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vollmundige Feststellung „die Parteifähigkeit werde mit dem Eintritt der materiellen
Rechtskraft zu einer Tatsache“ scheitern muss.
Die materielle Rechtskraft kann nur deshalb eintreten, weil sie Rechtssubjekte
(unterhalb der juristischen Person) vorfindet. Die Parteifähigkeit kann also nicht
Folge der materiellen Rechtskraft sein.338 Innerhalb der prozessrechtlichen Betrachtung der Parteifähigkeit handelt es sich lediglich um einen Fall, in dem die sonst
versagte Parteifähigkeit in beschränktem Maße doch wieder zugestanden wird. Diesen Kompromiss kann die materiellrechtliche Qualifikation nicht eingehen, da sie
von Anfang an allen existenten Gebilden die Parteifähigkeit einräumt bzw. belässt.
Mit WACH gesprochen, ist die existierende, aber parteiunfähige Partei aus der Sicht
der materiellrechtlichen Qualifikation der Parteifähigkeit eine „contradictio in
adiecto“.
IV. Zwischenergebnis
Die Parteifähigkeit ist das Bindeglied, das die Rechtsfähigkeit mit der materiellen
Rechtskraft verklammert. Dies ergibt sich aus der Fallgruppe der Urteile, die in Verkennung der Parteiunfähigkeit ergangen sind. Hier ist diese Verbindung unterbrochen. Dieser Zusammenhang wurde durch die abzulehnende Unterteilung in gänzlich inexistente und existente, aber parteiunfähige Gebilde vernebelt. Mit der
Ablehnung der prozessrechtlichen Qualifikation der Parteifähigkeit hat diese Differenzierung ihre Berechtigung verloren. Es wurde offenbar, dass die materielle
Rechtskraft keine Grundlage für die Parteifähigkeit schaffen kann. Die Lehre von
der Parteifähigkeit kraft materieller Rechtskraft wurde ohnehin nie auf inexistente
Gebilde angewandt. Das Verhältnis von Parteifähigkeit und materieller Rechtskraft
wurde hierdurch geradezu auf den Kopf gestellt. Die Parteifähigkeit ist vielmehr eine notwendige Voraussetzung, ohne die die materielle Rechtskraft nicht eintreten
kann.
L. Ergebnis des Ersten Teils
Mit der Einführung des § 50 Abs. 2 ZPO konnte sich der Parteifähigkeitsbegriff von
der Rechtsfähigkeit abkoppeln. Die prozessrechtliche Qualifikation der Parteifähigkeit geht von einer Abstraktion von Parteifähigkeit und Rechtsfähigkeit aus. Diese
Emanzipation der Parteifähigkeit, wurde auf spezifisch prozessuale Anforderungen,
338 Für PLANCK, Lehrbuch Bd. 1, S. 212 ist der Rechtsweg für und gegen die unparteifähige
Partei daher nicht nur unzulässig, sondern sogar unmöglich. Das rechtskräftige Urteil sei jedenfalls unausführbar, weil es Unmögliches vorschreibe. Wer civilrechtlich keine Rechte
haben könne, dem könnten solche auch nicht durch rechtskräftiges Urteil bei- oder aufgelegt
werden.
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an die Eigenschaft, Subjekt eines Prozesses sein zu können, gestützt. Vor allem die
Publizität des Verfahrenssubjekts steht im Mittelpunkt dieser Überlegungen.
Die materiellrechtliche Qualifikation der Parteifähigkeit, gründet auf der Vorstellung, dass die Parteifähigkeit das prozessrechtliche Äquivalent der Rechtsfähigkeit
darstellt. Es betont ein Konkordanzgebot zwischen materiellem Recht und Prozessrecht.
Die prozessrechtliche Qualifikation der Parteifähigkeit, die lange die Parteifähigkeitsdogmatik beherrschte, wurde insbesondere durch § 50 Abs. 2 ZPO geprägt.
§ 50 Abs. 2 ZPO wurde als Ausdruck eines Mechanismus zur Durchsetzung des
Systems der Normativbestimmungen verstanden, der die fehlende Eintragung des
nichtrechtsfähigen Vereins mit der Versagung der aktiven Parteifähigkeit sanktioniere. Die Durchsetzung des Systems der Normativbestimmungen ist ein prozessfremder Zweck. Wird der Mangel des Status einer juristischen Person mit der Versagung
der Subjektivität sanktioniert, so müsste ein Gleichlauf zwischen materiellem Recht
und Prozessrecht stattfinden. In materieller Hinsicht wird der nichtrechtsfähige Verein jedoch als Rechtsträger anerkannt. Der Status der juristischen Person erlangt materiellrechtlich nicht in der Frage der Rechtsfähigkeit, sondern vielmehr in der Frage
der Haftungs- und Außenhandlungskompetenz Bedeutung.
An dieser Stelle werden die Verbindungen zur zweiten Funktion, der Sicherstellung der Publizität der Verfahrenssubjekte, sichtbar. Die Sicherstellung der Publizität wird als genuin prozessrechtlicher Zweck aufgefasst. Sie ist bei Licht besehen,
jedoch nur das perpetuierte prozessrechtliche Seitenstück zur Durchsetzung des Systems der Normativbestimmungen. Sie erfüllt keinen Selbstzweck. Hinter ihr verbirgt
sich vielmehr die Fragestellung, welchen Grad der Identitätsausstattung und damit
der Verselbständigung die Zuerkennung der Parteifähigkeit bedarf.
Gegen das Erfordernis der Registerpublizität und damit gegen die prozessrechtliche Qualifikation der Parteifähigkeit spricht indes schon die aus dieser Perspektive
als Fiktion aufzufassende Zuerkennung der Parteifähigkeit aus Rechtsschutzerwägungen. Letztendlich handelt es sich hier nur um eine begrenzte Aufhebung der vorhergehenden Aberkennung der Parteifähigkeit. Die prozessrechtliche Qualifikation
der Parteifähigkeit erweist sich in ihren Beschränkungen als zu eng und erfordert
daher Korrekturen aus Rechtsschutzerwägungen. Die materiellrechtliche Sichtweise
kommt erst gar nicht in diesen Zielkonflikt und vermeidet so auch die in sich widersprüchlichen Lösungsversuche der prozessrechtlichen Qualifikation.
Auch die Beispiele der Vorgesellschaft und der als vermögenslos gelöschten Kapitalgesellschaft zeigen auf, dass die Publizität nicht eine conditio sine qua non für
die Zuerkennung der Parteifähigkeit darstellt. Hier lässt sich ein Gleichlauf zwischen Rechts- und Parteifähigkeit feststellen, der auf der Grundlage der prozessrechtlichen Qualifikation der Parteifähigkeit nicht schlüssig erklärt werden kann.
Dabei wird der ursprüngliche Konflikt zwischen Publizität und Rechtsschutzerwägungen verlassen. Die Versagung der Parteifähigkeit hat sich in diesen Fällen als
unverhältnismäßig erwiesen. Auch ohne Registereintragung ist in diesen Beispielen
von einer ausreichenden Identitätsausstattung auszugehen. Dieses Ergebnis knüpft
an die Lage vor Einführung des § 50 ZPO an. Die materiellrechtliche Qualifikation
der Parteifähigkeit ist somit vorzuziehen.
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Die materiellrechtliche Qualifikation der Parteifähigkeit lässt sich auch in die
Dogmatik der Parteibegriffs integrieren. Sie ist mit dem formellen Parteibegriff zu
vereinbaren. Dabei hilft die materiellrechtliche Qualifikation nicht nur über den
Funktionsumfang der Parteifähigkeit, sondern auch über denjenigen der Prozessführungsbefugnis Klarheit zu schaffen. Die Prozessführungsbefugnis muss nicht mehr
zur Überbrückung der durch die prozessrechtliche Interpretation der Parteifähigkeit
gerissenen Kluft zwischen materiellem und prozessualem Recht bemüht werden.
Dieser Aufgabe konnte die Prozessführungsbefugnis ohnehin nicht gerecht werden.
Unter der materiellrechtlichen Qualifikation ist das Institut der Parteifähigkeit eine Ausprägung der Justizgewährung. Ihr kommt eine Koordinierungsfunktion zu,
die eine sinnvolle Erstreckung der Verfahrensfolgen, d.h. insbesondere der Rechtskraft und Vollstreckung zum Gegenstand hat. Das Institut der Parteifähigkeit sorgt
also dafür, dass dem Prozessrecht immer ein rechtsfähiges Subjekt als Zurechnungsendpunkt zur Verfügung steht. Dieser Funktionsumfang befand sich unter der prozessrechtlichen Qualifikation der Parteifähigkeit in einem Zielkonflikt mit der
Durchsetzung des Systems der Normativbestimmungen und der aus ihr hervorgegangenen Sicherstellung von Publizität.
Hieraus folgt, dass die Parteifähigkeit als Bindeglied die Rechtsfähigkeit und die
materielle Rechtskraft verklammert. In der Analyse der Fallgruppe der Urteile, die in
Verkennung der Parteiunfähigkeit ergangen sind, hat sich dies bestätigt. Die Differenzierung zwischen existenten, aber parteiunfähigen Gebilden und gänzlich inexistenten Gebilden hat ihre Grundlage in der prozessrechtlichen Qualifikation der
Parteifähigkeit und ist daher ebenso abzulehnen. Die materielle Rechtskraft kann
keine Grundlage für die Parteifähigkeit schaffen. Vielmehr ist die Parteifähigkeit eine notwendige Voraussetzung, ohne die die materielle Rechtskraft nicht eintreten
kann.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Mit der Untersuchung der Parteifähigkeit erörtert der Autor grundsätzliche Fragen des prozessualen und materiellen Gesellschaftsrechts und zeigt bestehende Brüche zwischen beiden Regelungsmaterien auf.
Die Parteifähigkeit wurde traditionell vor allem prozessrechtlich qualifiziert. Nach der Zuerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit an die Außen-GbR durch den BGH und den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs in den Verfahren Centros, Überseering und Inspire Art steht die hergebrachte Konzeption auf dem Prüfstand.
Diesen Befund nimmt der Autor zum Anlass und untersucht zunächst die Dogmatik der Parteifähigkeit anhand inländischer Sachverhalte. Nach einem rechtsvergleichenden Teil geht der Verfasser auf die Parteifähigkeit von Gebilden mit ausländischem Personalstatut ein und diskutiert insbesondere die so genannte Scheinauslandsgesellschaft. Darüber hinaus wird die gemeinschaftsrechtliche Dimension der Parteifähigkeit erörtert.