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III. Kollisionsrechtlicher Gehalt des Beschränkungsverbotes
Dem widersprechen die Vertreter der Ansicht, dass dem Beschränkungsverbot kollisionsrechtliche Anknüpfungen zu entnehmen sind.874 Der Verstoß gegen das Beschränkungsverbot ergebe sich primär aus den Kollisionsnormen oder den kollisionsrechtlichen Normbestandteilen.875 Das aus den Grundfreiheiten fließende
Beschränkungsverbot „verbünde“ sich gleichsam mit dem Recht des Herkunftslands
und führe so zu dessen Vorrang.876
Dem ist zuzustimmen, da das Beschränkungsverbot das Recht des Herkunftslands
als Maßstab heranzieht und so eine durch die Rechtfertigungsebene eingeschränkte
Anerkennungspflicht des Herkunftslandrechts bewirkt.877 Das Beschränkungsverbot
wirkt somit als eine in den Freiheiten versteckte Kollisionsnorm.
Betrachtet man aus dieser Perspektive die These, dass das Beschränkungsverbot
nur ein Recht für unanwendbar gleichzeitig aber kein anderes für anwendbar erkläre,878 so ließe sich dieser Standpunkt nur aufrecht erhalten, wenn eine andere kollisionsrechtliche Lösung, die nicht zu einer Verweisung auf das Herkunftsland führt,
mit dem Beschränkungsverbot vereinbar wäre. Eine Verweisung auf ein anderes
Recht ist jedoch per se eine Beschränkung. Bei hohen Hürden, die zur Rechtfertigung einer Beschränkung genommen werden müssen, ist die Vereinbarkeit einer
solchen Verweisung mit dem Beschränkungsverbot ein Ausnahmefall. Greift das
Beschränkungsverbot879 durch, so ist von einer kollisionsrechtlichen Vorgabe der
Grundfreiheiten auszugehen.
Es ist zuzugeben, dass der kollisionsrechtliche Gehalt des Beschränkungsverbotes
aufgrund seines Anwendungsbereichs und des fortbestehenden Vorbehalts zwingender Gründe des Allgemeininteresses erhebliche Unschärfen mit sich bringt.880 Dies
ist jedoch als Preis dafür hinzunehmen, dass die Grundfreiheiten insofern eine „Katalysatorfunktion“ im unharmonisierten Bereich erfüllen.881
874 Vgl. insbesondere BASEDOW, RabelsZ 59 (1995), 1, 13; GRUNDMANN, RabelsZ 64 (2000),
457, 460; W. H. ROTH, GS Lüderitz, 635, 643 m.w.N.
875 BASEDOW, RabelsZ 59 (1995), 1, 12.
876 BASEDOW, RabelsZ 59 (1995), 1, 13.
877 BASEDOW, RabelsZ 59 (1995), 1, 13.
878 KOHLER, IPRax 2003, 401, 409: Neben Anknüpfungsverboten seien Anknüpfungspunkte
zweifelhaft; krit. hierzu GRUNDMANN, RabelsZ 64 (2000), 457, 460.
879 Und nicht etwa das Diskriminierungsverbot.
880 GRUNDMANN, RabelsZ 64 (2000), 457, 462.
881 GRUNDMANN, RabelsZ 64 (2000), 457, 462.
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IV. Übertragung auf die früher als „Scheinauslandsgesellschaft“ qualifizierten
Gesellschaften
1. Kollisionsrechtliche Vorgaben hinsichtlich der materiellen Rechtsträgerschaft
Nach dem Überseering-Urteil des EuGH wurde zu bedenken gegeben, dass eine
Umqualifizierung der Gesellschaft in eine rechtsfähige OHG bzw. GbR den Vorgaben der Freiheiten genüge tun könne.882 Nachdem ein solcher Statutenwechsel allein
durch die Tatsache, dass nicht das Herkunftslandrecht zur Anwendung kommt, eine
beschränkende Wirkung entfaltet, müsste dieser zumindest gerechtfertigt sein.883
Das Inspire Art-Urteil des EuGH884 bestätigt nicht nur die beschränkende Wirkung eines solchen Statutenwechsels. Es zeigt auch auf, dass sich der Statutenwechsel in weiten Bereichen nicht durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls rechtfertigen lässt. Damit richten sich die „Subjekteigenschaften“885 im weiteren Sinne
nach dem europarechtlich bestimmten Heimatrecht. Neben der Existenz der Gesellschaft müssen auch deren organisationsrechtlichen Eigenschaften anerkannt werden.
Folgert man hieraus auch europarechtlich eine grundsätzliche Einheit des Gesellschaftsstatuts, so lässt sich für die Rechtsfähigkeit als Kern der Subjektivität ein kollisionsrechtlicher Gehalt der Niederlassungsfreiheit ausmachen.
2. Konsequenzen für die Parteifähigkeit
Diese Überlegungen gelten auch für die Parteifähigkeit. Hier wäre zwar ein lex-fori-
Ansatz möglich gewesen, wenn die Rechtsfähigkeit durch die Niederlassungsfreiheit
determiniert ist. Dann wäre § 50 Abs. 1 ZPO anwendbar, mit der Folge, dass bei Gesellschaften, die sich mit Erfolg auf die Niederlassungsfreiheit berufen können, neben der Rechtsfähigkeit immer auch die Parteifähigkeit zu bejahen wäre. Im Ergebnis käme es so also zu einem Gleichlauf von Rechts- und Parteifähigkeit. Es lässt
sich bei der Parteifähigkeit jedoch kein Grund anführen, weshalb sie nach einem anderen Recht bestimmt werden sollte, als die Rechtsfähigkeit und die sonstigen organisationsrechtlichen Eigenschaften der Gesellschaft. Auch hier führt allein die
Nichtanwendbarkeit des Herkunftslandrechts zu einer nicht zu rechtfertigenden Beschränkung.
882 W. H. ROTH, IPRax 2003, 117, 123 u. 124.
883 So folgerichtig: W. H. ROTH, IPRax 2003, 117, 124.
884 EuGH Urt. v. 30.09.2003 Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10224, Tz. 97.
885 Diesen Begriff benützen SCHANZE/JÜTTNER, AG 2003, 661, 666.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Mit der Untersuchung der Parteifähigkeit erörtert der Autor grundsätzliche Fragen des prozessualen und materiellen Gesellschaftsrechts und zeigt bestehende Brüche zwischen beiden Regelungsmaterien auf.
Die Parteifähigkeit wurde traditionell vor allem prozessrechtlich qualifiziert. Nach der Zuerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit an die Außen-GbR durch den BGH und den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs in den Verfahren Centros, Überseering und Inspire Art steht die hergebrachte Konzeption auf dem Prüfstand.
Diesen Befund nimmt der Autor zum Anlass und untersucht zunächst die Dogmatik der Parteifähigkeit anhand inländischer Sachverhalte. Nach einem rechtsvergleichenden Teil geht der Verfasser auf die Parteifähigkeit von Gebilden mit ausländischem Personalstatut ein und diskutiert insbesondere die so genannte Scheinauslandsgesellschaft. Darüber hinaus wird die gemeinschaftsrechtliche Dimension der Parteifähigkeit erörtert.