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Abs. 2 ZPO ist keine erweiternde Vorschrift.127 Entnimmt man ihr den Gegenschluss, dass die aktive Parteifähigkeit nicht zuerkannt wird, dann handelt es sich
um eine beschränkende Vorschrift. Diesen Gedanken können Analogien auf § 50
Abs. 2 ZPO nicht ignorieren.
III. Parteifähigkeit aus Rechtsscheinsgesichtspunkten
Zweifelhaft erscheint daher auch die auf § 50 Abs. 2 ZPO gestützte Überlegung,
dass die Zuerkennung der Parteifähigkeit abstrakt von jeglicher Rechtsfähigkeit (und
damit auch insbesondere dem Publizitätserfordernis) allein aus Rechtsschutzerwägungen erfolgen könne. Eine herausragende Stellung in dieser Diskussion nimmt die
Verleihung der Parteifähigkeit kraft Rechtsscheins ein. Sie soll deshalb im Folgenden näher erörtert werden.
1. Ausgangslage auf Basis einer prozessrechtlichen Qualifikation
der Parteifähigkeit
Die prozessrechtliche Qualifikation ging ursprünglich von einem Mechanismus zur
Durchsetzung des Systems der Normativbestimmungen aus, der die fehlende Eintragung mit der Versagung sowohl der Rechtsfähigkeit als auch der Parteifähigkeit
sanktionierte. Diese restriktive Sichtweise erhöhte den Druck, § 50 Abs. 2 ZPO aus
Rechtscheinsgesichtspunkten analog anzuwenden. Paradigmatisch für diese Problemlage ist der Fall einer Außen-GbR, die sich im Verkehr als Handelsgesellschaft
geriert,128 eine Konstellation, die bisher unter dem Stichwort der „Schein-Handels-
Gesellschaft“ diskutiert wurde.129
Darüber hinaus sind jedoch auch Fälle denkbar, bei denen eine „Scheingesellschaft“ in Wirklichkeit gar nicht existiert. Auch hier ist die Zuerkennung der passiven Parteifähigkeit aufgrund eines Rechtsscheins materiellrechtlicher oder prozessualer Subjektivität zu erwägen. Hilfreich erscheint in der eher verworrenen
Diskussion um die Parteifähigkeit kraft Rechtscheins, die Betrachtung in die unter
der prozessrechtlichen Qualifikation entwickelten Kategorien der existenten, aber
parteiunfähigen Gebilden einerseits und den gänzlich inexistenten Gebilden anderer-
127 A.A. wohl WAGNER, ZZP 117 (2004), 305, 361: § 50 Abs. 2 ZPO sei dazu geeignet, „prozessuale Gerechtigkeitsvorstellungen und Zweckmäßigkeitsbedürfnisse mit einem Anreiz
zur Eintragung und damit zur Erfüllung der gesellschaftsrechtlichen Normativbestimmungen
zu verbinden“. Beiden Aspekten dieser Interpretation soll im Folgenden entgegengetreten
werden.
128 Freilich erscheint dieses Beispiel seit der BGH-Entscheidung „weißes Ross“ (BGH NJW
2001, 1056ff.) überholt. Diese Entscheidung bricht aber mit dem formellen Parteifähigkeitskonzept, welches Gegenstand der Erörterung ist.
129 Hiermit setzt sich LINDACHER ausführlich in ZZP 96 (1983), 486ff. kritisch auseinander; jedoch unter Einbeziehung der sich aus der Rechtskraft ergebenden Konsequenzen.
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seits zu gliedern. Diese unterschiedlichen Kategorien rühren wohl daher, dass den
existenten, aber parteiunfähigen Gebilden ihre Subjektivität (zumindest teilweise)
versagt wird. Trotzdem existiert ein „verhindertes“ Subjekt, dem im Falle eines
Rechtsscheintatbestandes die passive Parteifähigkeit nicht mehr abgesprochen wird.
Bei inexistenten Gebilden liegt insofern eine andere Ausgangslage vor.
2. Ausklammerung des Themenkomplexes Rechtskraft und Parteifähigkeit
Ist ein Sachurteil in Verkennung der Parteifähigkeit ergangen, so differenziert die
h.A. nach dem eben beschriebenen Kriterium, ob eine Partei existent oder nicht existent ist.130 Liegt eine existente Partei vor, so sei das Urteil nicht wirkungslos, sondern nur nach allgemeinen Grundsätzen anfechtbar.131 In diesen Fällen wird die Parteiunfähigkeit auf die Rechtskraft gestützt. Inwiefern die Parteifähigkeit von der
Rechtskraft erfasst wird, ist noch gesondert zu untersuchen.132 Von den Fallgestaltungen, in denen eine Parteifähigkeit kraft Rechtschein reklamiert wird, ist dies jedoch klar zu unterscheiden.
3. Die sog. Scheinhandelsgesellschaft als Beispiel für ein existentes Gebilde
Für die Fallgruppe der existenten Gebilde soll hier die sog. „Scheinhandelsgesellschaften“ beispielhaft besprochen werden.
CANARIS erhebt die Frage, in welchem Umfang eine Gleichstellung der „echten
Gesellschaft“ mit der Scheinhandelsgesellschaft möglich sei und daher Rechtsscheinwirkungen zeitige.133 Aus dem telos des § 124 HGB, welches der Reibungslosigkeit und Unkompliziertheit des Geschäftsverkehrs unter Kaufleuten diene, leitet
CANARIS die analoge Anwendung von § 124 Abs. 1 HGB her.134 § 124 Abs. 1 HGB
wird dabei exemplarisch für die prozessrechtliche Qualifikation der Parteifähigkeit
eine konstitutive Bedeutung beigemessen. Trotz der Analogie zu § 124 Abs. 1 HGB
könne nur die passive Parteifähigkeit angesprochen sein. Aus § 50 Abs. 2
HS. 2 ZPO analog in Verbindung mit dem Grundsatz der Waffengleichheit ergebe
130 Vgl. StJ-BORK, ZPO, § 50, Rz. 59; Zöller-VOLLKOMMER, ZPO, vor § 50, Rz. 11; MüKo-
LINDACHER, ZPO, vor § 50, Rz. 26 und § 50, Rz. 26; JAUERNIG, Zivilurteil, S. 173.
131 W/S-HAUSMANN, § 50, Rz. 92, R/S/G, ZPR, § 43 I 3; ZEISS, ZPR, § 22 III 2; LÜKE, ZPR,
Rz. 118; MüKo-LINDACHER, § 50, Rz. 65, ders. ZZP 96 (1983) 486, 497.
132 Genauso ist die Frage, ob die Anfechtbarkeit des Urteils analog § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nach
Rechtsscheinsgrundsätzen ausgeschlossen sein kann, ist an dieser Stelle folglich nicht zu
vertiefen. Auch dort soll die Parteifähigkeit nach h.A. vornehmlich auf der Rechtskraft beruhen. Rechtsscheingrundsätze spielen hier aber nur eine komplementäre Rolle. Siehe dazu
LINDACHER, ZZP 96 (1983) 486, 497.
133 CANARIS, Vertrauenshaftung, S. 169.
134 CANARIS, Vertrauenshaftung, S. 170.
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sich jedoch die Befugnis zur Erhebung der Widerklage.135 Der Umweg über die
Verklagung der einzelnen Mitglieder sei unpraktikabel, da er umständlich sei und
überdies nicht immer zum Ziel führe.136 Im Hinblick auf den Rechtsschein sei es unerheblich, wenn der Dritte schon vor Prozessbeginn von der wahren Rechtslage
Kenntnis nehme. Für den Zeitpunkt der maßgeblichen Vertrauensinvestition komme
es auf die Vornahme des betreffenden Rechtsgeschäfts an. CANARIS geht folglich
von einer Akzessorietät der Parteifähigkeit zum durchzusetzenden Anspruch aus.137
Hiergegen wird insbesondere von LINDACHER angeführt, dass der Verkehrsschutzzweck der Rechtsscheinhaftung das Abstellen auf die konkrete, vertrauensbedingte Disposition verlange.138 Bei der in Frage stehenden Parteifähigkeit müsse daher auf die Klageerhebung als Vertrauensdisposition abgehoben werden.139 Im
Übrigen habe die Lehre von der Scheinhandelsgesellschaft hinsichtlich der Zuerkennung der passiven Parteifähigkeit im Umfang von § 50 Abs. 2 ZPO überschie-
ßende Wirkung. Auch derjenige, der mit einer tatsächlich bestehenden parteifähigen
Handelsgesellschaft in Kontakt gekommen sei, dürfe nicht darauf vertrauen, dass
zum Zeitpunkt der Rechtsdurchsetzung diese noch Handelsgesellschaft sei.140 Dieses
Argument versucht CANARIS zu entkräften, indem er die Parteifähigkeit in diesen
Fällen nicht mehr zuerkennen möchte.141
Das würde jedoch diejenigen schlechter stellen, die es ursprünglich mit einer bestehenden Handelsgesellschaft zu tun hatten, während bei einem von Anfang an fehlenden Charakter als Handelsgesellschaft das Vertrauen voll umfänglich geschützt
würde.142 Eine solche Differenzierung ist mit dem telos der Lehre von der Scheinhandelsgesellschaft unvereinbar und zeigt auf, dass sie in der Parteifähigkeitsdogmatik einen systemwidrigen Fremdkörper darstellt. Andererseits bedeutet dies auch auf
der Grundlage der prozessrechtlichen Qualifikation der Parteifähigkeit nicht eine
Schutzlosstellung Dritter. Ihr Schutz wird durch rein haftungsrechtliche Konsequenzen bewerkstelligt.143
Es überzeugt daher nicht, wenn bei existenten Gebilden der Rechtsschein als
Grundlage eines besonderen Rechtsschutzinteresses gewertet wird, um die Parteifähigkeit trotz mangelnder Publizität zu rechtfertigen.
135 CANARIS, Vertrauenshaftung, S. 170.
136 CANARIS, HandelsR, § 6, Rz. 32.
137 So SCHEMMANN, Parteifähigkeit, S. 117ff.
138 LINDACHER, ZZP 96 (1983), 486, 490.
139 Dies gesteht CANARIS indirekt ein: HandelsR, § 6, Rz. 32.
140 LINDACHER, ZZP 96 (1983), 486, 490.
141 CANARIS, HandelsR, § 6, Fn. 32.
142 A.A. SCHEMMANN, Parteifähigkeit, S. 111, der die differenzierte Behandlung mit der Charakterisierung des Risikos als andersartig und nicht nur graduell unterschiedlich rechtfertigt.
143 So auch OLG Köln, OLGZ 1973, 468, 470.
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4. Subjektivität kraft Rechtsscheins bei inexistenten Gebilden?
Umfassender stellt sich die Frage, ob Subjektivität in prozessualer oder materieller
Hinsicht in bestimmten Fällen kraft Rechtsscheins fingiert werden muss und so
letztlich die Parteifähigkeit begründet wird.
a) Rechtsfähigkeit
Wird allgemein auf die Rechtssubjektivität vertraut, so ist auch der Schutz von Vertrauen in die Rechtsfähigkeit in Betracht zu ziehen.144 Das Verhältnis einer als
rechtsfähig fingierten Scheingesellschaft zu den wahren Rechtsträgern ist bei dieser
Annahme klärungsbedürftig. Anders als im Falle einer ausschließlichen Fiktion der
Parteifähigkeit bei existenten Gebilden besteht keine Möglichkeit, die Diskrepanz
zwischen Schein und Sein durch das Institut der Prozessstandschaft zu lösen. Die
Fiktion der Rechtsfähigkeit einer Scheingesellschaft impliziert die Möglichkeit ihrer
Sachlegitimation. In diesem Punkt manifestiert sich der bedeutende Unterschied zur
herkömmlichen Lehre des materiellen Vertrauensschutzes. Ihr Gegenstand ist die
Zurechnung der Haftung für eine scheinbare Rechtsposition. Sie begründet diese
Rechtsposition nicht selbst.145 Der materielle Vertrauensschutz kann demnach kein
materielles Rechtssubjekt als Zurechnungsendpunkt schaffen. Die Begrenzung auf
Schein-OHG/KG unter Ausschluss der Scheinkapitalgesellschaft, die CANARIS bei
der Grundlegung seines Konzepts vornimmt,146 folgt aus den Modalitäten des Übergangs zwischen GbR und OHG bzw. KG. Die Konstruktion von CANARIS möchte
die zu Grunde gelegte konstitutive Wirkung des § 124 HGB teilweise relativieren,
jedoch nicht darüber hinausgehen.
Die Verleihung der Rechtsfähigkeit ist nur aufgrund der Existenz eines Gebildes
möglich, welches einen tauglichen Zurechnungsendpunkt darstellen kann. In der Sache wird damit eine Teilrechtsfähigkeit der Außen-GbR in Rechtsscheinkonstellationen akzeptiert. In anderen Fällen stünde die Annahme der Rechtsfähigkeit vor unlösbaren Zurechnungsproblemen.
b) Parteifähigkeit
Die ausschließliche Fiktion der Parteifähigkeit, die bei fehlendem Rechtsträger als
Prozessstandschaft konstruierbar wäre,147 ist genauso problembehaftet. Auch hier
wäre ein Ausgleich zwischen prozessualem und materiellem Recht notwendig. Das
144 SCHEMMANN, Parteifähigkeit, S. 107.
145 FURTAK, Parteifähigkeit, S. 31.
146 CANARIS, Vertrauenshaftung, S. 167f.
147 Vgl. SCHEMMANN, Parteifähigkeit, S. 106.
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durch das Prozessrecht unter Berücksichtigung des Rechtsscheins erzeugte Verfahrenssubjekt müsste in einem Zurechnungszusammenhang zu den nach materiellem
Recht betroffenen Rechtsträgern gestellt werden.148 Denn es sind diese Rechtsträger,
die von den Urteilswirkungen und in der Vollstreckung betroffen wären. Die Zurechnungsschwierigkeiten, die man durch die Bejahung der Parteifähigkeit einer
Scheingesellschaft lösen möchte, würden lediglich auf einen späteren Zeitpunkt verlagert.149 Überdies wäre die Annahme der Parteifähigkeit aus Rechtsscheinsgrundsätzen ein Institut, welches funktionell zwischen der Parteiberichtigung und
dem gewillkürten Parteiwechsel anzusiedeln wäre.150 Die Dogmatik des gewillkürten Parteiwechsels wäre insgesamt in Frage gestellt, da sich in Fällen des Parteiwegfalls zumindest eine fingierte Parteifähigkeit konstruieren ließe.
c) Zwischenergebnis
Der prozessrechtlichen Qualifikation der Parteifähigkeit und seiner Betonung der
Registerpublizität steht die Fiktion der Parteifähigkeit aus Rechtsschutzerwägungen
diametral entgegen.151 Die Annahme eine Parteifähigkeit aufgrund fingierter Rechtsfähigkeit erweitert die von der herkömmlichen Vertrauenshaftung für subjektive
Rechte entwickelten Grundsätze auf die Schaffung von Rechtsträgern. Das Verhältnis der fingierten Rechtsträger zu ihrer Umwelt bleibt jedoch ungeklärt. Auch die
Fiktion der Parteifähigkeit ist ein Fremdkörper im Prozessrecht, der mehr Zweifel
aufwirft als Probleme löst.152 Schon ohne Heranziehung einer materiellrechtlichen
Qualifikation ist die Parteifähigkeit aus Rechtsscheinsgesichtspunkten abzulehnen.
Bei existenten Gebilden erscheint die Zuerkennung nicht a priori ausgeschlossen.
Anders gewendet könnte man dies als eine teilweise Aufhebung der vorherigen Versagung der Parteifähigkeit bezeichnen. Das Aufstellen der Voraussetzung eines
Rechtsscheins für die analoge Anwendung des § 50 Abs. 2 ZPO ist aber auch hier
abzulehnen, denn keiner darf darauf vertrauen, dass zum Zeitpunkt der Rechtsdurchsetzung die Parteifähigkeit noch besteht.153 Das letztlich ausschlaggebende Argument gegen eine Parteifähigkeit kraft Rechtsscheins ist aber das Unterlaufen der
sonst unter der prozessrechtlichen Qualifikation geforderten Publizitätsfunktion.
Gleichwohl lassen sich aus dem praktischen Bedürfnis, die Einschränkungen im
Rahmen der prozessrechtlichen Qualifikation der Parteifähigkeit zu relativieren, des-
148 SCHEMMANN, Parteifähigkeit, S. 98; Hierin manifestiert sich die Koordinationsfunktion der
Parteifähigkeit, s.u. J. III.
149 Es ist daher konsequent, dass WAGNER in ZZP 117 (2004), 305, 363 darauf hinweist, dass
§ 735 ZPO in den vom BGH entwickelten „allgemeinen Rechtsgedanken“ einzubeziehen sei.
150 Der Fall einer Gesamtrechtsnachfolge soll hier außer Betracht bleiben. Dazu K. SCHMIDT,
GesR, 46 II 3 a) aa).
151 Krit. insoweit auch SCHEMMANN, Parteifähigkeit, S. 89.
152 So auch FURTAK, Parteifähigkeit, S. 32.
153 FURTAK, Parteifähigkeit, S. 32 mit Hinweis auf § 56 ZPO; vgl. auch LINDACHER, ZZP 96
(1983), 486, 490.
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sen Schwachpunkte ersehen. Es besteht das Bedürfnis als zu eng empfundene Folgen der beschränkenden prozessrechtlichen Qualifikation, über die Anwendung von
Rechtsscheingrundsätzen zu korrigieren.
5. Notwendigkeit des Rückgriffs auf Rechtsscheinregeln unter einer
materiellrechtlichen Qualifikation der Parteifähigkeit?
Die materiellrechtliche Qualifikation der Parteifähigkeit trägt dem Postulat der Konkordanz zwischen materiellem und prozessualem Recht in der Frage der Subjektivität Rechnung. Es greift die Notwendigkeit auf, in diesem Bereich prozess- und vollstreckungsrechtliche Regelungen auf die materiellen Gegebenheiten abzustimmen.
Dieser Sichtweise stand vor allem die das 20. Jahrhundert beherrschende Gesamthandsdogmatik entgegen, welche der Außen-GbR sowohl die Rechtsfähigkeit
als auch die Parteifähigkeit absprach. Aus dieser Situation emanzipierte sich die
prozessrechtliche verstandene Parteifähigkeit dergestalt, dass auch ein Auseinanderfallen von Rechtsfähigkeit und Parteifähigkeit möglich erschien. Steht nun die Au-
ßen-Gesamthandsgesellschaft als taugliches Subjekt des Sach- und Prozessrechts zur
Verfügung,154 stellt sich die Frage, ob nicht auf den Rekurs von Rechtsscheinregeln
verzichtet werden kann. Dabei ist auch hier eine Trennung zwischen existenten und
inexistenten Gebilden vorzunehmen.
Bei inexistenten Gebilden ist die Anwendung von Rechtscheinsgrundsätzen zur
Fiktion von Rechtsträgern generell abzulehnen. In dieser Fallgruppe bedarf es daher
auch keines spezifischen Lösungsweges durch eine materiellrechtliche Qualifikation. Hier bleibt der Kläger direkt auf die Haftung der Handelnden oder der scheinbaren Gesellschafter verwiesen. Anders stellt sich die Lage bei den existenten Gebilden dar. Ergibt sich hier eine überzeugendere Lösung unter der materiellrechtlichen
Qualifikation der Parteifähigkeit, welche die Lehre der Parteifähigkeit kraft Rechtsschein in ihrem berechtigten Kern zu substituieren vermag, so ist dies ein Argument
gegen eine prozessrechtliche Qualifikation.
a) „Herabsinken“ zu einem nach hergebrachter Auffassung nicht parteifähigen
Rechtsträger
Probleme bereitete die Zulässigkeit eines Sachurteils, trotz Herabsinkens des
Rechtssubjekts zu einem unter prozessrechtlicher Qualifikation der Parteifähigkeit
lediglich teilrechtsfähigen Gebilde bei Mangel einer ausdrücklichen Zuerkennung
der Parteifähigkeit. In dieser Konstellation trifft die materiellrechtliche Qualifikation
der Parteifähigkeit nicht auf das Problem einer fehlenden Sachurteilsvoraussetzung,
das durch den Rückgriff auf Rechtsscheinsgrundsätze gelöst werden müsste. Not-
154 BGH NJW 2001, 1054ff.
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wendig wird lediglich eine Berichtigung der Parteibezeichnung mit rein deklaratorischer Wirkung.155 Die firmenmäßige Bezeichnung sorgt für eine, zwar in gewissem
Umfange fehlerhafte, aber dennoch ausreichende Individualisierung.156
b) Bindung an prozessuale Lagen und materielle Folgen der Klageerhebung
Im Falle eines Rechtsformwandels während einer rechtshängigen Klage wird der
„störende“ Parteiwechsel vermieden. Bei existenten Gebilden liegt ein parteifähiges
Verfahrenssubjekt vor, welches dem materiellen Recht folgend die Identität des
Rechtsträgers auf prozessrechtlicher Ebene zum Ausdruck bringt. Daher kann auch
die Korrektur der Rechtsfolgen über die Rechtsscheingrundsätze im Hinblick auf die
Subjektivität unterbleiben. Gleiches gilt für den Fall, dass die wahre Rechtsform erst
nach erfolgter Klageerhebung manifest wird. Da die materiellrechtliche Qualifikation der Parteifähigkeit bereits ein parteifähiges Verfahrenssubjekt anbietet, wird die
Rechtsscheinsproblematik auf die Vertretungsmacht und Empfangsbotenmacht reduziert bzw. verlagert.157 Die Anwendung der Rechtsscheinsgrundsätze auf die prozessuale Subjektivität stellt sich als Umweg heraus. Der für die Anwendung der
Rechtsscheinsgrundsätze besonders heikle Bereich der Subjektivität wird substituiert.
6. Schlussfolgerungen
Die Stützung der Parteifähigkeit auf Rechtsscheinsgrundsätze ist auf Grundlage ihrer prozessrechtlichen Qualifikation insbesondere bei der Kategorie der nicht einmal
teilrechtsfähigen Gebilde abzulehnen, da die materielle Vertrauenshaftung auf den
ihr fremden Bereich der Fiktion der Subjektivität ausgedehnt wird. Auch im Bereich
der teilrechtsfähigen Gebilde kann die Parteifähigkeit kraft Rechtsschein nicht überzeugen, da auf diese Weise das Grundanliegen der prozessrechtlichen Qualifikation,
die Gewährleistung von Publizität, in weiten Bereichen ausgehebelt wird. Die praktischen Notwendigkeiten, die zur Entstehung der Lehre von der Parteifähigkeit kraft
Rechtsschein geführt haben, können im Bereich der teilrechtsfähigen Gebilde durch
eine materiellrechtliche Qualifikation der Parteifähigkeit unproblematischer gelöst
werden.
155 LINDACHER, ZZP 96, (1983), 486, 497.
156 Vgl. hierzu WAGNER, ZZP 117 (2004), 306, 338f.: Allein die „Identifizierbarkeit des Prozesssubjekts“ ist maßgeblich.
157 Vgl. hierzu eingehend LINDACHER, ZZP 96 (1983), 486, 500.
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F. Zusammenhänge zwischen Parteifähigkeit und Publizität
des Verfahrenssubjekts bei ausgewählten Beispielen
Als entscheidender Faktor in der Diskussion um die prozessrechtliche oder materiellrechtliche Qualifikation der Parteifähigkeit hat sich das Verhältnis von Parteifähigkeit und Publizität des Verfahrensobjekts herausgestellt. Bevor eine Bewertung
dieses Verhältnisses vorgenommen wird, soll anhand der Vorgesellschaft und der als
vermögenslos gelöschten Kapitalgesellschaft die Auswirkungen fehlender Publizität
auf die Parteifähigkeit betrachtet werden.
I. Vorgesellschaft
Die Vor-Gesellschaft stellt in diesem Zusammenhang deshalb einen interessanten
Themenkomplex dar, weil insbesondere das materielle Recht im Hinblick auf die
Rechtsfähigkeit starken Entwicklungen unterworfen war158 und somit ein nicht unerhebliches Potenzial für Friktionen mit dem Prozessrecht aufgeworfen hat. Die Betrachtungen werden sich auf die Vor-GmbH konzentrieren, da sich vor allem hier
die Dogmatik der Vor-Gesellschaften entwickelt hat und die Grundsätze weithin übertragbar sind.159
Der Normenbefund, welcher den Zeitraum zwischen Abschluss des Gesellschaftsvertrages und Eintragung der Gesellschaft regelt, ist mit § 11 GmbHG äußerst
knapp. § 11 GmbHG geht auf die durch das Konzessionssystem geprägte aktienrechtliche Vorschrift des Art. 211 ADHGB zurück,160 weshalb in § 11 Abs. 1
GmbHG klargestellt wird, dass die GmbH vor der Eintragung „als solche“ noch
nicht besteht. Der historische Gesetzgeber war in der Vorstellung verhaftet, dass die
Eintragung „die notwendige Voraussetzung für die rechtswirksame Entstehung der
GmbH als solcher“ darstelle und somit der werdenden juristischen Person als
(Noch)Nichtperson keine Rechtssubjektivität zukommen könne.161
1. Rechtsnatur der Vorgesellschaft
Früher folgerte die herrschende Ansicht aus dem numerus clausus der Gesellschaftsformen, dass die Vor-GmbH einen der gesetzlich ausgewiesenen Verbandstypen zugeschlagen werden müsse.162 Das Meinungsspektrum erstreckte sich von der Einstu-
158 Scholz-K. SCHMIDT, GmbHG, § 11, Rz. 4ff.; Hachenburg-ULMER, GmbHG, § 11, Rz. 3.
159 Hachenburg-ULMER, GmbHG, § 11, Rz. 1.
160 RITTNER, Juristische Person, S. 130; Hachenburg-ULMER, GmbHG, § 11, Rz. 1; Scholz-K.
SCHMIDT, GmbHG, § 11, Rz. 2.
161 Scholz-K. SCHMIDT, GmbHG, § 11, Rz. 4.
162 Vgl. Hachenburg-ULMER, GmbHG, § 11, Rz. 7 m.w.N.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Mit der Untersuchung der Parteifähigkeit erörtert der Autor grundsätzliche Fragen des prozessualen und materiellen Gesellschaftsrechts und zeigt bestehende Brüche zwischen beiden Regelungsmaterien auf.
Die Parteifähigkeit wurde traditionell vor allem prozessrechtlich qualifiziert. Nach der Zuerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit an die Außen-GbR durch den BGH und den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs in den Verfahren Centros, Überseering und Inspire Art steht die hergebrachte Konzeption auf dem Prüfstand.
Diesen Befund nimmt der Autor zum Anlass und untersucht zunächst die Dogmatik der Parteifähigkeit anhand inländischer Sachverhalte. Nach einem rechtsvergleichenden Teil geht der Verfasser auf die Parteifähigkeit von Gebilden mit ausländischem Personalstatut ein und diskutiert insbesondere die so genannte Scheinauslandsgesellschaft. Darüber hinaus wird die gemeinschaftsrechtliche Dimension der Parteifähigkeit erörtert.