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holdern getreten ist. Gerade die Versagung der aktiven Parteifähigkeit begünstigt
vor allem die Schuldner der betroffenen Gesellschaft. Die mangelnde Geeignetheit
der Versagung der Rechtssubjektivität zeigt sich schon in der Notwendigkeit, ihre
strukturellen Defizite durch Ausklammerung der passiven Parteifähigkeit abzufedern. Die Trennung von aktiver und passiver Parteifähigkeit erweist sich als wenig
überzeugender Kunstgriff, der vor allem dann die Rechtsverfolgung erschwert, wenn
das Vermögen der Gesellschaft in Forderungen gegenüber Dritten besteht.
Die Sitztheorie ist durch die Annahme eines einheitlichen Gesellschaftsstatuts geprägt, der sog. Einheitslehre.861 Zum anderen ist die bisherige Versagung der
Rechtssubjektivität im Kontext der Lehre von der nicht rechtsfähigen Personengesellschaft zu sehen. Unter dem Eindruck dieser scheinbar unverrückbaren dogmatischen Eckpfeiler, konnte die Sitztheorie kein geeignetes Mittel darstellen, die
Schutzinteressen in allen Konstellationen zu befriedigen. Gleichwohl war aus ihrer
Perspektive der Ansatz auf der Ebene der Rechtssubjektivität zwingend.
Die Versagung der Rechts- und Parteifähigkeit ist somit abgesehen von präventiven Wirkungen kein geeignetes Mittel.
II. Erforderlichkeit
Die Versagung der Rechts- und Parteifähigkeit müsste darüber hinaus auch das mildeste Mittel sein. Gerade das Urteil des BGH vom 1.7.2000862 zeigt, dass die Sitztheorie nicht in ihrer ursprünglichen Strenge aufrechterhalten werden muss. In dieser
Entscheidung wird die in Streit stehende Gesellschaft als rechts- und parteifähige
Personengesellschaft deutschen Rechts behandelt. Diese Rechtsprechung erkennt,
dass die Schutzanliegen der Sitztheorie nicht unbedingt auf der Ebene der Rechtssubjektivität verfolgt werden müssen.
Im gemeinschaftsrechtlichen Kontext müssen jedoch vielmehr auch die einschlägigen Vorschriften des Gründungs- oder des Gemeinschaftsrechts in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einbezogen werden, die den bezeichneten Schutzzielen ebenfalls Rechnung tragen.863 Dabei ist es unschädlich, wenn andere Schutzmechanismen
eingesetzt werden.864 Hinsichtlich des Schutzniveaus ergibt sich aus der grundsätzlichen Gleichwertigkeit der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen, dass selbst eine
weniger effektive Methode des Gründungsrechts keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit rechtfertigen kann.865
861 Vgl. hierzu MüKo-KINDLER, IntGesR, Rz. 400.
862 BGH NJW 2002, 3539.
863 EIDENMÜLLER, JZ 2004, 24, 28.
864 SPINDLER/BERNER, RIW 2004, 7, 14.
865 Vgl. hierzu EuGH, Urt. v. 6.6.1996 Rs. C-101/94 (Kommision/Italien), Slg. 1996, I-2691,
2725, Tz. 17; so auch SPINDLER/BERNER, RIW 2004, 7, 14 und EIDENMÜLLER, JZ 2004, 24,
28. Eine Schutzlücke ist hier nur sehr eingeschränkt z.B. durch einen kollisionsrechtlichen
Normenmangel möglich.Vgl. EIDENMÜLLER, JZ 2004, 24, 28, der das Beispiel anführt, dass
der Gründungsstaat bestimmte Schutzanliegen nicht durch das Gesellschaftsrecht, sondern
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Die Versagung der Rechts- und Parteifähigkeit kommt darüber hinaus einer Negation der Freiheiten gleich.866 Es wäre widersprüchlich, die Beschränkung in so
umfassender Weise zu rechtfertigen, nachdem vorher ihre Anwendung unter dem
Aspekt des nur durch die Harmonisierung begrenzten Systemwettbewerbs bejaht
wurde. Die Versagung der Rechts- und Parteifähigkeit ist somit jedenfalls unverhältnismäßig.
III. Zwischenergebnis
Eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit kann zwar durch zwingende Gründe
des Allgemeinwohls gerechtfertigt werden. Als solche zwingende Gründe sind der
Gläubigerschutz, der Schutz der Minderheitsgesellschafter und der Arbeitnehmerschutz anerkannt. Die Versagung der Rechts- und Parteifähigkeit ist aber teilweise
schon nicht geeignet, jedenfalls aber unverhältnismäßig, diese Schutzanliegen zu
verfolgen. Die darin liegende Beschränkung der Niederlassungsfreiheit ist daher
nicht gerechtfertigt.
H. Der Verpflichtungsgehalt der Niederlassungsfreiheit
Nachdem geklärt wurde, dass sich die früher als „Scheinauslandsgesellschaft“ eingestuften Gesellschaften auf die Niederlassungsfreiheit berufen können, stellt sich
die Frage, ob der Niederlassungsfreiheit ein kollisionsrechtlicher Verpflichtungsgehalt hinsichtlich der Rechts- und Parteifähigkeit entnommen werden kann. Der
Grund für die kontroverse Diskussion um den Einfluss der Grundfreiheiten auf das
mitgliedstaatliche Kollisionsrecht ist wohl zu einem großen Teil in den widersprüchlichen Standpunkten zur Funktion der Freiheiten und der daraus folgenden streitigen
Abgrenzung zwischen Beschränkungs- und Diskriminierungsverbot zu suchen.867 Es
sollen daher kurz die Prämissen, die sich aus der bisherigen Untersuchung ergeben
haben, rekapituliert werden.
Bei der Rechts- und Parteifähigkeit handelt es sich um einen unharmonisierten
Bereich. Der Niederlassungsfreiheit wurde oben für den Bereich des Gesellschaftsrechts die Funktion entnommen, den Systemwettbewerb im unharmonisierten Bereich zu fördern. Dies bedingt die Annahme eines Beschränkungsverbots.
Auf dieser Grundlage stellt sich demnach die Frage, welche Rolle das Kollisionsrecht bei einer Beschränkung der Grundfreiheiten spielt. Hieraus lassen sich
durch das Insolvenzrecht abdeckt. Im Insolvenzrecht aber gelte gem. Art. 4 Abs. 1 EuInsVO
das lex fori-Prinzip.
866 EuGH, Urt. v. 5.11.2002 Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9971, Tz. 81.
867 Vgl. insoweit zum „Anerkennungsprinzip“ im sekundären Gemeinschaftsrecht: JAYME/
KOHLER, IPRax 2001, 501, 502.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Mit der Untersuchung der Parteifähigkeit erörtert der Autor grundsätzliche Fragen des prozessualen und materiellen Gesellschaftsrechts und zeigt bestehende Brüche zwischen beiden Regelungsmaterien auf.
Die Parteifähigkeit wurde traditionell vor allem prozessrechtlich qualifiziert. Nach der Zuerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit an die Außen-GbR durch den BGH und den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs in den Verfahren Centros, Überseering und Inspire Art steht die hergebrachte Konzeption auf dem Prüfstand.
Diesen Befund nimmt der Autor zum Anlass und untersucht zunächst die Dogmatik der Parteifähigkeit anhand inländischer Sachverhalte. Nach einem rechtsvergleichenden Teil geht der Verfasser auf die Parteifähigkeit von Gebilden mit ausländischem Personalstatut ein und diskutiert insbesondere die so genannte Scheinauslandsgesellschaft. Darüber hinaus wird die gemeinschaftsrechtliche Dimension der Parteifähigkeit erörtert.