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auszuschließen. Die Prozessführungsbefugnis wird nicht zur Lösung von Zurechnungsproblemen instrumentalisiert, die durch eine prozessrechtliche Qualifikation
bedingt sind. Die Prozessführungsbefugnis könnte die Überwindung von Diskrepanzen zwischen materiellem und prozessualem Recht auch nicht leisten.
J. Funktion der Parteifähigkeit auf Grundlage ihrer materiellrechtlichen
Qualifikation
I. Überblick
Schon die Betrachtung der Frage wie die Parteifähigkeit in die Parteilehre eingebettet ist, ließ den Zusammenhang zwischen der Einstufung als prozessrechtlich oder
materiellrechtlich einerseits und der Funktion der Parteifähigkeit andererseits in den
Vordergrund treten. Sowohl die beträchtlichen Unsicherheiten des materiellen
Rechts in der Zuerkennung der Rechtsfähigkeit insbesondere bei den Gesamthandsgesellschaften als auch die prozessrechtliche Problematik der Prozessführungsbefugnis schlagen auf die Bestimmung der Funktion der Parteifähigkeit durch. In dieser unklaren Gemengelage zwischen prozessrechtlicher und materiellrechtlicher
Qualifikation fällt daher nicht nur die Bestimmung des Verhältnisses von Parteifähigkeit und Rechtsfähigkeit, sondern auch allgemein die Bestimmung der Funktion
des Parteifähigkeitserfordernisses schwer. Es kann somit nicht verwundern, dass das
telos der Parteifähigkeitsprüfung zumeist nur kursorisch behandelt wird oder sich im
Dickicht einer „Mehrfachfunktionalität“281 verliert, die Ausdruck wechselwirkender
Interessen im Schnittpunkt des materiellen und prozessualen Rechts sein soll.
Auf der Grundlage einer materiellrechtlichen Qualifikation der Parteifähigkeit
treten nun zwei Aspekte in den Vordergrund. Zum einen wird der Zusammenhang
zwischen Parteifähigkeit und Justizgewährung282 offenbar, da jeder Rechtsträger ihm
materiell zustehende Rechte als Partei gerichtlich geltend machen kann. Zum anderen sorgt die Parteifähigkeit für die Möglichkeit einer sinnvollen Erstreckung der
Verfahrensfolgen, d.h. insbesondere der Rechtskraft und Vollstreckung, zwischen
allen Prozessbeteiligten. HESS bezeichnet dies treffend mit der „Koordinierungsfunktion“ der Parteifähigkeit.283
281 Unklar insoweit FURTAK, Parteifähigkeit, S. 25f.
282 Vgl. hierzu HESS, ZZP 117 (2004), 267, 286.
283 HESS, ZZP 117 (2004), 267, 283.
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II. Parteifähigkeit und Justizgewährung
Auch schon unter der prozessrechtlichen Qualifikation der Parteifähigkeit kam dem
topos der Justizgewährung eine besondere Bedeutung zu.284 Dort wurde sie jedoch
vor allem in Hinblick auf die andere Partei, d.h. des zu schützenden Rechtsverkehrs,285 diskutiert. Der Justizgewährungsanspruch ist im nationalen Verfassungsrecht verkettet mit dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (Artt. 20. Abs. 3 und
2 Abs. 1 GG).286 In Verbindung mit Art. 6 EMRK wird die „grund- bzw. menschenrechtliche Dimension der Parteifähigkeit“287 offenbar.
Unter der materiellrechtlichen Qualifikation rückt wieder das Gleichgewicht zwischen den Interessen des Rechtsverkehrs und des in Frage stehenden Gebildes ins
Zentrum der Betrachtung. Die Parteifähigkeit regelt, welche Subjekte „in abstracto
als Träger vermögensbezogener Verfügungs- und Verwaltungsbefugnisse“288 in Betracht kommen. Es ist daher kein Zufall, dass die Rechtsprechung, wie z.B. im Fall
der Gewerkschaften,289 die aktive Parteifähigkeit rechtsfähiger Gebilde immer wieder „akzessorisch“290 aus den jeweils einschlägigen materiellen Grundrechten abgeleitet hat. Darüber darf nun zwar nicht das Rechtsschutz- und Vollstreckungsinteresse des (potenziellen) Prozessgegners übersehen werden.291 Die Berücksichtigung
dieser Interessen kann jedoch nicht zu unterschiedlichen Ergebnissen im materiellen
und prozessualen Recht führen. Die prozessualen „Fernwirkungen“ müssen daher
schon von den Grundrechten und dem materiellen Recht berücksichtigt werden.
III. Koodinierungsfunktion
Die Koordinierungsfunktion der Parteifähigkeit zeigt sich in der Sicherstellung von
Handlungsfähigkeit sowie auch in der Gewährleistung von Bindung an Verfahrensfolgen und Ermöglichung der Zwangsvollstreckung.
284 FURTAK, Parteifähigkeit, S. 108f.; GEIMER, IZPR, Rz. 1936.
285 Vgl. GEIMER, IZPR, Rz. 2204.
286 BVerfG, NJW 2003, 1924, 1926; BGHZ 140, 217; Zöller-VOLLKOMMER, ZPO, Einl., Rz. 48
u. 51.
287 HESS, ZZP 117 (2004), 267, 287; vgl. auch FURTAK, Parteifähigkeit, S. 53; zur Diskussion
um das Verhältnis von Art. 6 EMRK und Parteifähigkeit in Frankreich und im Zusammenhang der Sitztheorie vgl. JESTÄDT, Niederlassungsfreiheit, S. 238ff.
288 WAGNER, ZZP 117 (2004), 305, 309.
289 BGHZ 42, 210, 213ff.; kritisch: NEUNER, Rechtsfindung, S. 130f.
290 HESS, ZZP 117 (2004), 267, 287.
291 So HESS, ZZP 117 (2004), 267, 288 m.w.N. in Fn. 162.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Mit der Untersuchung der Parteifähigkeit erörtert der Autor grundsätzliche Fragen des prozessualen und materiellen Gesellschaftsrechts und zeigt bestehende Brüche zwischen beiden Regelungsmaterien auf.
Die Parteifähigkeit wurde traditionell vor allem prozessrechtlich qualifiziert. Nach der Zuerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit an die Außen-GbR durch den BGH und den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs in den Verfahren Centros, Überseering und Inspire Art steht die hergebrachte Konzeption auf dem Prüfstand.
Diesen Befund nimmt der Autor zum Anlass und untersucht zunächst die Dogmatik der Parteifähigkeit anhand inländischer Sachverhalte. Nach einem rechtsvergleichenden Teil geht der Verfasser auf die Parteifähigkeit von Gebilden mit ausländischem Personalstatut ein und diskutiert insbesondere die so genannte Scheinauslandsgesellschaft. Darüber hinaus wird die gemeinschaftsrechtliche Dimension der Parteifähigkeit erörtert.