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D. Die Scheinauslandsgesellschaft
I. Überblick
Die Lehre von der Scheinauslandsgesellschaft, die auch „Pseudo-foreign corporation“ oder seltener „Paper corporation“ genannt wird, wurde in den USA als Korrektur bzw. Einschränkung der Gründungstheorie entwickelt.670 Nach ihr sollen Gesellschaften, die ihre Tätigkeit ausschließlich oder hauptsächlich in einem anderen als
dem Inkorporationsstaat entfalten, zumindest teilweise dem Recht des betreffenden
Einzelstaates unterworfen werden können.671 Der Begriff der Scheinauslandsgesellschaft birgt dabei verschiedene Unschärfen in sich. LATTY stellt jeweils auf die konkrete gesetzgeberische Zielsetzung ab,672 während die überwiegende Ansicht Gesellschaften meint, die zwar in einem Staat inkorporiert sind, ihren tatsächlichen Sitz
jedoch in einem anderen Staat haben, in dem sie gleichzeitig auch (fast) ausschließlich tätig sind.673 Das Problem der Scheinauslandsgesellschaft tritt in diesem krassen
Ausmaß nur unter der Gründungstheorie auf, da es hier zu einer „völligen Inkongruenz der betroffenen Rechtsordnungen einerseits und des anwendbaren Rechts andererseits“674 kommen kann.
Aus der Perspektive der im deutschen Internationalen Gesellschaftsrecht jedenfalls bis vor kurzem herrschenden Sitztheorie675 stellt sich das Problem der Scheinauslandsgesellschaft anders dar. Hier definiert sich die Scheinauslandsgesellschaft
als eine Gesellschaft, die als Gesellschaft ausländischen Rechts auftritt, dies aber aus
der Sicht der inländischen Rechtsordnung gar nicht ist.676 Es handelt sich um einen
Fall des „Handelns unter falschem Recht“.677 Es ist dieses Begriffsverständnis der
Scheinauslandsgesellschaft, auf das in dieser Untersuchung Bezug genommen wird.
II. Die Sitztheorie als kollisionsrechtlicher Mechanismus zur Durchsetzung des
Systems der Normativbestimmungen
Der entscheidende Unterschied zwischen Gründungs- und Sitztheorie ist die „automatische Sanktion der Versagung der Rechtsfähigkeit“678, wenn die relevanten
Gründungsvoraussetzungen des Sitzstaates nicht erfüllt sind. Die Sitztheorie setzt im
670 Grundlegend LATTY, 65 Yale L.J. (1955) 137; vgl. auch KIENINGER, Wettbewerb, S. 109.
671 KIENINGER, Wettbewerb, S. 109.
672 LATTY, 65 Yale L.J. (1955) 137, 161ff.
673 KAPLAN, 21 Vanderbilt Law Journal 433, 438; REESE/KAUFMANN, Colum.L.Rev. 1118,
1126 (1958); vgl. auch ZIMMER, IntGesR, S. 218f.
674 ZIMMER, IntGesR, S. 219.
675 Vgl. MüKo-KINDLER, IntGesR, Rz. 338 m.w.N.
676 LEIBLE/HOFFMANN, DB 2002, 2203; MüKo-KINDLER, IntGesR, Rz. 464.
677 MüKo-KINDLER, IntGesR, Rz. 464; Staudinger-GROßFELD, IntGesR, Rz. 426.
678 MüKo-KINDLER, IntGesR, Rz. 404.
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Gegensatz zur Gründungstheorie bei der Rechtsfähigkeit an, um Gebilde mit Auslandsbezug zu kontrollieren.679 Dies lässt sich folgendermaßen präzisieren.
In diesem Problemkomplex ist zwingend zwischen zwei Ebenen zu differenzieren, die jedoch nicht beziehungslos nebeneinander stehen. Zum einen handelt es sich
um die kollisionsrechtliche Ebene, auf der das anwendbare Personalstatut ermittelt
wird. Zum anderen ist die sachrechtliche Ebene zu nennen, auf der sich die Frage
entscheidet, welche Art von Gesellschaft vorliegt und welche Folgen dies für die
Rechtsfähigkeit hat.680 Daraus folgt, dass sich die Aberkennung der Rechtsfähigkeit
nicht aus dem Kollisionsrecht direkt ergibt, sie ist vielmehr immer die Folge der
Anwendung des materiellen Gesellschaftsrechts auf der sachrechtlichen Ebene.681
Gleichwohl wird auf der kollisionsrechtlichen Ebene eine Vorentscheidung getroffen, die die Bestimmung der Rechtsfähigkeit nachhaltig beeinflusst. Auf diese Weise
können Sachverhalte mit Auslandsbezug derart unterteilt werden, dass in Frage stehende Gebilde entweder nach inländischem oder ausländischem Gesellschaftsrecht
beurteilt werden. Die Sitztheorie sichert also die Schutz- und Durchsetzungsfunktion
des Sachrechts in Bezug auf das System der Normativbestimmungen kollisionsrechtlich ab.682
III. Folgerungen für die Parteifähigkeit der Scheinauslandsgesellschaften
Die Anhänger einer prozessualen Qualifikation der Parteifähigkeit sehen in ihr primär ein Instrument, um die Publizität der Verfahrenssubjekte durch Eintragung in
öffentliche Register zu gewährleisten. Es bestehe ein gesetzlicher Parteifähigkeitsvorbehalt und somit ein „umfassendes System der Parteifähigkeitsverleihung“.683
Dieser Funktionsumfang der Parteifähigkeit und die darin wurzelnde Sanktionierung
der mangelnden Registereintragung auch auf prozessualer Ebene muss also durch
das IZPR gewährleistet werden. Nur so ließe sich eine parallele Sanktionierung bei
Sachverhalten mit Scheinauslandsgesellschaften sicherstellen.684 Genauso wie bei
dem nichtsrechtsfähigen Verein, bei dem lediglich die passive Parteifähigkeit bejaht
wird, muss es dabei aber unweigerlich zum Zielkonflikt zwischen erleichterter
Rechtsdurchsetzung und Publizitätsprinzip kommen. Dies lässt sich durch das Urteil
des BGH vom 21.03.1986 illustrieren.
679 Staudinger-GROßFELD, IntGesR, Rz. 58.
680 Vgl. hierzu LEIBLE/HOFFMANN, DB 2002, 2203.
681 LEIBLE/HOFFMANN, DB 2002, 2203.
682 Staudinger-GROßFELD, IntGesR, Rz. 431.
683 Vgl.. S. 30.
684 Vgl. hierzu auch WAGNER, ZZP 117 (2004), 305, 364.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Mit der Untersuchung der Parteifähigkeit erörtert der Autor grundsätzliche Fragen des prozessualen und materiellen Gesellschaftsrechts und zeigt bestehende Brüche zwischen beiden Regelungsmaterien auf.
Die Parteifähigkeit wurde traditionell vor allem prozessrechtlich qualifiziert. Nach der Zuerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit an die Außen-GbR durch den BGH und den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs in den Verfahren Centros, Überseering und Inspire Art steht die hergebrachte Konzeption auf dem Prüfstand.
Diesen Befund nimmt der Autor zum Anlass und untersucht zunächst die Dogmatik der Parteifähigkeit anhand inländischer Sachverhalte. Nach einem rechtsvergleichenden Teil geht der Verfasser auf die Parteifähigkeit von Gebilden mit ausländischem Personalstatut ein und diskutiert insbesondere die so genannte Scheinauslandsgesellschaft. Darüber hinaus wird die gemeinschaftsrechtliche Dimension der Parteifähigkeit erörtert.