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E. Materiellrechtliche Qualifikation der Parteifähigkeit und ihre Konsequenzen für
das Kollisionsrecht
Das Kollisionsrecht erweist sich als Prüfstein für die prozessrechtliche oder materiellrechtliche Qualifikation der Parteifähigkeit, denn hierbei handelt es sich gleichzeitig um die Auslegung von Verweisungsnormen.746 Bisher wurde die Parteifähigkeit vor allem prozessrechtlich qualifiziert.747 Vor dem Hintergrund der Ergebnisse
des ersten Teils drängt sich jedoch eine materiellrechtliche Qualifikation auf. Dies
hätte zur Konsequenz, dass für die Bestimmung der Parteifähigkeit kollisionsrechtlich (ausschließlich) auf das Rechtsfähigkeitsstatut verwiesen würde.
Im kollisionsrechtlichen Kontext ist daher noch einmal auf das telos der Parteifähigkeit einzugehen. Dabei sind die Fernwirkungen der sachrechtlichen Ebene für das
Kollisionsrecht zu betrachten. Sodann ist auf die Unterschiede zu den verfahrenskollisionsrechtlichen Ansätzen unter einer verfahrensrechtlichen Qualifikation einzugehen. Schließlich muss sich die vorgeschlagene Regel auch bei solchen Gebilden bewähren, bei denen die Rechts- und Parteifähigkeit nach ihrem Heimatrecht
divergiert.
I. Telos des Instituts der Parteifähigkeit und daraus folgende kollisionsrechtliche
Konsequenzen
Schon der erste Teil dieser Untersuchung führte zum Ergebnis, dass die Parteifähigkeit bei ihrer prozessualen Qualifikation eine besondere Aufgabe in einem abgestuften Sanktionssystem zur Sicherung des Systems der Normativbestimmungen einnimmt. Sie flankiert die materiellrechtliche Versagung der Rechtsfähigkeit, mildert
die Versagung der Parteifähigkeit jedoch aus Rechtsschutzgründen im Prozess teilweise ab. Diese Wirkungsweise wird in das prozessuale Begründungstopos der „Sicherstellung der Publizität der Verfahrenssubjekte“ eingekleidet.
Im kollisionsrechtlichen Kontext findet sich die Fortsetzung dieser Anschauung,
indem auch hier der Gedanke einer Zweiteilung der Parteifähigkeit in einen materiellrechtlich akzessorischen Teil und einen rein prozessrechtlichen Bereich zugrunde gelegt wird. Die verfahrenskollisionsrechtlichen Ansätze sind explizit darauf gerichtet, die Sitztheorie abzustützen und gleichzeitig deren Folgen abzufedern. Der
materiellrechtlich akzessorische Bereich der Parteifähigkeit deckt hierbei die juristischen Personen ab, bei denen die Sicherstellung der Publizität des Verfahrenssubjekts als gegeben erscheint. Der genuin prozessuale Aspekt der Parteifähigkeit dient
daraufhin zur Relativierung einer zu restriktiv empfundenen Einschränkung der Sub-
746 BASEDOW, Qualifikation, S. 131, 136.
747 Vgl. S. 29f.
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jektivität rechtlicher Gebilde. Bei der Bestimmung des Parteifähigkeitsstatuts dürfe
es zu keinen „Widersprüchen zwischen IPR und IZPR“ kommen.748
Wie die Rechtsprechung zur „Scheinauslandsgesellschaft“ zeigt, ist diese Prämisse mit der Abkehr von der Sitztheorie und der ihr immanenten Sanktionierung auf
der Ebene der Rechtssubjektivität weggefallen. Den vormals als inländisch eingestuften „Scheinauslandsgesellschaften“ wird nun ein ausländisches Personalstatut
zugestanden. Gleichzeitig wird ihre Rechtsfähigkeit anerkannt. Für die Parteifähigkeit bedeutet dies, dass es wieder zu einem Gleichlauf von Rechts- und Parteifähigkeit kommen kann und kommen muss. Es wird offensichtlich, dass die Parteifähigkeit nicht in ihrem „genuin prozessrechtlichen Bereich“ betroffen ist.
Die Ablehnung einer genuin im Prozessrecht verankerten Parteifähigkeit und die
Betonung des im ersten Teil der Untersuchung herausgearbeiteten telos, dass die
Parteifähigkeit immer das Vorliegen eines rechtsfähigen Subjektes als Zurechnungsendpunkt im Prozess sicherstellt, führt zur Notwendigkeit einer kollisionsrechtlichen
Regelung, die den Gleichlauf zwischen Rechts- und Parteifähigkeit sicherstellt. Eine
materiellrechtliche Qualifikation der Parteifähigkeit unterstreicht die Untrennbarkeit
von Rechts- und Parteifähigkeit. Sie zeigt gleichzeitig auf, dass die Parteifähigkeit
mit derselben Kollisionsnorm wie die Rechtsfähigkeit bestimmt werden muss.
II. Abgrenzung zu den verfahrenskollisionsrechtlichen Ansätzen unter einer
verfahrensrechtlichen Qualifikation
Die Diskussion um ein eigenständiges Verfahrenskollisionsrecht hat gezeigt, dass
sich materielles und prozessuales Recht an seinen Nahtstellen nicht eindeutig von
einander trennen lässt. Die Unterscheidung sei „fließend“.749 Eine gesamtheitliche
Berücksichtigung des Komplexes aus materiellen Normen und den mit ihnen verflochtenen verfahrensrechtlichen Regelungen diene der internationalen Entscheidungsharmonie und befördere die Anerkennung inländischer Urteile im Ausland.750
Außerdem lassen sich rechtspolitische Ziele sowohl durch das materielle Recht als
auch durch das Verfahrensrecht realisieren. Es besteht oft eine rechtstechnische Austauschbarkeit von materiellem und prozessualem Recht.751 Es ergibt sich das Bedürfnis der „funktionalen Einheit einer rechtlichen Institution“752 kollisionsrechtlich
Rechnung zu tragen, wenn sie ansonsten durch die Grenzziehung zwischen materiellem und prozessualem Recht zerschnitten würde. Das Trennungsdenken753 mit sei-
748 FURTAK, Parteifähigkeit, S. 168.
749 GRUNSKY, ZZP 89 (1976), 246; DÖLLE, RabelsZ 27 (1962/63), 228; SCHLOSSER, Gestaltungsklagen, S. 304; GEIMER, IZPR, Rz. 54.
750 GEIMER, IZPR, Rz. 55.
751 GEIMER, IZPR, Rz. 56.
752 GEIMER, IZPR, Rz. 57.
753 Zum Trennungsdenken vgl. JAECKEL, lex fori, S. 53; für eine Rückbesinnung auf das materielle Recht: HENCKEL, Prozessrecht, S. 253ff., 355ff.; ZÖLLNER, AcP 190 (1990), S. 471,
474. Allgemein hat sich die Grundregel herausgebildet, dass das Privatrecht das „Bestehen,
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References
Zusammenfassung
Mit der Untersuchung der Parteifähigkeit erörtert der Autor grundsätzliche Fragen des prozessualen und materiellen Gesellschaftsrechts und zeigt bestehende Brüche zwischen beiden Regelungsmaterien auf.
Die Parteifähigkeit wurde traditionell vor allem prozessrechtlich qualifiziert. Nach der Zuerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit an die Außen-GbR durch den BGH und den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs in den Verfahren Centros, Überseering und Inspire Art steht die hergebrachte Konzeption auf dem Prüfstand.
Diesen Befund nimmt der Autor zum Anlass und untersucht zunächst die Dogmatik der Parteifähigkeit anhand inländischer Sachverhalte. Nach einem rechtsvergleichenden Teil geht der Verfasser auf die Parteifähigkeit von Gebilden mit ausländischem Personalstatut ein und diskutiert insbesondere die so genannte Scheinauslandsgesellschaft. Darüber hinaus wird die gemeinschaftsrechtliche Dimension der Parteifähigkeit erörtert.