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D. § 50 Abs. 2 ZPO als prägende Vorschrift der bisherigen
Parteifähigkeitsdogmatik
Es wurde bereits angedeutet, dass sich die prozessrechtliche Qualifikation anhand
der Regelung des § 50 Abs. 2 ZPO entwickelt hat. Vor allem die Sicherstellung der
Publizität aller Verfahrenssubjekte wird unter der prozessrechtlichen Qualifikation
als Funktion der Parteifähigkeit in den Vordergrund gerückt.49 Diese Sichtweise
entwickelte sich aber erst allmählich als Konsequenz daraus, dass die Parteifähigkeit
als prozessrechtliches Institut zur Durchsetzung des Systems der Normativbestimmungen begriffen wurde. Der folgende Abschnitt setzt sich daher mit der Frage auseinander, inwiefern sich aus § 50 Abs. 2 ZPO ein solcher Funktionsumfang der Parteifähigkeit ableiten lässt.
I. Versagung der Parteifähigkeit als prozessrechtliches Institut zur Durchsetzung
des Systems der Normativbestimmungen
§ 50 Abs. 2 ZPO befasst sich mit der Parteifähigkeit des nichtrechtsfähigen Vereins.
Sie muss daher den Ausgangspunkt für die Untersuchung bilden, ob die Parteifähigkeit das System der Normativbestimmungen auf dem Gebiet des Prozessrechts
schützen und durchsetzen soll. Sowohl bei der Entstehungsgeschichte des § 50 Abs.
2 ZPO als auch bei den Entwicklungen im Recht des nichtrechtsfähigen Vereins
kann dazu angesetzt werden.
1. Die Interpretation des § 50 Abs. 2 ZPO aus historischer Perspektive
Eine dem § 50 Abs. 2 ZPO entsprechende Vorschrift war in der CPO von 1877 ursprünglich nicht enthalten.50 Erst im Zuge einer Novellierung im Jahre 1898 fand
§ 50 Abs. 2 Eingang in die ZPO. In der vorangegangenen Zeit war dem nichtrechtsfähigen Verein durchaus auch die aktive Parteifähigkeit zugestanden worden.51 1896
hatte schon der Gesetzgeber des BGB mit der Einführung des § 54 S. 1 BGB die Existenzbedingungen des nichtrechtsfähigen Vereins und somit die Bildung sozialpolitischer und religiöser Vereinigungen zu beeinträchtigen und staatlicher Kontrolle
zu unterstellen gesucht.52 In diesem Kontext ist auch die Regelung des § 50
Abs. 2 ZPO zu sehen. Die vereinspolizeiliche Zielsetzung sollte nicht nur die mate-
49 Vgl. auch HESS, ZZP 117 (2004), 267, 299 im Kontext der Grundbuchfähigkeit der Außen-
GbR: „Das Registerverfahren zeigt deutlich, dass die Verfahrensfähigkeit der Außen-GbR
vor allem ein Problem der (mangelnden) Publizität ist.“
50 WERTENBRUCH, Haftung, S. 158.
51 SEUFFERT, ZPO, § 50 Anm. 3; RGZ 12, 398; vgl. hierzu auch FURTAK, Parteifähigkeit, S. 19
und HESS, ZZP 117 (2004), 267, 273.
52 MüKo-LINDACHER, ZPO, § 50, Rz. 35.
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rielle Anwendung des Rechts der Personengesellschaft zur Folge haben, sondern
auch auf das Prozessrecht erstreckt werden.53 Insofern hat § 50 Abs. 2 ZPO nicht
den Charakter einer Regelung, welche eine vorher unbekannte Position gewährt.
Vielmehr wurde die bis dahin anerkannte umfassende Parteifähigkeit des nichtrechtsfähigen Vereins54 beschränkt.55
Die Konzeption des Gesetzgebers, die zu § 50 Abs. 2 ZPO führte, ging tendenziell wohl von einem prozessrechtlichen Verständnis der Parteifähigkeit aus. Außer
natürlichen und juristischen Personen sollten lediglich solchen Personenvereinigungen die Parteifähigkeit zukommen, denen die entsprechende Tauglichkeit durch eine
besondere Vorschrift attestiert worden war.56 Man beabsichtigte, § 50 Abs. 2 ZPO
als prozessualen Hebel zur Durchsetzung des Systems der Normativbestimmungen
zu benutzen. Mit dieser Vorschrift sollte eine unterschiedliche prozessuale Behandlung von juristischer Person und nichtrechtsfähigem Verein mit durchaus diskriminatorischem Charakter57 statuiert werden. Die tradierte Ansicht entnimmt daher § 50
Abs. 2 ZPO den Gegenschluss, dass die aktive Parteifähigkeit ausgeschlossen ist.58
Diese Interpretation wird jedoch zunehmend in Zweifel gezogen, da das Wesen der
Gesamthand im Gesetzgebungsprozess umstritten war.59
Die 2. BGB Kommission ging bei § 54 S. 1 BGB auf die Unterschiede zwischen
dem System der Normativbestimmungen und dem damit konkurrierenden System
der freien Körperschaftsbildung ein.60 Das System der freien Körperschaftsbildung
wurde nicht befürwortet, da der „Unterschied zwischen einer Sozietät und einem mit
Persönlichkeit ausgestatteten Vereine für die Rechtsbeziehungen der Mitglieder zum
Vereinsvermögen und zu Dritten von eingreifender Bedeutung sei.“61 Andererseits
wurde jedoch konstatiert, dass die gewohnheitsrechtliche Anerkennung der Privatgesellschaften, die nicht den Status der juristischen Personen innehaben, aus der
„Theorie der sog. Deutschrechtlichen Sozietäten“ (also der Gesamthandsgesellschaften) hervorgehe.62 Mit der freien Körperschaftsbildung habe dies nichts
zu tun. Die nach den ersten Beratungen eingesetzte Reichstagskommission vertrat
ebenfalls die Ansicht, dass das System der Normativbestimmungen die Rechts- und
53 WAGNER, ZZP 117 (2004), 305, 307; eingehend zur sog. BGB-Novelle, StJ-SCHUMANN,
ZPO, 20. Aufl. 1984, Einl., Rz. 113ff.
54 Vgl. RGZ 4, 155, 156; 8, 121, 122f.; 27, 183, 184f.
55 MüKo-REUTER, BGB, § 54, Rz. 19.
56 Vgl. HAHN/MUGDAN, Materialien VIII, S. 84: § 50 Abs. 2 entspreche einem praktischen
Bedürfnisse.
57 HENCKEL, Prozessrecht, S. 66; ähnlich FLUME, ZHR 148 (1984), 503, 507f.
58 StJ-BORK, ZPO, § 50, Rz. 30; MüKo-LINDACHER, ZPO, § 50, Rz. 39.
59 WERTENBRUCH, Haftung, S. 163; vgl. auch die eingehende Darstellung WAGNERS zur Gesetzgebung in ZZP 117 (2004), 305, 317ff. (Parteifähigkeit der GbR) und S. 321ff. (Rechtsfähigkeit der GbR).
60 WERTENBRUCH, Haftung, S. 160.
61 MUGDAN, MatBGB I, S. 602.
62 MUGDAN, MatBGB I, S. 602.
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Parteifähigkeit von Personengemeinschaften mit persönlicher Haftung der Mitglieder nicht ausschließt.63
Die Meinungsverschiedenheiten über das Wesen der Gesamthand führten zu
Kompromissen bei der Normsetzung. Daher ist die aktive Parteifähigkeit des nichtrechtsfähigen Vereins nicht ausdrücklich ausgeschlossen worden. Ein Gegenschluss,
der § 50 Abs. 2 ZPO entnommen wird, ist im Hinblick auf den Normbefund zwar
nahe liegend,64 aus historischer Perspektive aber nicht zwingend.65 Er wird dadurch
in Frage gestellt, dass dem § 50 Abs. 2 ZPO der Charakter eines Formelkompromisses innewohnt.
2. Entwicklung des materiellen Rechts des nichtrechtsfähigen Vereins
Auch aus der materiellrechtlichen Rechtsfortbildung ergeben sich Anhaltspunkte, ob
die Parteifähigkeit ein prozessrechtliches Institut zur Durchsetzung des Systems der
Normativbestimmungen darstellt. Die Verweisung in § 54 S. 1 BGB des nichtrechtsfähigen Vereins auf die Regelungen der Personengesellschaft wurde aufgrund der
körperschaftlichen Struktur des nichtrechtsfähigen Vereins, der ja alle Merkmale des
eingetragenen Vereins mit Ausnahme der Eintragung erfüllt, von der Praxis bereits
frühzeitig relativiert.66 In einer ersten Stufe entwickelte sich ein Sonderrecht des
nichtrechtsfähigen Vereins auf der Grundlage konkreter Satzungsauslegung.67 Darauf folgte die Heranziehung des „Rechtsempfindens“ und des „Rechtsgefühls“.68
Heute wird die Rechtsfortbildung indessen als Ergebnis der Natur der Sache gesehen.69
Die Verweisung des § 54 S. 1 BGB auf das Personengesellschaftsrecht wird aufgrund der körperschaftlichen Struktur des Vereins als unpassend empfunden.70 Es
wird daher das Vereinsrecht angewendet, soweit dem nicht „der Mangel der (Voll-)
Rechtsfähigkeit“ entgegensteht.71 Hiermit ist im Hinblick auf den Schutz des Systems der Normativbestimmungen und dem damit notwendigen Abstand zum eingetragenen Verein aber in erster Linie die mangelnde Eigenschaft als juristische Person gemeint. So lässt sich feststellen, dass § 54 S. 1 BGB heute beim wirtschaft-
63 WERTENBRUCH, Haftung, S. 161; vgl. darüber hinaus MUGDAN, MatBGB I, S. 954.
64 WAGNER, ZZP 117 (2004), 305, 320.
65 Ebenso: WERTENBRUCH, Haftung, S. 163.
66 MüKo-REUTER, BGB, § 54, Rz. 3ff. (der selbst einen Wegfall der Vorschrift nach dem problematischen Grundsatz „cessante ratione legis cessat lex ipsa“ annimmt), Pal-HEINRICHS,
§ 54, § 54 Rz. 1; MüKo-LINDACHER, ZPO, § 50, Rz. 36; gegen eine solche Relativierung:
SCHÖPFLIN, nichtrechtsfähiger Verein, S. 313.
67 RGZ 63, 62, 65; 74, 371, 374; 113, 125, 135; 143, 212, 213; RG JW 1907, 136.
68 OLG Hamburg JW 1924, 1882 m. krit. Anm. HOENIGER.
69 MüKo-LINDACHER, ZPO, § 50, Rz. 36.
70 MüKo-REUTER, BGB, § 54, Rz. 12; K. SCHMIDT, GesR, § 25 II 2 b; JUNG, NJW, 1986, 157,
158.
71 Pal-HEINRICHS, § 54, Rz. 1; KÖHLER, BGB-AT, § 21, Rz. 39; MüKo-LINDACHER, ZPO,
§ 50, Rz. 36.
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lichen Verein vor allem eine Rolle für die Haftungs- und die Außenhandlungskompetenzfrage spielt.72 Es kann daher eine Akzentverschiebung ausgemacht werden,
die die fehlende Eintragung nicht mit der Versagung der Rechtsfähigkeit sanktioniert.73
Die Versagung der Subjekteigenschaft zur Durchsetzung des Systems der Normativbestimmungen ist daher, ausgehend vom materiellen Recht, zunehmend in Frage
gestellt.74
3. Zwischenergebnis
Das Schweigen des § 50 Abs. 2 ZPO zur aktiven Parteifähigkeit lässt sich auf seinen
Charakter als Formelkompromiss zurückführen. Die Versagung der aktiven Parteifähigkeit durch § 50 Abs. 2 ZPO, als Ausdruck eines Mechanismus zur Durchsetzung des Systems der Normativbestimmung, ist daher fraglich.75 Die materiellrechtliche Entwicklung bei § 54 Abs. 1 BGB, die aus dem nichtrechtsfähigen Verein eher
einen nicht eingetragenen Verein gemacht hat, deutet darauf hin, dass der mangelnde
Status der juristischen Person nicht mit der Versagung der Subjektivität sanktioniert
werden soll. Der Status der juristischen Person spielt zumindest materiellrechtlich
nunmehr vor allem für die Haftungs- und Außenhandlungskompetenz eine Rolle.
II. Publizitätsprinzip der Verfahrenssubjekte als Ausfluss von § 50 Abs. 2 ZPO?
Da es sich bei der Durchsetzung des Systems der Normativbestimmungen um einen
prozessfremden Zweck handelt,76 sollte sich das Prozessrecht nicht ohne gewichtige
Gründe der Entwicklung des materiellen Rechts versperren.
§ 50 ZPO sollte mit beiden Absätzen die Wertungen des § 54 BGB in das Prozessrecht hineintragen.77 Durch die Rechtsfortbildung des § 54 BGB, die den nicht
rechtsfähigen Verein als Rechtsträger anerkennt, wird ein Teil dieses Wirkmechanismusses geändert. Konsequenterweise müsste auch die Auslegung des § 50 ZPO
und insbesondere dessen Abs. 2 dazu führen, dass dem nichtrechtsfähigen Verein
auch die aktive Parteifähigkeit nicht vorenthalten wird. Denn fällt die Versagung der
Rechtsfähigkeit weg, so wird das ursprüngliche Verhältnis von § 54 BGB und
72 MüKo-LINDACHER, ZPO, § 50, Rz. 36.
73 So auch K. SCHMIDT, GesR, § 25 II 2 d.
74 Vgl. auch HESS, ZZP 117 (2004), 267, 276.
75 Insbesondere die Gesetzgebungsmaterialien bei MUGDAN, Protokolle I, S. 599-602, die dem
scheinbar entgegen stehen, sind in einem größeren Zusammenhang mit der „Unschlüssigkeit
des Gesetzgebers“ (WAGNER, ZZP 117, (2004), 307, 321) zu sehen.
76 LINDACHER, JZ 1989, 377, 378; so auch HESS, ZZP 117 (2004), 267, 275: „Denn mit [§ 50
Abs. 2 ZPO] wollte der Gesetzgeber prozessfremde Zwecke durch eine faktische Rechtsschutzverweigerung sanktionieren.“
77 HENCKEL, Prozessrecht, S. 67.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Mit der Untersuchung der Parteifähigkeit erörtert der Autor grundsätzliche Fragen des prozessualen und materiellen Gesellschaftsrechts und zeigt bestehende Brüche zwischen beiden Regelungsmaterien auf.
Die Parteifähigkeit wurde traditionell vor allem prozessrechtlich qualifiziert. Nach der Zuerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit an die Außen-GbR durch den BGH und den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs in den Verfahren Centros, Überseering und Inspire Art steht die hergebrachte Konzeption auf dem Prüfstand.
Diesen Befund nimmt der Autor zum Anlass und untersucht zunächst die Dogmatik der Parteifähigkeit anhand inländischer Sachverhalte. Nach einem rechtsvergleichenden Teil geht der Verfasser auf die Parteifähigkeit von Gebilden mit ausländischem Personalstatut ein und diskutiert insbesondere die so genannte Scheinauslandsgesellschaft. Darüber hinaus wird die gemeinschaftsrechtliche Dimension der Parteifähigkeit erörtert.