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Schlussfolgerungen dafür ziehen, ob das mitgliedstaatliche Recht frei ist, die Vorgaben der Freiheiten durch sachrechtliche oder kollisionsrechtliche Maßnahmen zu
verwirklichen.
I. Irrelevanz der Grundfreiheiten für das mitgliedstaatliche Kollisionsrecht?
Eine früher vertretene These lautete, dass die Grundfreiheiten dem Internationalen
Privatrecht neutral gegenüberstehen. Das Gemeinschaftsrecht sei am Kollisionsrecht
desinteressiert.868 Relevant für die Grundfreiheiten sei nicht das Kollisionsrecht,
sondern ausschließlich das über das Kollisionsrecht berufene Sachrecht. Erst das
aufgrund der Sachrechtsanwendung basierende Ergebnis, sei am Maßstab der
Grundfreiheiten zu kontrollieren. Diese Ansicht verkennt jedoch, dass sich schon
aus der Kombination bestimmter Anknüpfungen eine Beschränkung der Grundfreiheiten eintreten kann.869
II. Lediglich Modifizierung des Bestimmungslandsrechts durch das Beschränkungsverbot?
Nun erscheint es allgemein anerkannt, dass die Kollisionsnorm in ihrem Zusammenspiel mit den Sachnormen in den Anwendungsbereich der Freiheiten fallen können.
Zufolge einer weit verbreiteten Meinung ist neben der ausschließlichen Modifikation des Sachrechts immer auch an eine kollisionsrechtliche Lösung zu denken, wenn
nicht eine der Alternativen aufgrund der Art der Beschränkung ausgeschlossen ist.870
Lasse sich die Beschränkung also nicht eindeutig entweder dem Sachrecht oder dem
Kollisionsrecht zuschlagen, so müsse der Schwerpunkt des Regelungskonflikts ermittelt werden.871
Bei Eingreifen des Beschränkungsverbotes lasse sich keine kollisionsrechtliche
Verweisung durch die erforderliche Berücksichtigung des Herkunftslandrechts ableiten.872 Aus dem Beschränkungsverbot folge lediglich eine durch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung modifizierte Anwendung des Rechts des Bestimmungslands.873
868 KOHLER, La Cour de Justice des Communautés Européennes et le droit international privé,
in: Travaux du Comité francais de droit international privé 1993-1994, 1996, 71, 76: „...le
droit communataire s’en désintéresse.“; i.E. wohl auch LEIBLE/HOFFMANN, RIW 2002, 925,
929; W. H. ROTH, GS Lüderitz, 635, 638, Fn. 14 m.w.N.
869 W. H. ROTH, GS Lüderitz, 635, 641; unter Aufgabe seines früheren Standpunktes auch
KOHLER, IPRax 2003, 401, 408.
870 W. H. ROTH, GS Lüderitz, 635, 646; LEIBLE/HOFFMANN, RIW 2002, 925, 929.
871 W. H. ROTH, GS Lüderitz, 635, 646.
872 W. H. ROTH, GS Lüderitz, 635, 644.
873 W. H. ROTH, GS Lüderitz, 635, 644.
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III. Kollisionsrechtlicher Gehalt des Beschränkungsverbotes
Dem widersprechen die Vertreter der Ansicht, dass dem Beschränkungsverbot kollisionsrechtliche Anknüpfungen zu entnehmen sind.874 Der Verstoß gegen das Beschränkungsverbot ergebe sich primär aus den Kollisionsnormen oder den kollisionsrechtlichen Normbestandteilen.875 Das aus den Grundfreiheiten fließende
Beschränkungsverbot „verbünde“ sich gleichsam mit dem Recht des Herkunftslands
und führe so zu dessen Vorrang.876
Dem ist zuzustimmen, da das Beschränkungsverbot das Recht des Herkunftslands
als Maßstab heranzieht und so eine durch die Rechtfertigungsebene eingeschränkte
Anerkennungspflicht des Herkunftslandrechts bewirkt.877 Das Beschränkungsverbot
wirkt somit als eine in den Freiheiten versteckte Kollisionsnorm.
Betrachtet man aus dieser Perspektive die These, dass das Beschränkungsverbot
nur ein Recht für unanwendbar gleichzeitig aber kein anderes für anwendbar erkläre,878 so ließe sich dieser Standpunkt nur aufrecht erhalten, wenn eine andere kollisionsrechtliche Lösung, die nicht zu einer Verweisung auf das Herkunftsland führt,
mit dem Beschränkungsverbot vereinbar wäre. Eine Verweisung auf ein anderes
Recht ist jedoch per se eine Beschränkung. Bei hohen Hürden, die zur Rechtfertigung einer Beschränkung genommen werden müssen, ist die Vereinbarkeit einer
solchen Verweisung mit dem Beschränkungsverbot ein Ausnahmefall. Greift das
Beschränkungsverbot879 durch, so ist von einer kollisionsrechtlichen Vorgabe der
Grundfreiheiten auszugehen.
Es ist zuzugeben, dass der kollisionsrechtliche Gehalt des Beschränkungsverbotes
aufgrund seines Anwendungsbereichs und des fortbestehenden Vorbehalts zwingender Gründe des Allgemeininteresses erhebliche Unschärfen mit sich bringt.880 Dies
ist jedoch als Preis dafür hinzunehmen, dass die Grundfreiheiten insofern eine „Katalysatorfunktion“ im unharmonisierten Bereich erfüllen.881
874 Vgl. insbesondere BASEDOW, RabelsZ 59 (1995), 1, 13; GRUNDMANN, RabelsZ 64 (2000),
457, 460; W. H. ROTH, GS Lüderitz, 635, 643 m.w.N.
875 BASEDOW, RabelsZ 59 (1995), 1, 12.
876 BASEDOW, RabelsZ 59 (1995), 1, 13.
877 BASEDOW, RabelsZ 59 (1995), 1, 13.
878 KOHLER, IPRax 2003, 401, 409: Neben Anknüpfungsverboten seien Anknüpfungspunkte
zweifelhaft; krit. hierzu GRUNDMANN, RabelsZ 64 (2000), 457, 460.
879 Und nicht etwa das Diskriminierungsverbot.
880 GRUNDMANN, RabelsZ 64 (2000), 457, 462.
881 GRUNDMANN, RabelsZ 64 (2000), 457, 462.
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References
Zusammenfassung
Mit der Untersuchung der Parteifähigkeit erörtert der Autor grundsätzliche Fragen des prozessualen und materiellen Gesellschaftsrechts und zeigt bestehende Brüche zwischen beiden Regelungsmaterien auf.
Die Parteifähigkeit wurde traditionell vor allem prozessrechtlich qualifiziert. Nach der Zuerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit an die Außen-GbR durch den BGH und den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs in den Verfahren Centros, Überseering und Inspire Art steht die hergebrachte Konzeption auf dem Prüfstand.
Diesen Befund nimmt der Autor zum Anlass und untersucht zunächst die Dogmatik der Parteifähigkeit anhand inländischer Sachverhalte. Nach einem rechtsvergleichenden Teil geht der Verfasser auf die Parteifähigkeit von Gebilden mit ausländischem Personalstatut ein und diskutiert insbesondere die so genannte Scheinauslandsgesellschaft. Darüber hinaus wird die gemeinschaftsrechtliche Dimension der Parteifähigkeit erörtert.