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sche Grundlage für die Einzelfragen, die aus einer etwaigen Trennung zwischen
Rechts- und Parteifähigkeit resultieren, konnte nicht ermittelt werden.
D. Frankreich
I. Überblick
Ein der Parteifähigkeit entsprechendes Institut des französischen Zivilprozessrechts
ist die capacité de jouissance als Unterkategorie der capacité d’ester en justice.501
Es muss jedoch hinzugefügt werden, dass in der französischen Terminologie gewisse Abschleifungen502 zu beobachten sind. Häufig wird der Begriff capacité de jouissance für die Rechtsfähigkeit im deutschen Sinne benutzt, während unter capacité
zumeist capacité d’exercice, d.h. die materielle Handlungs- bzw. prozessuale Prozessfähigkeit verstanden wird.503 Unter der prozessualen capacité de jouissance
wird, wie im deutschen Recht die Fähigkeit, Aktiv- oder Passivsubjekt eines Verfahrens sein zu können, verstanden.504
Die Ähnlichkeit der Begriffe des materiellen und prozessualen Rechts ist auch ein
erstes Indiz für die enge Beziehung zwischen Rechts- und Parteifähigkeit im französischen Recht. Grundsätzlich kommt nur rechtsfähigen Gebilden, den personnes morales, die prozessrechtliche capacité de jouissance zu. MOTULSKY beschreibt die
Beziehung der Parteifähigkeit zum übrigen Prozessrecht folgendermaßen: „Die Parteifähigkeit ist notwendige Vorbedingung für die Eröffnung des Rechtswegs. Sie ist
also dem Klagerecht und genauso der Ordnung [des Prozesses] logisch vorgelagert.“505 In der Rechtsprechung finden sich jedoch Urteile, die mit dieser Einschätzung brechen und den Grundsatz relativieren, dass nur rechtsfähigen Gebilden die
Parteifähigkeit zukommen kann.506
II. Rechtssubjektivität und personnalité juridique
Eben wurde festgestellt, dass grundsätzlich die Rechtssubjektivität in der Form der
personnalité juridique die Basis für die Zuerkennung der Parteifähigkeit bildet. Vor
501 SOLUS/PERROT, Droit judiciaire, Rz. 283ff.
502 FERID/SONNENBERGER, Französisches Zivilrecht, 1 D 4ff.
503 FERID/SONNENBERGER, Französisches Zivilrecht, 1 D 6.
504 „La droit de saisir les tribunaux“: BORÉ, Cassation, Rz. 541; SOLUS/PERROT, Droit judiciare, Rz. 287.
505 MOTULSKY, Droit processuel, S. 65: „En effet, la capacité de jouissance est nécessaire pour
ouvrir l’accès à la justice, elle est donc logiquement antérieure au droit d’action et même à
la regularité.“ Ihm folgend: VINCENT/GUINCHARD, Procédure, Rz. 51-1.
506 Cass. civ. 25.05.1887, S. 88.1.161, mit Anm. Lyon-Caen; Cass. req. 02.01.1894, S.
94.1.129, mit Anm. LYON-CAEN; Cass. civ. 24.3.1993, JCP 1993.IV.1337.
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References
Zusammenfassung
Mit der Untersuchung der Parteifähigkeit erörtert der Autor grundsätzliche Fragen des prozessualen und materiellen Gesellschaftsrechts und zeigt bestehende Brüche zwischen beiden Regelungsmaterien auf.
Die Parteifähigkeit wurde traditionell vor allem prozessrechtlich qualifiziert. Nach der Zuerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit an die Außen-GbR durch den BGH und den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs in den Verfahren Centros, Überseering und Inspire Art steht die hergebrachte Konzeption auf dem Prüfstand.
Diesen Befund nimmt der Autor zum Anlass und untersucht zunächst die Dogmatik der Parteifähigkeit anhand inländischer Sachverhalte. Nach einem rechtsvergleichenden Teil geht der Verfasser auf die Parteifähigkeit von Gebilden mit ausländischem Personalstatut ein und diskutiert insbesondere die so genannte Scheinauslandsgesellschaft. Darüber hinaus wird die gemeinschaftsrechtliche Dimension der Parteifähigkeit erörtert.