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sachrechtliches Lokalisationsgebot auszulegen. Dies schließt einen kollisionsrechtlichen Gehalt der anderen, ersten Voraussetzung des Art. 48 Abs. 1 EGV nicht aus.
Wenn der EuGH daher formuliert, die Kriterien der zweiten Voraussetzung dienten
dem Zweck, die Zugehörigkeit des Verbandes zur „Rechtsordnung eines Mitgliedstaates“815 zu bestimmen, so ist dies nicht im Sinne einer Zuweisung des Verbandes
zu einem einzelnen Mitgliedstaaten zu verstehen. Vielmehr handelt es sich um das
Erfordernis einer örtlichen Verbindung zu mindestens einem Mitgliedstaat.816
III. Zwischenergebnis
Unter dem Begriff der „Gesellschaft“ im Sinne des Art. 48 EGV fallen nur solche
Gebilde, die als materielle Rechtsträger fungieren und die somit über die Rechtsfähigkeit verfügen.
Die erste Voraussetzung des Art. 48 Abs. 1 EGV enthält eine Sachrechtsverweisung. Die erste Voraussetzung wird durch die zweite Voraussetzung begrenzt, der
ein sachrechtliches Lokalisationsgebot innewohnt.
Die Gesellschaft wird Subjekt der Niederlassungsfreiheit in derjenigen Ausgestaltung, die sie durch das von den Gründern gewählte Recht bekommen hat.
Damit wird jedoch noch nicht das mitgliedstaatliche Recht modifiziert.817
Art. 48 EGV definiert lediglich den persönlichen Geltungsbereich der Freiheiten.818
Erst die Freiheiten selbst können u.U. einen Verpflichtungsgehalt gegenüber dem
mitgliedstaatlichen Recht entfalten.819
Subjekt der Niederlassungsfreiheit wird die „Scheinauslandsgesellschaft“ also in
der Gestalt, die sie durch das europarechtlich zu bestimmende Heimatrecht bekommen hat.
E. Interner Sachverhalt und Rechtsmissbrauch
Neben dem personellen Anwendungsbereich muss auch der sachliche Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit eröffnet sein. Bei den hier zu untersuchenden
Konstellationen kann es vorkommen, dass die in Frage stehende Gesellschaft neben
der Inanspruchnahme des ausländischen mitgliedstaatlichen Gesellschaftsrechts keinerlei Anknüpfungspunkte zu anderen ausländischen Mitgliedstaaten aufweisen. Im
Zentrum des Interesses stehen hier aber nicht nur Gesellschaften, die von Anfang an
815 EuGH Urt. v. 30.09.2003 Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10224,Tz. 97 (= RIW
2003, 957, 959); EuGH, Urt. v. 9.3.1999 Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459, Tz. 20;
EuGH, Urt. v. 28.01.1986 Rs. 79/85 (Segers), Slg. 1986, 2375, Tz. 18.
816 I.E. auch JESTÄDT, Niederlassungsfreiheit, S. 88
817 G/H-RANDELZHOFER/FORSTHOFF, EGV, Art. 48, Rz. 27.
818 EuGH Urt. v. 17.6.1997 Rs. C-70/95 (Sodemare), Slg. 1997, I-3395, 3422, Tz. 25.
819 Ebenso G/H-RANDELZHOFER/FORSTHOFF, EGV, Art. 48, Rz. 26.
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References
Zusammenfassung
Mit der Untersuchung der Parteifähigkeit erörtert der Autor grundsätzliche Fragen des prozessualen und materiellen Gesellschaftsrechts und zeigt bestehende Brüche zwischen beiden Regelungsmaterien auf.
Die Parteifähigkeit wurde traditionell vor allem prozessrechtlich qualifiziert. Nach der Zuerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit an die Außen-GbR durch den BGH und den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs in den Verfahren Centros, Überseering und Inspire Art steht die hergebrachte Konzeption auf dem Prüfstand.
Diesen Befund nimmt der Autor zum Anlass und untersucht zunächst die Dogmatik der Parteifähigkeit anhand inländischer Sachverhalte. Nach einem rechtsvergleichenden Teil geht der Verfasser auf die Parteifähigkeit von Gebilden mit ausländischem Personalstatut ein und diskutiert insbesondere die so genannte Scheinauslandsgesellschaft. Darüber hinaus wird die gemeinschaftsrechtliche Dimension der Parteifähigkeit erörtert.