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XI. Konsequenzen für die Bestimmung der Parteifähigkeit bei
Auslandssachverhalten
Unter Geltung der Sitztheorie wurden Psuedo-foreign corporations als inländische
Gebilde betrachtet. Die Bestimmung der Parteifähigkeit konnte daher wie bei jedem
anderen inländischen Gebilde vorgenommen werden. Natürlich wären unter Bezugnahme auf die prozessrechtliche Eigenständigkeit der Parteifähigkeit z.B. bei einem
verfahrenskollisionrechtlichen Ansatz andere Anknüpfungspunkte denkbar gewesen,
wie etwa das Gründungsstatut oder allgemeiner das „Organisationsverleihungsrecht,
also das Recht, welches einer Vereinigung originär selbständige Zuordnungssubjektivität und Verkehrsfähigkeit im Sinne der Fähigkeit verleiht, vor Gericht klagen und
verklagt werden zu können“.743 Dies hätte jedoch zu einem Wertungswiderspruch
zwischen IPR und IZPR geführt. Der Sanktionscharakter der Sitztheorie wäre vom
IZPR durch die Zuerkennung der aktiven Parteifähigkeit an Pseudo-foreign corporations unterlaufen worden.744 Alle Ansätze mussten also bisher den Sanktionscharakter der Sitztheorie beachten.
Lässt man die besprochenen Urteile Revue passieren, so lässt sich zunächst eine
Entwicklung von einem rechtlichen nullum, dem trotzdem (!) die passive Parteifähigkeit zuerkannt wurde, hin zu einer rechtsfähigen deutschen Gesamthandsgesellschaft mit sowohl aktiver als auch passiver Parteifähigkeit ausmachen. Einen Schritt
weiter geht das Überseering-Urteil des BGH. Es stuft die in Frage stehenden Gebilde als ausländische juristische Personen ein. Freilich geht der BGH in seinem Überseering-Urteil vom lex-fori-Prinzip aus, was im Grundsatz auf eine prozessuale Deutung der Parteifähigkeit hinweist. Andererseits kann den angeführten Urteilen aber
im Ergebnis ein Gleichlauf von Rechts- und Parteifähigkeit entnommen werden.
Wenn auch keine explizite Entscheidung des BGH für eine materiellrechtliche Qualifikation der Parteifähigkeit erfolgte, so kann doch festgehalten werden, dass dem
Schutz des inländischen Systems der Normativbestimmungen im Anwendungsbereich gemeinschaftsrechtlichen und staatsvertraglichen Niederlassungsfreiheit durch
das Institut der Parteifähigkeit keine Bedeutung mehr zukommt.745Auch im Verhältnis zu Drittstaaten zeichnet sich eine vergleichbare Tendenz ab. Ist nunmehr im IPR
eine Entwicklung in Richtung Gründungstheorie sichtbar, führt dies dazu, dass die
bisherigen Lösungsansätze des IZPR in ihren Prämissen erschüttert wurden und deshalb auf dem Prüfstand stehen.
743 FURTAK, Parteifähigkeit, S. 168.
744 Ebenso FURTAK, Parteifähigkeit, S. 168, der sich jedoch zusätzlich darauf beruft, dass ansonsten eine „Überbetonung der Eigenständigkeit der Parteifähigkeit“ eintreten würde.
745 I.E. ähnlich auch die Stellungnahmen von HESS, ZZP 117 (2004), 267, 298 und WAGNER,
ZZP 117 (2004), 305, 368.
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E. Materiellrechtliche Qualifikation der Parteifähigkeit und ihre Konsequenzen für
das Kollisionsrecht
Das Kollisionsrecht erweist sich als Prüfstein für die prozessrechtliche oder materiellrechtliche Qualifikation der Parteifähigkeit, denn hierbei handelt es sich gleichzeitig um die Auslegung von Verweisungsnormen.746 Bisher wurde die Parteifähigkeit vor allem prozessrechtlich qualifiziert.747 Vor dem Hintergrund der Ergebnisse
des ersten Teils drängt sich jedoch eine materiellrechtliche Qualifikation auf. Dies
hätte zur Konsequenz, dass für die Bestimmung der Parteifähigkeit kollisionsrechtlich (ausschließlich) auf das Rechtsfähigkeitsstatut verwiesen würde.
Im kollisionsrechtlichen Kontext ist daher noch einmal auf das telos der Parteifähigkeit einzugehen. Dabei sind die Fernwirkungen der sachrechtlichen Ebene für das
Kollisionsrecht zu betrachten. Sodann ist auf die Unterschiede zu den verfahrenskollisionsrechtlichen Ansätzen unter einer verfahrensrechtlichen Qualifikation einzugehen. Schließlich muss sich die vorgeschlagene Regel auch bei solchen Gebilden bewähren, bei denen die Rechts- und Parteifähigkeit nach ihrem Heimatrecht
divergiert.
I. Telos des Instituts der Parteifähigkeit und daraus folgende kollisionsrechtliche
Konsequenzen
Schon der erste Teil dieser Untersuchung führte zum Ergebnis, dass die Parteifähigkeit bei ihrer prozessualen Qualifikation eine besondere Aufgabe in einem abgestuften Sanktionssystem zur Sicherung des Systems der Normativbestimmungen einnimmt. Sie flankiert die materiellrechtliche Versagung der Rechtsfähigkeit, mildert
die Versagung der Parteifähigkeit jedoch aus Rechtsschutzgründen im Prozess teilweise ab. Diese Wirkungsweise wird in das prozessuale Begründungstopos der „Sicherstellung der Publizität der Verfahrenssubjekte“ eingekleidet.
Im kollisionsrechtlichen Kontext findet sich die Fortsetzung dieser Anschauung,
indem auch hier der Gedanke einer Zweiteilung der Parteifähigkeit in einen materiellrechtlich akzessorischen Teil und einen rein prozessrechtlichen Bereich zugrunde gelegt wird. Die verfahrenskollisionsrechtlichen Ansätze sind explizit darauf gerichtet, die Sitztheorie abzustützen und gleichzeitig deren Folgen abzufedern. Der
materiellrechtlich akzessorische Bereich der Parteifähigkeit deckt hierbei die juristischen Personen ab, bei denen die Sicherstellung der Publizität des Verfahrenssubjekts als gegeben erscheint. Der genuin prozessuale Aspekt der Parteifähigkeit dient
daraufhin zur Relativierung einer zu restriktiv empfundenen Einschränkung der Sub-
746 BASEDOW, Qualifikation, S. 131, 136.
747 Vgl. S. 29f.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Mit der Untersuchung der Parteifähigkeit erörtert der Autor grundsätzliche Fragen des prozessualen und materiellen Gesellschaftsrechts und zeigt bestehende Brüche zwischen beiden Regelungsmaterien auf.
Die Parteifähigkeit wurde traditionell vor allem prozessrechtlich qualifiziert. Nach der Zuerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit an die Außen-GbR durch den BGH und den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs in den Verfahren Centros, Überseering und Inspire Art steht die hergebrachte Konzeption auf dem Prüfstand.
Diesen Befund nimmt der Autor zum Anlass und untersucht zunächst die Dogmatik der Parteifähigkeit anhand inländischer Sachverhalte. Nach einem rechtsvergleichenden Teil geht der Verfasser auf die Parteifähigkeit von Gebilden mit ausländischem Personalstatut ein und diskutiert insbesondere die so genannte Scheinauslandsgesellschaft. Darüber hinaus wird die gemeinschaftsrechtliche Dimension der Parteifähigkeit erörtert.