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Einleitung
A. Ausgangslage
Im Hinblick auf die steigenden Kosten für Sozialleistungen sind einige Sozialleistungsträger in der Praxis dazu übergegangen, die Erbringung sozialer Dienstleistungen nach den Vorschriften des Vergaberechts auszuschreiben. Die Bundesagentur
für Arbeit vergibt beispielsweise Leistungen der Arbeitsförderung im Rahmen des
SGB III überwiegend in Vergabeverfahren nach den §§ 97 ff. GWB1. Durch die
wettbewerblichen Grundsätze des Vergaberechts sollen effektive Leistungsangebote
bei möglichst niedrigen Kosten erreicht werden2.
In jüngster Zeit kam es daher zu rechtlichen Auseinandersetzungen über die Erfolgsaussichten von Ausschreibungsverfahren solcher sozialer Dienstleistungen3. In
diesen Rechtsstreitigkeiten ging es im Wesentlichen um die Frage, ob auf soziale
Dienstleistungen, insbesondere den Sozial- und Jugendhilfeleistungen des SGB XII
und des SGB VIII, die Bestimmungen des Vergaberechts Anwendung finden können oder sogar müssen. Die daraufhin ergangenen Entscheidungen zu dieser Frage
sind keineswegs einheitlich, sondern zeigen vielmehr ein widersprüchliches Bild4.
Auch in der Literatur besteht keine Einigkeit über das Verhältnis von Sozialrecht
und Vergaberecht. Der Grund dafür liegt unter anderem darin, dass es äußerst
schwierig ist, Wettbewerb und soziale Sicherung methodisch in ein Verhältnis zu
setzen, um sowohl den Regelungen des Vergaberechts als auch denen des Sozialrechts gerecht zu werden5. Infolgedessen ist die Frage nach dem Verhältnis von
Vergaberecht zu Sozialrecht durch zwei Rechtsgutachten unterschiedlich beantwortet worden6.
1 Philipp, Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 3/2005, 82 (82); Brünner,
Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 3/2005, 70 (70); Brünner, RdL 2005,
30 (30); Storost, NZS 2005, 82 (82); Kessmann, neue caritas 2/2007, 16 (16).
2 Neumann/Nielandt/Philipp, S. 56; Luthe, NDV 2001, 247 (254 ff.); Krohn, Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit 3/2005, 90 (90).
3 OLG Düsseldorf, Beschl. vom 08.09.2004, VII-Verg. 35/04; OVG Münster, Beschl. vom
27.09.2004, 12 B 1390/04 und 12 B 1397/04; Vergabekammer Münster, Beschl. vom
28.05.2004, VK 10/04.
4 Vergaberecht ablehnend: VG Münster, ZFSH/SGB 2004, 601 (605); VG Münster, Beschl.
vom 22.06.2004, 5 L 756/04, Umdruck S. 5.
Vergaberecht befürwortend: OLG Düsseldorf, Beschl. vom 08.09.2004, VII-Verg. 35/04,
Umdruck S. 8; Vergabekammer Münster, Beschl. vom 28.05.2004, VK 10/04, Umdruck S.
17.
5 Mrozynski, ZFSH/SGB 2004, 451 (451).
6 Luther Menold, Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Gutachten für den Landschaftsverband
Westfalen-Lippe zur Ausschreibungspflicht von Leistungen des LWL in ambulant betreuten
Wohnformen, vom 15.01.2004, unter 1.2.2.3. werden die Regelungen des Sozialrechts, insbe-
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Auch die politischen Reformüberlegungen im Bereich des Sozialwesens streben
danach, einen qualitativ hochwertigen, aber auch nachhaltig finanzierbaren Sozialstaat zu schaffen. Mit dem Ziel der Kosteneinsparung wurden seit Ende der 1990er
vermehrt wettbewerbliche Aspekte in den Büchern des SGB verankert. Die bis dato
vollkommen unabhängig voneinander stehenden Rechtsgebiete des Sozialrechts und
des Vergaberechts scheinen sich – zumindest in Teilbereichen – sinnvoll zu ergänzen.
Vor diesem Hintergrund stellt sich daher die grundsätzliche Frage nach dem Verhältnis von Sozial- und Vergaberecht. Für die Beantwortung dieser Frage kommt es
darauf an, ob zwischen beiden Rechtsmaterien ein unauflöslicher Gegensatz besteht,
oder ob nicht für Sozialleistungsträger entsprechende Ausschreibungspflichten bestehen, die im Rahmen eines Vergabeverfahrens Beachtung finden müssen.
B. Gang der Untersuchung
Die vorliegende Untersuchung gliedert sich in fünf Teile. Ausgehend von den allgemeinen Begriffsbestimmungen des Sozial- und Vergaberechts, sowie der Dienstleistung, widmet sich der erste Teil der vorliegenden Arbeit den Grundlagen bei der
Erbringung sozialer Dienstleistungen.
Der erste Teil der Untersuchung stellt daher zunächst die Rechtsgrundlagen sozialer Dienstleistungen dar. Beginnend mit den internationalen und europarechtlichen
Vorgaben über die nationalen Bücher des Sozialgesetzbuches, werden die Grundsätze bei der Erbringung sozialer Dienstleistungen geordnet nach den sozialrechtlichen
Bereichen der allgemeinen Vorschriften, der Arbeitssicherung, der sozialen Hilfe
und Förderung, der Vorsorge und der Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen dargestellt. Der erste Teil der Untersuchung schließt mit einem Überblick über
die Rechtsbeziehungen bei der Erbringung sozialer Dienstleistungen ab.
Der zweite Teil der Untersuchung behandelt die Erbringung sozialer Dienstleistungen und listet die in den Büchern des Sozialgesetzbuches verankerten sozialen
Dienstleistungen auf. Wiederum sind die sozialen Dienstleistungen geordnet nach
den sozialrechtlichen Bereichen der allgemeinen Vorschriften, der Arbeitssicherung,
der sozialen Hilfe und Förderung, der Vorsorge und der Rehabilitation und Teilhabe
behinderter Menschen.
Im dritten Teil der Untersuchung erfolgt die Darstellung der Grundlagen des
deutschen und europäischen Vergaberechts. Abermals beginnend mit den internationalen, europarechtlichen und nationalen Rechtsgrundlagen des Vergaberechts, werden die Anwendungsvoraussetzungen des Kartellvergaberechts, Vergabetatsachen
und die zu beachtenden Grundsätze der Auftragsvergabe dargelegt.
Der vierte Teil der Untersuchung nimmt eine vergaberechtliche Einordnung sozialer Dienstleistungen vor. Dieser vierte Teil stellt den Schwerpunkt der vorliegenden
sondere des SGB XII, für spezieller erachtet. Neumann/Nielandt/Philipp, S. 57, 72 f. erklären
die Regelungen des Vergaberechts für spezieller.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Müssen soziale Dienstleistungen öffentlich ausgeschrieben werden? Die Frage wird dahingehend beantwortet, dass nicht alle sozialen Dienstleistungen unter das Vergaberecht fallen. Teilweise handelt es sich bei sozialen Dienstleistungen um vergaberechtsfreie Dienstleistungskonzessionen.
Die Autorin analysiert die Auftraggebereigenschaft der Sozialleistungsträger und untersucht ausführlich, welche sozialen Dienstleistungen dem Vergaberecht unterliegen und welche als Dienstleistungskonzessionen einzuordnen sind. Abschließend werden die Anforderungen an die konkrete Auftragsvergabe dargestellt.
Das Werk wendet sich nicht nur an wissenschaftlich interessierte Leser, sondern auch an Personen und Körperschaften, die praktisch mit der Beschaffung sozialer Dienstleistungen betraut sind. Mit der präzisen Herausarbeitung der einzelnen sozialen Dienstleistung und deren detailliert begründeten vergaberechtlichen Einordnung, leistet die Arbeit einen wichtigen Beitrag für die Beschaffung sozialer Dienstleistungen und ist damit für den Praktiker in besonderem Maße geeignet.