. 2.2.
115 Mrozynski, SGB I, § 64 Rn. 6; Hauck-SGB I-Freischmidt, § 64 Rn. 5; SGB-SozVers-
GesKomm-Lilge, Band 1, § 64 Rn. 7.1 f.; KK-Seewald, SGB I, § 64 Rn. 8.
46
chen Verhältnisse wie bisheriger Beruf, Bildungsstand, Alter sowie der Wille, einen
bestimmten Beruf auszuüben116.
bb) Grenzen der Mitwirkung
§ 65 SGB I legt die Grenzen der Mitwirkung fest, denn die Mitwirkungspflicht eines
Sozialleistungsberechtigten gilt nicht uneingeschränkt. Dies ergibt sich bereits aus
dem allgemeinen in Art. 20 Abs. 3 GG niedergelegten Rechtsstaatsprinzip und dem
daraus abgeleiteten Übermaßverbot117. Die in § 65 SGB I niedergelegten Grenzen
der Mitwirkung orientieren sich an den Grundsätzen von Verhältnismäßigkeit, Geeignetheit und Erforderlichkeit und konkretisieren damit das allgemeine Übermaßverbot.
Zunächst darf eine Mitwirkungspflicht nach §§ 60 bis 64 SGB I abgelehnt werden
gemäß § 65 Abs. 1 Nr. 1 SGB I, wenn ihre Erfüllung nicht in einem angemessenen
Verhältnis zu der beanspruchten Sozialleistung steht. Es muss daher eine Abwägung
zwischen den mit der Mitwirkungshandlung verbundenen Nachteilen und den mit
der zu erbringenden oder erbrachten Sozialleistung verbundenen Vorteilen erfolgen118. Das wäre beispielsweise bei einer geringfügigen Sozialleistung und einer
sehr kostenintensiven Mitwirkungshandlung der Fall.
Eine zweite Grenze für eine Mitwirkungspflicht nach §§ 60 bis 64 SGB I zieht
§ 65 Abs. 1 Nr. 2 SGB I dahingehend, dass der Sozialleistungsberechtigte von der
Mitwirkungspflicht entbunden ist, wenn ihm die Erfüllung der Pflicht wegen eines
wichtigen Grundes nicht zugemutet werden kann. Damit wird die subjektive Interessenlage des Sozialleistungsberechtigten berücksichtigt. Unter einem wichtigen
Grund sind alle die Willensbildung bestimmenden Umstände zu verstehen, welche
eine Weigerung entschuldigen und sie als berechtigt erscheinen lassen119.
Eine dritte Grenze für eine Mitwirkungspflicht besteht nach § 65 Abs. 1 Nr. 3
SGB I darin, dass sich der Leistungsträger durch einen geringeren Aufwand als der
Sozialleistungsberechtigte die erforderlichen Kenntnisse selbst beschaffen kann. Die
Vorschrift bezieht sich nur auf die Mitwirkungshandlungen nach §§ 60 bis 62 SGB
I, weil es nur bei diesen denkbar ist, dass Kenntnisse vom Leistungsträger selbst
beschafft werden können120. Sozialleistungsträger haben oftmals einen leichteren
Zugang zu Beweismitteln aller Art als der Sozialleistungsberechtigte, so dass sie
116 Hauck-SGB I-Freischmidt, § 64 Rn. 8; SGB-SozVers-GesKomm-Lilge, Band 1, § 64 Rn.
12.1.
117 BVerfGE 38, 348 (368); von Münch/Kunig-Schnapp Art. 20 Rn. 32; Dreher-Schulze-Fielitz,
Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 167 ff.; von Mangoldt/Klein/Starck-Sommermann, Art. 20 Rn. 308
ff.; Ossenbühl, in: FS für Peter Lerche, 1993, S. 154 f.; Grabitz AöR 98 (1973), 568 (570).
118 Hauck-SGB I-Hauck, § 65 Rn. 3; SGB-SozVers-GesKomm-Lilge, Band 1, § 65 Rn. 3.1.;
Mrozynski, SGB I, § 65 Rn. 5; KK-Seewald, SGB I, § 65 Rn. 8; BoKo-Freitag, § 65 Rn. 3.
119 Hauck-SGB I-Hauck, § 65 Rn. 8; Mrozynski, SGB I, § 65 Rn. 8; SRH-Kreikebohm/von
Koch, § 6 Rn. 169; Rüfner, VSSR 1977, 347 (358 f.).
120 SGB-SozVers-GesKomm-Lilge, Band 1, § 65 Rn. 5.1.; Mrozynski, SGB I, § 65 Rn. 11.
47
sich das für sie erforderliche Wissen mit geringerem Aufwand an Zeit, Geld und
Mühe selbst verschaffen können121.
Für Behandlungen und Untersuchungen sind die Grenzen der Mitwirkung in § 65
Abs. 2 SGB I gesondert geregelt. Dieser Absatz trägt damit dem Umstand Rechnung, dass Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich geschützt sind und damit auch im Zusammenhang mit sozialrechtlichen Mitwirkungspflichten beachtet werden müssen. § 65 Abs. 2 SGB I konkretisiert und ergänzt den ersten Absatz, so dass die in Absatz 1 formulierten
Mitwirkungsgrenzen auch bei Behandlungen und Untersuchungen zu prüfen sind122.
Anders als die Grenzen der Mitwirkungspflicht nach § 65 Abs. 1 SGB I sind diejenigen nach Absatz 2 nicht von Amts wegen, sondern nur bei entsprechender Geltendmachung zu berücksichtigen123.
§ 65 Abs. 3 SGB I gibt dem Sozialleistungsberechtigten ein Recht zur Verweigerung von Angaben, wenn die Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung oder Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit besteht. Dieses Recht wird nach § 65 Abs. 3 SGB I
auch dem Antragsteller oder einer nahe stehenden Person eingeräumt. Damit ist
dieser Absatz dem Zeugnisverweigerungsrecht im Straf- und Zivilverfahren nachgebildet. Eine derartige Verweigerung kommt beispielsweise in Betracht, wenn ein
Betroffener sich im Arbeitsförderungsrecht einer Schwarzarbeit bezichtigen müsste124. Sind die Grenzen der Mitwirkungspflichten überschritten, so entfällt sie also.
cc) Rechtsfolgen fehlender Mitwirkung
Die Rechtsfolgen fehlender Mitwirkung des Leistungsberechtigten ergeben sich aus
§ 66 SGB I. Kommt ein Sozialleistungsberechtigter seinen Mitwirkungspflichten
nicht nach, kann der Leistungsträger gemäß § 66 Abs. 1 SGB I die Leistung ganz
oder teilweise versagen oder entziehen. Dabei beruht § 66 SGB I auf dem Grundsatz
der Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit125. Aus diesem Grund führt nicht jede
fehlende Mitwirkung zwingend zur Leistungsversagung. Dem Leistungsträger wurde vielmehr vom Gesetzgeber ein Ermessensspielraum eingeräumt, um besonderen,
nicht voraussehbaren Umständen des Einzelfalls gerecht werden zu können. Zudem
wurde mit § 67 SGB I eine Nachholmöglichkeit der Mitwirkung eingeführt, die zu
einer nachträglichen Leistungsgewährung führen kann. Das Recht des Leistungsträgers, eine Sozialleistung zu versagen oder zu entziehen endet folglich, wenn der
Sozialleistungsberechtigte seine Mitwirkung nachholt.
121 Hauck-SGB I-Hauck, § 65 Rn. 10; SGB-SozVers-GesKomm-Lilge, Band 1, § 65 Rn. 5.3;
Mrozynski, SGB I, § 65 Rn. 12.
122 Hauck-SGB I-Hauck, § 65 Rn. 11; SGB-SozVers-GesKomm-Lilge, Band 1, § 65 Rn. 6.
123 SGB-SozVers-GesKomm-Lilge, Band 1, § 65 Rn. 6; Mrozynski, SGB I, § 65 Rn. 14; KK-
Seewald, SGB I, § 65 Rn. 18. Anderer Ansicht: Hauck-SGB I-Hauck, § 65 Rn. 16.
124 SRH-Kreikebohm/von Koch, § 6 Rn. 173.
125 Hauck-SGB I-Hauck, § 66 Rn. 1.
48
c) Ausgestaltung von Rechten und Pflichten
Die Ausgestaltung von Rechten und Pflichten nach § 33 SGB I enthält mit dem
Grundsatz der Individualisierung nach Satz 1 und dem des Wunsch- und Wahlrechts
nach Satz 2 gleich zwei sozialrechtliche Grundsätze, die sich auf das Verhältnis von
Sozial- und Vergaberecht auswirken. Durch eine entsprechende Ausgestaltung soll
auf Umstände des Einzelfalls Rücksicht genommen werden, sofern das Gesetz einen
entsprechenden Handlungsspielraum zulässt und dadurch die verfassungsrechtlichen
Vorgaben aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG umsetzt126.
aa) Individualisierung
Der Grundsatz der Individualisierung ist in § 33 Satz 1 SGB I niedergelegt. Danach
soll der Inhalt von Rechten und Pflichten die persönlichen und örtlichen Verhältnisse des Sozialleistungsberechtigten oder Sozialleistungsverpflichteten, seinen Bedarf
und seine Leistungsfähigkeit berücksichtigen. Dieser Inhalt wird nach § 33 Satz 2
SGB I nur individualisiert, wenn sie nicht im Einzelnen bestimmt sind, also wenn
die Norm dem Sozialleistungsträger einen Entscheidungsspielraum hinsichtlich ihrer
Art oder ihres Umfangs belässt127. Daher findet § 33 Satz 1 SGB I in den meisten
Fällen bei Ermessensentscheidungen Anwendung, weil dann durch das Gesetz ein
entsprechender Entscheidungsspielraum gegeben ist. Unter persönlichen oder örtlichen Verhältnissen sind solche Umstände zu verstehen, die sich auf die Person
selbst oder den Ort beziehen128. Es fallen neben Alter, Geschlecht, Bildungsgrad und
Gesundheitszustand auch die örtliche Umgebung darunter, in welcher der Berechtigte oder Verpflichtete lebt, sich aufhält, erzogen wurde oder arbeitet. Bedarf umfasst
diejenigen Geld- oder Sachmittel und Dienstleistungen, die erforderlich sind um
einen Mangel an diesen Mitteln auszugleichen129. Die Berücksichtigung des individuellen Bedarfs ist deshalb wichtig, weil Sozialleistungen vor allem Bedarfssituationen ausgleichen sollen. Schließlich wird neben persönlichen und örtlichen Verhältnissen sowie Bedarf auch die Leistungsfähigkeit in § 33 Satz 1 SGB I mitberücksichtigt. Leistungsfähigkeit ist die Fähigkeit des Berechtigten oder Verpflichteten
Leistungen zu erbringen130. Individuelle Leistungsfähigkeit und Bedarf bedingen
sich also gegenseitig, denn je größer die Leistungsfähigkeit, desto geringer ist der
persönliche Bedarf, Sozialleistungen zu empfangen.
126 Gesetzesbegründung zu § 33, SGB I, BT-Drucks. 7/868, S. 27.
127 SGB-SozVers-GesKomm-Bley, Band 1, § 33 Rn. 5.
128 SGB-SozVers-GesKomm-Bley, Band 1, § 33 Rn. 7 a); SRH-Waltermann, § 7 Rn. 34 ff.
129 SGB-SozVers-GesKomm-Bley, Band 1, § 33 Rn. 9 a).
130 SGB-SozVers-GesKomm-Bley, Band 1, § 33 Rn. 10.
49
bb) Wunsch- und Wahlrecht
Der Grundsatz des Wunsch- und Wahlrechts ist in § 33 Satz 2 SGB I geregelt. Nach
§ 33 Satz 2 SGB I soll den Wünschen des Berechtigten entsprochen werden, soweit
sie angemessen sind. Angemessenheit liegt vor, wenn die Berücksichtigung der
geäußerten Wünsche dazu beiträgt, dass der mit dem Recht oder der Pflicht verfolgte Zweck mindestens ebenso gut, jedenfalls nicht nennenswert schlechter erfüllt
wird131. Wünsche sind nicht angemessen, wenn zu deren Erfüllung ein besonderer
Verwaltungsaufwand oder besonders hohe Verwaltungskosten notwendig wären, die
in keinem vernünftigen Verhältnis zu den objektiven oder vermeintlichen Vorteilen
für den Sozialleistungsberechtigten stehen132. Bei der Beurteilung, ob ein Wunsch
angemessen ist, kann also ein Kostenvergleich zwischen den gewünschten und anderen geeigneten, zumutbaren Leistungsangeboten vorgenommen werden, der insbesondere deren Verhältnismäßigkeit berücksichtigt. Besonders bedeutsam ist das in
§ 33 Satz 2 SGB I niedergelegte Wunsch- und Wahlrecht für die Ausgestaltung der
Leistungsbeziehungen zwischen Sozialleistungsträger, Sozialleistungserbringer und
Sozialleistungsberechtigtem. Gäbe es das Wusch- und Wahlrecht nicht, könnten die
Sozialleistungsträger dem Sozialleistungsberechtigten einfach bestimmte Leistungen
zuweisen. Damit würden sie beispielsweise in das Vertrauensverhältnis von Arzt
und Patient eingreifen, indem sich ein Patient seinen Arzt nicht mehr selbständig
aussuchen darf, sondern von der Krankenkasse vorgeschrieben bekommt, welchen
Arzt er zu besuchen hat.
2. SGB X (Verwaltungsverfahren)
Die verfahrensrechtlichen Grundsätze und die Grundsätze über Sozialdatenschutz
sowie über die Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten sind im SGB X niedergelegt. Das sozialrechtliche Verwaltungsverfahren kennzeichnet vor allem die Nichtförmlichkeit im Sinne des § 9 Satz 1 SGB X, die Kostenfreiheit nach § 64 SGB X und der Untersuchungsgrundsatz nach § 20 SGB X.
Nichtförmlichkeit des Verwaltungsverfahrens bedeutet, dass jeglicher Formzwang
für die Einleitung und Durchführung des Verwaltungsverfahrens fehlt. Damit entspricht dieser Grundsatz inhaltlich weitestgehend § 10 VwVfG. Auch der Untersuchungsgrundsatz entspricht den Regelungen der §§ 24 VwVfG, 86 VwGO und steht
damit im Gegensatz zu dem im Zivilprozess geltenden Verhandlungs- oder Beibringungsgrundsatz. Danach ermittelt die Behörde nach § 20 SGB X den Sachverhalt
von Amts wegen und bestimmt selbst über die Art und den Umfang ihrer Ermittlun-
131 SGB-SozVers-GesKomm-Lilge, Band 1, § 33 Rn. 17 b); BochumerKommentar-Wertenbruch,
§ 33 Rn. 20.
132 Mrozynski, SGB I, § 33 Rn. 11; KK-Seewald, SGB I, § 33 Rn. 26; SGB-SozVers-GesKomm-
Lilge, Band 1, § 33 Rn. 17 b); Krause, ZfSH/SGB 1984, 51 (56).
50
gen. Diese Grundsätze berühren das Verhältnis von Sozial- und Vergaberecht in
Drei-Personen-Konstellationen in der Regel nicht.
Als weiteren Grundsatz sieht das SGB X eine Anhörung der Beteiligten gemäß
§ 24 SGB X vor. Eine solche Anhörung muss nach § 24 SGB X zumindest dann
erfolgen, wenn durch einen Verwaltungsakt in die Rechte eines Beteiligten eingegriffen wird. Ein solcher Eingriff liegt nur vor, wenn der vorhandene Rechtskreis
eines Beteiligten durch die Verwaltungsentscheidung beeinträchtigt wird133. Die
Anhörung umfasst nach § 24 Abs. 1 SGB X die Gelegenheit, sich zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern. Die Gelegenheit zur Stellungnahme muss
nach Zeit, Ort und sonstigen Umständen angemessen und zumutbar sein134. Dafür ist
es in der Regel ausreichend, wenn der Beteiligte die Möglichkeit hat, sich schriftlich
zu äußern135. Weil gesetzlich keine bestimmte Form für die Anhörung vorgesehen
ist, hat der Beteiligte demnach keinen Anspruch darauf, mündlich angehört zu werden. Dennoch kann die Behörde eine Anhörung mündlich durchführen. In bestimmten Fällen, beispielsweise bei Schreibunkundigkeit des Beteiligten, ist eine mündliche Anhörung sogar geboten, damit der Betroffene sein Recht auf Anhörung wahrnehmen kann136. Nach § 24 Abs. 2 SGB X kann unter bestimmten Umständen
ausnahmsweise von einer Anhörung abgesehen werden. Diese Umstände sind, im
Gegensatz zu der Generalklausel des § 28 Abs. 2 VwVfG, in einem abschließenden
Katalog aufgeführt137. Als Gründe werden darin beispielsweise aufgelistet, dass bei
Gefahr im Verzug oder Maßnahmen in der Verwaltungsvollstreckung auf eine Anhörung verzichtet werden kann. Die Möglichkeit auf die Anhörung zu verzichten
steht aufgrund der Formulierung „kann“ im Ermessen der Behörde.
Die Regelung über die Anhörung ergänzt das Recht auf Akteneinsicht nach § 25
SGB X, weil oftmals erst die Kenntnis der Akten eine entsprechende Aussage im
Rahmen einer Anhörung möglich macht138. Danach hat jeder Beteiligte ein Recht
auf Akteneinsicht, soweit deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung
seiner rechtlichen Interessen erforderlich ist. Das Akteneinsichtsrecht dient daher
vor allem der Transparenz des behördlichen Entscheidungsprozesses.
Die Rechtsfolgen einer Verletzung der zuvor genannten Grundsätze sind in den
§§ 39 ff. SGB X niedergelegt. Sie ähneln den Rechtsfolgen im allgemeinen Verwaltungsverfahren und umfassen vor allem Vorschriften über Rücknahme und Widerruf
133 Gesetzesbegründung zu § 34, SGB I, BT-Drucks. 7/868, S. 28. Umstritten ist hingegen, ob
auch die Ablehnung eines begünstigenden Verwaltungsaktes diese Anhörungspflicht auslöst:
Anhörungspflicht ablehnend: BVerwGE 66, 184 (184); Hauck-SGB X-Vogelgesang, § 24 Rn.
5 b; von Wulffen-von Wulffen, SGB X, § 24 Rn. 4 f.; Krasney, ZSR 1978, 543 (543). Anhörungspflicht befürwortend: Pickel, SGB X, § 24 Rn. 26 f.; Bartels, S. 55; Laubinger, VerwArch 75 (1984) 55 (73).
134 Hauck-SGB X-Vogelgesang, § 24 Rn. 8; von Wulffen-von Wulffen, SGB X, § 24 Rn. 8 ff.;
SRH-Wallerath, § 11 Rn. 108.
135 Hauck-SGB X-Vogelgesang, § 24 Rn. 8; SRH-Wallerath, § 11 Rn. 109.
136 BVerwGE 20, 160 (166); SRH-Wallerath, § 11 Rn. 109.
137 Hauck-SGB X-Vogelgesang, § 24 Rn. 10; von Wulffen-von Wulffen, SGB X, § 24 Rn. 12;
SRH-Wallerath, § 11 Rn. 110.
138 Hauck-SGB X-Hauck, § 25 Rn. 1; von Wulffen-von Wulffen, SGB X, § 25 Rn. 3.
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von Verwaltungsakten sowie über die Heilung von Verfahrens- und Formfehlern.
Beispielsweise kann eine fehlende Anhörung gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X bis
zum Abschluss des sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt
und damit der bestehende Verfahrensfehler geheilt werden. Ein Verstoß gegen die
Nichtförmlichkeit des Verfahrens ist nicht so schwerwiegend, dass er zur Nichtigkeit führt. Er kann also gemäß §§ 42, 46 SGB X nur unter den in § 46 SGB X niedergelegten Voraussetzungen widerrufen werden. Im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes sind Mängel in der Sachverhaltsermittlung ebenfalls in der Regel nicht
so schwerwiegend, dass sie zur Nichtigkeit führen. Sie können also nur nach § 42
SGB X behoben werden, wenn nicht offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.
II. Grundsätze der Arbeitssicherung
1. SGB II (Grundsicherung für Arbeitsuchende)
Im Rahmen der Vorschriften über die Grundsicherung für Arbeitsuchende gibt es
über die allgemeinen, im SGB I niedergelegten Grundsätze nur wenige das SGB II
prägende Grundsätze. Das SGB II beruht im Wesentlichen auf dem Grundsatz von
Fördern und Fordern und dem Nachranggrundsatz. Darüber hinaus stellt der Gesetzgeber im SGB II weitere Mitwirkungspflichten auf und legt fest, dass Leistungsvereinbarungen den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit entsprechen
müssen.
a) Fördern und Fordern
Die Überschrift des ersten Kapitels lautet „Fördern und Fordern“. Damit verdeutlicht bereits diese Überschrift den wesentlichen Grundsatz bei der Grundsicherung
für Arbeitsuchende nach dem SGB II. Dieser Grundsatz findet seine gesetzlichen
Grundlagen in §§ 2 und 14 SGB II. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB II müssen erwerbsfähige Hilfebedürftige und die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden
Personen alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen. Das bedeutet, dass der erwerbsfähige Hilfesuchende sich nicht
auf die Mitwirkung bei Angeboten des Leistungsträgers beschränken darf, sondern
selbst etwas unternehmen muss, um seine Erwerbslosigkeit zu beenden139.
Beispiele hierfür sind Bewerbungen schreiben und Stellenangebote in der Tagespresse suchen. Die für die Leistungen des SGB II zuständigen Sozialleistungsträger
unterstützen gemäß § 14 Satz 1 SGB II erwerbsfähige Hilfebedürftige umfassend
139 Oestreicher-Schumacher, § 2 SGB II Rn. 8.
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References
Zusammenfassung
Müssen soziale Dienstleistungen öffentlich ausgeschrieben werden? Die Frage wird dahingehend beantwortet, dass nicht alle sozialen Dienstleistungen unter das Vergaberecht fallen. Teilweise handelt es sich bei sozialen Dienstleistungen um vergaberechtsfreie Dienstleistungskonzessionen.
Die Autorin analysiert die Auftraggebereigenschaft der Sozialleistungsträger und untersucht ausführlich, welche sozialen Dienstleistungen dem Vergaberecht unterliegen und welche als Dienstleistungskonzessionen einzuordnen sind. Abschließend werden die Anforderungen an die konkrete Auftragsvergabe dargestellt.
Das Werk wendet sich nicht nur an wissenschaftlich interessierte Leser, sondern auch an Personen und Körperschaften, die praktisch mit der Beschaffung sozialer Dienstleistungen betraut sind. Mit der präzisen Herausarbeitung der einzelnen sozialen Dienstleistung und deren detailliert begründeten vergaberechtlichen Einordnung, leistet die Arbeit einen wichtigen Beitrag für die Beschaffung sozialer Dienstleistungen und ist damit für den Praktiker in besonderem Maße geeignet.