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gibt das Beispiel eines nicht rechtsfähigen Vereins, der als Kläger ein Sachurteil erstreitet.333 Hinter den existenten Gebilden verbergen sich also Rechtssubjekte, die
aufgrund von Haftungssubstrat, Handlungsorganisation und Identitätsausstattung
von sich aus fähig sind, Träger von Rechten und Pflichten zu sein. Existenz ist somit
ein Äquivalent für die materielle Rechtsträgerschaft. Als Konsequenz wird die auf
der Basis der prozessrechtlichen Qualifikation der Parteifähigkeit apostrophierte
strikte Trennung zwischen Rechtsfähigkeit und Parteifähigkeit in den Fällen relativiert, in denen ein Urteil in Verkennung der mangelnden Parteifähigkeit ergangen
ist. Auf der Grundlage der materiellrechtlichen Qualifikation der Parteifähigkeit ist
dieser Differenzierung der Boden entzogen. In der bisherigen Terminologie gesprochen, ist die Existenz zwingend ein Ausdruck der Rechtsfähigkeit und führt so immer zur Parteifähigkeit. Im Umkehrschluss ist Parteiunfähigkeit immer mit mangelnder Parteiexistenz gleichzusetzen. Diese Beobachtung spricht für das Entfallen
der Konstellation, die lediglich zur Anfechtbarkeit des Urteils führte. Urteile, die in
Verkennung eines Mangels der Parteifähigkeit ergehen, erscheinen immer wirkungslos zu sein.
III. Die materielle Rechtskraft als Grundlage der Parteifähigkeit?
Bisher wurde jedoch noch nicht zu der These Stellung genommen, dass die materielle Rechtskraft in den Fällen der Existenz der Partei die Parteifähigkeit gleichsam
nach sich ziehe. Bei der Entwicklung der Fallgruppe der existenten, jedoch nicht
parteifähigen Parteien spielte aber vor allem die materielle Rechtskraft eine entscheidende Rolle. So schreibt schon HEIN, dass die Parteifähigkeit durch die materielle Rechtskraft des Urteils „zu einer Tatsache [werde], welche in Bezug auf diesen
Prozess von allen staatlichen Organen beachtet werden müsse“.334 Der Streit über
die Parteifähigkeit solle für die „weitere Durchführung des Prozesses in einer alle
Instanzen bindenden Weise ausgeschaltet werden.“335 Stellt man dem die Konstellation der nicht existenten Partei gegenüber, so stimmt es nachdenklich, dass dort von
Wirkungslosigkeit ausgegangen wird, obwohl die gleichen Zwecke der materiellen
Rechtskraft für eine bindende Feststellung der Parteifähigkeit sprechen. Es scheint,
als ob der materiellen Rechtskraft soweit wie möglich Geltung verschafft werden
soll. Bei den zwar existenten, aber parteiunfähigen Gebilden wird ein Sondervermögen ausgemacht, für das ein legitimer Vertreter als Verwalter zu handeln imstande
ist. Es handele sich bei ihnen um „im Urteil individualisierte, auffindbare Gebilde“336, so dass sich die subjektive Beziehung des Urteils in der Umwelt feststellen
lasse.337 Ist die Partei hingegen nicht existent, besteht eine Sachlage an der auch die
333 JAUERNIG, Zivilurteil, S. 174.
334 HEIN, Identität, S. 346; ihm folgend JAUERNIG, Zivilurteil, S. 174.
335 HEIN, Identität, S. 344ff.; Jauernig, S. 174f.
336 HEIN, Identität, S. 346.
337 Hein, Identität, S. 346.
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vollmundige Feststellung „die Parteifähigkeit werde mit dem Eintritt der materiellen
Rechtskraft zu einer Tatsache“ scheitern muss.
Die materielle Rechtskraft kann nur deshalb eintreten, weil sie Rechtssubjekte
(unterhalb der juristischen Person) vorfindet. Die Parteifähigkeit kann also nicht
Folge der materiellen Rechtskraft sein.338 Innerhalb der prozessrechtlichen Betrachtung der Parteifähigkeit handelt es sich lediglich um einen Fall, in dem die sonst
versagte Parteifähigkeit in beschränktem Maße doch wieder zugestanden wird. Diesen Kompromiss kann die materiellrechtliche Qualifikation nicht eingehen, da sie
von Anfang an allen existenten Gebilden die Parteifähigkeit einräumt bzw. belässt.
Mit WACH gesprochen, ist die existierende, aber parteiunfähige Partei aus der Sicht
der materiellrechtlichen Qualifikation der Parteifähigkeit eine „contradictio in
adiecto“.
IV. Zwischenergebnis
Die Parteifähigkeit ist das Bindeglied, das die Rechtsfähigkeit mit der materiellen
Rechtskraft verklammert. Dies ergibt sich aus der Fallgruppe der Urteile, die in Verkennung der Parteiunfähigkeit ergangen sind. Hier ist diese Verbindung unterbrochen. Dieser Zusammenhang wurde durch die abzulehnende Unterteilung in gänzlich inexistente und existente, aber parteiunfähige Gebilde vernebelt. Mit der
Ablehnung der prozessrechtlichen Qualifikation der Parteifähigkeit hat diese Differenzierung ihre Berechtigung verloren. Es wurde offenbar, dass die materielle
Rechtskraft keine Grundlage für die Parteifähigkeit schaffen kann. Die Lehre von
der Parteifähigkeit kraft materieller Rechtskraft wurde ohnehin nie auf inexistente
Gebilde angewandt. Das Verhältnis von Parteifähigkeit und materieller Rechtskraft
wurde hierdurch geradezu auf den Kopf gestellt. Die Parteifähigkeit ist vielmehr eine notwendige Voraussetzung, ohne die die materielle Rechtskraft nicht eintreten
kann.
L. Ergebnis des Ersten Teils
Mit der Einführung des § 50 Abs. 2 ZPO konnte sich der Parteifähigkeitsbegriff von
der Rechtsfähigkeit abkoppeln. Die prozessrechtliche Qualifikation der Parteifähigkeit geht von einer Abstraktion von Parteifähigkeit und Rechtsfähigkeit aus. Diese
Emanzipation der Parteifähigkeit, wurde auf spezifisch prozessuale Anforderungen,
338 Für PLANCK, Lehrbuch Bd. 1, S. 212 ist der Rechtsweg für und gegen die unparteifähige
Partei daher nicht nur unzulässig, sondern sogar unmöglich. Das rechtskräftige Urteil sei jedenfalls unausführbar, weil es Unmögliches vorschreibe. Wer civilrechtlich keine Rechte
haben könne, dem könnten solche auch nicht durch rechtskräftiges Urteil bei- oder aufgelegt
werden.
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References
Zusammenfassung
Mit der Untersuchung der Parteifähigkeit erörtert der Autor grundsätzliche Fragen des prozessualen und materiellen Gesellschaftsrechts und zeigt bestehende Brüche zwischen beiden Regelungsmaterien auf.
Die Parteifähigkeit wurde traditionell vor allem prozessrechtlich qualifiziert. Nach der Zuerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit an die Außen-GbR durch den BGH und den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs in den Verfahren Centros, Überseering und Inspire Art steht die hergebrachte Konzeption auf dem Prüfstand.
Diesen Befund nimmt der Autor zum Anlass und untersucht zunächst die Dogmatik der Parteifähigkeit anhand inländischer Sachverhalte. Nach einem rechtsvergleichenden Teil geht der Verfasser auf die Parteifähigkeit von Gebilden mit ausländischem Personalstatut ein und diskutiert insbesondere die so genannte Scheinauslandsgesellschaft. Darüber hinaus wird die gemeinschaftsrechtliche Dimension der Parteifähigkeit erörtert.