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Teil 2: Rechtsvergleichung
A. Einleitung
Im zweiten Teil dieser Untersuchung soll das Zusammenspiel von Rechts- und Parteifähigkeit bei Gesellschaften in den Rechtsordnungen der Schweiz, Österreichs
und Frankreichs untersucht werden. Die rechtsvergleichende Betrachtung soll dabei
vor allem der Überprüfung, der bisher gewonnenen Ergebnisse dienen.
Im deutschen Recht konkurrieren eine materielle und eine prozessuale Qualifikation der Parteifähigkeit, wobei im ersten Teil der materiellen Qualifikation der Vorzug gegeben wurde. Die prozessuale Qualifikation ging aus der engen Wechselbeziehung zum System der Normativbestimmungen hervor. Die Parteifähigkeit wird in
Dienst gestellt, das System der Normativbestimmungen abzustützen und somit auch
die Registerpublizität der Verfahrenssubjekte zu gewährleisten. Die daraus entstehenden Unzulänglichkeiten werden dann durch die restriktive Zuerkennung der Parteifähigkeit aus Rechtschutzgesichtspunkten ausgeglichen. Diese Auffassung und insbesondere die ihr eigene Differenzierung von aktiver und passiver Parteifähigkeit
wird normativ vor allem auf § 50 Abs. 2 ZPO gestützt.
§ 50 Abs. 2 ZPO ist ein deutscher Sonderweg, der nur vor seinem historischen
Hintergrund verständlich ist. In der Schweiz und in Österreich fehlt es häufig ganz
an einer positivrechtlichen Regelung der Parteifähigkeit.339 Ist also der Verweis auf
eine entsprechende Norm unmöglich, wird die (vermeintliche) Relevanz der angeführten „Grundsätze des Verfahrensrechts“340 bei der Bestimmung der Parteifähigkeit in stärkerem Maße freigelegt. Eine Diskrepanz von Rechts- und Parteifähigkeit
muss dann durch originär prozessuale Argumente begründet werden.
In allen zu untersuchenden Rechtsordnungen verfügen juristische Personen über
die Parteifähigkeit.341 Gibt es juristische Personen, die die Rechtspersönlichkeit nach
dem System der freien Körperschaftsbildung erlangen, so wird die Forderung nach
der Registerpublizität als Voraussetzung der Subjektivität auch im prozessrechtlichen Sinne relativiert. Es stellt sich daher die Frage, ob es für die Entstehung der juristischen Persönlichkeit immer der Registerpublizität des Gebildes bedarf. Anschließend sollen solche Gebilde näher beleuchtet werden, die gleichsam an der
339 Vgl. für die Schweiz: BK-BUCHER, ZGB, Art. 11, Rz. 31, KUMMER, Grundriss, S. 54 – so
fehlt eine positivrechtliche Regelung z.B. in den Zivilprozessordnungen der Kantone Zürich,
Basel Stadt und Basel Landschaft und Bern. In den Kantonen, in denen die Parteifähigkeit
eine positivrechtliche Regelung erfahren hat (z.B. § 47 ZPO Aargau oder Art. 38 ZPO St.
Gallen) wird nicht zwischen aktiver und passiver Parteifähigkeit unterschieden; vgl. für
Österreich: HOLZHAMMER, ÖZPR, S. 73.
340 K. SCHMIDT, NJW 1984, 2249ff.
341 BK-BUCHER, ZGB, Art. 11, Rz. 58-64 (Schweiz); HOLZHAMMER/ROTH, GesR, S. 9 (Österreich); TERRE/FENOUILLET, Droit civil: Personnes, Rz. 259ff. (Frankreich).
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Grenze zur Rechtspersönlichkeit stehen und bei denen in der Rechtspraxis der Bedarf an einem Rechtssubjekt auszumachen ist. Angesprochen sind hiermit auch die
im ersten Teil untersuchten Gebilde: Personengesellschaften, Kapitalgesellschaften
im Gründungsstadium und im Handelsregister trotz nicht abgeschlossener Liquidation gelöschte Kapitalgesellschaften.
Bei diesen Gebilden ist jeweils nach dem Vorliegen der Rechtsfähigkeit zu fragen, um danach betrachten zu können, in welcher Beziehung das gefundene Ergebnis zur Frage der Parteifähigkeit steht. Auch über diese Gebilde hinaus, sollen weitere Fälle der Divergenz zwischen Rechts- und Parteifähigkeit betrachtet werden.
B. Schweiz
I. Überblick
Auch im schweizerischen Zivilprozessrecht markiert das Institut der Parteifähigkeit
eine Nahtstelle zwischen materiellem und prozessualem Recht. Unter dem Begriff
der Parteifähigkeit wird die prozessuale Berechtigung verstanden, als Partei im Prozess aufzutreten.342 Sie konkretisiert ebenso den vorherrschenden formellen Parteibegriff.343 Im Gegensatz zum deutschen Recht ist das Institut der Parteifähigkeit jedoch gesetzlich nicht allgemein geregelt worden. So finden sich z.B. in den
Zivilprozessordnungen der Kantone Zürich344, Basel Stadt345, Basel Landschaft346
sowie Bern347 keine positivrechtliche Regelung der Parteifähigkeit. Im Ausgangspunkt sieht sowohl die Literatur als auch die Rechtsprechung einen Gleichlauf zwischen Rechtsfähigkeit und Parteifähigkeit. In der Literatur finden sich dementsprechend Formulierungen, die die Parteifähigkeit als prozessuales Analogon348 oder als
prozessuales Abbild der Rechtsfähigkeit349 bezeichnen. So lautet § 47 der ZPO Aargau schlicht „Parteifähig ist, wer rechtsfähig ist“.350 Es finden sich aber auch detailliertere Regelungen wie in Art. 38 der ZPO St. Gallen. Gem. § 38 ZPO St. Gallen ist
derjenige parteifähig, der „a) rechtsfähig ist;“ oder „b) kraft gesetzlicher Vorschriften in eigenem Namen Rechte geltend machen kann oder für Verpflichtungen einzustehen hat.“351
Die Trennungslinie zwischen prozessualem und materiellem Recht beeinflusste
bisher auch die Abgrenzung der Regelungskompetenz der Kantone und des Bundes.
342 GULDENER, Zivilprozessrecht, S. 125.
343 KUMMER, Grundriss, S. 54; STÄHELIN, Nebenparteien, S. 26.
344 FRANK/STRÄULI/MESSMER, ZPO Zürich, §§ 27/28, Rz. 1 u. 4ff.
345 STAEHELIN/SUTTEr, ZPR Basel, S. 77ff.
346 STAEHELIN/SUTTER, ZPR Basel, S. 77ff.
347 KELLERHALS/STERCHI, ZPO Bern, Art. 35, Rz. 1.a.
348 BK-BUCHER, ZGB, Art. 11, Rz. 31.
349 KUMMER, Grundriss, S. 54.
350 Vgl. BÜHLER/EDELMANN/KILLER, ZPO Aargau, § 47, Rz. 1ff.
351 Vgl. LEUENBERGER/UFFER-TOBLER, ZPO St. Gallen, Art. 38, Rz. 1ff.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Mit der Untersuchung der Parteifähigkeit erörtert der Autor grundsätzliche Fragen des prozessualen und materiellen Gesellschaftsrechts und zeigt bestehende Brüche zwischen beiden Regelungsmaterien auf.
Die Parteifähigkeit wurde traditionell vor allem prozessrechtlich qualifiziert. Nach der Zuerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit an die Außen-GbR durch den BGH und den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs in den Verfahren Centros, Überseering und Inspire Art steht die hergebrachte Konzeption auf dem Prüfstand.
Diesen Befund nimmt der Autor zum Anlass und untersucht zunächst die Dogmatik der Parteifähigkeit anhand inländischer Sachverhalte. Nach einem rechtsvergleichenden Teil geht der Verfasser auf die Parteifähigkeit von Gebilden mit ausländischem Personalstatut ein und diskutiert insbesondere die so genannte Scheinauslandsgesellschaft. Darüber hinaus wird die gemeinschaftsrechtliche Dimension der Parteifähigkeit erörtert.