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des Systemwettbewerbs wesensimmanent, Regelungsgefälle zwischen den verschiedenen Mitgliedstaaten auszunützen. Es bleibt darauf hinzuweisen, dass dies
nach der hier vertretenen Auffassung nur solange gilt, wie keine Harmonisierung
stattgefunden hat.
IV. Eingeschränkter Anwendungsbereich des Instituts des Rechtsmissbrauchs
Ein darüber hinaus gehender Rechtsmissbrauch der Freiheiten, ganz gleich, ob man
dieses Institut auf der Tatbestands- oder Rechtfertigungsebene ansiedelt,848 ist auf
eklatante Einzelfälle beschränkt. Vorschriften, die sich einer „generell-abstrakten
Wertung“849 bedienen, um bestimmte Verhaltensweisen als missbräuchlich einzustufen, sind in ihrem Anwendungsbereich viel zu breit angelegt, als dass sie von dem
gemeinschaftsrechtlichen Institut des Rechtsmissbrauchs ganz gedeckt wären. Es
bedarf vielmehr punktueller Einzelregelungen.850
V. Zwischenergebnis
An dem Erfordernis des grenzüberschreitenden Elements ist festzuhalten. Nur bei
dessen Vorliegen ist der sachliche Anwendungsbereich der Freiheiten gegeben. Vom
Einwand der missbräuchlichen Berufung auf die Grundfreiheiten unterscheidet sich
dieser Prüfungsschritt dadurch, dass durch ihn der Anwendungsbereich erst eröffnet
und nicht nachträglich korrigiert wird. Subjektive Elemente spielen bei der Prüfung
des grenzüberschreitenden Elements keine Rolle. Den Grundfreiheiten liegt im unharmonisierten Bereich das Prinzip des Wettbewerbs der Rechtsordnungen zugrunde. Daraus folgt, dass schon vor der Prüfung eines Missbrauchs das grenzüberschreitende Element durch die Gründung und den Satzungssitz in einem anderen
Mitgliedstaat gegeben ist. Hierbei ist nur auf die Gesellschaft als eigenständiger
Träger der Niederlassungsfreiheit abzustellen. Das Institut des Rechtsmissbrauchs
ist auf eklatante Einzelfälle beschränkt. Es ist keinen generell-abstrakten Wertungen
zugänglich.
848 Vgl. zur Kontroverse um Innen- bzw. Außentheorie: FLEISCHER, JZ 2003, 867, 871.
849 EuGH, Urt. v. 9.3.1999 Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459, Tz. 117.
850 Trotzdem verbleibt dem Rechtsmissbrauch neben der Prüfung eines grenzüberschreitenden
Elements noch ein selbständiges Anwendungsgebiet. Beispielhaft kann hier ein Fall des AG
Hamburg („Vierländer Bau-Union Ltd.“ BB 2003, 1457f.) angeführt werden. Ein Unternehmer und seine Ehefrau hatten in Großbritannien eine englische Limited mit 100 englischen ?
gegründet, die dort jedoch nie eine geschäftliche Tätigkeit aufnahm. Im selben Zeitraum
wurde parallel eine GmbH in Hamburg errichtet. In der Folge wurden sämtliche Verbindlichkeiten bei der englischen Limited begründet, während alle Forderungen der GmbH zuwuchsen. Auf Antrag des Gläubigers der englischen Limited entschied das AG Hamburg unter Berufung auf die Missbrauchs-Rechtsprechung des EuGH, die Gesellschafter könnten
sich nicht auf ihre Haftungsbeschränkung berufen.
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References
Zusammenfassung
Mit der Untersuchung der Parteifähigkeit erörtert der Autor grundsätzliche Fragen des prozessualen und materiellen Gesellschaftsrechts und zeigt bestehende Brüche zwischen beiden Regelungsmaterien auf.
Die Parteifähigkeit wurde traditionell vor allem prozessrechtlich qualifiziert. Nach der Zuerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit an die Außen-GbR durch den BGH und den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs in den Verfahren Centros, Überseering und Inspire Art steht die hergebrachte Konzeption auf dem Prüfstand.
Diesen Befund nimmt der Autor zum Anlass und untersucht zunächst die Dogmatik der Parteifähigkeit anhand inländischer Sachverhalte. Nach einem rechtsvergleichenden Teil geht der Verfasser auf die Parteifähigkeit von Gebilden mit ausländischem Personalstatut ein und diskutiert insbesondere die so genannte Scheinauslandsgesellschaft. Darüber hinaus wird die gemeinschaftsrechtliche Dimension der Parteifähigkeit erörtert.