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An dieser Stelle werden die Verbindungen zur zweiten Funktion, der Sicherstellung der Publizität der Verfahrenssubjekte, sichtbar. Die Sicherstellung der Publizität wird als genuin prozessrechtlicher Zweck aufgefasst. Sie ist jedoch nur das perpetuierte prozessrechtliche Seitenstück zur Durchsetzung des Systems der
Normativbestimmungen. Sie erfüllt keinen Selbstzweck. Hinter ihr verbirgt sich
vielmehr die Fragestellung, welchen Grad der Identitätsausstattung und damit der
Verselbständigung die Zuerkennung der Parteifähigkeit bedarf. Ob dabei unbedingt
die Registerpublizität erforderlich ist, kann an dieser Stelle noch nicht abschließend
bewertet werden. Anhaltspunkte für die Abwägung lassen sich daraus gewinnen, in
welchem Ausmaß vor allem das Publizitätsprinzip und damit das Fundament einer
prozessrechtlichen Qualifikation durch Korrekturen relativiert wird.
E. Auf § 50 Abs. 2 ZPO gestützte Korrekturen unter einer prozessrechtlichen
Qualifikation
Die Versagung der Parteifähigkeit als Ergebnis ihrer prozessrechtlichen Qualifikation erscheint wie im Beispielsfall 1, dem „Herabsinken“ einer OHG zur Außen-GbR,
unbillig. Um dem Anwendungsbereich des § 50 Abs. 1 ZPO nicht ausdehnen zu
müssen, bietet sich unter einer prozessrechtlichen Qualifikation nur ein Ausweg
über eine analoge Anwendung des § 50 Abs. 2 ZPO. § 50 Abs. 2 ZPO scheint, eine
auf die passive Parteifähigkeit beschränkte Zuerkennung der verfahrensrechtlichen
Subjekteigenschaft zu ermöglichen. Eine Zuerkennung der Parteifähigkeit aus
Rechtsschutzerwägungen muss jedoch, auch wenn sie auf die passive Parteifähigkeit
limitiert bleibt, mit dem Ziel der Registerpublizität in Konflikt treten.
I. Relative Parteifähigkeit als Ausfluss von § 50 Abs. 2 ZPO
§ 50 Abs. 2 ZPO weist dem sog. „nichtrechtsfähigen“ Verein für den Fall, dass er
verklagt wird, in diesem Rechtstreit die Stellung eines rechtsfähigen Vereins und
ausdrücklich die passive Parteifähigkeit zu. Daran anknüpfend wurde § 50
Abs. 2 ZPO bisher eine Differenzierung hinsichtlich der Zuerkennung von aktiver
und passiver Parteifähigkeit entnommen. Eine unterschiedliche prozessuale Betrachtung von Aktiv- und Passivprozessen wird mancherorts schon aus der z.B. in
§ 124 Abs. 1 HGB enthaltenen Formel „klagen und verklagt werden“ hergeleitet.120
Diese Formel wird vor allem in Normen verwendet, die unter einer prozessrechtlichen Qualifikation konstitutive Wirkung entfalten und hiernach teilrechtsfähigen
Gebilden die Parteifähigkeit ausdrücklich zuerkennen sollen. Die Möglichkeit einer
auf die passive Parteifähigkeit beschränkte Verleihung wird als allgemeines Prinzip
aus § 50 Abs. 2 ZPO hergeleitet
120 So z.B. FURTAK, Parteifähigkeit, S. 32.
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Die Zuerkennung der auf Passivprozesse begrenzten Parteifähigkeit sei von der
materiellen Frage der Rechtsfähigkeit unabhängig und könne durch rein prozessuale
Wertungen gerechtfertigt sein.121 § 50 Abs. 2 ZPO scheint sich nicht nur nahtlos in
das Konzept einer prozessrechtlich verstandenen Parteifähigkeit einzufügen, sondern
bereitet auch das dogmatische Fundament für Analogien, die eine lediglich relative
Parteifähigkeit im Sinne des § 50 Abs. 2 ZPO auf prozessuale Wertungen stützen.
II. Der Zielkonflikt zwischen einer erleichterten Rechtsdurchsetzung und
dem Publizitätsprinzip
Bei § 50 Abs. 2 ZPO wird daher unter einer prozessrechtlichen Qualifikation auch
die Erleichterung der Rechtsdurchsetzung als telos hervorgehoben. Dies ist jedoch
nur unter Aufgabe der sonst geforderten Registerpublizität möglich. Die Anhänger
einer prozessrechtlichen Qualifikation müssen in § 50 Abs. 2 ZPO eine Ausnahme
des Publizitätsprinzips bei allen Verfahrenssubjekten sehen.122 Zweifelhaft ist, wie
der nichtrechtsfähige Verein die passive Parteifähigkeit einschließlich der Fähigkeit
zur Widerklage innehaben kann, ohne dass das Postulat der Publizität generell in
Frage gestellt wird. Gerade eine unterschiedliche Behandlung der Parteifähigkeit je
nachdem, ob der nichtrechtsfähige Verein Kläger oder Beklagter ist, wirkt der gebotenen Klarheit über die Parteistellung im Hinblick auf Existenz und Identität entgegen.123 So wirft die Verweigerung lediglich der aktiven Parteifähigkeit zahlreiche
Probleme auf, wie z.B. die Frage, wer von der subjektiven Rechtskraft des Urteils
erfasst wird, oder gegen wen die Zwangsvollstreckung betrieben wird.124 Die These,
dass die Parteifähigkeit von der Publizität abhängig sei, war jedoch angetreten, um
genau diese Probleme gar nicht erst aufkommen zu lassen. Als Zweck des Publizitätserfordernisses wird die Gewährleistung einer sicheren Zuordnung von Rechtsverhältnissen der Rechtssubjekte angeführt.125
Die Zurückdrängung von Publizitätsgesichtspunkten in diesem Zusammenhang
zeigt auf, dass die Parteifähigkeit nicht von der Publizität abhängig ist. Die Zuerkennung der passiven Parteifähigkeit ist nur möglich, da Handlungsorganisation,
Haftungssubstrat und insbesondere eine ausreichende Identitätsausstattung auch ohne Registereintragung gegeben sind.126 Warum dies nicht auch für die aktive Parteifähigkeit gelten soll ist nicht ersichtlich. § 50 Abs. 2 ZPO verdeutlicht insoweit, dass
die Publizität nicht notwendige Voraussetzung der Parteifähigkeit ist. § 50
121 FURTAK, Parteifähigkeit, S. 32f.
122 HÜFFER, FS Stimpel, S. 165, 176; JUNG, NJW 1986, 157, 158 mit Verweis auf K. SCHMIDT,
Verbandszweck, S. 52 bis 57 und ders. NJW, 1984, 2249 u. 2250; zum Gläubigerschutz K.
SCHMIDT, NJW 1984, 2249ff.
123 JUNG, NJW 1986, 157, 160; ihm folgend MüKo-REUTER, BGB, § 54, Rz. 19; vgl. auch
STOLTENBERG, MDR 1989, 494, 496f.
124 JUNG, NJW 1986, 157, 160 unter Verweis auf HENCKEL, Parteilehre, S. 125.
125 K. SCHMIDT, NJW 1984, 2249, 2249.
126 MüKo-LINDACHER, ZPO, § 50, Rz. 37.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Mit der Untersuchung der Parteifähigkeit erörtert der Autor grundsätzliche Fragen des prozessualen und materiellen Gesellschaftsrechts und zeigt bestehende Brüche zwischen beiden Regelungsmaterien auf.
Die Parteifähigkeit wurde traditionell vor allem prozessrechtlich qualifiziert. Nach der Zuerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit an die Außen-GbR durch den BGH und den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs in den Verfahren Centros, Überseering und Inspire Art steht die hergebrachte Konzeption auf dem Prüfstand.
Diesen Befund nimmt der Autor zum Anlass und untersucht zunächst die Dogmatik der Parteifähigkeit anhand inländischer Sachverhalte. Nach einem rechtsvergleichenden Teil geht der Verfasser auf die Parteifähigkeit von Gebilden mit ausländischem Personalstatut ein und diskutiert insbesondere die so genannte Scheinauslandsgesellschaft. Darüber hinaus wird die gemeinschaftsrechtliche Dimension der Parteifähigkeit erörtert.